Gehet man dieser Jdee weiter nach, und vergleichet damit dasjenige, was in dem ersten Versuch über die Vorstellungen, *) von der Beziehung der vorstellenden Kraft zu dem Vermögen, Modifikationen aufzunehmen, angeführet ist, so stellen sich die drey Grundäußerungen der Erkenntnißkraft, das Fühlen, das Vorstellen und das Denken in ihrer wahren Verbindung, in ihrer Ab- hängigkeit von Einer Grundkraft, und zugleich in ihrer völligen Verschiedenheit deutlich dar. Diese Deutlich- keit ist doch schon etwas, wodurch sich die gegebene Er- klärung dem Verstande empfiehlet, obgleich ihre Rich- tigkeit damit noch nicht völlig erwiesen ist.
Zwo Eindrücke, einer durch die Augen, der andere durch das Ohr, entstehen in der Seele, oder fallen auf sie; wie man sich ausdrücken will. Dadurch entstehen zwo unterschiedne Modifikationen. Die Seele beweiset Receptivität, indem sie solche aufnimmt, und sie füh- let solche zugleich, oder nimmt sie fühlend auf. Jhr Gefühl ist so etwas, das dem bloßen Reagiren der Kör- per entspricht, ich will nicht sagen, diesem gleichartig ist. Aber es ist das nämliche Princip, welches sich modifici- ren läßt, und zugleich diese Modifikation fühlet und em- pfindet. Diese beiden Wirkungen sind gleichzeitige Aeußerungen des nämlichen Vermögens, von verschie- denen Seiten betrachtet.
Dieß Vermögen sey nun innerlich selbstthätig; das ist, es sey eine Kraft, die mit arbeitet, indem sie ver- ändert wird, und nicht ganz leidentlich annimmt, son- dern zum Theil thätig etwas aufnimmt, und es ergrei- fet; alsdenn beweiset sie ihr Apprehensionsvermögen. Ein höherer Grad der innern Selbstthätigkeit in diesem Vermögen setzet sie in den Stand, auch Vorstellungen
zu
*) Erster Versuch XVI. 4.
Q q 2
des Empfindens, des Vorſtellens ⁊c.
2.
Gehet man dieſer Jdee weiter nach, und vergleichet damit dasjenige, was in dem erſten Verſuch uͤber die Vorſtellungen, *) von der Beziehung der vorſtellenden Kraft zu dem Vermoͤgen, Modifikationen aufzunehmen, angefuͤhret iſt, ſo ſtellen ſich die drey Grundaͤußerungen der Erkenntnißkraft, das Fuͤhlen, das Vorſtellen und das Denken in ihrer wahren Verbindung, in ihrer Ab- haͤngigkeit von Einer Grundkraft, und zugleich in ihrer voͤlligen Verſchiedenheit deutlich dar. Dieſe Deutlich- keit iſt doch ſchon etwas, wodurch ſich die gegebene Er- klaͤrung dem Verſtande empfiehlet, obgleich ihre Rich- tigkeit damit noch nicht voͤllig erwieſen iſt.
Zwo Eindruͤcke, einer durch die Augen, der andere durch das Ohr, entſtehen in der Seele, oder fallen auf ſie; wie man ſich ausdruͤcken will. Dadurch entſtehen zwo unterſchiedne Modifikationen. Die Seele beweiſet Receptivitaͤt, indem ſie ſolche aufnimmt, und ſie fuͤh- let ſolche zugleich, oder nimmt ſie fuͤhlend auf. Jhr Gefuͤhl iſt ſo etwas, das dem bloßen Reagiren der Koͤr- per entſpricht, ich will nicht ſagen, dieſem gleichartig iſt. Aber es iſt das naͤmliche Princip, welches ſich modifici- ren laͤßt, und zugleich dieſe Modifikation fuͤhlet und em- pfindet. Dieſe beiden Wirkungen ſind gleichzeitige Aeußerungen des naͤmlichen Vermoͤgens, von verſchie- denen Seiten betrachtet.
Dieß Vermoͤgen ſey nun innerlich ſelbſtthaͤtig; das iſt, es ſey eine Kraft, die mit arbeitet, indem ſie ver- aͤndert wird, und nicht ganz leidentlich annimmt, ſon- dern zum Theil thaͤtig etwas aufnimmt, und es ergrei- fet; alsdenn beweiſet ſie ihr Apprehenſionsvermoͤgen. Ein hoͤherer Grad der innern Selbſtthaͤtigkeit in dieſem Vermoͤgen ſetzet ſie in den Stand, auch Vorſtellungen
zu
*) Erſter Verſuch XVI. 4.
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des Empfindens, des Vorſtellens ⁊c.
2.
Gehet man dieſer Jdee weiter nach, und vergleichet
damit dasjenige, was in dem erſten Verſuch uͤber die
Vorſtellungen, *) von der Beziehung der vorſtellenden
Kraft zu dem Vermoͤgen, Modifikationen aufzunehmen,
angefuͤhret iſt, ſo ſtellen ſich die drey Grundaͤußerungen
der Erkenntnißkraft, das Fuͤhlen, das Vorſtellen und
das Denken in ihrer wahren Verbindung, in ihrer Ab-
haͤngigkeit von Einer Grundkraft, und zugleich in ihrer
voͤlligen Verſchiedenheit deutlich dar. Dieſe Deutlich-
keit iſt doch ſchon etwas, wodurch ſich die gegebene Er-
klaͤrung dem Verſtande empfiehlet, obgleich ihre Rich-
tigkeit damit noch nicht voͤllig erwieſen iſt.
Zwo Eindruͤcke, einer durch die Augen, der andere
durch das Ohr, entſtehen in der Seele, oder fallen auf
ſie; wie man ſich ausdruͤcken will. Dadurch entſtehen
zwo unterſchiedne Modifikationen. Die Seele beweiſet
Receptivitaͤt, indem ſie ſolche aufnimmt, und ſie fuͤh-
let ſolche zugleich, oder nimmt ſie fuͤhlend auf. Jhr
Gefuͤhl iſt ſo etwas, das dem bloßen Reagiren der Koͤr-
per entſpricht, ich will nicht ſagen, dieſem gleichartig iſt.
Aber es iſt das naͤmliche Princip, welches ſich modifici-
ren laͤßt, und zugleich dieſe Modifikation fuͤhlet und em-
pfindet. Dieſe beiden Wirkungen ſind gleichzeitige
Aeußerungen des naͤmlichen Vermoͤgens, von verſchie-
denen Seiten betrachtet.
Dieß Vermoͤgen ſey nun innerlich ſelbſtthaͤtig; das
iſt, es ſey eine Kraft, die mit arbeitet, indem ſie ver-
aͤndert wird, und nicht ganz leidentlich annimmt, ſon-
dern zum Theil thaͤtig etwas aufnimmt, und es ergrei-
fet; alsdenn beweiſet ſie ihr Apprehenſionsvermoͤgen.
Ein hoͤherer Grad der innern Selbſtthaͤtigkeit in dieſem
Vermoͤgen ſetzet ſie in den Stand, auch Vorſtellungen
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*) Erſter Verſuch XVI. 4.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 611. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/671>, abgerufen am 24.11.2024.
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