Menschenverstandes. Was es mit seinen Spekulatio- nen und Theorien, und deren Anwendung auf Empfin- dungsvorstellungen auf sich habe, das offenbaret sich als- denn, wenn man nachsiehet, auf welche Art Gedanken hervorgebracht werden, die man als die Grundlage aller menschlichen Einsichten gebrauchet, und gebrauchen muß.
Viele scharfsinnige Untersucher des menschlichen Ver- standes sehen die allgemeinen Vernunftsätze für eine Art von allgemeinen Erfahrungssätzen an, deren Richtigkeit auf einer durchgängigen Uebereinstim- mung der Empfindungen beruhen soll. Die Gemein- sätze in der Metaphysik sollen solche Beobachtungssätze seyn, wie die mehresten Grundsätze der Naturlehre sind. Eine Meinung, die ich, denn ich muß es nur gerade zu sagen, für einen Hauptirrthum ansehe, so sehr ich die Männer schätze, die fähig gewesen sind, in einen solchen Jrrthum zu verfallen. Doch ich will zuvörderst sagen, wie ich das verstehe, was man von der Analogie der Empfindungen, worauf die Gemeinsätze beruhen sol- len, vorzubringen pflegt. Wir verbinden mit der Jdee des Subjekts die Jdee des Prädikats, darum, weil wir da, wo wir die Sache oder das Subjekt in unsern Empfindungen antreffen, auch allemal die Beschaffen- heit bey ihm gewahrnehmen, die wir ihm zuschreiben, oder doch die meistenmale sie gewahrwerden, und weil sonsten auch kein Grund vorhanden ist, sie in den übri- gen Fällen, die wir noch nicht empfunden haben, nicht zu vermuthen. Auf solche Art sollen die Verbindungen der Jdeen entstanden seyn, die in den Gemeinsätzen ent- halten sind, und die dadurch so fest und innig mit einan- der vereiniget worden, daß es uns unmöglich gemacht ist, sie wiederum von einander zu trennen. Da haben wir nach Hum's und anderer Erklärung den Ursprung der allgemeinen Vernunftwahrheiten, aus Nichts wird Nichts, ein Ding ist sich selbst gleich u. s. w.
und
der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen.
Menſchenverſtandes. Was es mit ſeinen Spekulatio- nen und Theorien, und deren Anwendung auf Empfin- dungsvorſtellungen auf ſich habe, das offenbaret ſich als- denn, wenn man nachſiehet, auf welche Art Gedanken hervorgebracht werden, die man als die Grundlage aller menſchlichen Einſichten gebrauchet, und gebrauchen muß.
Viele ſcharfſinnige Unterſucher des menſchlichen Ver- ſtandes ſehen die allgemeinen Vernunftſaͤtze fuͤr eine Art von allgemeinen Erfahrungsſaͤtzen an, deren Richtigkeit auf einer durchgaͤngigen Uebereinſtim- mung der Empfindungen beruhen ſoll. Die Gemein- ſaͤtze in der Metaphyſik ſollen ſolche Beobachtungsſaͤtze ſeyn, wie die mehreſten Grundſaͤtze der Naturlehre ſind. Eine Meinung, die ich, denn ich muß es nur gerade zu ſagen, fuͤr einen Hauptirrthum anſehe, ſo ſehr ich die Maͤnner ſchaͤtze, die faͤhig geweſen ſind, in einen ſolchen Jrrthum zu verfallen. Doch ich will zuvoͤrderſt ſagen, wie ich das verſtehe, was man von der Analogie der Empfindungen, worauf die Gemeinſaͤtze beruhen ſol- len, vorzubringen pflegt. Wir verbinden mit der Jdee des Subjekts die Jdee des Praͤdikats, darum, weil wir da, wo wir die Sache oder das Subjekt in unſern Empfindungen antreffen, auch allemal die Beſchaffen- heit bey ihm gewahrnehmen, die wir ihm zuſchreiben, oder doch die meiſtenmale ſie gewahrwerden, und weil ſonſten auch kein Grund vorhanden iſt, ſie in den uͤbri- gen Faͤllen, die wir noch nicht empfunden haben, nicht zu vermuthen. Auf ſolche Art ſollen die Verbindungen der Jdeen entſtanden ſeyn, die in den Gemeinſaͤtzen ent- halten ſind, und die dadurch ſo feſt und innig mit einan- der vereiniget worden, daß es uns unmoͤglich gemacht iſt, ſie wiederum von einander zu trennen. Da haben wir nach Hum’s und anderer Erklaͤrung den Urſprung der allgemeinen Vernunftwahrheiten, aus Nichts wird Nichts, ein Ding iſt ſich ſelbſt gleich u. ſ. w.
und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0523"n="463"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen.</hi></fw><lb/>
Menſchenverſtandes. Was es mit ſeinen Spekulatio-<lb/>
nen und Theorien, und deren Anwendung auf Empfin-<lb/>
dungsvorſtellungen auf ſich habe, das offenbaret ſich als-<lb/>
denn, wenn man nachſiehet, auf welche Art Gedanken<lb/>
hervorgebracht werden, die man als die Grundlage aller<lb/>
menſchlichen Einſichten gebrauchet, und gebrauchen muß.</p><lb/><p>Viele ſcharfſinnige Unterſucher des menſchlichen Ver-<lb/>ſtandes ſehen die <hirendition="#fr">allgemeinen Vernunftſaͤtze</hi> fuͤr eine<lb/>
Art von <hirendition="#fr">allgemeinen Erfahrungsſaͤtzen</hi> an, deren<lb/>
Richtigkeit auf einer <hirendition="#fr">durchgaͤngigen</hi> Uebereinſtim-<lb/>
mung der Empfindungen beruhen ſoll. Die Gemein-<lb/>ſaͤtze in der Metaphyſik ſollen ſolche Beobachtungsſaͤtze<lb/>ſeyn, wie die mehreſten Grundſaͤtze der Naturlehre ſind.<lb/>
Eine Meinung, die ich, denn ich muß es nur gerade<lb/>
zu ſagen, fuͤr einen Hauptirrthum anſehe, ſo ſehr ich die<lb/>
Maͤnner ſchaͤtze, die faͤhig geweſen ſind, in einen ſolchen<lb/>
Jrrthum zu verfallen. Doch ich will zuvoͤrderſt ſagen,<lb/>
wie ich das verſtehe, was man von der <hirendition="#fr">Analogie der<lb/>
Empfindungen,</hi> worauf die Gemeinſaͤtze beruhen ſol-<lb/>
len, vorzubringen pflegt. Wir verbinden mit der Jdee<lb/>
des Subjekts die Jdee des Praͤdikats, darum, weil<lb/>
wir da, wo wir die Sache oder das Subjekt in unſern<lb/>
Empfindungen antreffen, auch allemal die Beſchaffen-<lb/>
heit bey ihm gewahrnehmen, die wir ihm zuſchreiben,<lb/>
oder doch die meiſtenmale ſie gewahrwerden, und weil<lb/>ſonſten auch kein Grund vorhanden iſt, ſie in den uͤbri-<lb/>
gen Faͤllen, die wir noch nicht empfunden haben, nicht<lb/>
zu vermuthen. Auf ſolche Art ſollen die Verbindungen<lb/>
der Jdeen entſtanden ſeyn, die in den Gemeinſaͤtzen ent-<lb/>
halten ſind, und die dadurch ſo feſt und innig mit einan-<lb/>
der vereiniget worden, daß es uns unmoͤglich gemacht<lb/>
iſt, ſie wiederum von einander zu trennen. Da haben<lb/>
wir nach <hirendition="#fr">Hum’s</hi> und anderer Erklaͤrung den Urſprung<lb/>
der allgemeinen Vernunftwahrheiten, <hirendition="#fr">aus Nichts<lb/>
wird Nichts, ein Ding iſt ſich ſelbſt gleich</hi> u. ſ. w.<lb/><fwplace="bottom"type="catch">und</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[463/0523]
der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen.
Menſchenverſtandes. Was es mit ſeinen Spekulatio-
nen und Theorien, und deren Anwendung auf Empfin-
dungsvorſtellungen auf ſich habe, das offenbaret ſich als-
denn, wenn man nachſiehet, auf welche Art Gedanken
hervorgebracht werden, die man als die Grundlage aller
menſchlichen Einſichten gebrauchet, und gebrauchen muß.
Viele ſcharfſinnige Unterſucher des menſchlichen Ver-
ſtandes ſehen die allgemeinen Vernunftſaͤtze fuͤr eine
Art von allgemeinen Erfahrungsſaͤtzen an, deren
Richtigkeit auf einer durchgaͤngigen Uebereinſtim-
mung der Empfindungen beruhen ſoll. Die Gemein-
ſaͤtze in der Metaphyſik ſollen ſolche Beobachtungsſaͤtze
ſeyn, wie die mehreſten Grundſaͤtze der Naturlehre ſind.
Eine Meinung, die ich, denn ich muß es nur gerade
zu ſagen, fuͤr einen Hauptirrthum anſehe, ſo ſehr ich die
Maͤnner ſchaͤtze, die faͤhig geweſen ſind, in einen ſolchen
Jrrthum zu verfallen. Doch ich will zuvoͤrderſt ſagen,
wie ich das verſtehe, was man von der Analogie der
Empfindungen, worauf die Gemeinſaͤtze beruhen ſol-
len, vorzubringen pflegt. Wir verbinden mit der Jdee
des Subjekts die Jdee des Praͤdikats, darum, weil
wir da, wo wir die Sache oder das Subjekt in unſern
Empfindungen antreffen, auch allemal die Beſchaffen-
heit bey ihm gewahrnehmen, die wir ihm zuſchreiben,
oder doch die meiſtenmale ſie gewahrwerden, und weil
ſonſten auch kein Grund vorhanden iſt, ſie in den uͤbri-
gen Faͤllen, die wir noch nicht empfunden haben, nicht
zu vermuthen. Auf ſolche Art ſollen die Verbindungen
der Jdeen entſtanden ſeyn, die in den Gemeinſaͤtzen ent-
halten ſind, und die dadurch ſo feſt und innig mit einan-
der vereiniget worden, daß es uns unmoͤglich gemacht
iſt, ſie wiederum von einander zu trennen. Da haben
wir nach Hum’s und anderer Erklaͤrung den Urſprung
der allgemeinen Vernunftwahrheiten, aus Nichts
wird Nichts, ein Ding iſt ſich ſelbſt gleich u. ſ. w.
und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/523>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.