Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tesche, Walter: Der Enten-Piet. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 121–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

diesen verschlungenen Pfaden sehr vertraut; denn er trieb sein Boot an einer Stelle in das hohe Röhricht, wo ein Unkundiger kaum eine Lücke in der grünen Wand entdeckt hätte. Der beengte Raum gestattete jetzt nicht mehr den Gebrauch der weit über Bord ausgreifenden Ruder; aufstehend, handhabte der Jüngling eines der Ruder als Stange, womit er, auf den seichten Wassergrund stoßend, den Nachen vorwärts bewegte; das nickende Schilf wölbte sich über seinem Haupte, daß er wie in einem Laubgange dahin fuhr. -- Ein schrilles, lang gedehntes Pfeifen gellte in der Luft; der Jüngling horchte, und mit blitzenden Augen spähend, hielt er sein Boot an. Ein Regenpfeifer, groß wie ein Reiher, zog hoch oben heran; unschlüssig ergriff der leidenschaftliche Jäger seine lange Flinte; doch die Versuchung, den seltenen, scheuesten aller schnepfenartigen Vögel zu erlegen, und der Zweifel, ob sein gutes Gewehr die Schroten so weit hinauf tödtend tragen möchte, waren zu reizend -- mit der blitzschnellen Fertigkeit eines Becassinenschützen legte er an, gab zugleich Feuer, und mit gebrochenen Schwingen stürzte der köstliche Vogel, ein Todesgekreisch ausstoßend, herab. Aufgeschreckt von dem Schuß und dem schrillen Angstruf, erhoben sich plötzlich rauschend aus dem stillen Röhricht viele tausend Enten unter betäubendem Gebrause und Schreien, die Sonne wie eine Wolke verfinsternd. Dadurch war jedoch des Jünglings Achtsamkeit von dem Regenpfeifer nicht abzulenken; er verfolgte seine herabstürzende Beute mit Falkenblicken, und,

diesen verschlungenen Pfaden sehr vertraut; denn er trieb sein Boot an einer Stelle in das hohe Röhricht, wo ein Unkundiger kaum eine Lücke in der grünen Wand entdeckt hätte. Der beengte Raum gestattete jetzt nicht mehr den Gebrauch der weit über Bord ausgreifenden Ruder; aufstehend, handhabte der Jüngling eines der Ruder als Stange, womit er, auf den seichten Wassergrund stoßend, den Nachen vorwärts bewegte; das nickende Schilf wölbte sich über seinem Haupte, daß er wie in einem Laubgange dahin fuhr. — Ein schrilles, lang gedehntes Pfeifen gellte in der Luft; der Jüngling horchte, und mit blitzenden Augen spähend, hielt er sein Boot an. Ein Regenpfeifer, groß wie ein Reiher, zog hoch oben heran; unschlüssig ergriff der leidenschaftliche Jäger seine lange Flinte; doch die Versuchung, den seltenen, scheuesten aller schnepfenartigen Vögel zu erlegen, und der Zweifel, ob sein gutes Gewehr die Schroten so weit hinauf tödtend tragen möchte, waren zu reizend — mit der blitzschnellen Fertigkeit eines Becassinenschützen legte er an, gab zugleich Feuer, und mit gebrochenen Schwingen stürzte der köstliche Vogel, ein Todesgekreisch ausstoßend, herab. Aufgeschreckt von dem Schuß und dem schrillen Angstruf, erhoben sich plötzlich rauschend aus dem stillen Röhricht viele tausend Enten unter betäubendem Gebrause und Schreien, die Sonne wie eine Wolke verfinsternd. Dadurch war jedoch des Jünglings Achtsamkeit von dem Regenpfeifer nicht abzulenken; er verfolgte seine herabstürzende Beute mit Falkenblicken, und,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <p><pb facs="#f0008"/>
diesen verschlungenen Pfaden sehr                vertraut; denn er trieb sein Boot an einer Stelle in das hohe Röhricht, wo ein                Unkundiger kaum eine Lücke in der grünen Wand entdeckt hätte. Der beengte Raum                gestattete jetzt nicht mehr den Gebrauch der weit über Bord ausgreifenden Ruder;                aufstehend, handhabte der Jüngling eines der Ruder als Stange, womit er, auf den                seichten Wassergrund stoßend, den Nachen vorwärts bewegte; das nickende Schilf wölbte                sich über seinem Haupte, daß er wie in einem Laubgange dahin fuhr. &#x2014; Ein schrilles,                lang gedehntes Pfeifen gellte in der Luft; der Jüngling horchte, und mit blitzenden                Augen spähend, hielt er sein Boot an. Ein Regenpfeifer, groß wie ein Reiher, zog hoch                oben heran; unschlüssig ergriff der leidenschaftliche Jäger seine lange Flinte; doch                die Versuchung, den seltenen, scheuesten aller schnepfenartigen Vögel zu erlegen, und                der Zweifel, ob sein gutes Gewehr die Schroten so weit hinauf tödtend tragen möchte,                waren zu reizend &#x2014; mit der blitzschnellen Fertigkeit eines Becassinenschützen legte                er an, gab zugleich Feuer, und mit gebrochenen Schwingen stürzte der köstliche Vogel,                ein Todesgekreisch ausstoßend, herab. Aufgeschreckt von dem Schuß und dem schrillen                Angstruf, erhoben sich plötzlich rauschend aus dem stillen Röhricht viele tausend                Enten unter betäubendem Gebrause und Schreien, die Sonne wie eine Wolke verfinsternd.                Dadurch war jedoch des Jünglings Achtsamkeit von dem Regenpfeifer nicht abzulenken;                er verfolgte seine herabstürzende Beute mit Falkenblicken, und,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0008] diesen verschlungenen Pfaden sehr vertraut; denn er trieb sein Boot an einer Stelle in das hohe Röhricht, wo ein Unkundiger kaum eine Lücke in der grünen Wand entdeckt hätte. Der beengte Raum gestattete jetzt nicht mehr den Gebrauch der weit über Bord ausgreifenden Ruder; aufstehend, handhabte der Jüngling eines der Ruder als Stange, womit er, auf den seichten Wassergrund stoßend, den Nachen vorwärts bewegte; das nickende Schilf wölbte sich über seinem Haupte, daß er wie in einem Laubgange dahin fuhr. — Ein schrilles, lang gedehntes Pfeifen gellte in der Luft; der Jüngling horchte, und mit blitzenden Augen spähend, hielt er sein Boot an. Ein Regenpfeifer, groß wie ein Reiher, zog hoch oben heran; unschlüssig ergriff der leidenschaftliche Jäger seine lange Flinte; doch die Versuchung, den seltenen, scheuesten aller schnepfenartigen Vögel zu erlegen, und der Zweifel, ob sein gutes Gewehr die Schroten so weit hinauf tödtend tragen möchte, waren zu reizend — mit der blitzschnellen Fertigkeit eines Becassinenschützen legte er an, gab zugleich Feuer, und mit gebrochenen Schwingen stürzte der köstliche Vogel, ein Todesgekreisch ausstoßend, herab. Aufgeschreckt von dem Schuß und dem schrillen Angstruf, erhoben sich plötzlich rauschend aus dem stillen Röhricht viele tausend Enten unter betäubendem Gebrause und Schreien, die Sonne wie eine Wolke verfinsternd. Dadurch war jedoch des Jünglings Achtsamkeit von dem Regenpfeifer nicht abzulenken; er verfolgte seine herabstürzende Beute mit Falkenblicken, und,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:22:21Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:22:21Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tesche_piet_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tesche_piet_1910/8
Zitationshilfe: Tesche, Walter: Der Enten-Piet. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 121–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tesche_piet_1910/8>, abgerufen am 25.11.2024.