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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Wenn man bedenket, was für eine große Kraft
Tänze von etwas lebhafter Art haben, die Gesell-
schaft der Tanzenden vergnügt zu machen, und wie
sehr oft es geschieht, daß durch Tänze zwischen Per-
sonen, die sich vorher mit gleichgültigen Augen an-
gesehen haben, eine tiefsizende Zuneigung erwächst,
so wird man auch begreifen, daß verschiedene andre
Empfindungen durch das Tanzen in den Gemüthern
aufgewekt und zu einem beträchtlichen Grad der
Stärke könnten erhöht werden. Da nun nicht dar-
an zu zweifeln ist, daß durch Minen, Stellung
und Bewegung jede Empfindung auszudrüken ist, so
ist auch nicht abzusehen, warum nicht sollten Tänze
verfertiget werden können, die zu Erwekung und
Verstärkung jeder gegebenen Empfindung tüchtig
seyn sollten.

Wenn wir dieses voraussezen, so müssen wir es
auch für möglich halten, daß so wol für die Jugend,
als für das reifere Alter, Tänze von allerhand Art
zu erfinden wären, die in der Ausübung als würk-
liche Uebungen in edlen Empfindungen anzusehen
wären. Warum sollten nicht Tänze möglich seyn, wo-
durch z. B. die Jugend gegen Aeltern ehrfurchtsvolle
Liebe an den Tag legten; oder solche, die Beschei-
denheit und Mäßigung; Standhaftigkeit bey Wie-
derwärtigkeiten; Muth in Gefahren und dergleichen
ausdrükten, und wodurch also die Tänzer sich in
dergleichen Empfindungen übten. Wir wollen uns
aber hier an diesem bloßen Wink begnügen, und
Tänzern von wahrem Genie überlassen, denselben
weiter zu verfolgen, und nun von den bekannten
Arten der Tänze sprechen.

Man theilet insgemein die Tänze in zwey Haupt-
classen ein, deren eine die gemeinen, oder gesell-
schaftlichen Tänze,
(la belle danse); die andern
die theatralischen Tänze begreift. Die gemeinen
Tänze sind zum gesellschaftlichen Vergnügen erfun-
den worden; deswegen müssen sie auch so beschaffen
seyn, daß Personen, die sich kein Hauptgeschäft aus
der Tanzkunst machen, können gelernt werden. Die
hohen Tänze können schon künstlicher seyn; weil sie
nur von Tänzern von Profeßion, die besonders dazu
bestellt sind, aufgeführt werden.

Die gesellschaftlichen Tänze kommen darin mit
einander überein, daß zwey, oder mehr Personen
gemeinschaftlich nach einer kurzen Melodie, die in
Bewegung, Takt und Rhythmus ihren eigenen be-
stimmten Charakter hat, nach bestimmten Figuren
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eine bestimmte Anzahl zusammengesezter Schritte
machen, und diese so lange wiederholen, als sie
Lust haben. Diese Tänze sind in ihrer Art das, was
in der Musik die Lieder, die eben so aus einer klei-
nen Anzahl Takte und Einschnitte bestehen, die man
so lange wiederholt, als man zu singen Lust hat.

Bald jedes Land hat seine eigene Art des gesell-
schaftlichen Tanzes, und wir haben die Charaktere
der bekanntesten in verschiedenen Artikeln angezei-
get (*). Jhr allgemeiner Charakter besteht darin,
daß sie, wie das Lied, eine gewisse Empfindung oder
eine Gemüthslage ausdrüken, die sich durchaus
gleich bleibet; so, daß dieses Tanzen, wie das Sin-
gen der Lieder, den Zwek hat, sich eine Zeitlang in
dieser Gemüthslage zu unterhalten. Diese Empfin-
dung ist in einigen hüpfende Freude, wie im schwä-
bischen Tanz, in andern galante Gefälligkeit, mit
Ehrerbietung verbunden, wie in der Menuet u. s. f.
Diese verschiedenen gesellschaftlichen Tänze haben
sich in Europa mehr oder weniger ausgebreitet und
verschiedene sind so durchgehends angenommen wor-
den, daß sie bey allen Gelegenheiten, wo in gesell-
schaftlichen Zusammenkünften getanzt wird, vor-
kommen, wie die Menuet und verschiedene englische
Tänze. Man scheinet aber darin durchgehends über-
einzustimmen, daß der Menuet der Vorzug über
alle Tänze dieser Art einzuräumen sey. Es ist auch
in der That schweerlich ein andrer Tanz erfunden
worden, worin so viel Zierlichkeit, edler Anstand
und höchst gefälliges Wesen anzutreffen wäre.

Man könnte zwey Arten solcher Tänze machen.
Die erste würde so, wie die gewöhnlichen, für meh-
rere Personen zugleich eingerichtet seyn, und eine
Gemüthslage, sie sey sittlich oder leidenschaftlich zum
Ausdruk haben, in welcher sich natürlicher Weise
eine ganze Gesellschaft zugleich befinden kann. Die
andre Art könnte etwas näher bestimmte Charaktere
ausdrüken. Diese müßten ihrer Natur nach nur
von einzeln Personen getanzt werden. Dergleichen
Tänze scheinen bey den Griechen gewöhnlich gewesen
zu seyn. Man findet so gar, daß sie Charaktere
einzeler berühmter Personen, einer Phädra, einer
Rhodope, eines Achilles durch den Tanz geschildert
haben. Es läßt sich auch gar wol begreifen, wie
bekannte Charaktere durch Musik und Tanz können
abgebildet werden. Wie der gemeine gesellschaft-
liche Tanz, der blos eine vorübergehende Gemüths-
lage schildert, mit dem Lied übereinkommt, so hat

ein
(*) S.
Alleman-
de, Conter-
tanz, Me-
nuet, Polo-
noise u. a.
m.
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Wenn man bedenket, was fuͤr eine große Kraft
Taͤnze von etwas lebhafter Art haben, die Geſell-
ſchaft der Tanzenden vergnuͤgt zu machen, und wie
ſehr oft es geſchieht, daß durch Taͤnze zwiſchen Per-
ſonen, die ſich vorher mit gleichguͤltigen Augen an-
geſehen haben, eine tiefſizende Zuneigung erwaͤchſt,
ſo wird man auch begreifen, daß verſchiedene andre
Empfindungen durch das Tanzen in den Gemuͤthern
aufgewekt und zu einem betraͤchtlichen Grad der
Staͤrke koͤnnten erhoͤht werden. Da nun nicht dar-
an zu zweifeln iſt, daß durch Minen, Stellung
und Bewegung jede Empfindung auszudruͤken iſt, ſo
iſt auch nicht abzuſehen, warum nicht ſollten Taͤnze
verfertiget werden koͤnnen, die zu Erwekung und
Verſtaͤrkung jeder gegebenen Empfindung tuͤchtig
ſeyn ſollten.

Wenn wir dieſes vorausſezen, ſo muͤſſen wir es
auch fuͤr moͤglich halten, daß ſo wol fuͤr die Jugend,
als fuͤr das reifere Alter, Taͤnze von allerhand Art
zu erfinden waͤren, die in der Ausuͤbung als wuͤrk-
liche Uebungen in edlen Empfindungen anzuſehen
waͤren. Warum ſollten nicht Taͤnze moͤglich ſeyn, wo-
durch z. B. die Jugend gegen Aeltern ehrfurchtsvolle
Liebe an den Tag legten; oder ſolche, die Beſchei-
denheit und Maͤßigung; Standhaftigkeit bey Wie-
derwaͤrtigkeiten; Muth in Gefahren und dergleichen
ausdruͤkten, und wodurch alſo die Taͤnzer ſich in
dergleichen Empfindungen uͤbten. Wir wollen uns
aber hier an dieſem bloßen Wink begnuͤgen, und
Taͤnzern von wahrem Genie uͤberlaſſen, denſelben
weiter zu verfolgen, und nun von den bekannten
Arten der Taͤnze ſprechen.

Man theilet insgemein die Taͤnze in zwey Haupt-
claſſen ein, deren eine die gemeinen, oder geſell-
ſchaftlichen Taͤnze,
(la belle danſe); die andern
die theatraliſchen Taͤnze begreift. Die gemeinen
Taͤnze ſind zum geſellſchaftlichen Vergnuͤgen erfun-
den worden; deswegen muͤſſen ſie auch ſo beſchaffen
ſeyn, daß Perſonen, die ſich kein Hauptgeſchaͤft aus
der Tanzkunſt machen, koͤnnen gelernt werden. Die
hohen Taͤnze koͤnnen ſchon kuͤnſtlicher ſeyn; weil ſie
nur von Taͤnzern von Profeßion, die beſonders dazu
beſtellt ſind, aufgefuͤhrt werden.

Die geſellſchaftlichen Taͤnze kommen darin mit
einander uͤberein, daß zwey, oder mehr Perſonen
gemeinſchaftlich nach einer kurzen Melodie, die in
Bewegung, Takt und Rhythmus ihren eigenen be-
ſtimmten Charakter hat, nach beſtimmten Figuren
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eine beſtimmte Anzahl zuſammengeſezter Schritte
machen, und dieſe ſo lange wiederholen, als ſie
Luſt haben. Dieſe Taͤnze ſind in ihrer Art das, was
in der Muſik die Lieder, die eben ſo aus einer klei-
nen Anzahl Takte und Einſchnitte beſtehen, die man
ſo lange wiederholt, als man zu ſingen Luſt hat.

Bald jedes Land hat ſeine eigene Art des geſell-
ſchaftlichen Tanzes, und wir haben die Charaktere
der bekannteſten in verſchiedenen Artikeln angezei-
get (*). Jhr allgemeiner Charakter beſteht darin,
daß ſie, wie das Lied, eine gewiſſe Empfindung oder
eine Gemuͤthslage ausdruͤken, die ſich durchaus
gleich bleibet; ſo, daß dieſes Tanzen, wie das Sin-
gen der Lieder, den Zwek hat, ſich eine Zeitlang in
dieſer Gemuͤthslage zu unterhalten. Dieſe Empfin-
dung iſt in einigen huͤpfende Freude, wie im ſchwaͤ-
biſchen Tanz, in andern galante Gefaͤlligkeit, mit
Ehrerbietung verbunden, wie in der Menuet u. ſ. f.
Dieſe verſchiedenen geſellſchaftlichen Taͤnze haben
ſich in Europa mehr oder weniger ausgebreitet und
verſchiedene ſind ſo durchgehends angenommen wor-
den, daß ſie bey allen Gelegenheiten, wo in geſell-
ſchaftlichen Zuſammenkuͤnften getanzt wird, vor-
kommen, wie die Menuet und verſchiedene engliſche
Taͤnze. Man ſcheinet aber darin durchgehends uͤber-
einzuſtimmen, daß der Menuet der Vorzug uͤber
alle Taͤnze dieſer Art einzuraͤumen ſey. Es iſt auch
in der That ſchweerlich ein andrer Tanz erfunden
worden, worin ſo viel Zierlichkeit, edler Anſtand
und hoͤchſt gefaͤlliges Weſen anzutreffen waͤre.

Man koͤnnte zwey Arten ſolcher Taͤnze machen.
Die erſte wuͤrde ſo, wie die gewoͤhnlichen, fuͤr meh-
rere Perſonen zugleich eingerichtet ſeyn, und eine
Gemuͤthslage, ſie ſey ſittlich oder leidenſchaftlich zum
Ausdruk haben, in welcher ſich natuͤrlicher Weiſe
eine ganze Geſellſchaft zugleich befinden kann. Die
andre Art koͤnnte etwas naͤher beſtimmte Charaktere
ausdruͤken. Dieſe muͤßten ihrer Natur nach nur
von einzeln Perſonen getanzt werden. Dergleichen
Taͤnze ſcheinen bey den Griechen gewoͤhnlich geweſen
zu ſeyn. Man findet ſo gar, daß ſie Charaktere
einzeler beruͤhmter Perſonen, einer Phaͤdra, einer
Rhodope, eines Achilles durch den Tanz geſchildert
haben. Es laͤßt ſich auch gar wol begreifen, wie
bekannte Charaktere durch Muſik und Tanz koͤnnen
abgebildet werden. Wie der gemeine geſellſchaft-
liche Tanz, der blos eine voruͤbergehende Gemuͤths-
lage ſchildert, mit dem Lied uͤbereinkommt, ſo hat

ein
(*) S.
Alleman-
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noiſe u. a.
m.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1140[1122]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/569>, abgerufen am 24.11.2024.