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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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I. Versuch. Ueber die Natur

Jst das Absolute -- die Grade, das Mehr und
Minder in demselben, wenn es dergleichen zuläßt, bey
Seite gesetzet -- in einem Dinge nicht eben dasselbige,
was es in einem andern ist, so ist eine Verschieden-
artigkeit
da.

Jn dem einen ist entweder das Absolute gar nicht,
was in dem andern ist; oder es ist einiges in beyden
ebendasselbige; einiges nur anders; oder es enthält
das Eine zwar alles was in dem andern ist, aber das
letztere ist nicht ganz das erstere; sondern nur ein Theil
desselben, woran noch etwas von dem fehlet, was jenes
an sich hat, und wo doch dieß Fehlende nicht blos ein
Mangel eines höhern Grades ist.

Jn jedem dieser Fälle sollen solche zwey Dinge un-
vergleichbar, ungleichartig
oder verschiedenartig
genannt werden. Der Marmor, der den Menschen vor-
stellet, bestehet nicht aus solchen Theilen, Substanzen,
Stücken, wie sein Objekt, der menschliche Körper; und
ist also etwas ungleichartiges mit diesem. Die Farben-
striche auf einer Fläche, die ein Gemälde machen, sind
nicht einartig mit dem Fleisch, den Sehnen, dem Blut,
den Adern und Knochen in dem Kopf des Menschen,
wenn sie gleich von diesem eine Abbildung hervorbrin-
gen, und die Vorstellungen in uns von der Sonne und
dem Monde haben eben so wenig gleichartiges mit den
Objekten an sich, die sie vorstellen.

Eben diese angeführten Beyspiele zeigen, daß die
Verschiedenartigkeit, welche aus der Diversität des
Absoluten entstehet, eine analogische Beziehung auf
einander, und also in so weit eine Aehnlichkeit zwischen
ihnen, nicht ausschließe. Die Analogie bestehet in der
Jdentität der Verhältnisse und Beziehungen der ab-
soluten Beschaffenheiten gegen einander; sie erfordert die
Jdentität| des Absoluten selbst nicht.

Jn
I. Verſuch. Ueber die Natur

Jſt das Abſolute — die Grade, das Mehr und
Minder in demſelben, wenn es dergleichen zulaͤßt, bey
Seite geſetzet — in einem Dinge nicht eben daſſelbige,
was es in einem andern iſt, ſo iſt eine Verſchieden-
artigkeit
da.

Jn dem einen iſt entweder das Abſolute gar nicht,
was in dem andern iſt; oder es iſt einiges in beyden
ebendaſſelbige; einiges nur anders; oder es enthaͤlt
das Eine zwar alles was in dem andern iſt, aber das
letztere iſt nicht ganz das erſtere; ſondern nur ein Theil
deſſelben, woran noch etwas von dem fehlet, was jenes
an ſich hat, und wo doch dieß Fehlende nicht blos ein
Mangel eines hoͤhern Grades iſt.

Jn jedem dieſer Faͤlle ſollen ſolche zwey Dinge un-
vergleichbar, ungleichartig
oder verſchiedenartig
genannt werden. Der Marmor, der den Menſchen vor-
ſtellet, beſtehet nicht aus ſolchen Theilen, Subſtanzen,
Stuͤcken, wie ſein Objekt, der menſchliche Koͤrper; und
iſt alſo etwas ungleichartiges mit dieſem. Die Farben-
ſtriche auf einer Flaͤche, die ein Gemaͤlde machen, ſind
nicht einartig mit dem Fleiſch, den Sehnen, dem Blut,
den Adern und Knochen in dem Kopf des Menſchen,
wenn ſie gleich von dieſem eine Abbildung hervorbrin-
gen, und die Vorſtellungen in uns von der Sonne und
dem Monde haben eben ſo wenig gleichartiges mit den
Objekten an ſich, die ſie vorſtellen.

Eben dieſe angefuͤhrten Beyſpiele zeigen, daß die
Verſchiedenartigkeit, welche aus der Diverſitaͤt des
Abſoluten entſtehet, eine analogiſche Beziehung auf
einander, und alſo in ſo weit eine Aehnlichkeit zwiſchen
ihnen, nicht ausſchließe. Die Analogie beſtehet in der
Jdentitaͤt der Verhaͤltniſſe und Beziehungen der ab-
ſoluten Beſchaffenheiten gegen einander; ſie erfordert die
Jdentitaͤt| des Abſoluten ſelbſt nicht.

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[146/0206] I. Verſuch. Ueber die Natur Jſt das Abſolute — die Grade, das Mehr und Minder in demſelben, wenn es dergleichen zulaͤßt, bey Seite geſetzet — in einem Dinge nicht eben daſſelbige, was es in einem andern iſt, ſo iſt eine Verſchieden- artigkeit da. Jn dem einen iſt entweder das Abſolute gar nicht, was in dem andern iſt; oder es iſt einiges in beyden ebendaſſelbige; einiges nur anders; oder es enthaͤlt das Eine zwar alles was in dem andern iſt, aber das letztere iſt nicht ganz das erſtere; ſondern nur ein Theil deſſelben, woran noch etwas von dem fehlet, was jenes an ſich hat, und wo doch dieß Fehlende nicht blos ein Mangel eines hoͤhern Grades iſt. Jn jedem dieſer Faͤlle ſollen ſolche zwey Dinge un- vergleichbar, ungleichartig oder verſchiedenartig genannt werden. Der Marmor, der den Menſchen vor- ſtellet, beſtehet nicht aus ſolchen Theilen, Subſtanzen, Stuͤcken, wie ſein Objekt, der menſchliche Koͤrper; und iſt alſo etwas ungleichartiges mit dieſem. Die Farben- ſtriche auf einer Flaͤche, die ein Gemaͤlde machen, ſind nicht einartig mit dem Fleiſch, den Sehnen, dem Blut, den Adern und Knochen in dem Kopf des Menſchen, wenn ſie gleich von dieſem eine Abbildung hervorbrin- gen, und die Vorſtellungen in uns von der Sonne und dem Monde haben eben ſo wenig gleichartiges mit den Objekten an ſich, die ſie vorſtellen. Eben dieſe angefuͤhrten Beyſpiele zeigen, daß die Verſchiedenartigkeit, welche aus der Diverſitaͤt des Abſoluten entſtehet, eine analogiſche Beziehung auf einander, und alſo in ſo weit eine Aehnlichkeit zwiſchen ihnen, nicht ausſchließe. Die Analogie beſtehet in der Jdentitaͤt der Verhaͤltniſſe und Beziehungen der ab- ſoluten Beſchaffenheiten gegen einander; ſie erfordert die Jdentitaͤt| des Abſoluten ſelbſt nicht. Jn

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/206>, abgerufen am 19.05.2024.