Eindrücke die Farbe von den afficirenden an, die mit ihnen verbunden sind. Jndessen siehet man, wenn gleich ein wirklich vorhandener Schmerz über eine gute Gesell- schaft vergessen wird, so ist doch nichts mehr nöthig, als daß unser Gefühl durch irgend eine Veranlassung auf den Schmerz wieder hingelenket werde, um ihn von neuen zu fühlen. Der beschwerliche Weg zu der Spitze von dem Aetna behält doch immer sein Beschwerliches und sein Mißfallendes, obgleich der Reisende um der reizenden Aussicht willen, die er oben antrift, jenes we- nig achtet. Jn solchen Beyspielen, wo die Nebenem- pfindung, sie sey gleichgültig, oder afficirend, und der herrschenden Empfindung entgegen, für sich allein beson- ders beobachtet werden kann, da hat sie ihre Gleichgül- tigkeit oder ihre eigene rührende Gegenkraft durch die Ueberwucht der herrschenden Empfindung niemals ver- loren. Es wäre denn, was in einigen Fällen geschehen kann, daß zugleich der erstern ihr eigenes inneres Ver- hältniß auf die Empfindungskraft verändert und sie also selbst nun zu einer für sich afficirenden und der herrschen- den ähnlichen Empfindung gemacht worden sey. Wenn man erwäget, auf wie viele und mannigfaltige Arten eine solche Umänderung möglich sey, so wird man eben so geneigt werden, in Fällen, wo das Gleichgültige und Unangenehme angenehm geworden zu seyn scheinet, so- wohl eine wirkliche innerliche Umänderung des Empfind- nisses anzunehmen, als solches aus einer Uebertragung des Vergnügens von einer andern Empfindung her zu erklären. Es ist zu vermuthen, daß jene Ursache eben so häufig als die letztere, bey den Veränderungen des Geschmacks an einerley Dingen mit im Spiel sey.
Eine unzählige Menge von Gegenständen hat eine leicht veränderliche Beziehung auf unsre Empfindungs- vermögen. Die wirklichen Empfindungen von ihnen können bald gleichgültig, bald angenehm, bald unange-
nehm
II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,
Eindruͤcke die Farbe von den afficirenden an, die mit ihnen verbunden ſind. Jndeſſen ſiehet man, wenn gleich ein wirklich vorhandener Schmerz uͤber eine gute Geſell- ſchaft vergeſſen wird, ſo iſt doch nichts mehr noͤthig, als daß unſer Gefuͤhl durch irgend eine Veranlaſſung auf den Schmerz wieder hingelenket werde, um ihn von neuen zu fuͤhlen. Der beſchwerliche Weg zu der Spitze von dem Aetna behaͤlt doch immer ſein Beſchwerliches und ſein Mißfallendes, obgleich der Reiſende um der reizenden Ausſicht willen, die er oben antrift, jenes we- nig achtet. Jn ſolchen Beyſpielen, wo die Nebenem- pfindung, ſie ſey gleichguͤltig, oder afficirend, und der herrſchenden Empfindung entgegen, fuͤr ſich allein beſon- ders beobachtet werden kann, da hat ſie ihre Gleichguͤl- tigkeit oder ihre eigene ruͤhrende Gegenkraft durch die Ueberwucht der herrſchenden Empfindung niemals ver- loren. Es waͤre denn, was in einigen Faͤllen geſchehen kann, daß zugleich der erſtern ihr eigenes inneres Ver- haͤltniß auf die Empfindungskraft veraͤndert und ſie alſo ſelbſt nun zu einer fuͤr ſich afficirenden und der herrſchen- den aͤhnlichen Empfindung gemacht worden ſey. Wenn man erwaͤget, auf wie viele und mannigfaltige Arten eine ſolche Umaͤnderung moͤglich ſey, ſo wird man eben ſo geneigt werden, in Faͤllen, wo das Gleichguͤltige und Unangenehme angenehm geworden zu ſeyn ſcheinet, ſo- wohl eine wirkliche innerliche Umaͤnderung des Empfind- niſſes anzunehmen, als ſolches aus einer Uebertragung des Vergnuͤgens von einer andern Empfindung her zu erklaͤren. Es iſt zu vermuthen, daß jene Urſache eben ſo haͤufig als die letztere, bey den Veraͤnderungen des Geſchmacks an einerley Dingen mit im Spiel ſey.
Eine unzaͤhlige Menge von Gegenſtaͤnden hat eine leicht veraͤnderliche Beziehung auf unſre Empfindungs- vermoͤgen. Die wirklichen Empfindungen von ihnen koͤnnen bald gleichguͤltig, bald angenehm, bald unange-
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II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,
Eindruͤcke die Farbe von den afficirenden an, die mit
ihnen verbunden ſind. Jndeſſen ſiehet man, wenn gleich
ein wirklich vorhandener Schmerz uͤber eine gute Geſell-
ſchaft vergeſſen wird, ſo iſt doch nichts mehr noͤthig, als
daß unſer Gefuͤhl durch irgend eine Veranlaſſung auf
den Schmerz wieder hingelenket werde, um ihn von neuen
zu fuͤhlen. Der beſchwerliche Weg zu der Spitze von
dem Aetna behaͤlt doch immer ſein Beſchwerliches und
ſein Mißfallendes, obgleich der Reiſende um der
reizenden Ausſicht willen, die er oben antrift, jenes we-
nig achtet. Jn ſolchen Beyſpielen, wo die Nebenem-
pfindung, ſie ſey gleichguͤltig, oder afficirend, und der
herrſchenden Empfindung entgegen, fuͤr ſich allein beſon-
ders beobachtet werden kann, da hat ſie ihre Gleichguͤl-
tigkeit oder ihre eigene ruͤhrende Gegenkraft durch die
Ueberwucht der herrſchenden Empfindung niemals ver-
loren. Es waͤre denn, was in einigen Faͤllen geſchehen
kann, daß zugleich der erſtern ihr eigenes inneres Ver-
haͤltniß auf die Empfindungskraft veraͤndert und ſie alſo
ſelbſt nun zu einer fuͤr ſich afficirenden und der herrſchen-
den aͤhnlichen Empfindung gemacht worden ſey. Wenn
man erwaͤget, auf wie viele und mannigfaltige Arten
eine ſolche Umaͤnderung moͤglich ſey, ſo wird man eben
ſo geneigt werden, in Faͤllen, wo das Gleichguͤltige und
Unangenehme angenehm geworden zu ſeyn ſcheinet, ſo-
wohl eine wirkliche innerliche Umaͤnderung des Empfind-
niſſes anzunehmen, als ſolches aus einer Uebertragung
des Vergnuͤgens von einer andern Empfindung her zu
erklaͤren. Es iſt zu vermuthen, daß jene Urſache eben
ſo haͤufig als die letztere, bey den Veraͤnderungen des
Geſchmacks an einerley Dingen mit im Spiel ſey.
Eine unzaͤhlige Menge von Gegenſtaͤnden hat eine
leicht veraͤnderliche Beziehung auf unſre Empfindungs-
vermoͤgen. Die wirklichen Empfindungen von ihnen
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/292>, abgerufen am 10.06.2024.
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