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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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vor (*), die beyden Quinten da, und ae auf der
Violine etwas unter sich schwebend zu stimmen; al-
lein dadurch würde die Unvollkommenheit noch ver-
mehrt worden seyn, weil kein Violinist alsdenn auf
diesen beyden Sayten eine einzige Quinte hätte rein
angeben können. Daher ist, wenn man annimmt,
daß die zwey Sayten a und e im Spielen nicht
anders als nur in Geschwindigkeiten, blos angege-
ben werden, die reine Quintenstimmung von g auf-
wärts, die vollkommenste Art, die Violinen zu
stimmen.

Die Flöten und Hoboen, die im Blasen höher wer-
den, müssen nicht, wie es fast durchgängig geschie-
het, mit dem e der Violine, welches ohnehin schon
um zu hoch ist, sondern mit dem e der Orgel
oder des Flügels gleich gestimmet werden. Die
Waldhörner werden allezeit in dem Hauptton des
Stüks gestimmet.

Seitdem Roußean sich so sehr über die Gewohn-
heit des französischen Orchesters, ganze Stunden
lang vor einer Kirchenmusik oder einer Oper zu stim-
men und zu präludiren aufgehalten hat, hat diese
üble Gewohnheit in Paris nachgelassen; man stimmt
izo in der großen Oper daselbst nicht einmal im Or-
chester, sondern in besonderen Nebenzimmern, und
jeder ist in einem Augenblick mit seinem Jnstrument
fertig. Es wäre zu wünschen, daß manche deutsche
Capellen diesen Beyspiehl folgen, und einmal einse-
hen lernen möchten, daß der Zuhörer auf keine unan-
genehmere Weise, und schlechter zu dem folgenden
vorbereitet werde, als durch das ewige Stimmen
und Präludiren so vieler Jnstrumente in einander
und durch einander, ohne daß einer vor den andern
hören kann, ob sein Jnstrument gestimmt ist, oder
nicht.

Strophe.
(Dichtkunst.)

Ursprünglich bedeutete das Wort in den lyrischen
Gedichten der Griechen eine Folge von Versen, die
von einem Chor in einem Zug, oder Marsch gesun-
gen wurde; weil das Singen mit einem feyerlichen
Umzug oder Gang des singenden Chores verbunden
worden. Wann der Chor sich in seinem Zug wen-
dete; so fieng eine zweyte Folge von Versen an,
deren Anzahl und metrische Einrichtung eben so war,
wie in der ersten; also mußte der Chor eben so viel
Schritte thun um die zweyte Strophe zu singen, als
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sie zur ersten nöthig hatte. Diese zweyte Folge
wurd Antistrophe genannt. Wann der Chor hier-
auf stillstehend noch etliche Verse sang, so wurden
diese zusammen Epodos genannt und waren in der
metrischen Einrichtung von Strophe und Antistro-
phe verschieden. Wann mit diesen drey Säzen das
Lied noch nicht geendiget war; so wurden in der
Folge die Verse genau nach dem Sylbenmaaß und
dem Metrum der vorhergehenden Säze wiederholt.
Dieses kann man in den strophischen Chören der
griechischen Tragödien und in den Oden des Pin-
dars sehen.

Jzt giebt man den Namen der Strophe in un-
sern Oden und Liedern einer Periode von etlichen
Versen, die allen folgenden Perioden in Ansehung
des Sylbenmaaßes und der Versart zur Lehre die-
net. Rämlich drey, vier, oder mehr Verse, wo-
mit das Gedicht anfängt, dienen durch das ganze
Lied in Absicht auf das Sylbenmaaß und die Länge
der Verse dergestalt zur Lehre, daß hernach die Folge
des Gedichts in jedem Abschnitt von drey, vier,
oder mehr Versen, genau so seyn muß, wie in den
ersten. Folgende vier Verse:
Freund! die Tugend ist kein leerer Name
Aus dem Herzen keimt der Tugend Saame,
Und ein Gott ists, der der Berge Spizen
Röthet mit Blizen.

machen eine Strophe der sapphischen Versart aus;
so lange das Lied dauert, machen immer vier fol-
gende Verse eine Strophe, die in Absicht des Syl-
benmaaßes und der Länge der Verse genau so ist,
wie diese.

Es giebt einfache und Doppelstrophen. Die
einfachen, machen, wie die so eben angeführte, nur
eine einzige Periode aus, die am End einen Haupt-
ruhepunkt hat. Die Doppelstrophe besteht aus
mehr Versen, die zwey rhythmische Hauptabschnitte
ausmachen, wie folgende:
Welche Fluren! Welche Tänze!
Welche schön geflochtne Kränze!
Welch ein sanftes Purpurlicht!
Sanfter war die Morgenröthe
Die des Waldes Grün erhöhte
Mir im schönsten Lenze nicht! (*)

Obgleich die zweyte Hälfte genau dieselbe metrische
Beschaffenheit hat, als die erste; so empfindet man
doch, daß der Ton sich etwas abändert.

Bis-
(*) Jn sei-
ner Anwei-
sung d Flö-
tetraversie-
re zu spie-
len.
(*) Jacobi.

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vor (*), die beyden Quinten d𝆊̅a̅, und a𝆊̅e̅̅ auf der
Violine etwas unter ſich ſchwebend zu ſtimmen; al-
lein dadurch wuͤrde die Unvollkommenheit noch ver-
mehrt worden ſeyn, weil kein Violiniſt alsdenn auf
dieſen beyden Sayten eine einzige Quinte haͤtte rein
angeben koͤnnen. Daher iſt, wenn man annimmt,
daß die zwey Sayten und e̅̅ im Spielen nicht
anders als nur in Geſchwindigkeiten, blos angege-
ben werden, die reine Quintenſtimmung von g auf-
waͤrts, die vollkommenſte Art, die Violinen zu
ſtimmen.

Die Floͤten und Hoboen, die im Blaſen hoͤher wer-
den, muͤſſen nicht, wie es faſt durchgaͤngig geſchie-
het, mit dem e̅̅ der Violine, welches ohnehin ſchon
um zu hoch iſt, ſondern mit dem e̅̅ der Orgel
oder des Fluͤgels gleich geſtimmet werden. Die
Waldhoͤrner werden allezeit in dem Hauptton des
Stuͤks geſtimmet.

Seitdem Roußean ſich ſo ſehr uͤber die Gewohn-
heit des franzoͤſiſchen Orcheſters, ganze Stunden
lang vor einer Kirchenmuſik oder einer Oper zu ſtim-
men und zu praͤludiren aufgehalten hat, hat dieſe
uͤble Gewohnheit in Paris nachgelaſſen; man ſtimmt
izo in der großen Oper daſelbſt nicht einmal im Or-
cheſter, ſondern in beſonderen Nebenzimmern, und
jeder iſt in einem Augenblick mit ſeinem Jnſtrument
fertig. Es waͤre zu wuͤnſchen, daß manche deutſche
Capellen dieſen Beyſpiehl folgen, und einmal einſe-
hen lernen moͤchten, daß der Zuhoͤrer auf keine unan-
genehmere Weiſe, und ſchlechter zu dem folgenden
vorbereitet werde, als durch das ewige Stimmen
und Praͤludiren ſo vieler Jnſtrumente in einander
und durch einander, ohne daß einer vor den andern
hoͤren kann, ob ſein Jnſtrument geſtimmt iſt, oder
nicht.

Strophe.
(Dichtkunſt.)

Urſpruͤnglich bedeutete das Wort in den lyriſchen
Gedichten der Griechen eine Folge von Verſen, die
von einem Chor in einem Zug, oder Marſch geſun-
gen wurde; weil das Singen mit einem feyerlichen
Umzug oder Gang des ſingenden Chores verbunden
worden. Wann der Chor ſich in ſeinem Zug wen-
dete; ſo fieng eine zweyte Folge von Verſen an,
deren Anzahl und metriſche Einrichtung eben ſo war,
wie in der erſten; alſo mußte der Chor eben ſo viel
Schritte thun um die zweyte Strophe zu ſingen, als
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ſie zur erſten noͤthig hatte. Dieſe zweyte Folge
wurd Antiſtrophe genannt. Wann der Chor hier-
auf ſtillſtehend noch etliche Verſe ſang, ſo wurden
dieſe zuſammen Epodos genannt und waren in der
metriſchen Einrichtung von Strophe und Antiſtro-
phe verſchieden. Wann mit dieſen drey Saͤzen das
Lied noch nicht geendiget war; ſo wurden in der
Folge die Verſe genau nach dem Sylbenmaaß und
dem Metrum der vorhergehenden Saͤze wiederholt.
Dieſes kann man in den ſtrophiſchen Choͤren der
griechiſchen Tragoͤdien und in den Oden des Pin-
dars ſehen.

Jzt giebt man den Namen der Strophe in un-
ſern Oden und Liedern einer Periode von etlichen
Verſen, die allen folgenden Perioden in Anſehung
des Sylbenmaaßes und der Versart zur Lehre die-
net. Raͤmlich drey, vier, oder mehr Verſe, wo-
mit das Gedicht anfaͤngt, dienen durch das ganze
Lied in Abſicht auf das Sylbenmaaß und die Laͤnge
der Verſe dergeſtalt zur Lehre, daß hernach die Folge
des Gedichts in jedem Abſchnitt von drey, vier,
oder mehr Verſen, genau ſo ſeyn muß, wie in den
erſten. Folgende vier Verſe:
Freund! die Tugend iſt kein leerer Name
Aus dem Herzen keimt der Tugend Saame,
Und ein Gott iſts, der der Berge Spizen
Roͤthet mit Blizen.

machen eine Strophe der ſapphiſchen Versart aus;
ſo lange das Lied dauert, machen immer vier fol-
gende Verſe eine Strophe, die in Abſicht des Syl-
benmaaßes und der Laͤnge der Verſe genau ſo iſt,
wie dieſe.

Es giebt einfache und Doppelſtrophen. Die
einfachen, machen, wie die ſo eben angefuͤhrte, nur
eine einzige Periode aus, die am End einen Haupt-
ruhepunkt hat. Die Doppelſtrophe beſteht aus
mehr Verſen, die zwey rhythmiſche Hauptabſchnitte
ausmachen, wie folgende:
Welche Fluren! Welche Taͤnze!
Welche ſchoͤn geflochtne Kraͤnze!
Welch ein ſanftes Purpurlicht!
Sanfter war die Morgenroͤthe
Die des Waldes Gruͤn erhoͤhte
Mir im ſchoͤnſten Lenze nicht! (*)

Obgleich die zweyte Haͤlfte genau dieſelbe metriſche
Beſchaffenheit hat, als die erſte; ſo empfindet man
doch, daß der Ton ſich etwas abaͤndert.

Bis-
(*) Jn ſei-
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len.
(*) Jacobi.
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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1114[1096]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/543>, abgerufen am 24.11.2024.