Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
des Empfindens, des Vorstellens etc.

Aber das zweyte, der Aktus der Gewahrnehmung,
wodurch der eigentliche Gedanke von dem Verhältnisse,
oder das subjektivische Verhältniß in uns hervorgebracht
wird?

Jst dieser Aktus etwas anders, als eine Aeußerung
derselbigen Kraft, der das Gefühl der Verhältnisse
zugeschrieben wird? ist es nicht die Wirkung dieses Ver-
mögens, in so ferne es eine thätige Kraft ist, in so fer-
ne es nämlich nicht blos Modifikationen aufnimmt, sol-
che fühlet, und auf sie zurückwirket, sondern in so ferne
mit dieser Reaktion eine neue Thätigkeit verbunden ist?
Thätiges Empfindungsvermögen ist also das den
Verhältnißgedanken hervorbringende Vermögen, und
das zweyte und vornehmste Jngredienz der Denkkraft.
"Selbstthätig Vorstellungen bearbeiten, und thätig mit
"dem Gefühl auf diese bearbeiteten Vorstellungen zu-
"rückwirken, das ist und heißt Denken."

Was ich durch die Thätigkeit des Gefühlsvermögen,
die mit der Reaktion auf absolute Modifikationes ver-
bunden seyn soll, sagen will, bedarf noch einiger Erläu-
terung.

Wenn zwey verschiedene Formen auf weiches Wachs
gedruckt werden, so entstehen zwey Abdrücke in dem
Wachs so unterschieden, als die Formen sind. Das
Wachs leidet, nimmt diese beiden Modifikationen auf.
Die Receptivität ist in dem Wachs in Hinsicht beider
Eindrücke dasselbige Vermögen.

Eben dieses Wachs reagirt, indem es geformet wird.
An Statt der Forme, die man aufdrücket, lasse man
eine Kugel und einen Cylinder von unterschiedener Ge-
stalt auf das Wachs herunterfallen, so werden diese bei-
den Körper verschiedene Eindrücke machen, ihren Figu-
ren und ihrer Geschwindigkeit, womit sie anfallen, gemäß,
aber beide werden ihre Bewegungen, die sie hatten, da-
bey einbüßen. Das Wachs hat zurückgewirket, und

hat
des Empfindens, des Vorſtellens ⁊c.

Aber das zweyte, der Aktus der Gewahrnehmung,
wodurch der eigentliche Gedanke von dem Verhaͤltniſſe,
oder das ſubjektiviſche Verhaͤltniß in uns hervorgebracht
wird?

Jſt dieſer Aktus etwas anders, als eine Aeußerung
derſelbigen Kraft, der das Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe
zugeſchrieben wird? iſt es nicht die Wirkung dieſes Ver-
moͤgens, in ſo ferne es eine thaͤtige Kraft iſt, in ſo fer-
ne es naͤmlich nicht blos Modifikationen aufnimmt, ſol-
che fuͤhlet, und auf ſie zuruͤckwirket, ſondern in ſo ferne
mit dieſer Reaktion eine neue Thaͤtigkeit verbunden iſt?
Thaͤtiges Empfindungsvermoͤgen iſt alſo das den
Verhaͤltnißgedanken hervorbringende Vermoͤgen, und
das zweyte und vornehmſte Jngredienz der Denkkraft.
„Selbſtthaͤtig Vorſtellungen bearbeiten, und thaͤtig mit
„dem Gefuͤhl auf dieſe bearbeiteten Vorſtellungen zu-
„ruͤckwirken, das iſt und heißt Denken.

Was ich durch die Thaͤtigkeit des Gefuͤhlsvermoͤgen,
die mit der Reaktion auf abſolute Modifikationes ver-
bunden ſeyn ſoll, ſagen will, bedarf noch einiger Erlaͤu-
terung.

Wenn zwey verſchiedene Formen auf weiches Wachs
gedruckt werden, ſo entſtehen zwey Abdruͤcke in dem
Wachs ſo unterſchieden, als die Formen ſind. Das
Wachs leidet, nimmt dieſe beiden Modifikationen auf.
Die Receptivitaͤt iſt in dem Wachs in Hinſicht beider
Eindruͤcke daſſelbige Vermoͤgen.

Eben dieſes Wachs reagirt, indem es geformet wird.
An Statt der Forme, die man aufdruͤcket, laſſe man
eine Kugel und einen Cylinder von unterſchiedener Ge-
ſtalt auf das Wachs herunterfallen, ſo werden dieſe bei-
den Koͤrper verſchiedene Eindruͤcke machen, ihren Figu-
ren und ihrer Geſchwindigkeit, womit ſie anfallen, gemaͤß,
aber beide werden ihre Bewegungen, die ſie hatten, da-
bey einbuͤßen. Das Wachs hat zuruͤckgewirket, und

hat
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0667" n="607"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">des Empfindens, des Vor&#x017F;tellens &#x204A;c.</hi> </fw><lb/>
            <p>Aber das zweyte, der Aktus der Gewahrnehmung,<lb/>
wodurch der eigentliche Gedanke von dem Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
oder das &#x017F;ubjektivi&#x017F;che Verha&#x0364;ltniß in uns hervorgebracht<lb/>
wird?</p><lb/>
            <p>J&#x017F;t die&#x017F;er Aktus etwas anders, als eine Aeußerung<lb/><hi rendition="#fr">der&#x017F;elbigen Kraft,</hi> der das Gefu&#x0364;hl der Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
zuge&#x017F;chrieben wird? i&#x017F;t es nicht die Wirkung die&#x017F;es Ver-<lb/>
mo&#x0364;gens, in &#x017F;o ferne es eine tha&#x0364;tige Kraft i&#x017F;t, in &#x017F;o fer-<lb/>
ne es na&#x0364;mlich nicht blos Modifikationen aufnimmt, &#x017F;ol-<lb/>
che fu&#x0364;hlet, und auf &#x017F;ie zuru&#x0364;ckwirket, &#x017F;ondern in &#x017F;o ferne<lb/>
mit die&#x017F;er Reaktion eine <hi rendition="#fr">neue Tha&#x0364;tigkeit</hi> verbunden i&#x017F;t?<lb/><hi rendition="#fr">Tha&#x0364;tiges Empfindungsvermo&#x0364;gen</hi> i&#x017F;t al&#x017F;o das den<lb/>
Verha&#x0364;ltnißgedanken hervorbringende Vermo&#x0364;gen, und<lb/>
das zweyte und vornehm&#x017F;te Jngredienz der Denkkraft.<lb/>
&#x201E;Selb&#x017F;ttha&#x0364;tig Vor&#x017F;tellungen bearbeiten, und tha&#x0364;tig mit<lb/>
&#x201E;dem Gefu&#x0364;hl auf die&#x017F;e bearbeiteten Vor&#x017F;tellungen zu-<lb/>
&#x201E;ru&#x0364;ckwirken, das i&#x017F;t und heißt <hi rendition="#fr">Denken.</hi>&#x201F;</p><lb/>
            <p>Was ich durch die Tha&#x0364;tigkeit des Gefu&#x0364;hlsvermo&#x0364;gen,<lb/>
die mit der Reaktion auf ab&#x017F;olute Modifikationes ver-<lb/>
bunden &#x017F;eyn &#x017F;oll, &#x017F;agen will, bedarf noch einiger Erla&#x0364;u-<lb/>
terung.</p><lb/>
            <p>Wenn zwey ver&#x017F;chiedene Formen auf weiches Wachs<lb/>
gedruckt werden, &#x017F;o ent&#x017F;tehen zwey Abdru&#x0364;cke in dem<lb/>
Wachs &#x017F;o unter&#x017F;chieden, als die Formen &#x017F;ind. Das<lb/>
Wachs leidet, nimmt die&#x017F;e beiden Modifikationen auf.<lb/>
Die Receptivita&#x0364;t i&#x017F;t in dem Wachs in Hin&#x017F;icht beider<lb/>
Eindru&#x0364;cke da&#x017F;&#x017F;elbige Vermo&#x0364;gen.</p><lb/>
            <p>Eben die&#x017F;es Wachs reagirt, indem es geformet wird.<lb/>
An Statt der Forme, die man aufdru&#x0364;cket, la&#x017F;&#x017F;e man<lb/>
eine Kugel und einen Cylinder von unter&#x017F;chiedener Ge-<lb/>
&#x017F;talt auf das Wachs herunterfallen, &#x017F;o werden die&#x017F;e bei-<lb/>
den Ko&#x0364;rper ver&#x017F;chiedene Eindru&#x0364;cke machen, ihren Figu-<lb/>
ren und ihrer Ge&#x017F;chwindigkeit, womit &#x017F;ie anfallen, gema&#x0364;ß,<lb/>
aber beide werden ihre Bewegungen, die &#x017F;ie hatten, da-<lb/>
bey einbu&#x0364;ßen. Das Wachs hat zuru&#x0364;ckgewirket, und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">hat</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[607/0667] des Empfindens, des Vorſtellens ⁊c. Aber das zweyte, der Aktus der Gewahrnehmung, wodurch der eigentliche Gedanke von dem Verhaͤltniſſe, oder das ſubjektiviſche Verhaͤltniß in uns hervorgebracht wird? Jſt dieſer Aktus etwas anders, als eine Aeußerung derſelbigen Kraft, der das Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe zugeſchrieben wird? iſt es nicht die Wirkung dieſes Ver- moͤgens, in ſo ferne es eine thaͤtige Kraft iſt, in ſo fer- ne es naͤmlich nicht blos Modifikationen aufnimmt, ſol- che fuͤhlet, und auf ſie zuruͤckwirket, ſondern in ſo ferne mit dieſer Reaktion eine neue Thaͤtigkeit verbunden iſt? Thaͤtiges Empfindungsvermoͤgen iſt alſo das den Verhaͤltnißgedanken hervorbringende Vermoͤgen, und das zweyte und vornehmſte Jngredienz der Denkkraft. „Selbſtthaͤtig Vorſtellungen bearbeiten, und thaͤtig mit „dem Gefuͤhl auf dieſe bearbeiteten Vorſtellungen zu- „ruͤckwirken, das iſt und heißt Denken.‟ Was ich durch die Thaͤtigkeit des Gefuͤhlsvermoͤgen, die mit der Reaktion auf abſolute Modifikationes ver- bunden ſeyn ſoll, ſagen will, bedarf noch einiger Erlaͤu- terung. Wenn zwey verſchiedene Formen auf weiches Wachs gedruckt werden, ſo entſtehen zwey Abdruͤcke in dem Wachs ſo unterſchieden, als die Formen ſind. Das Wachs leidet, nimmt dieſe beiden Modifikationen auf. Die Receptivitaͤt iſt in dem Wachs in Hinſicht beider Eindruͤcke daſſelbige Vermoͤgen. Eben dieſes Wachs reagirt, indem es geformet wird. An Statt der Forme, die man aufdruͤcket, laſſe man eine Kugel und einen Cylinder von unterſchiedener Ge- ſtalt auf das Wachs herunterfallen, ſo werden dieſe bei- den Koͤrper verſchiedene Eindruͤcke machen, ihren Figu- ren und ihrer Geſchwindigkeit, womit ſie anfallen, gemaͤß, aber beide werden ihre Bewegungen, die ſie hatten, da- bey einbuͤßen. Das Wachs hat zuruͤckgewirket, und hat

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/667
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 607. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/667>, abgerufen am 21.11.2024.