sorgenlose frohe Jugendzeit durchgelebet ist, machet frey- lich noch einen Eindruck auf das Gemüth, der seine Ur- sache in den ehemaligen Empfindungen hat, deren Erin- nerung sich mit der gegenwärtigen Empfindung verbin- det; aber wenn die letztere so stark rühret, sollte nicht wohl ihre größte Kraft auf das Herz in ihr selbst liegen, und daher kommen, weil man empfindet oder sich vor- stellet, daß der Aufenthalt daselbst noch jetzo eine Quelle von Vergnügen sey? Wenn der Name des Vaterlan- des den Griechen und Römer in Enthusiasmus setzte, so war es daher, weil er sonsten nirgends, als da, die Be- friedigung seiner thätigen Triebe, wenigstens nicht in der Maße zu der Zeit noch, da ihn diese Jdee rührte, antraf. Es war ihm also sein Vaterland nicht nur vorhero angenehm gewesen, sondern es war ihm noch jetzo ein Gut, ein Glück, eine Ursache von Zufriedenheit und Vergnügen. Wo dieser letztere Umstand fehlet, da be- hält das Andenken des Vaterlandes noch wohl einen schwachen Schein von seiner vorigen Farbe; aber das Leben der Jdee ist dahin, und sie entzückt nicht mehr. Es wird patria ubicunque bene est.
Jch habe gesaget, es sey ein andres, wenn die Em- pfindung für sich selbst ein Empfindniß ist, oder wenn sie es nachhero für sich selbst wird, und ein andres, wenn sie es nur durch eine fremde begleitende Jdee ist. Dieß zeiget sich auch sehr deutlich in solchen Fällen, wo gewis- se Dinge, die uns im Anfang nur angenehm oder unan- genehm aus der letztern Ursache gewesen sind, uns nach- hero ihrer selbst willen lieb oder verhaßt werden. Wenn die Phantasie zuerst gewisse Sachen uns anpreiset, und ihnen einen fremden Schein giebt, so veranlasset sie, daß die Empfindungskraft auf diese Gegenstände sich mehr und inniger einlässet, und daß sie mit der Begierde stär- ker auf einen gewissen angemessenen Ton gespannt und auf die Seite des Gegenstandes hin gerichtet wird, die sich
für
uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
ſorgenloſe frohe Jugendzeit durchgelebet iſt, machet frey- lich noch einen Eindruck auf das Gemuͤth, der ſeine Ur- ſache in den ehemaligen Empfindungen hat, deren Erin- nerung ſich mit der gegenwaͤrtigen Empfindung verbin- det; aber wenn die letztere ſo ſtark ruͤhret, ſollte nicht wohl ihre groͤßte Kraft auf das Herz in ihr ſelbſt liegen, und daher kommen, weil man empfindet oder ſich vor- ſtellet, daß der Aufenthalt daſelbſt noch jetzo eine Quelle von Vergnuͤgen ſey? Wenn der Name des Vaterlan- des den Griechen und Roͤmer in Enthuſiasmus ſetzte, ſo war es daher, weil er ſonſten nirgends, als da, die Be- friedigung ſeiner thaͤtigen Triebe, wenigſtens nicht in der Maße zu der Zeit noch, da ihn dieſe Jdee ruͤhrte, antraf. Es war ihm alſo ſein Vaterland nicht nur vorhero angenehm geweſen, ſondern es war ihm noch jetzo ein Gut, ein Gluͤck, eine Urſache von Zufriedenheit und Vergnuͤgen. Wo dieſer letztere Umſtand fehlet, da be- haͤlt das Andenken des Vaterlandes noch wohl einen ſchwachen Schein von ſeiner vorigen Farbe; aber das Leben der Jdee iſt dahin, und ſie entzuͤckt nicht mehr. Es wird patria ubicunque bene eſt.
Jch habe geſaget, es ſey ein andres, wenn die Em- pfindung fuͤr ſich ſelbſt ein Empfindniß iſt, oder wenn ſie es nachhero fuͤr ſich ſelbſt wird, und ein andres, wenn ſie es nur durch eine fremde begleitende Jdee iſt. Dieß zeiget ſich auch ſehr deutlich in ſolchen Faͤllen, wo gewiſ- ſe Dinge, die uns im Anfang nur angenehm oder unan- genehm aus der letztern Urſache geweſen ſind, uns nach- hero ihrer ſelbſt willen lieb oder verhaßt werden. Wenn die Phantaſie zuerſt gewiſſe Sachen uns anpreiſet, und ihnen einen fremden Schein giebt, ſo veranlaſſet ſie, daß die Empfindungskraft auf dieſe Gegenſtaͤnde ſich mehr und inniger einlaͤſſet, und daß ſie mit der Begierde ſtaͤr- ker auf einen gewiſſen angemeſſenen Ton geſpannt und auf die Seite des Gegenſtandes hin gerichtet wird, die ſich
fuͤr
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uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
ſorgenloſe frohe Jugendzeit durchgelebet iſt, machet frey-
lich noch einen Eindruck auf das Gemuͤth, der ſeine Ur-
ſache in den ehemaligen Empfindungen hat, deren Erin-
nerung ſich mit der gegenwaͤrtigen Empfindung verbin-
det; aber wenn die letztere ſo ſtark ruͤhret, ſollte nicht
wohl ihre groͤßte Kraft auf das Herz in ihr ſelbſt liegen,
und daher kommen, weil man empfindet oder ſich vor-
ſtellet, daß der Aufenthalt daſelbſt noch jetzo eine Quelle
von Vergnuͤgen ſey? Wenn der Name des Vaterlan-
des den Griechen und Roͤmer in Enthuſiasmus ſetzte, ſo
war es daher, weil er ſonſten nirgends, als da, die Be-
friedigung ſeiner thaͤtigen Triebe, wenigſtens nicht in der
Maße zu der Zeit noch, da ihn dieſe Jdee ruͤhrte, antraf.
Es war ihm alſo ſein Vaterland nicht nur vorhero
angenehm geweſen, ſondern es war ihm noch jetzo ein
Gut, ein Gluͤck, eine Urſache von Zufriedenheit und
Vergnuͤgen. Wo dieſer letztere Umſtand fehlet, da be-
haͤlt das Andenken des Vaterlandes noch wohl einen
ſchwachen Schein von ſeiner vorigen Farbe; aber das
Leben der Jdee iſt dahin, und ſie entzuͤckt nicht mehr.
Es wird patria ubicunque bene eſt.
Jch habe geſaget, es ſey ein andres, wenn die Em-
pfindung fuͤr ſich ſelbſt ein Empfindniß iſt, oder wenn
ſie es nachhero fuͤr ſich ſelbſt wird, und ein andres, wenn
ſie es nur durch eine fremde begleitende Jdee iſt. Dieß
zeiget ſich auch ſehr deutlich in ſolchen Faͤllen, wo gewiſ-
ſe Dinge, die uns im Anfang nur angenehm oder unan-
genehm aus der letztern Urſache geweſen ſind, uns nach-
hero ihrer ſelbſt willen lieb oder verhaßt werden. Wenn
die Phantaſie zuerſt gewiſſe Sachen uns anpreiſet, und
ihnen einen fremden Schein giebt, ſo veranlaſſet ſie, daß
die Empfindungskraft auf dieſe Gegenſtaͤnde ſich mehr
und inniger einlaͤſſet, und daß ſie mit der Begierde ſtaͤr-
ker auf einen gewiſſen angemeſſenen Ton geſpannt und auf
die Seite des Gegenſtandes hin gerichtet wird, die ſich
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/295>, abgerufen am 22.11.2024.
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