Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Versuch. Ueber das Gewahrnehmen
es doch bey der erstern Gattung von ihnen, welche die
Jdentität und Diversität enthält, offenbar, wie wenig
Verhältnisse und absolute Beschaffenheiten der Dinge,
mit einander verglichen werden können. Das Gewahr-
nehmen ist ein Unterscheiden. Es faßt also einen
Gedanken von einer Verschiedenheit in sich, und gehört
zu eben dieser Gattung der Verhältnißgedanken, die mit
den Vorstellungen, deren Objekt das Absolute ist, am
wenigsten gleichartig sind, und welche das Gefühl, als
Gefühl, nicht hervorbringen kann. Jst nicht also auch
der Aktus des Gewahrnehmens etwas ganz verschiedenes
von dem Aktus des Gefühls, da die Wirkung von jenem
etwas ganz verschiedenes von der Wirkung des letztern
ist? Folget denn nicht ferner hieraus, daß Gewahr-
nehmen eine eigene Anlage in der Seele voraus setze,
die vielleicht noch fehlen könnte, wenn gleich die Kraft
zum Fühlen in allen ihren Richtungen, so fein, so leb-
haft, und so stark wäre, als das körperliche Gefühl in
einer Spinne, der Geruch in dem Hunde, und das
Gesicht in dem Adler ist? Wenn das letztere aus je-
nem noch nicht mit völliger Evidenz gefolgert werden
kann, so erhellet doch so viel, daß es zu voreilig sey, mit
Condillac und andern das Gewahrnehmen gerade hin
für ein lebhaftes Gefühl zu erklären.



IV. Wie

III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmen
es doch bey der erſtern Gattung von ihnen, welche die
Jdentitaͤt und Diverſitaͤt enthaͤlt, offenbar, wie wenig
Verhaͤltniſſe und abſolute Beſchaffenheiten der Dinge,
mit einander verglichen werden koͤnnen. Das Gewahr-
nehmen iſt ein Unterſcheiden. Es faßt alſo einen
Gedanken von einer Verſchiedenheit in ſich, und gehoͤrt
zu eben dieſer Gattung der Verhaͤltnißgedanken, die mit
den Vorſtellungen, deren Objekt das Abſolute iſt, am
wenigſten gleichartig ſind, und welche das Gefuͤhl, als
Gefuͤhl, nicht hervorbringen kann. Jſt nicht alſo auch
der Aktus des Gewahrnehmens etwas ganz verſchiedenes
von dem Aktus des Gefuͤhls, da die Wirkung von jenem
etwas ganz verſchiedenes von der Wirkung des letztern
iſt? Folget denn nicht ferner hieraus, daß Gewahr-
nehmen eine eigene Anlage in der Seele voraus ſetze,
die vielleicht noch fehlen koͤnnte, wenn gleich die Kraft
zum Fuͤhlen in allen ihren Richtungen, ſo fein, ſo leb-
haft, und ſo ſtark waͤre, als das koͤrperliche Gefuͤhl in
einer Spinne, der Geruch in dem Hunde, und das
Geſicht in dem Adler iſt? Wenn das letztere aus je-
nem noch nicht mit voͤlliger Evidenz gefolgert werden
kann, ſo erhellet doch ſo viel, daß es zu voreilig ſey, mit
Condillac und andern das Gewahrnehmen gerade hin
fuͤr ein lebhaftes Gefuͤhl zu erklaͤren.



IV. Wie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0340" n="280"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber das Gewahrnehmen</hi></fw><lb/>
es doch bey der er&#x017F;tern Gattung von ihnen, welche die<lb/>
Jdentita&#x0364;t und Diver&#x017F;ita&#x0364;t entha&#x0364;lt, offenbar, wie wenig<lb/>
Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e und ab&#x017F;olute Be&#x017F;chaffenheiten der Dinge,<lb/>
mit einander verglichen werden ko&#x0364;nnen. Das Gewahr-<lb/>
nehmen i&#x017F;t ein <hi rendition="#fr">Unter&#x017F;cheiden.</hi> Es faßt al&#x017F;o einen<lb/>
Gedanken von einer Ver&#x017F;chiedenheit in &#x017F;ich, und geho&#x0364;rt<lb/>
zu eben die&#x017F;er Gattung der Verha&#x0364;ltnißgedanken, die mit<lb/>
den Vor&#x017F;tellungen, deren Objekt das Ab&#x017F;olute i&#x017F;t, am<lb/>
wenig&#x017F;ten gleichartig &#x017F;ind, und welche das Gefu&#x0364;hl, als<lb/>
Gefu&#x0364;hl, nicht hervorbringen kann. J&#x017F;t nicht al&#x017F;o auch<lb/>
der Aktus des Gewahrnehmens etwas ganz ver&#x017F;chiedenes<lb/>
von dem Aktus des Gefu&#x0364;hls, da die Wirkung von jenem<lb/>
etwas ganz ver&#x017F;chiedenes von der Wirkung des letztern<lb/>
i&#x017F;t? Folget denn nicht ferner hieraus, daß Gewahr-<lb/>
nehmen eine eigene Anlage in der Seele voraus &#x017F;etze,<lb/>
die vielleicht noch fehlen ko&#x0364;nnte, wenn gleich die Kraft<lb/>
zum Fu&#x0364;hlen in allen ihren Richtungen, &#x017F;o fein, &#x017F;o leb-<lb/>
haft, und &#x017F;o &#x017F;tark wa&#x0364;re, als das ko&#x0364;rperliche Gefu&#x0364;hl in<lb/>
einer Spinne, der Geruch in dem Hunde, und das<lb/>
Ge&#x017F;icht in dem Adler i&#x017F;t? Wenn das letztere aus je-<lb/>
nem noch nicht mit vo&#x0364;lliger Evidenz gefolgert werden<lb/>
kann, &#x017F;o erhellet doch &#x017F;o viel, daß es zu voreilig &#x017F;ey, mit<lb/><hi rendition="#fr">Condillac</hi> und andern das Gewahrnehmen gerade hin<lb/>
fu&#x0364;r ein lebhaftes Gefu&#x0364;hl zu erkla&#x0364;ren.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">IV.</hi> Wie</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[280/0340] III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmen es doch bey der erſtern Gattung von ihnen, welche die Jdentitaͤt und Diverſitaͤt enthaͤlt, offenbar, wie wenig Verhaͤltniſſe und abſolute Beſchaffenheiten der Dinge, mit einander verglichen werden koͤnnen. Das Gewahr- nehmen iſt ein Unterſcheiden. Es faßt alſo einen Gedanken von einer Verſchiedenheit in ſich, und gehoͤrt zu eben dieſer Gattung der Verhaͤltnißgedanken, die mit den Vorſtellungen, deren Objekt das Abſolute iſt, am wenigſten gleichartig ſind, und welche das Gefuͤhl, als Gefuͤhl, nicht hervorbringen kann. Jſt nicht alſo auch der Aktus des Gewahrnehmens etwas ganz verſchiedenes von dem Aktus des Gefuͤhls, da die Wirkung von jenem etwas ganz verſchiedenes von der Wirkung des letztern iſt? Folget denn nicht ferner hieraus, daß Gewahr- nehmen eine eigene Anlage in der Seele voraus ſetze, die vielleicht noch fehlen koͤnnte, wenn gleich die Kraft zum Fuͤhlen in allen ihren Richtungen, ſo fein, ſo leb- haft, und ſo ſtark waͤre, als das koͤrperliche Gefuͤhl in einer Spinne, der Geruch in dem Hunde, und das Geſicht in dem Adler iſt? Wenn das letztere aus je- nem noch nicht mit voͤlliger Evidenz gefolgert werden kann, ſo erhellet doch ſo viel, daß es zu voreilig ſey, mit Condillac und andern das Gewahrnehmen gerade hin fuͤr ein lebhaftes Gefuͤhl zu erklaͤren. IV. Wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/340
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/340>, abgerufen am 10.06.2024.