in keinem Beyspiel versichert seyn, wenn zwo Jmpres- sionen verschieden sind, wie meine jetzigen, von dem Tisch und von dem Buch das darauf lieget, es sind, daß zu dieser Verschiedenheit sonsten nirgends ein Grund sey, als in den äußern Dingen, die ich Buch und Tisch nenne?
Daß die meisten Urtheile von dieser Art nichts mehr als wahrscheinlich sind, ist außer Zweifel; aber es giebt doch auch in einigen Fällen eine völlige Gewißheit, die es nämlich so ist, wie die Gewißheit, die wir überhaupt von der Wirklichkeit äußerer Dinge haben. Die letztere beruhet doch darauf, daß wir Gefühle in uns gewahr- nehmen, die aus uns selbst nicht entstehen, und also außer uns Ursachen vorhanden seyn müssen, die auf uns wirken. Das Daseyn dieser Gefühle erkennen wir durch das unmittelbare Bewußtseyn; aber daß solche nicht aus uns selbst entstehen, woher wissen wir dieses? Oft nehmen wir es nur aus Unwissenheit so an, nach dem Grundsatz: "was ich nicht gewahr werde, ist nicht;" aber in solchen Beyspielen, die für uns die Grundem- pfindungen ausmachen, fühlen wir auch zugleich, daß unsere innere leidende Kraft den ihr beygebrachten Mo- difikationen entgegen arbeitet, und den Effekt vernichten würde, wenn sein Daseyn von ihr abhienge. Und in diesen Fällen schließen wir nicht unrichtig, "daß dasje- nige nicht vorhanden sey, was wir nicht bemerken," weil wir es bemerken müßten, wenn es vorhanden wäre. Jch halte mich überzeuget, daß jetzo außer mich allein, kein Mensch in meiner Stube ist. Jch sehe mich um, und erkenne, wenn jemand vorhanden wäre, so würde ich ihn gewahr werden. Jch bin also sicher, daß nie- mand da ist, weil ich niemanden gewahr werde.
Es giebt wenigstens einige Fälle, wo wir bey dem Gebrauch unserer sinnlichen Bilder eben so sicher sind. Wir können es zuweilen ausmachen, daß wenn irgend
eine
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der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.
in keinem Beyſpiel verſichert ſeyn, wenn zwo Jmpreſ- ſionen verſchieden ſind, wie meine jetzigen, von dem Tiſch und von dem Buch das darauf lieget, es ſind, daß zu dieſer Verſchiedenheit ſonſten nirgends ein Grund ſey, als in den aͤußern Dingen, die ich Buch und Tiſch nenne?
Daß die meiſten Urtheile von dieſer Art nichts mehr als wahrſcheinlich ſind, iſt außer Zweifel; aber es giebt doch auch in einigen Faͤllen eine voͤllige Gewißheit, die es naͤmlich ſo iſt, wie die Gewißheit, die wir uͤberhaupt von der Wirklichkeit aͤußerer Dinge haben. Die letztere beruhet doch darauf, daß wir Gefuͤhle in uns gewahr- nehmen, die aus uns ſelbſt nicht entſtehen, und alſo außer uns Urſachen vorhanden ſeyn muͤſſen, die auf uns wirken. Das Daſeyn dieſer Gefuͤhle erkennen wir durch das unmittelbare Bewußtſeyn; aber daß ſolche nicht aus uns ſelbſt entſtehen, woher wiſſen wir dieſes? Oft nehmen wir es nur aus Unwiſſenheit ſo an, nach dem Grundſatz: „was ich nicht gewahr werde, iſt nicht;‟ aber in ſolchen Beyſpielen, die fuͤr uns die Grundem- pfindungen ausmachen, fuͤhlen wir auch zugleich, daß unſere innere leidende Kraft den ihr beygebrachten Mo- difikationen entgegen arbeitet, und den Effekt vernichten wuͤrde, wenn ſein Daſeyn von ihr abhienge. Und in dieſen Faͤllen ſchließen wir nicht unrichtig, „daß dasje- nige nicht vorhanden ſey, was wir nicht bemerken,‟ weil wir es bemerken muͤßten, wenn es vorhanden waͤre. Jch halte mich uͤberzeuget, daß jetzo außer mich allein, kein Menſch in meiner Stube iſt. Jch ſehe mich um, und erkenne, wenn jemand vorhanden waͤre, ſo wuͤrde ich ihn gewahr werden. Jch bin alſo ſicher, daß nie- mand da iſt, weil ich niemanden gewahr werde.
Es giebt wenigſtens einige Faͤlle, wo wir bey dem Gebrauch unſerer ſinnlichen Bilder eben ſo ſicher ſind. Wir koͤnnen es zuweilen ausmachen, daß wenn irgend
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der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.
in keinem Beyſpiel verſichert ſeyn, wenn zwo Jmpreſ-
ſionen verſchieden ſind, wie meine jetzigen, von dem
Tiſch und von dem Buch das darauf lieget, es ſind, daß zu
dieſer Verſchiedenheit ſonſten nirgends ein Grund ſey,
als in den aͤußern Dingen, die ich Buch und Tiſch
nenne?
Daß die meiſten Urtheile von dieſer Art nichts mehr
als wahrſcheinlich ſind, iſt außer Zweifel; aber es giebt
doch auch in einigen Faͤllen eine voͤllige Gewißheit, die es
naͤmlich ſo iſt, wie die Gewißheit, die wir uͤberhaupt
von der Wirklichkeit aͤußerer Dinge haben. Die letztere
beruhet doch darauf, daß wir Gefuͤhle in uns gewahr-
nehmen, die aus uns ſelbſt nicht entſtehen, und alſo
außer uns Urſachen vorhanden ſeyn muͤſſen, die auf uns
wirken. Das Daſeyn dieſer Gefuͤhle erkennen wir durch
das unmittelbare Bewußtſeyn; aber daß ſolche nicht aus
uns ſelbſt entſtehen, woher wiſſen wir dieſes? Oft
nehmen wir es nur aus Unwiſſenheit ſo an, nach dem
Grundſatz: „was ich nicht gewahr werde, iſt nicht;‟
aber in ſolchen Beyſpielen, die fuͤr uns die Grundem-
pfindungen ausmachen, fuͤhlen wir auch zugleich, daß
unſere innere leidende Kraft den ihr beygebrachten Mo-
difikationen entgegen arbeitet, und den Effekt vernichten
wuͤrde, wenn ſein Daſeyn von ihr abhienge. Und in
dieſen Faͤllen ſchließen wir nicht unrichtig, „daß dasje-
nige nicht vorhanden ſey, was wir nicht bemerken,‟
weil wir es bemerken muͤßten, wenn es vorhanden waͤre.
Jch halte mich uͤberzeuget, daß jetzo außer mich allein,
kein Menſch in meiner Stube iſt. Jch ſehe mich um,
und erkenne, wenn jemand vorhanden waͤre, ſo wuͤrde
ich ihn gewahr werden. Jch bin alſo ſicher, daß nie-
mand da iſt, weil ich niemanden gewahr werde.
Es giebt wenigſtens einige Faͤlle, wo wir bey dem
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 563. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/623>, abgerufen am 24.11.2024.
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