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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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der Vorstellungen.
gen der Reflexion, der Denkkraft oder der Urtheilskraft,
wie man sie nennen will; aber sie haben ihre Veran-
lassungen in den Empfindungen, und in deren Umstän-
den. Was diese Verschiedenheit betrift, so | will ich da-
von hier noch nichts weiter sagen, weil die Ursache da-
von eine nähere Untersuchung der Denkkraft erfodert,
als ich in diesem Versuch anstellen mag. Jch will hier
bey dem stehen bleiben, was beiden Arten von Vorstel-
lungen gemein ist.

Beide Arten von Wiedervorstellungen beziehen sich
auf ihre ehemaligen Empfindungen.
Da man
den sehendgewordenen Engländer, der unter dem Na-
men des Cheßeldenischen Blinden bekannt ist, und
dessen Geschichte so vieles gelehret hat, und noch mehr
würde haben lehren können, wenn er mehr philosophische
Beobachter gehabt hätte; da man ihn das erstemal in
die Dünen von Epsom brachte, nannte er diese neuen
ungewohnten Empfindungen eine neue Art von Se-
hen.
So möchte vielleicht jeder urtheilen, der mit
einer völlig gereiften Ueberlegungskraft begabet, lebhaft
von einer für ihn in aller Hinsicht neuen Empfindung be-
troffen würde. Das erste Urtheil wird seyn: Siehe da
eine neue Veränderung von dir selbst! Wenn es dabey
geblieben wäre, und nicht bald darauf ein anderer richti-
gerer Gedanke diesen erstern verdränget hätte, so würde
der erwähnte Mensch sich an die Dünen von Epsom nicht
anders erinnert haben, als man sich an eine Art von
Gefühlen erinnert, aber nicht als an eine eigene Art von
äußern Gegenständen.

Bey unsern Kindern wächset die Reflexion mitten
unter den Empfindungen, und daher ist es wahrschein-
lich, daß das erst erwähnte Urtheil über das Objektivi-
sche der Vorstellung in ihrem Kopf entweder gar nicht,
oder doch nicht zu seiner Völligkeit kommen werde, ehe
es nicht schon von dem nachfolgenden richtigern vertrie-

ben

der Vorſtellungen.
gen der Reflexion, der Denkkraft oder der Urtheilskraft,
wie man ſie nennen will; aber ſie haben ihre Veran-
laſſungen in den Empfindungen, und in deren Umſtaͤn-
den. Was dieſe Verſchiedenheit betrift, ſo | will ich da-
von hier noch nichts weiter ſagen, weil die Urſache da-
von eine naͤhere Unterſuchung der Denkkraft erfodert,
als ich in dieſem Verſuch anſtellen mag. Jch will hier
bey dem ſtehen bleiben, was beiden Arten von Vorſtel-
lungen gemein iſt.

Beide Arten von Wiedervorſtellungen beziehen ſich
auf ihre ehemaligen Empfindungen.
Da man
den ſehendgewordenen Englaͤnder, der unter dem Na-
men des Cheßeldeniſchen Blinden bekannt iſt, und
deſſen Geſchichte ſo vieles gelehret hat, und noch mehr
wuͤrde haben lehren koͤnnen, wenn er mehr philoſophiſche
Beobachter gehabt haͤtte; da man ihn das erſtemal in
die Duͤnen von Epſom brachte, nannte er dieſe neuen
ungewohnten Empfindungen eine neue Art von Se-
hen.
So moͤchte vielleicht jeder urtheilen, der mit
einer voͤllig gereiften Ueberlegungskraft begabet, lebhaft
von einer fuͤr ihn in aller Hinſicht neuen Empfindung be-
troffen wuͤrde. Das erſte Urtheil wird ſeyn: Siehe da
eine neue Veraͤnderung von dir ſelbſt! Wenn es dabey
geblieben waͤre, und nicht bald darauf ein anderer richti-
gerer Gedanke dieſen erſtern verdraͤnget haͤtte, ſo wuͤrde
der erwaͤhnte Menſch ſich an die Duͤnen von Epſom nicht
anders erinnert haben, als man ſich an eine Art von
Gefuͤhlen erinnert, aber nicht als an eine eigene Art von
aͤußern Gegenſtaͤnden.

Bey unſern Kindern waͤchſet die Reflexion mitten
unter den Empfindungen, und daher iſt es wahrſchein-
lich, daß das erſt erwaͤhnte Urtheil uͤber das Objektivi-
ſche der Vorſtellung in ihrem Kopf entweder gar nicht,
oder doch nicht zu ſeiner Voͤlligkeit kommen werde, ehe
es nicht ſchon von dem nachfolgenden richtigern vertrie-

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[77/0137] der Vorſtellungen. gen der Reflexion, der Denkkraft oder der Urtheilskraft, wie man ſie nennen will; aber ſie haben ihre Veran- laſſungen in den Empfindungen, und in deren Umſtaͤn- den. Was dieſe Verſchiedenheit betrift, ſo | will ich da- von hier noch nichts weiter ſagen, weil die Urſache da- von eine naͤhere Unterſuchung der Denkkraft erfodert, als ich in dieſem Verſuch anſtellen mag. Jch will hier bey dem ſtehen bleiben, was beiden Arten von Vorſtel- lungen gemein iſt. Beide Arten von Wiedervorſtellungen beziehen ſich auf ihre ehemaligen Empfindungen. Da man den ſehendgewordenen Englaͤnder, der unter dem Na- men des Cheßeldeniſchen Blinden bekannt iſt, und deſſen Geſchichte ſo vieles gelehret hat, und noch mehr wuͤrde haben lehren koͤnnen, wenn er mehr philoſophiſche Beobachter gehabt haͤtte; da man ihn das erſtemal in die Duͤnen von Epſom brachte, nannte er dieſe neuen ungewohnten Empfindungen eine neue Art von Se- hen. So moͤchte vielleicht jeder urtheilen, der mit einer voͤllig gereiften Ueberlegungskraft begabet, lebhaft von einer fuͤr ihn in aller Hinſicht neuen Empfindung be- troffen wuͤrde. Das erſte Urtheil wird ſeyn: Siehe da eine neue Veraͤnderung von dir ſelbſt! Wenn es dabey geblieben waͤre, und nicht bald darauf ein anderer richti- gerer Gedanke dieſen erſtern verdraͤnget haͤtte, ſo wuͤrde der erwaͤhnte Menſch ſich an die Duͤnen von Epſom nicht anders erinnert haben, als man ſich an eine Art von Gefuͤhlen erinnert, aber nicht als an eine eigene Art von aͤußern Gegenſtaͤnden. Bey unſern Kindern waͤchſet die Reflexion mitten unter den Empfindungen, und daher iſt es wahrſchein- lich, daß das erſt erwaͤhnte Urtheil uͤber das Objektivi- ſche der Vorſtellung in ihrem Kopf entweder gar nicht, oder doch nicht zu ſeiner Voͤlligkeit kommen werde, ehe es nicht ſchon von dem nachfolgenden richtigern vertrie- ben

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/137>, abgerufen am 21.11.2024.