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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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IV. Versuch. Ueber die Denkkraft
viel ich weis, zuerst gesagt, der Raum sey eine ge-
wisse instinktartige Weise, die koexistirende Din-
ge bey einander zu ordnen,
und könne also aus den
empfundenen Gegenständen, das ist, aus den einzelnen
Empfindungen der Objekte nicht abstrahirt seyn, wie ver-
schiedene Philosophen sichs vorstellen. Der tiefsinnige
Mann hat gewiß darinn Recht, daß die beziehende Aktion
der Seele, mit der diese alle zugleich vorhandene dunkle
Gefühle in Ein Ganzes vereiniget, eine natürlich noth-
wendige Wirkung ihrer beziehenden Kraft ist, die sich
auf koexistirende Dinge verwendet. Auch ist es richtig,
daß eine solche Beziehung zu den Begriffen von dem
Raum und von der Zeit nothwendig erfodert wird. Aber
die eigentliche Materie zu der Jdee von dem Raum, das
Bild oder die Vorstellung, die als gewahrgenommene
Vorstellung die Jdee von dem Raum ausmacht, ist
nicht der Aktus, womit die mehreren Gefühle zu Einem
ganzen vereiniget werden, sondern vielmehr ihre Wir-
kung, das vereinigte Ganze der Empfindung, dessen
Bestandtheile die ununterschiedene Gefühle sind, das ist,
der ganze vereinigte Aktus der Empfindungen. Ver-
muthlich hat Hr. Kant eben dasselbige im Sinne gehabt,
und diese ganzen Gefühle, eine gewisse Weise des Zu-
sammenstellens der empfundenen Gegenstände, genennet.

Dieß ist es noch nicht alles, was zu dem Ursprung
der Begriffe von Raum und Zeit gehöret, die den Me-
taphysikern so viel Kreuz verursachet haben. Aus den
Jdeen von einzelnen Räumen und Zeiten entstehen die
Gemeinbegriffe vom Raum und Zeit; und dann die
Gemeinbegriffe von Einem ganzen alles umfassenden
unendlichen Raum, und von Einer unendlichen
Zeit.
Dieß sind ohne Zweifel Grundbegriffe im mensch-
lichen Verstande. Jch werde noch anderswo wieder
auf sie zurücke kommen.

5. Aus

IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft
viel ich weis, zuerſt geſagt, der Raum ſey eine ge-
wiſſe inſtinktartige Weiſe, die koexiſtirende Din-
ge bey einander zu ordnen,
und koͤnne alſo aus den
empfundenen Gegenſtaͤnden, das iſt, aus den einzelnen
Empfindungen der Objekte nicht abſtrahirt ſeyn, wie ver-
ſchiedene Philoſophen ſichs vorſtellen. Der tiefſinnige
Mann hat gewiß darinn Recht, daß die beziehende Aktion
der Seele, mit der dieſe alle zugleich vorhandene dunkle
Gefuͤhle in Ein Ganzes vereiniget, eine natuͤrlich noth-
wendige Wirkung ihrer beziehenden Kraft iſt, die ſich
auf koexiſtirende Dinge verwendet. Auch iſt es richtig,
daß eine ſolche Beziehung zu den Begriffen von dem
Raum und von der Zeit nothwendig erfodert wird. Aber
die eigentliche Materie zu der Jdee von dem Raum, das
Bild oder die Vorſtellung, die als gewahrgenommene
Vorſtellung die Jdee von dem Raum ausmacht, iſt
nicht der Aktus, womit die mehreren Gefuͤhle zu Einem
ganzen vereiniget werden, ſondern vielmehr ihre Wir-
kung, das vereinigte Ganze der Empfindung, deſſen
Beſtandtheile die ununterſchiedene Gefuͤhle ſind, das iſt,
der ganze vereinigte Aktus der Empfindungen. Ver-
muthlich hat Hr. Kant eben daſſelbige im Sinne gehabt,
und dieſe ganzen Gefuͤhle, eine gewiſſe Weiſe des Zu-
ſammenſtellens der empfundenen Gegenſtaͤnde, genennet.

Dieß iſt es noch nicht alles, was zu dem Urſprung
der Begriffe von Raum und Zeit gehoͤret, die den Me-
taphyſikern ſo viel Kreuz verurſachet haben. Aus den
Jdeen von einzelnen Raͤumen und Zeiten entſtehen die
Gemeinbegriffe vom Raum und Zeit; und dann die
Gemeinbegriffe von Einem ganzen alles umfaſſenden
unendlichen Raum, und von Einer unendlichen
Zeit.
Dieß ſind ohne Zweifel Grundbegriffe im menſch-
lichen Verſtande. Jch werde noch anderswo wieder
auf ſie zuruͤcke kommen.

5. Aus
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[360/0420] IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft viel ich weis, zuerſt geſagt, der Raum ſey eine ge- wiſſe inſtinktartige Weiſe, die koexiſtirende Din- ge bey einander zu ordnen, und koͤnne alſo aus den empfundenen Gegenſtaͤnden, das iſt, aus den einzelnen Empfindungen der Objekte nicht abſtrahirt ſeyn, wie ver- ſchiedene Philoſophen ſichs vorſtellen. Der tiefſinnige Mann hat gewiß darinn Recht, daß die beziehende Aktion der Seele, mit der dieſe alle zugleich vorhandene dunkle Gefuͤhle in Ein Ganzes vereiniget, eine natuͤrlich noth- wendige Wirkung ihrer beziehenden Kraft iſt, die ſich auf koexiſtirende Dinge verwendet. Auch iſt es richtig, daß eine ſolche Beziehung zu den Begriffen von dem Raum und von der Zeit nothwendig erfodert wird. Aber die eigentliche Materie zu der Jdee von dem Raum, das Bild oder die Vorſtellung, die als gewahrgenommene Vorſtellung die Jdee von dem Raum ausmacht, iſt nicht der Aktus, womit die mehreren Gefuͤhle zu Einem ganzen vereiniget werden, ſondern vielmehr ihre Wir- kung, das vereinigte Ganze der Empfindung, deſſen Beſtandtheile die ununterſchiedene Gefuͤhle ſind, das iſt, der ganze vereinigte Aktus der Empfindungen. Ver- muthlich hat Hr. Kant eben daſſelbige im Sinne gehabt, und dieſe ganzen Gefuͤhle, eine gewiſſe Weiſe des Zu- ſammenſtellens der empfundenen Gegenſtaͤnde, genennet. Dieß iſt es noch nicht alles, was zu dem Urſprung der Begriffe von Raum und Zeit gehoͤret, die den Me- taphyſikern ſo viel Kreuz verurſachet haben. Aus den Jdeen von einzelnen Raͤumen und Zeiten entſtehen die Gemeinbegriffe vom Raum und Zeit; und dann die Gemeinbegriffe von Einem ganzen alles umfaſſenden unendlichen Raum, und von Einer unendlichen Zeit. Dieß ſind ohne Zweifel Grundbegriffe im menſch- lichen Verſtande. Jch werde noch anderswo wieder auf ſie zuruͤcke kommen. 5. Aus

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/420>, abgerufen am 24.11.2024.