Tesche, Walter: Der Enten-Piet. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 121–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.abführte. Einen Moment darauf trat der Reiter grüßend herein; bei seinem Anblick zogen sich die Frauen scheu in einen Winkel des Zimmers zurück. Der Eintretende war ein stattlicher, groß und breit gebauter Mann von etwa vierzig Jahren; seine einfache, aber schwarze Bürgerkleidung zeichnete sich durch glänzend feines Tuch, große, faltige Reiterstiefeln und scharlachrothe Tuchweste aus. Noch auffallender als diese grellrothe Weste erschien das blasse, scharf geschnittene Gesicht, zumal in Holland, wo man gegen die fieberfeuchte Nebelluft stark erhitzende Getränke genießen muß, wodurch die Gesichter roth colorirt sind, so daß ein gesunder blasser Mann unter den Niederländern fast unheimlich absticht. -- Als der eintretende Fremde, den Hut abnehmend, höflich grüßte, zeigte er eine hohe und breite Stirn, von kurzen, schwarzen, glatten Haaren eingefaßt; auch dieses platt anliegende kurze Haar war absonderlich; denn der holländische Landmann pflegt sein Haar um Kopf und Nacken lang verschnitten zu tragen. Die gerade Haltung und der feste Blick des Reiters würden ihm ein gebieterisches Ansehen gegeben haben, wenn dieser Charakter nicht durch eine gewisse Zurückhaltung in seinem ganzen Wesen bis zum Abstoßenden gesunken wäre. Es war der Scharfrichtermeister Jan von Amsterdam. -- In Holland, wo die Vorurtheile noch tiefer in dem festern Sinne wurzeln, als dies in deutschen, mehr zur abführte. Einen Moment darauf trat der Reiter grüßend herein; bei seinem Anblick zogen sich die Frauen scheu in einen Winkel des Zimmers zurück. Der Eintretende war ein stattlicher, groß und breit gebauter Mann von etwa vierzig Jahren; seine einfache, aber schwarze Bürgerkleidung zeichnete sich durch glänzend feines Tuch, große, faltige Reiterstiefeln und scharlachrothe Tuchweste aus. Noch auffallender als diese grellrothe Weste erschien das blasse, scharf geschnittene Gesicht, zumal in Holland, wo man gegen die fieberfeuchte Nebelluft stark erhitzende Getränke genießen muß, wodurch die Gesichter roth colorirt sind, so daß ein gesunder blasser Mann unter den Niederländern fast unheimlich absticht. — Als der eintretende Fremde, den Hut abnehmend, höflich grüßte, zeigte er eine hohe und breite Stirn, von kurzen, schwarzen, glatten Haaren eingefaßt; auch dieses platt anliegende kurze Haar war absonderlich; denn der holländische Landmann pflegt sein Haar um Kopf und Nacken lang verschnitten zu tragen. Die gerade Haltung und der feste Blick des Reiters würden ihm ein gebieterisches Ansehen gegeben haben, wenn dieser Charakter nicht durch eine gewisse Zurückhaltung in seinem ganzen Wesen bis zum Abstoßenden gesunken wäre. Es war der Scharfrichtermeister Jan von Amsterdam. — In Holland, wo die Vorurtheile noch tiefer in dem festern Sinne wurzeln, als dies in deutschen, mehr zur <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0033"/> abführte. Einen Moment darauf trat der Reiter grüßend herein; bei seinem Anblick zogen sich die Frauen scheu in einen Winkel des Zimmers zurück.</p><lb/> <p>Der Eintretende war ein stattlicher, groß und breit gebauter Mann von etwa vierzig Jahren; seine einfache, aber schwarze Bürgerkleidung zeichnete sich durch glänzend feines Tuch, große, faltige Reiterstiefeln und scharlachrothe Tuchweste aus. Noch auffallender als diese grellrothe Weste erschien das blasse, scharf geschnittene Gesicht, zumal in Holland, wo man gegen die fieberfeuchte Nebelluft stark erhitzende Getränke genießen muß, wodurch die Gesichter roth colorirt sind, so daß ein gesunder blasser Mann unter den Niederländern fast unheimlich absticht. — Als der eintretende Fremde, den Hut abnehmend, höflich grüßte, zeigte er eine hohe und breite Stirn, von kurzen, schwarzen, glatten Haaren eingefaßt; auch dieses platt anliegende kurze Haar war absonderlich; denn der holländische Landmann pflegt sein Haar um Kopf und Nacken lang verschnitten zu tragen. Die gerade Haltung und der feste Blick des Reiters würden ihm ein gebieterisches Ansehen gegeben haben, wenn dieser Charakter nicht durch eine gewisse Zurückhaltung in seinem ganzen Wesen bis zum Abstoßenden gesunken wäre.</p><lb/> <p>Es war der Scharfrichtermeister Jan von Amsterdam. —</p><lb/> <p>In Holland, wo die Vorurtheile noch tiefer in dem festern Sinne wurzeln, als dies in deutschen, mehr zur<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0033]
abführte. Einen Moment darauf trat der Reiter grüßend herein; bei seinem Anblick zogen sich die Frauen scheu in einen Winkel des Zimmers zurück.
Der Eintretende war ein stattlicher, groß und breit gebauter Mann von etwa vierzig Jahren; seine einfache, aber schwarze Bürgerkleidung zeichnete sich durch glänzend feines Tuch, große, faltige Reiterstiefeln und scharlachrothe Tuchweste aus. Noch auffallender als diese grellrothe Weste erschien das blasse, scharf geschnittene Gesicht, zumal in Holland, wo man gegen die fieberfeuchte Nebelluft stark erhitzende Getränke genießen muß, wodurch die Gesichter roth colorirt sind, so daß ein gesunder blasser Mann unter den Niederländern fast unheimlich absticht. — Als der eintretende Fremde, den Hut abnehmend, höflich grüßte, zeigte er eine hohe und breite Stirn, von kurzen, schwarzen, glatten Haaren eingefaßt; auch dieses platt anliegende kurze Haar war absonderlich; denn der holländische Landmann pflegt sein Haar um Kopf und Nacken lang verschnitten zu tragen. Die gerade Haltung und der feste Blick des Reiters würden ihm ein gebieterisches Ansehen gegeben haben, wenn dieser Charakter nicht durch eine gewisse Zurückhaltung in seinem ganzen Wesen bis zum Abstoßenden gesunken wäre.
Es war der Scharfrichtermeister Jan von Amsterdam. —
In Holland, wo die Vorurtheile noch tiefer in dem festern Sinne wurzeln, als dies in deutschen, mehr zur
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/tesche_piet_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/tesche_piet_1910/33 |
Zitationshilfe: | Tesche, Walter: Der Enten-Piet. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 121–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tesche_piet_1910/33>, abgerufen am 16.07.2024. |