Jede Handlung von einiger Länge enthält ihre Rei- he von innern Thätigkeiten und von innern Gefühlen in der Seele, und zugleich eine andere von äußern Wirkungen, die äußerlich empfunden werden können. Mit diesen sind Reihen von Vorstellungen verbunden, welche die Aktion begleiten, und in die Richtung der Kraft, obgleich nur mittelbar, einen Einfluß haben. Die erstgedachten innern Gefühle sind größtentheils un- aussprechlich. Wer andern eine Vorstellung von einer Aktion beybringen will, muß solches durch die Darstel- lung der äußern Merkmale bewerkstelligen. Dazu aber wird eine vorzügliche Aufmerksamkeit auf diese letztern er- fordert, und eben dieß schließet die Beschäftigkeit mit der Aktion selbst zum Theil aus. Der Maler, der das Bild des Zorns aus dem Gesicht des Zornigen aufneh- men will, muß in der That selbst ohne Leidenschaft seyn, sonsten fasset er die charakteristischen Züge nicht stark genug. Denn in der Leidenschaft selbst beobachtet man nicht genau, und deutlich, obgleich in Hinsicht der Leb- haftigkeit der Affekt die Sinne schärfen kann. So ver- hält es sich bey jedweder Seelenthätigkeit. Man beob- achtet ihre äußerlichkennbare Seite desto weniger, je größer die Jntension ist, mit der die Seele in dem Jn- nern beschäftiget ist. Die Beobachtung des Aeußerli- chen kann nachgeholet werden; aber dieß ist alsdenn auch eine andere Seite der Aktion, wo manche Züge demjenigen entwischen müssen, der nicht eben so stark am Beobachtungsgeiste als an Handlungsfertigkeit ist.
Daraus wird die obige Erfahrung begreiflich. Es kann jemand die Aktionen beschreiben nach ihren äußern Wirkungen, auf eine Art, die lebhaft ist, und einen star- ken Eindruck bey solchen Personen machet, welche ohne- dieß eine vorzügliche Anlage zu derselbigen Kraftäuße- rung besitzen. Und dennoch ist es an sich nicht unmög- lich, daß ihm das Wesentliche der Vorstellung von die-
ser
X. Verſuch. Ueber die Beziehung
Jede Handlung von einiger Laͤnge enthaͤlt ihre Rei- he von innern Thaͤtigkeiten und von innern Gefuͤhlen in der Seele, und zugleich eine andere von aͤußern Wirkungen, die aͤußerlich empfunden werden koͤnnen. Mit dieſen ſind Reihen von Vorſtellungen verbunden, welche die Aktion begleiten, und in die Richtung der Kraft, obgleich nur mittelbar, einen Einfluß haben. Die erſtgedachten innern Gefuͤhle ſind groͤßtentheils un- ausſprechlich. Wer andern eine Vorſtellung von einer Aktion beybringen will, muß ſolches durch die Darſtel- lung der aͤußern Merkmale bewerkſtelligen. Dazu aber wird eine vorzuͤgliche Aufmerkſamkeit auf dieſe letztern er- fordert, und eben dieß ſchließet die Beſchaͤftigkeit mit der Aktion ſelbſt zum Theil aus. Der Maler, der das Bild des Zorns aus dem Geſicht des Zornigen aufneh- men will, muß in der That ſelbſt ohne Leidenſchaft ſeyn, ſonſten faſſet er die charakteriſtiſchen Zuͤge nicht ſtark genug. Denn in der Leidenſchaft ſelbſt beobachtet man nicht genau, und deutlich, obgleich in Hinſicht der Leb- haftigkeit der Affekt die Sinne ſchaͤrfen kann. So ver- haͤlt es ſich bey jedweder Seelenthaͤtigkeit. Man beob- achtet ihre aͤußerlichkennbare Seite deſto weniger, je groͤßer die Jntenſion iſt, mit der die Seele in dem Jn- nern beſchaͤftiget iſt. Die Beobachtung des Aeußerli- chen kann nachgeholet werden; aber dieß iſt alsdenn auch eine andere Seite der Aktion, wo manche Zuͤge demjenigen entwiſchen muͤſſen, der nicht eben ſo ſtark am Beobachtungsgeiſte als an Handlungsfertigkeit iſt.
Daraus wird die obige Erfahrung begreiflich. Es kann jemand die Aktionen beſchreiben nach ihren aͤußern Wirkungen, auf eine Art, die lebhaft iſt, und einen ſtar- ken Eindruck bey ſolchen Perſonen machet, welche ohne- dieß eine vorzuͤgliche Anlage zu derſelbigen Kraftaͤuße- rung beſitzen. Und dennoch iſt es an ſich nicht unmoͤg- lich, daß ihm das Weſentliche der Vorſtellung von die-
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X. Verſuch. Ueber die Beziehung
Jede Handlung von einiger Laͤnge enthaͤlt ihre Rei-
he von innern Thaͤtigkeiten und von innern Gefuͤhlen
in der Seele, und zugleich eine andere von aͤußern
Wirkungen, die aͤußerlich empfunden werden koͤnnen.
Mit dieſen ſind Reihen von Vorſtellungen verbunden,
welche die Aktion begleiten, und in die Richtung der
Kraft, obgleich nur mittelbar, einen Einfluß haben.
Die erſtgedachten innern Gefuͤhle ſind groͤßtentheils un-
ausſprechlich. Wer andern eine Vorſtellung von einer
Aktion beybringen will, muß ſolches durch die Darſtel-
lung der aͤußern Merkmale bewerkſtelligen. Dazu aber
wird eine vorzuͤgliche Aufmerkſamkeit auf dieſe letztern er-
fordert, und eben dieß ſchließet die Beſchaͤftigkeit mit der
Aktion ſelbſt zum Theil aus. Der Maler, der das
Bild des Zorns aus dem Geſicht des Zornigen aufneh-
men will, muß in der That ſelbſt ohne Leidenſchaft ſeyn,
ſonſten faſſet er die charakteriſtiſchen Zuͤge nicht ſtark
genug. Denn in der Leidenſchaft ſelbſt beobachtet man
nicht genau, und deutlich, obgleich in Hinſicht der Leb-
haftigkeit der Affekt die Sinne ſchaͤrfen kann. So ver-
haͤlt es ſich bey jedweder Seelenthaͤtigkeit. Man beob-
achtet ihre aͤußerlichkennbare Seite deſto weniger, je
groͤßer die Jntenſion iſt, mit der die Seele in dem Jn-
nern beſchaͤftiget iſt. Die Beobachtung des Aeußerli-
chen kann nachgeholet werden; aber dieß iſt alsdenn
auch eine andere Seite der Aktion, wo manche Zuͤge
demjenigen entwiſchen muͤſſen, der nicht eben ſo ſtark
am Beobachtungsgeiſte als an Handlungsfertigkeit iſt.
Daraus wird die obige Erfahrung begreiflich. Es
kann jemand die Aktionen beſchreiben nach ihren aͤußern
Wirkungen, auf eine Art, die lebhaft iſt, und einen ſtar-
ken Eindruck bey ſolchen Perſonen machet, welche ohne-
dieß eine vorzuͤgliche Anlage zu derſelbigen Kraftaͤuße-
rung beſitzen. Und dennoch iſt es an ſich nicht unmoͤg-
lich, daß ihm das Weſentliche der Vorſtellung von die-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 652. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/712>, abgerufen am 21.11.2024.
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