Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

Kenntn. v. d. objektiv. Existenz d. Dinge.
Ganzes Eins, ein wirkliches Ding sey. Und hier-
inn besteht es, was ihm seine Gegner zur Last gelegt ha-
ben, er habe sogar die Existenz der Seele wegver-
nünftelt, und nur die Wirklichkeit seiner Gedanken
und Veränderungen
eingestanden. Allerdings war
dieß die äußerste Grenze in dem raisonnirenden Skepti-
cismus.

Was die Hrn. Reid und Beattie ihm entgegen
gesetzet, ist bekannt, nemlich, daß dieß wider den Men-
schenverstand sey. Die Antwort ist nicht unrichtig, nur
unphilosophisch, so lange noch eine andere möglich ist,
welche zugleich auch den Grund von dem Jrrthum an-
giebet.

Es verhält sich nicht so, wie es Hr. Hume angege-
ben hat, und dieß kann man behaupten, ohne etwas mehr
für wirklich vorhanden anzunehmen, als was er selbst
dafür erkennet; nur so viel nemlich, als wir uns un-
mittelbar
bewußt sind. Hr. Hume hat aber einen
wichtigen Umstand übersehen.

Jch fühle eine Vorstellung; noch eine andere, auch
eine Denkungsthätigkeit, eine Willensäußerung, u. s. w.
und diese Empfindungen sind unterschieden, und wirklich.
Aber ich empfinde noch mehr.

So oft ich eine Vorstellung empfinde, gewahrneh-
me, und mich ihrer unmittelbar bewußt bin, so bin ich
mir eben so gut bewußt, daß dieß Gefühl meiner Mo-
difikation nur ein hervorstechender Zug in einem viel
größern, ausgebreitetern, stärkern, obgleich in seinen
übrigen Theilen dunklen, oder doch wenig klaren Gefühl
sey; und dieses letztere bin ich mir eben so bewußt, und
auf dieselbige Art, wie ich es in Hinsicht der besonders
gewahrgenommenen einzelnen Beschaffenheit nur immer
seyn kann, so nemlich wie man sich überhaupt einer Sa-
che unmittelbar bewußt seyn kann. Jch habe also eine
solche Empfindung, die mich auf die nemliche Art zu

dem
B b 5

Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge.
Ganzes Eins, ein wirkliches Ding ſey. Und hier-
inn beſteht es, was ihm ſeine Gegner zur Laſt gelegt ha-
ben, er habe ſogar die Exiſtenz der Seele wegver-
nuͤnftelt, und nur die Wirklichkeit ſeiner Gedanken
und Veraͤnderungen
eingeſtanden. Allerdings war
dieß die aͤußerſte Grenze in dem raiſonnirenden Skepti-
cismus.

Was die Hrn. Reid und Beattie ihm entgegen
geſetzet, iſt bekannt, nemlich, daß dieß wider den Men-
ſchenverſtand ſey. Die Antwort iſt nicht unrichtig, nur
unphiloſophiſch, ſo lange noch eine andere moͤglich iſt,
welche zugleich auch den Grund von dem Jrrthum an-
giebet.

Es verhaͤlt ſich nicht ſo, wie es Hr. Hume angege-
ben hat, und dieß kann man behaupten, ohne etwas mehr
fuͤr wirklich vorhanden anzunehmen, als was er ſelbſt
dafuͤr erkennet; nur ſo viel nemlich, als wir uns un-
mittelbar
bewußt ſind. Hr. Hume hat aber einen
wichtigen Umſtand uͤberſehen.

Jch fuͤhle eine Vorſtellung; noch eine andere, auch
eine Denkungsthaͤtigkeit, eine Willensaͤußerung, u. ſ. w.
und dieſe Empfindungen ſind unterſchieden, und wirklich.
Aber ich empfinde noch mehr.

So oft ich eine Vorſtellung empfinde, gewahrneh-
me, und mich ihrer unmittelbar bewußt bin, ſo bin ich
mir eben ſo gut bewußt, daß dieß Gefuͤhl meiner Mo-
difikation nur ein hervorſtechender Zug in einem viel
groͤßern, ausgebreitetern, ſtaͤrkern, obgleich in ſeinen
uͤbrigen Theilen dunklen, oder doch wenig klaren Gefuͤhl
ſey; und dieſes letztere bin ich mir eben ſo bewußt, und
auf dieſelbige Art, wie ich es in Hinſicht der beſonders
gewahrgenommenen einzelnen Beſchaffenheit nur immer
ſeyn kann, ſo nemlich wie man ſich uͤberhaupt einer Sa-
che unmittelbar bewußt ſeyn kann. Jch habe alſo eine
ſolche Empfindung, die mich auf die nemliche Art zu

dem
B b 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0453" n="393"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kenntn. v. d. objektiv. Exi&#x017F;tenz d. Dinge.</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">Ganzes Eins,</hi> ein wirkliches <hi rendition="#fr">Ding</hi> &#x017F;ey. Und hier-<lb/>
inn be&#x017F;teht es, was ihm &#x017F;eine Gegner zur La&#x017F;t gelegt ha-<lb/>
ben, er habe &#x017F;ogar die <hi rendition="#fr">Exi&#x017F;tenz der Seele</hi> wegver-<lb/>
nu&#x0364;nftelt, und nur die <hi rendition="#fr">Wirklichkeit &#x017F;einer Gedanken<lb/>
und Vera&#x0364;nderungen</hi> einge&#x017F;tanden. Allerdings war<lb/>
dieß die a&#x0364;ußer&#x017F;te Grenze in dem rai&#x017F;onnirenden Skepti-<lb/>
cismus.</p><lb/>
          <p>Was die Hrn. <hi rendition="#fr">Reid</hi> und <hi rendition="#fr">Beattie</hi> ihm entgegen<lb/>
ge&#x017F;etzet, i&#x017F;t bekannt, nemlich, daß dieß wider den Men-<lb/>
&#x017F;chenver&#x017F;tand &#x017F;ey. Die Antwort i&#x017F;t nicht unrichtig, nur<lb/>
unphilo&#x017F;ophi&#x017F;ch, &#x017F;o lange noch eine andere mo&#x0364;glich i&#x017F;t,<lb/>
welche zugleich auch den Grund von dem Jrrthum an-<lb/>
giebet.</p><lb/>
          <p>Es verha&#x0364;lt &#x017F;ich nicht &#x017F;o, wie es Hr. <hi rendition="#fr">Hume</hi> angege-<lb/>
ben hat, und dieß kann man behaupten, ohne etwas mehr<lb/>
fu&#x0364;r wirklich vorhanden anzunehmen, als was er &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
dafu&#x0364;r erkennet; nur &#x017F;o viel nemlich, als wir uns <hi rendition="#fr">un-<lb/>
mittelbar</hi> bewußt &#x017F;ind. Hr. <hi rendition="#fr">Hume</hi> hat aber einen<lb/>
wichtigen Um&#x017F;tand u&#x0364;ber&#x017F;ehen.</p><lb/>
          <p>Jch fu&#x0364;hle eine Vor&#x017F;tellung; noch eine andere, auch<lb/>
eine Denkungstha&#x0364;tigkeit, eine Willensa&#x0364;ußerung, u. &#x017F;. w.<lb/>
und die&#x017F;e Empfindungen &#x017F;ind unter&#x017F;chieden, und wirklich.<lb/>
Aber ich empfinde noch mehr.</p><lb/>
          <p>So oft ich eine Vor&#x017F;tellung empfinde, gewahrneh-<lb/>
me, und mich ihrer unmittelbar bewußt bin, &#x017F;o bin ich<lb/>
mir eben &#x017F;o gut bewußt, daß dieß Gefu&#x0364;hl meiner Mo-<lb/>
difikation nur ein hervor&#x017F;techender Zug in einem viel<lb/>
gro&#x0364;ßern, ausgebreitetern, &#x017F;ta&#x0364;rkern, obgleich in &#x017F;einen<lb/>
u&#x0364;brigen Theilen dunklen, oder doch wenig klaren Gefu&#x0364;hl<lb/>
&#x017F;ey; und die&#x017F;es letztere bin ich mir eben &#x017F;o bewußt, und<lb/>
auf die&#x017F;elbige Art, wie ich es in Hin&#x017F;icht der be&#x017F;onders<lb/>
gewahrgenommenen einzelnen Be&#x017F;chaffenheit nur immer<lb/>
&#x017F;eyn kann, &#x017F;o nemlich wie man &#x017F;ich u&#x0364;berhaupt einer Sa-<lb/>
che unmittelbar bewußt &#x017F;eyn kann. Jch habe al&#x017F;o eine<lb/>
&#x017F;olche Empfindung, die mich auf die nemliche Art zu<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B b 5</fw><fw place="bottom" type="catch">dem</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[393/0453] Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. Ganzes Eins, ein wirkliches Ding ſey. Und hier- inn beſteht es, was ihm ſeine Gegner zur Laſt gelegt ha- ben, er habe ſogar die Exiſtenz der Seele wegver- nuͤnftelt, und nur die Wirklichkeit ſeiner Gedanken und Veraͤnderungen eingeſtanden. Allerdings war dieß die aͤußerſte Grenze in dem raiſonnirenden Skepti- cismus. Was die Hrn. Reid und Beattie ihm entgegen geſetzet, iſt bekannt, nemlich, daß dieß wider den Men- ſchenverſtand ſey. Die Antwort iſt nicht unrichtig, nur unphiloſophiſch, ſo lange noch eine andere moͤglich iſt, welche zugleich auch den Grund von dem Jrrthum an- giebet. Es verhaͤlt ſich nicht ſo, wie es Hr. Hume angege- ben hat, und dieß kann man behaupten, ohne etwas mehr fuͤr wirklich vorhanden anzunehmen, als was er ſelbſt dafuͤr erkennet; nur ſo viel nemlich, als wir uns un- mittelbar bewußt ſind. Hr. Hume hat aber einen wichtigen Umſtand uͤberſehen. Jch fuͤhle eine Vorſtellung; noch eine andere, auch eine Denkungsthaͤtigkeit, eine Willensaͤußerung, u. ſ. w. und dieſe Empfindungen ſind unterſchieden, und wirklich. Aber ich empfinde noch mehr. So oft ich eine Vorſtellung empfinde, gewahrneh- me, und mich ihrer unmittelbar bewußt bin, ſo bin ich mir eben ſo gut bewußt, daß dieß Gefuͤhl meiner Mo- difikation nur ein hervorſtechender Zug in einem viel groͤßern, ausgebreitetern, ſtaͤrkern, obgleich in ſeinen uͤbrigen Theilen dunklen, oder doch wenig klaren Gefuͤhl ſey; und dieſes letztere bin ich mir eben ſo bewußt, und auf dieſelbige Art, wie ich es in Hinſicht der beſonders gewahrgenommenen einzelnen Beſchaffenheit nur immer ſeyn kann, ſo nemlich wie man ſich uͤberhaupt einer Sa- che unmittelbar bewußt ſeyn kann. Jch habe alſo eine ſolche Empfindung, die mich auf die nemliche Art zu dem B b 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/453
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/453>, abgerufen am 18.12.2024.