zu den Vorstellungen hinzusetzet, wozu diesen nicht mehr bildliches Licht und Deutlichkeit nöthig ist, als sie vor- her hatten. Es geschicht auch wohl, daß, wenn wir überlegen, und einen Theil einer Vorstellung mit andern vergleichen, solche verglichene Züge etwas lebhafter aus- gezeichnet, und mehr abgesondert werden, als sie es vor- her in dem Ganzen gewesen sind. Allein nicht davon, sondern dieß war die Frage, ob sie schon vorher so deut- lich abgesondert gewesen sind, ehe das Unterscheiden und das Gewahrnehmen der Beziehungen hinzugekommen ist? Wir können nachdenken über die Vorstellungen empfundener Dinge, und über diese philosophiren; aber können wir in ihnen etwas absolutes entdecken, das wir nicht in der Empfindung schon haben bemerken müssen?
Sind es absolute Beschaffenheiten der Dinge, die wir in ihren Wiedervorstellungen sehen und in ihren Em- pfindungen nicht bemerket haben, so kann dieß ein Zusatz aus der Phantasie seyn. Die selbstbildende Dichtkraft kann bey der Reproduktion manches anderswohergenom- menes hineinbringen, was aus der Empfindung der Sa- che nicht gekommen ist. Aber alsdenn ist das neue, was wir in dem Bilde lesen, und in der Empfindung nicht antrafen, eine Erdichtung, und wenn sie auch durch ei- nen Zufall mit der Wahrheit übereinstimmet. Haben wir einigemale eine Person mit einer gewissen Kleidung gesehen, und dieselbige Person nun das letztemal an ei- nem andern Ort, wo wir auf die Farbe des Kleides nicht acht hatten, so werden wir, bey der Wiedererinnerung an die letztgehabte Empfindung, sie von selbst in dem- jenigen Kleide uns vorstellen, worinn wir sie die meh- rern male gesehen haben. Da ist es die Jdeenassocia- tion, die uns nun in der letzten Wiedervorstellung etwas bemerken lässet, was vielleicht würklich in der Empfin- dung gewesen ist, ohne gewahrgenommen zu seyn. Die- se Fälle entscheiden es also auch nicht, ob irgend in einer
Vorstel-
und Bewußtſeyn.
zu den Vorſtellungen hinzuſetzet, wozu dieſen nicht mehr bildliches Licht und Deutlichkeit noͤthig iſt, als ſie vor- her hatten. Es geſchicht auch wohl, daß, wenn wir uͤberlegen, und einen Theil einer Vorſtellung mit andern vergleichen, ſolche verglichene Zuͤge etwas lebhafter aus- gezeichnet, und mehr abgeſondert werden, als ſie es vor- her in dem Ganzen geweſen ſind. Allein nicht davon, ſondern dieß war die Frage, ob ſie ſchon vorher ſo deut- lich abgeſondert geweſen ſind, ehe das Unterſcheiden und das Gewahrnehmen der Beziehungen hinzugekommen iſt? Wir koͤnnen nachdenken uͤber die Vorſtellungen empfundener Dinge, und uͤber dieſe philoſophiren; aber koͤnnen wir in ihnen etwas abſolutes entdecken, das wir nicht in der Empfindung ſchon haben bemerken muͤſſen?
Sind es abſolute Beſchaffenheiten der Dinge, die wir in ihren Wiedervorſtellungen ſehen und in ihren Em- pfindungen nicht bemerket haben, ſo kann dieß ein Zuſatz aus der Phantaſie ſeyn. Die ſelbſtbildende Dichtkraft kann bey der Reproduktion manches anderswohergenom- menes hineinbringen, was aus der Empfindung der Sa- che nicht gekommen iſt. Aber alsdenn iſt das neue, was wir in dem Bilde leſen, und in der Empfindung nicht antrafen, eine Erdichtung, und wenn ſie auch durch ei- nen Zufall mit der Wahrheit uͤbereinſtimmet. Haben wir einigemale eine Perſon mit einer gewiſſen Kleidung geſehen, und dieſelbige Perſon nun das letztemal an ei- nem andern Ort, wo wir auf die Farbe des Kleides nicht acht hatten, ſo werden wir, bey der Wiedererinnerung an die letztgehabte Empfindung, ſie von ſelbſt in dem- jenigen Kleide uns vorſtellen, worinn wir ſie die meh- rern male geſehen haben. Da iſt es die Jdeenaſſocia- tion, die uns nun in der letzten Wiedervorſtellung etwas bemerken laͤſſet, was vielleicht wuͤrklich in der Empfin- dung geweſen iſt, ohne gewahrgenommen zu ſeyn. Die- ſe Faͤlle entſcheiden es alſo auch nicht, ob irgend in einer
Vorſtel-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0329"n="269"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">und Bewußtſeyn.</hi></fw><lb/>
zu den Vorſtellungen hinzuſetzet, wozu dieſen nicht mehr<lb/>
bildliches Licht und Deutlichkeit noͤthig iſt, als ſie vor-<lb/>
her hatten. Es geſchicht auch wohl, daß, wenn wir<lb/>
uͤberlegen, und einen Theil einer Vorſtellung mit andern<lb/>
vergleichen, ſolche verglichene Zuͤge etwas lebhafter aus-<lb/>
gezeichnet, und mehr abgeſondert werden, als ſie es vor-<lb/>
her in dem Ganzen geweſen ſind. Allein nicht davon,<lb/>ſondern dieß war die Frage, ob ſie ſchon vorher ſo deut-<lb/>
lich abgeſondert geweſen ſind, ehe das Unterſcheiden und<lb/>
das Gewahrnehmen der Beziehungen hinzugekommen<lb/>
iſt? Wir koͤnnen nachdenken uͤber die Vorſtellungen<lb/>
empfundener Dinge, und uͤber dieſe philoſophiren; aber<lb/>
koͤnnen wir in ihnen etwas abſolutes entdecken, das wir<lb/>
nicht in der Empfindung ſchon haben bemerken muͤſſen?</p><lb/><p>Sind es <hirendition="#fr">abſolute</hi> Beſchaffenheiten der Dinge, die<lb/>
wir in ihren Wiedervorſtellungen ſehen und in ihren Em-<lb/>
pfindungen nicht bemerket haben, ſo kann dieß ein Zuſatz<lb/>
aus der Phantaſie ſeyn. Die ſelbſtbildende Dichtkraft<lb/>
kann bey der Reproduktion manches anderswohergenom-<lb/>
menes hineinbringen, was aus der Empfindung der Sa-<lb/>
che nicht gekommen iſt. Aber alsdenn iſt das neue, was<lb/>
wir in dem Bilde leſen, und in der Empfindung nicht<lb/>
antrafen, eine Erdichtung, und wenn ſie auch durch ei-<lb/>
nen Zufall mit der Wahrheit uͤbereinſtimmet. Haben<lb/>
wir einigemale eine Perſon mit einer gewiſſen Kleidung<lb/>
geſehen, und dieſelbige Perſon nun das letztemal an ei-<lb/>
nem andern Ort, wo wir auf die Farbe des Kleides nicht<lb/>
acht hatten, ſo werden wir, bey der Wiedererinnerung<lb/>
an die letztgehabte Empfindung, ſie von ſelbſt in dem-<lb/>
jenigen Kleide uns vorſtellen, worinn wir ſie die meh-<lb/>
rern male geſehen haben. Da iſt es die Jdeenaſſocia-<lb/>
tion, die uns nun in der letzten Wiedervorſtellung etwas<lb/>
bemerken laͤſſet, was vielleicht wuͤrklich in der Empfin-<lb/>
dung geweſen iſt, ohne gewahrgenommen zu ſeyn. Die-<lb/>ſe Faͤlle entſcheiden es alſo auch nicht, ob irgend in einer<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Vorſtel-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[269/0329]
und Bewußtſeyn.
zu den Vorſtellungen hinzuſetzet, wozu dieſen nicht mehr
bildliches Licht und Deutlichkeit noͤthig iſt, als ſie vor-
her hatten. Es geſchicht auch wohl, daß, wenn wir
uͤberlegen, und einen Theil einer Vorſtellung mit andern
vergleichen, ſolche verglichene Zuͤge etwas lebhafter aus-
gezeichnet, und mehr abgeſondert werden, als ſie es vor-
her in dem Ganzen geweſen ſind. Allein nicht davon,
ſondern dieß war die Frage, ob ſie ſchon vorher ſo deut-
lich abgeſondert geweſen ſind, ehe das Unterſcheiden und
das Gewahrnehmen der Beziehungen hinzugekommen
iſt? Wir koͤnnen nachdenken uͤber die Vorſtellungen
empfundener Dinge, und uͤber dieſe philoſophiren; aber
koͤnnen wir in ihnen etwas abſolutes entdecken, das wir
nicht in der Empfindung ſchon haben bemerken muͤſſen?
Sind es abſolute Beſchaffenheiten der Dinge, die
wir in ihren Wiedervorſtellungen ſehen und in ihren Em-
pfindungen nicht bemerket haben, ſo kann dieß ein Zuſatz
aus der Phantaſie ſeyn. Die ſelbſtbildende Dichtkraft
kann bey der Reproduktion manches anderswohergenom-
menes hineinbringen, was aus der Empfindung der Sa-
che nicht gekommen iſt. Aber alsdenn iſt das neue, was
wir in dem Bilde leſen, und in der Empfindung nicht
antrafen, eine Erdichtung, und wenn ſie auch durch ei-
nen Zufall mit der Wahrheit uͤbereinſtimmet. Haben
wir einigemale eine Perſon mit einer gewiſſen Kleidung
geſehen, und dieſelbige Perſon nun das letztemal an ei-
nem andern Ort, wo wir auf die Farbe des Kleides nicht
acht hatten, ſo werden wir, bey der Wiedererinnerung
an die letztgehabte Empfindung, ſie von ſelbſt in dem-
jenigen Kleide uns vorſtellen, worinn wir ſie die meh-
rern male geſehen haben. Da iſt es die Jdeenaſſocia-
tion, die uns nun in der letzten Wiedervorſtellung etwas
bemerken laͤſſet, was vielleicht wuͤrklich in der Empfin-
dung geweſen iſt, ohne gewahrgenommen zu ſeyn. Die-
ſe Faͤlle entſcheiden es alſo auch nicht, ob irgend in einer
Vorſtel-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/329>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.