Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.IV. Versuch. Ueber die Denkkraft den, wären am Ende in den ursachlichen Verknüpfun-gen der Objekte gegründet, und glaubte daher, beide zu Einer Gattung hinbringen zu können. Aber das minde- ste zu sagen, so gründet sich dieser Gedanke auf einer tie- fen metaphysischen Spekulation, die gewiß nicht zum Grunde geleget werden kann, wo man in der Erfah- rungs-Seelenlehre die mannigfaltigen Verhältniß- und Denkarten aus Beobachtungen aufzählen muß. So wie der blos beobachtende Verstand die Sache ansieht, "so setzet die verursachende Verbindung zwischen zwey Dingen, sobald diese endlich und eingeschränkt sind, al- lemal eine unwirksame Beziehung aus der Koexistenz voraus." Der thätige Einfluß einer Ursache in den Gegenstand, der von ihr leidet, kann nicht bestimmt ge- dacht werden, ehe nicht beide als in eine gewisse Lage ge- gen einander gebracht vorgestellet werden. Es ist z. B. nicht genug, daß Feuer und Holz vorhanden sey, son- dern beyde müssen unmittelbar an einander gebracht wer- den, wenn ein Verbrennen des Holzes vom Feuer mög- lich seyn soll. Es ist ein Magnet da, welcher Eisen an sich ziehet, und Eisen ist da, welches sich von dem Ma- gneten anziehen lässet; aber die Verbindung dieser beiden Jdeen giebt keine bestimmte Jdee von ihrer wirklichen verursachenden Verknüpfung, wofern nicht auch das Ei- sen in einer solchen Koexistenz mit dem Magneten vorge- stellet wird, daß es sich innerhalb des Wirkungskreises des letztern befindet. Es ist ein sehr fruchtbarer Grund- satz, "daß die ursachliche Verbindung außer den in- "nern Kräften der Ursache, und außer der Receptivi- "tät in dem leidenden Subjekt, in welchem die Wir- "kung hervorgebracht wird, noch eine bestimmte Art der "Koexistenz erfodere, woferne die wirkende Ursache nicht "von einer uneingeschränkten Kraft ist, die an keinen "Ort oder Raum gebunden, in der Nähe und Ferne, "und in jeder Richtung hin gleich stark thätig seyn kann." Aber
IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft den, waͤren am Ende in den urſachlichen Verknuͤpfun-gen der Objekte gegruͤndet, und glaubte daher, beide zu Einer Gattung hinbringen zu koͤnnen. Aber das minde- ſte zu ſagen, ſo gruͤndet ſich dieſer Gedanke auf einer tie- fen metaphyſiſchen Spekulation, die gewiß nicht zum Grunde geleget werden kann, wo man in der Erfah- rungs-Seelenlehre die mannigfaltigen Verhaͤltniß- und Denkarten aus Beobachtungen aufzaͤhlen muß. So wie der blos beobachtende Verſtand die Sache anſieht, „ſo ſetzet die verurſachende Verbindung zwiſchen zwey Dingen, ſobald dieſe endlich und eingeſchraͤnkt ſind, al- lemal eine unwirkſame Beziehung aus der Koexiſtenz voraus.‟ Der thaͤtige Einfluß einer Urſache in den Gegenſtand, der von ihr leidet, kann nicht beſtimmt ge- dacht werden, ehe nicht beide als in eine gewiſſe Lage ge- gen einander gebracht vorgeſtellet werden. Es iſt z. B. nicht genug, daß Feuer und Holz vorhanden ſey, ſon- dern beyde muͤſſen unmittelbar an einander gebracht wer- den, wenn ein Verbrennen des Holzes vom Feuer moͤg- lich ſeyn ſoll. Es iſt ein Magnet da, welcher Eiſen an ſich ziehet, und Eiſen iſt da, welches ſich von dem Ma- gneten anziehen laͤſſet; aber die Verbindung dieſer beiden Jdeen giebt keine beſtimmte Jdee von ihrer wirklichen verurſachenden Verknuͤpfung, wofern nicht auch das Ei- ſen in einer ſolchen Koexiſtenz mit dem Magneten vorge- ſtellet wird, daß es ſich innerhalb des Wirkungskreiſes des letztern befindet. Es iſt ein ſehr fruchtbarer Grund- ſatz, „daß die urſachliche Verbindung außer den in- „nern Kraͤften der Urſache, und außer der Receptivi- „taͤt in dem leidenden Subjekt, in welchem die Wir- „kung hervorgebracht wird, noch eine beſtimmte Art der „Koexiſtenz erfodere, woferne die wirkende Urſache nicht „von einer uneingeſchraͤnkten Kraft iſt, die an keinen „Ort oder Raum gebunden, in der Naͤhe und Ferne, „und in jeder Richtung hin gleich ſtark thaͤtig ſeyn kann.‟ Aber
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IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft
den, waͤren am Ende in den urſachlichen Verknuͤpfun-
gen der Objekte gegruͤndet, und glaubte daher, beide zu
Einer Gattung hinbringen zu koͤnnen. Aber das minde-
ſte zu ſagen, ſo gruͤndet ſich dieſer Gedanke auf einer tie-
fen metaphyſiſchen Spekulation, die gewiß nicht zum
Grunde geleget werden kann, wo man in der Erfah-
rungs-Seelenlehre die mannigfaltigen Verhaͤltniß- und
Denkarten aus Beobachtungen aufzaͤhlen muß. So
wie der blos beobachtende Verſtand die Sache anſieht,
„ſo ſetzet die verurſachende Verbindung zwiſchen zwey
Dingen, ſobald dieſe endlich und eingeſchraͤnkt ſind, al-
lemal eine unwirkſame Beziehung aus der Koexiſtenz
voraus.‟ Der thaͤtige Einfluß einer Urſache in den
Gegenſtand, der von ihr leidet, kann nicht beſtimmt ge-
dacht werden, ehe nicht beide als in eine gewiſſe Lage ge-
gen einander gebracht vorgeſtellet werden. Es iſt z. B.
nicht genug, daß Feuer und Holz vorhanden ſey, ſon-
dern beyde muͤſſen unmittelbar an einander gebracht wer-
den, wenn ein Verbrennen des Holzes vom Feuer moͤg-
lich ſeyn ſoll. Es iſt ein Magnet da, welcher Eiſen an
ſich ziehet, und Eiſen iſt da, welches ſich von dem Ma-
gneten anziehen laͤſſet; aber die Verbindung dieſer beiden
Jdeen giebt keine beſtimmte Jdee von ihrer wirklichen
verurſachenden Verknuͤpfung, wofern nicht auch das Ei-
ſen in einer ſolchen Koexiſtenz mit dem Magneten vorge-
ſtellet wird, daß es ſich innerhalb des Wirkungskreiſes
des letztern befindet. Es iſt ein ſehr fruchtbarer Grund-
ſatz, „daß die urſachliche Verbindung außer den in-
„nern Kraͤften der Urſache, und außer der Receptivi-
„taͤt in dem leidenden Subjekt, in welchem die Wir-
„kung hervorgebracht wird, noch eine beſtimmte Art der
„Koexiſtenz erfodere, woferne die wirkende Urſache nicht
„von einer uneingeſchraͤnkten Kraft iſt, die an keinen
„Ort oder Raum gebunden, in der Naͤhe und Ferne,
„und in jeder Richtung hin gleich ſtark thaͤtig ſeyn kann.‟
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