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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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und über das Denken.
noch ein anderer Umstand hinzukomme. Denn wir
müssen auch außer der dafür gehaltenen Ursache sonst
nichts wahrnehmen, dem die Hervorbringung der Wir-
kung zugeschrieben werden könnte. Es ist also begreiflich
genug, warum wir auch alsdenn, wenn die beständige
Jdeenverknüpfung in der Phantasie allein den Grund
unsers Urtheils über ihre objektivische reelle Verknüpfung
ausmacht, dennoch in dem Zusammenhang noch wirk-
lich etwas mehr, als jene Association uns vorstellen.
Mag es seyn, daß wir in unsern reinen Empfindungs-
vorstellungen von dem äußern Objekte weiter nichts an-
treffen, als eine Folge von Empfindungen, so legen wir
doch noch etwas mehreres in sie hinein, so bald wir den
Begriff von der ursachlichen Verbindung auf sie an-
wenden.

Drittens. Die Begriffe, vom Grunde (ratio)
und von dem in ihm Gegründeten, und von der
Begreiflichkeit des letztern aus jenem, können von
dem Verstande nur aus den Thätigkeiten seines Begrei-
fens, des Folgerns und des Schließens genommen wer-
den. Eins aus dem andern begreifen heißt nicht,
einen Gedanken auf den andern folgen zu sehen, mit dem
er vorher schon in Verbindung gewesen ist, und durch
den er jetzo nach dem Gesetz der Association wiederum er-
wecket wird. Vielmehr sobald wir gewahr werden, daß
die Folge eines Gedanken auf den andern, nur durch
dieses Mittel geschehe, so verneinen wir es gerade zu,
daß wir jenen aus diesem begreifen. Das Begreifen
erfodert, daß die Folgegedanken auf die fortwährende
Thätigkeit des Verstandes, der sich | mit dem Grund-
gedanken beschäftiget, hervorkommen, auch ohne vorher
jemals in dieser Folge gewesen zu seyn. Die Phantasie
mag durch die Stellung der Jdeen, welche zu dem neuen
Gedanken gehören, dem einsehenden Verstande vorge-
hen oder zu Hülfe kommen, aber der neue Gedanke selbst

ist
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und uͤber das Denken.
noch ein anderer Umſtand hinzukomme. Denn wir
muͤſſen auch außer der dafuͤr gehaltenen Urſache ſonſt
nichts wahrnehmen, dem die Hervorbringung der Wir-
kung zugeſchrieben werden koͤnnte. Es iſt alſo begreiflich
genug, warum wir auch alsdenn, wenn die beſtaͤndige
Jdeenverknuͤpfung in der Phantaſie allein den Grund
unſers Urtheils uͤber ihre objektiviſche reelle Verknuͤpfung
ausmacht, dennoch in dem Zuſammenhang noch wirk-
lich etwas mehr, als jene Aſſociation uns vorſtellen.
Mag es ſeyn, daß wir in unſern reinen Empfindungs-
vorſtellungen von dem aͤußern Objekte weiter nichts an-
treffen, als eine Folge von Empfindungen, ſo legen wir
doch noch etwas mehreres in ſie hinein, ſo bald wir den
Begriff von der urſachlichen Verbindung auf ſie an-
wenden.

Drittens. Die Begriffe, vom Grunde (ratio)
und von dem in ihm Gegruͤndeten, und von der
Begreiflichkeit des letztern aus jenem, koͤnnen von
dem Verſtande nur aus den Thaͤtigkeiten ſeines Begrei-
fens, des Folgerns und des Schließens genommen wer-
den. Eins aus dem andern begreifen heißt nicht,
einen Gedanken auf den andern folgen zu ſehen, mit dem
er vorher ſchon in Verbindung geweſen iſt, und durch
den er jetzo nach dem Geſetz der Aſſociation wiederum er-
wecket wird. Vielmehr ſobald wir gewahr werden, daß
die Folge eines Gedanken auf den andern, nur durch
dieſes Mittel geſchehe, ſo verneinen wir es gerade zu,
daß wir jenen aus dieſem begreifen. Das Begreifen
erfodert, daß die Folgegedanken auf die fortwaͤhrende
Thaͤtigkeit des Verſtandes, der ſich | mit dem Grund-
gedanken beſchaͤftiget, hervorkommen, auch ohne vorher
jemals in dieſer Folge geweſen zu ſeyn. Die Phantaſie
mag durch die Stellung der Jdeen, welche zu dem neuen
Gedanken gehoͤren, dem einſehenden Verſtande vorge-
hen oder zu Huͤlfe kommen, aber der neue Gedanke ſelbſt

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[325/0385] und uͤber das Denken. noch ein anderer Umſtand hinzukomme. Denn wir muͤſſen auch außer der dafuͤr gehaltenen Urſache ſonſt nichts wahrnehmen, dem die Hervorbringung der Wir- kung zugeſchrieben werden koͤnnte. Es iſt alſo begreiflich genug, warum wir auch alsdenn, wenn die beſtaͤndige Jdeenverknuͤpfung in der Phantaſie allein den Grund unſers Urtheils uͤber ihre objektiviſche reelle Verknuͤpfung ausmacht, dennoch in dem Zuſammenhang noch wirk- lich etwas mehr, als jene Aſſociation uns vorſtellen. Mag es ſeyn, daß wir in unſern reinen Empfindungs- vorſtellungen von dem aͤußern Objekte weiter nichts an- treffen, als eine Folge von Empfindungen, ſo legen wir doch noch etwas mehreres in ſie hinein, ſo bald wir den Begriff von der urſachlichen Verbindung auf ſie an- wenden. Drittens. Die Begriffe, vom Grunde (ratio) und von dem in ihm Gegruͤndeten, und von der Begreiflichkeit des letztern aus jenem, koͤnnen von dem Verſtande nur aus den Thaͤtigkeiten ſeines Begrei- fens, des Folgerns und des Schließens genommen wer- den. Eins aus dem andern begreifen heißt nicht, einen Gedanken auf den andern folgen zu ſehen, mit dem er vorher ſchon in Verbindung geweſen iſt, und durch den er jetzo nach dem Geſetz der Aſſociation wiederum er- wecket wird. Vielmehr ſobald wir gewahr werden, daß die Folge eines Gedanken auf den andern, nur durch dieſes Mittel geſchehe, ſo verneinen wir es gerade zu, daß wir jenen aus dieſem begreifen. Das Begreifen erfodert, daß die Folgegedanken auf die fortwaͤhrende Thaͤtigkeit des Verſtandes, der ſich | mit dem Grund- gedanken beſchaͤftiget, hervorkommen, auch ohne vorher jemals in dieſer Folge geweſen zu ſeyn. Die Phantaſie mag durch die Stellung der Jdeen, welche zu dem neuen Gedanken gehoͤren, dem einſehenden Verſtande vorge- hen oder zu Huͤlfe kommen, aber der neue Gedanke ſelbſt iſt X 3

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/385>, abgerufen am 17.06.2024.