Dagegen auf den Ausspruch des Sensus kommunis gar nicht achten, sondern allein den Ausspruch der rai- sonnirenden Vernunft hören wollen, ist ein Princip, das zur falschen Vernünfteley führet. Die Raisonne- ments der Jdealisten und der Harmonisten brauchen eine scharfe Prüfung, und haben die Evidenz nicht, die ih- nen beygeleget wird. Jn dem Streit mit den Jdeali- sten, ist die wahre Evidenz auf der Seite des gemeinen Verstandes, wenn es anders, wie es ist, eben so sub- jektivisch und absolut nothwendig ist, mit Gefühlen von unserm Körper die Jdee von einem existirenden Objekt, als solche mit den Selbstgefühlen von unserm Jch zu ver- binden, und wenn wir eben so nothwendig jene Objekte von diesem Jch unterscheiden, als zwey verschiedene Vor- stellungen in uns. *)
Was bleibet also übrig, als dieß: Man muß sie beide untersuchen, die Urtheile des Gemeinverstandes, und die Urtheile der Vernunft. Ueberhaupt ist eine Art von ihnen nicht mehr und nicht minder verdächtig, als die andere; wenn gleich in besondern Fällen Eine mehr Präsumtion für sich haben kann, als die andere. Hat man sie untersucht und verglichen, so wird sich in den übrigen Beyspielen offenbaren, was in so vielen sich schon gezeiget hat, daß ein Mißverstand zum Grunde lie- ge; und wenn der Knoten auf diese Art nicht aufgelöset werden kann, so muß man ihn sitzen lassen, wenigstens in der Spekulation, wenn es gleich in der Praxis oft nö- thig ist, ihn zu zerhauen.
Bey der Frage: "ob wir denn in Einem Fall es "mit Zuverlässigkeit wissen, daß Exidenz da sey? ob "wir die Fälle, in denen nach nothwendigen Natur- "gesetzen geurtheilet wird, von solchen unterscheiden kön- "nen, in welchen wir nur nach zufälligen associirten
"Neben-
*) Fünfter VersuchVII.
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der hoͤhern Kenntniſſe ⁊c.
Dagegen auf den Ausſpruch des Senſus kommunis gar nicht achten, ſondern allein den Ausſpruch der rai- ſonnirenden Vernunft hoͤren wollen, iſt ein Princip, das zur falſchen Vernuͤnfteley fuͤhret. Die Raiſonne- ments der Jdealiſten und der Harmoniſten brauchen eine ſcharfe Pruͤfung, und haben die Evidenz nicht, die ih- nen beygeleget wird. Jn dem Streit mit den Jdeali- ſten, iſt die wahre Evidenz auf der Seite des gemeinen Verſtandes, wenn es anders, wie es iſt, eben ſo ſub- jektiviſch und abſolut nothwendig iſt, mit Gefuͤhlen von unſerm Koͤrper die Jdee von einem exiſtirenden Objekt, als ſolche mit den Selbſtgefuͤhlen von unſerm Jch zu ver- binden, und wenn wir eben ſo nothwendig jene Objekte von dieſem Jch unterſcheiden, als zwey verſchiedene Vor- ſtellungen in uns. *)
Was bleibet alſo uͤbrig, als dieß: Man muß ſie beide unterſuchen, die Urtheile des Gemeinverſtandes, und die Urtheile der Vernunft. Ueberhaupt iſt eine Art von ihnen nicht mehr und nicht minder verdaͤchtig, als die andere; wenn gleich in beſondern Faͤllen Eine mehr Praͤſumtion fuͤr ſich haben kann, als die andere. Hat man ſie unterſucht und verglichen, ſo wird ſich in den uͤbrigen Beyſpielen offenbaren, was in ſo vielen ſich ſchon gezeiget hat, daß ein Mißverſtand zum Grunde lie- ge; und wenn der Knoten auf dieſe Art nicht aufgeloͤſet werden kann, ſo muß man ihn ſitzen laſſen, wenigſtens in der Spekulation, wenn es gleich in der Praxis oft noͤ- thig iſt, ihn zu zerhauen.
Bey der Frage: „ob wir denn in Einem Fall es „mit Zuverlaͤſſigkeit wiſſen, daß Exidenz da ſey? ob „wir die Faͤlle, in denen nach nothwendigen Natur- „geſetzen geurtheilet wird, von ſolchen unterſcheiden koͤn- „nen, in welchen wir nur nach zufaͤlligen aſſociirten
„Neben-
*) Fuͤnfter VerſuchVII.
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der hoͤhern Kenntniſſe ⁊c.
Dagegen auf den Ausſpruch des Senſus kommunis
gar nicht achten, ſondern allein den Ausſpruch der rai-
ſonnirenden Vernunft hoͤren wollen, iſt ein Princip, das
zur falſchen Vernuͤnfteley fuͤhret. Die Raiſonne-
ments der Jdealiſten und der Harmoniſten brauchen eine
ſcharfe Pruͤfung, und haben die Evidenz nicht, die ih-
nen beygeleget wird. Jn dem Streit mit den Jdeali-
ſten, iſt die wahre Evidenz auf der Seite des gemeinen
Verſtandes, wenn es anders, wie es iſt, eben ſo ſub-
jektiviſch und abſolut nothwendig iſt, mit Gefuͤhlen von
unſerm Koͤrper die Jdee von einem exiſtirenden Objekt,
als ſolche mit den Selbſtgefuͤhlen von unſerm Jch zu ver-
binden, und wenn wir eben ſo nothwendig jene Objekte
von dieſem Jch unterſcheiden, als zwey verſchiedene Vor-
ſtellungen in uns. *)
Was bleibet alſo uͤbrig, als dieß: Man muß ſie
beide unterſuchen, die Urtheile des Gemeinverſtandes,
und die Urtheile der Vernunft. Ueberhaupt iſt eine Art
von ihnen nicht mehr und nicht minder verdaͤchtig, als
die andere; wenn gleich in beſondern Faͤllen Eine mehr
Praͤſumtion fuͤr ſich haben kann, als die andere. Hat
man ſie unterſucht und verglichen, ſo wird ſich in den
uͤbrigen Beyſpielen offenbaren, was in ſo vielen ſich ſchon
gezeiget hat, daß ein Mißverſtand zum Grunde lie-
ge; und wenn der Knoten auf dieſe Art nicht aufgeloͤſet
werden kann, ſo muß man ihn ſitzen laſſen, wenigſtens
in der Spekulation, wenn es gleich in der Praxis oft noͤ-
thig iſt, ihn zu zerhauen.
Bey der Frage: „ob wir denn in Einem Fall es
„mit Zuverlaͤſſigkeit wiſſen, daß Exidenz da ſey? ob
„wir die Faͤlle, in denen nach nothwendigen Natur-
„geſetzen geurtheilet wird, von ſolchen unterſcheiden koͤn-
„nen, in welchen wir nur nach zufaͤlligen aſſociirten
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*) Fuͤnfter Verſuch VII.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 585. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/645>, abgerufen am 24.11.2024.
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