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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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IV. Versuch. Ueber die Denkkraft

Da sie aber das sind, so setzen sie schon mehr be-
stimmte einzelne Jdeen voraus, von denen sie das Ge-
meinschaftliche und Aehnliche in sich fassen. Die Ver-
schiedenheit
überhaupt enthält z. B. das Aehnliche,
was in der Verschiedenheit des Menschen und des Thie-
res, des Baumes und des Berges, des Himmels und
der Erde u. s. f. enthalten ist. Die Abhängigkeit über-
haupt ist etwas, das wir in allen besondern Fällen vor-
finden, wo eine Ursache eine Wirkung hervorbringt.
Es kann eine solche allgemeine Jdee eine reine Abstrak-
tion
seyn, aber auch schon eine Zusammensetzung aus
andern Abstraktionen.

Die allgemeinen Verhältnißideen, oder Ver-
hältnißbegriffe
haben wohl am allerwenigsten unter
allen übrigen Gattungen von Jdeen, ich will nicht sa-
gen, zuerst unterschieden, aber doch in uns als verschie-
dene abgesondert erhalten werden können, wenn man sie
nicht durch Worte oder andere Zeichen merkbar gemacht
hätte. Jndessen hindert dieß nicht, bey ihnen, so wie
bey den Jdeen von absoluten Gegenständen, das Wort
und den Begrif von einander zu unterscheiden, und nur
auf den letztern Rücksicht zu nehmen. Denn es versteht
sich doch von selbst, daß die Verschiedenheit der Verhält-
nißbegriffe auch in den Gedanken selbst seyn müsse, und
nicht in den Worten allein, womit wir sie ausdrücken.

Die allgemeinen Verhältnisse führen eben so auf
besondere einzelne individuelle Verhältnißideen zu-
rück, als die allgemeine Jdeen von dem Körper auf die
Jdeen von einzelnen Körpern. Die zwey Bücher, die
vor mir liegen, sind verschiedene Bücher. Hier sind
einzelne Empfindungsideen von den beiden Sachen, und
zwischen diesen ist eine bestimmte einzelne Verschieden-
heit, von der ich eine Vorstellung habe. Jch fasse das
Buch mit meiner Hand an, und hebe es in die Höhe.
Hier ist eine Ursache und eine Wirkung, und eine ur-

sach-
IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft

Da ſie aber das ſind, ſo ſetzen ſie ſchon mehr be-
ſtimmte einzelne Jdeen voraus, von denen ſie das Ge-
meinſchaftliche und Aehnliche in ſich faſſen. Die Ver-
ſchiedenheit
uͤberhaupt enthaͤlt z. B. das Aehnliche,
was in der Verſchiedenheit des Menſchen und des Thie-
res, des Baumes und des Berges, des Himmels und
der Erde u. ſ. f. enthalten iſt. Die Abhaͤngigkeit uͤber-
haupt iſt etwas, das wir in allen beſondern Faͤllen vor-
finden, wo eine Urſache eine Wirkung hervorbringt.
Es kann eine ſolche allgemeine Jdee eine reine Abſtrak-
tion
ſeyn, aber auch ſchon eine Zuſammenſetzung aus
andern Abſtraktionen.

Die allgemeinen Verhaͤltnißideen, oder Ver-
haͤltnißbegriffe
haben wohl am allerwenigſten unter
allen uͤbrigen Gattungen von Jdeen, ich will nicht ſa-
gen, zuerſt unterſchieden, aber doch in uns als verſchie-
dene abgeſondert erhalten werden koͤnnen, wenn man ſie
nicht durch Worte oder andere Zeichen merkbar gemacht
haͤtte. Jndeſſen hindert dieß nicht, bey ihnen, ſo wie
bey den Jdeen von abſoluten Gegenſtaͤnden, das Wort
und den Begrif von einander zu unterſcheiden, und nur
auf den letztern Ruͤckſicht zu nehmen. Denn es verſteht
ſich doch von ſelbſt, daß die Verſchiedenheit der Verhaͤlt-
nißbegriffe auch in den Gedanken ſelbſt ſeyn muͤſſe, und
nicht in den Worten allein, womit wir ſie ausdruͤcken.

Die allgemeinen Verhaͤltniſſe fuͤhren eben ſo auf
beſondere einzelne individuelle Verhaͤltnißideen zu-
ruͤck, als die allgemeine Jdeen von dem Koͤrper auf die
Jdeen von einzelnen Koͤrpern. Die zwey Buͤcher, die
vor mir liegen, ſind verſchiedene Buͤcher. Hier ſind
einzelne Empfindungsideen von den beiden Sachen, und
zwiſchen dieſen iſt eine beſtimmte einzelne Verſchieden-
heit, von der ich eine Vorſtellung habe. Jch faſſe das
Buch mit meiner Hand an, und hebe es in die Hoͤhe.
Hier iſt eine Urſache und eine Wirkung, und eine ur-

ſach-
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[302/0362] IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft Da ſie aber das ſind, ſo ſetzen ſie ſchon mehr be- ſtimmte einzelne Jdeen voraus, von denen ſie das Ge- meinſchaftliche und Aehnliche in ſich faſſen. Die Ver- ſchiedenheit uͤberhaupt enthaͤlt z. B. das Aehnliche, was in der Verſchiedenheit des Menſchen und des Thie- res, des Baumes und des Berges, des Himmels und der Erde u. ſ. f. enthalten iſt. Die Abhaͤngigkeit uͤber- haupt iſt etwas, das wir in allen beſondern Faͤllen vor- finden, wo eine Urſache eine Wirkung hervorbringt. Es kann eine ſolche allgemeine Jdee eine reine Abſtrak- tion ſeyn, aber auch ſchon eine Zuſammenſetzung aus andern Abſtraktionen. Die allgemeinen Verhaͤltnißideen, oder Ver- haͤltnißbegriffe haben wohl am allerwenigſten unter allen uͤbrigen Gattungen von Jdeen, ich will nicht ſa- gen, zuerſt unterſchieden, aber doch in uns als verſchie- dene abgeſondert erhalten werden koͤnnen, wenn man ſie nicht durch Worte oder andere Zeichen merkbar gemacht haͤtte. Jndeſſen hindert dieß nicht, bey ihnen, ſo wie bey den Jdeen von abſoluten Gegenſtaͤnden, das Wort und den Begrif von einander zu unterſcheiden, und nur auf den letztern Ruͤckſicht zu nehmen. Denn es verſteht ſich doch von ſelbſt, daß die Verſchiedenheit der Verhaͤlt- nißbegriffe auch in den Gedanken ſelbſt ſeyn muͤſſe, und nicht in den Worten allein, womit wir ſie ausdruͤcken. Die allgemeinen Verhaͤltniſſe fuͤhren eben ſo auf beſondere einzelne individuelle Verhaͤltnißideen zu- ruͤck, als die allgemeine Jdeen von dem Koͤrper auf die Jdeen von einzelnen Koͤrpern. Die zwey Buͤcher, die vor mir liegen, ſind verſchiedene Buͤcher. Hier ſind einzelne Empfindungsideen von den beiden Sachen, und zwiſchen dieſen iſt eine beſtimmte einzelne Verſchieden- heit, von der ich eine Vorſtellung habe. Jch faſſe das Buch mit meiner Hand an, und hebe es in die Hoͤhe. Hier iſt eine Urſache und eine Wirkung, und eine ur- ſach-

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/362>, abgerufen am 17.06.2024.