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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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und über das Denken.
einer Sache bestehet, findet sich in diesen Beyspielen
nicht.

Es kann also Verhältnißideen geben, ohne Jdeen
der sich auf einander beziehenden Dinge. Die Aktion
des Beziehens wird klar genug wahrgenommen, aber die
Objekte selbst nicht.

Solche Verhältnißideen sind die Jdeen von dem
Raum und der Zeit. Wir beziehen die koexistirende
Dinge auf einander in unsern Empfindungen des Gesichts
und des Gefühls; die auf einander folgenden Sachen
aber in allen unsern Gefühlsarten. Diese Beziehungen
bestehen darinn, daß wir die mehrern einzelnen Gefühle
und Empfindungen in Ein ganzes zusammen nehmen.
Wenn ich mit dem Auge von der Erde zum Monde hin-
auffahre, so ist eine Reihe von einzelnen Aktus des Se-
hens vorhanden, die ich unter einander nicht unterschei-
de, aber zusammennehme; und das nemliche eräuget
sich, wenn ich mit der Hand einen Kreiß in der Luft ma-
che, ohne an einen Körper anzuschlagen. Da ist also
ein ganzer Aktus, der aus mehrern Theilen bestehet,
die für sich nicht von einander unterschieden, aber in eins
zusammengezogen, und als ein ununterbrochenes Ganze
vorgestellet werden. Mit diesem ganzen Gefühlsaktus
werden die besonders hie und da in ihm zerstreuten klaren
Gefühle von einzelnen gewahrgenommenen Gegenständen
verbunden, und auf ihn bezogen, wie Theile in einem
Ganzen auf dieß Ganze, worinn sie sind. So wohl je-
nes Zusammennehmen der ununterscheidbaren Theile, als
dieß letztere, sind Beziehungen. Das vereinigte Ganze
der Empfindung wird gewahrgenommen, und also zu
einer Jdee gemacht, welche in dem einen Fall die ein-
zelne Jdee von einem Raum, und in dem andern die
einzelne Jdee von einer Zeit ist. Hr. Kant *) hat, so

viel
*) De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et prin-
cipiis. diss.
1770.
Z 4

und uͤber das Denken.
einer Sache beſtehet, findet ſich in dieſen Beyſpielen
nicht.

Es kann alſo Verhaͤltnißideen geben, ohne Jdeen
der ſich auf einander beziehenden Dinge. Die Aktion
des Beziehens wird klar genug wahrgenommen, aber die
Objekte ſelbſt nicht.

Solche Verhaͤltnißideen ſind die Jdeen von dem
Raum und der Zeit. Wir beziehen die koexiſtirende
Dinge auf einander in unſern Empfindungen des Geſichts
und des Gefuͤhls; die auf einander folgenden Sachen
aber in allen unſern Gefuͤhlsarten. Dieſe Beziehungen
beſtehen darinn, daß wir die mehrern einzelnen Gefuͤhle
und Empfindungen in Ein ganzes zuſammen nehmen.
Wenn ich mit dem Auge von der Erde zum Monde hin-
auffahre, ſo iſt eine Reihe von einzelnen Aktus des Se-
hens vorhanden, die ich unter einander nicht unterſchei-
de, aber zuſammennehme; und das nemliche eraͤuget
ſich, wenn ich mit der Hand einen Kreiß in der Luft ma-
che, ohne an einen Koͤrper anzuſchlagen. Da iſt alſo
ein ganzer Aktus, der aus mehrern Theilen beſtehet,
die fuͤr ſich nicht von einander unterſchieden, aber in eins
zuſammengezogen, und als ein ununterbrochenes Ganze
vorgeſtellet werden. Mit dieſem ganzen Gefuͤhlsaktus
werden die beſonders hie und da in ihm zerſtreuten klaren
Gefuͤhle von einzelnen gewahrgenommenen Gegenſtaͤnden
verbunden, und auf ihn bezogen, wie Theile in einem
Ganzen auf dieß Ganze, worinn ſie ſind. So wohl je-
nes Zuſammennehmen der ununterſcheidbaren Theile, als
dieß letztere, ſind Beziehungen. Das vereinigte Ganze
der Empfindung wird gewahrgenommen, und alſo zu
einer Jdee gemacht, welche in dem einen Fall die ein-
zelne Jdee von einem Raum, und in dem andern die
einzelne Jdee von einer Zeit iſt. Hr. Kant *) hat, ſo

viel
*) De mundi ſenſibilis atque intelligibilis forma et prin-
cipiis. diſſ.
1770.
Z 4
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[359/0419] und uͤber das Denken. einer Sache beſtehet, findet ſich in dieſen Beyſpielen nicht. Es kann alſo Verhaͤltnißideen geben, ohne Jdeen der ſich auf einander beziehenden Dinge. Die Aktion des Beziehens wird klar genug wahrgenommen, aber die Objekte ſelbſt nicht. Solche Verhaͤltnißideen ſind die Jdeen von dem Raum und der Zeit. Wir beziehen die koexiſtirende Dinge auf einander in unſern Empfindungen des Geſichts und des Gefuͤhls; die auf einander folgenden Sachen aber in allen unſern Gefuͤhlsarten. Dieſe Beziehungen beſtehen darinn, daß wir die mehrern einzelnen Gefuͤhle und Empfindungen in Ein ganzes zuſammen nehmen. Wenn ich mit dem Auge von der Erde zum Monde hin- auffahre, ſo iſt eine Reihe von einzelnen Aktus des Se- hens vorhanden, die ich unter einander nicht unterſchei- de, aber zuſammennehme; und das nemliche eraͤuget ſich, wenn ich mit der Hand einen Kreiß in der Luft ma- che, ohne an einen Koͤrper anzuſchlagen. Da iſt alſo ein ganzer Aktus, der aus mehrern Theilen beſtehet, die fuͤr ſich nicht von einander unterſchieden, aber in eins zuſammengezogen, und als ein ununterbrochenes Ganze vorgeſtellet werden. Mit dieſem ganzen Gefuͤhlsaktus werden die beſonders hie und da in ihm zerſtreuten klaren Gefuͤhle von einzelnen gewahrgenommenen Gegenſtaͤnden verbunden, und auf ihn bezogen, wie Theile in einem Ganzen auf dieß Ganze, worinn ſie ſind. So wohl je- nes Zuſammennehmen der ununterſcheidbaren Theile, als dieß letztere, ſind Beziehungen. Das vereinigte Ganze der Empfindung wird gewahrgenommen, und alſo zu einer Jdee gemacht, welche in dem einen Fall die ein- zelne Jdee von einem Raum, und in dem andern die einzelne Jdee von einer Zeit iſt. Hr. Kant *) hat, ſo viel *) De mundi ſenſibilis atque intelligibilis forma et prin- cipiis. diſſ. 1770. Z 4

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/419>, abgerufen am 17.06.2024.