schen zwey Krinnen, wird ohngesehr den vierten Theil so breit gelassen, als die Breite einer Krinne beträgt, welche dadurch ohngefehr auf den fünften Theil eines Models bestimmt wird. Man kann die Aushölung nach einem halben oder kleinern Zirkel- bogen machen. Es ist kaum der Mühe werth, hier Regeln zu geben. Nur muß man nicht, wie einige italiänische Baumeister in dorischen Ordnung thun, die Krinnen ohne Saum oder Steg an ein- ander laufen lassen. Auch nicht wie einige franzö- sische Baumeister gethan, an dem untersten Drittel des Stammes die Krinnen mit runden Stäben aus- füllen. Alles dieses scheint dem guten Geschmak entgegen zu seyn.
Kröpfung. (Baukunst.)
Wird auch Verkröpfung genennt. Dadurch be- zeichnet man in der Baukunst die Brechung eines sonst gerade laufenden Gliedes, wodurch ein Theil desselben weiter hervorsteht, als die übrigen und folglich eine Art des Kropfes macht. Man sieht an neuern Gebäuden nur gar zu ofte Beyspiele hier- von. Es giebt zu viel Baumeister, die Wandsäu- len anbringen, welche halb, oder noch weiter, aus der Mauer heraustreten, da das Gebälke über die Säulen so angelegt ist, daß der Unterbalken über die Mauer gar nicht ausläuft. Weil auf diese Weise die Säulen gar nichts zu tragen hätten, so kröpfen sie das ganze Gebälke über den Säulen, und begehen dadurch einen der ungereimtesten Fehler, die man in der Bankunst begehen kann. Denn was ist ungereimteres, als Säulen anzubringen, die nichts tragen? oder das, was seiner Natur nach gerade gestrekt seyn sollte, wie ein Balken, zu krö- pfen? nur damit es scheine, daß die unnützen Säu- len etwas zu tragen haben. Die alten Baumeister aus der guten Zeit, waren weit entfernt, solche Ungereimtheiten zu begehen. Man trift keine Krö- pfungen bey ihnen an. Aber die römischen Baumei- ster unter den Kaysern haben sie schon eingeführt, wie an den Triumphbogen einiger Kayser zu sehen ist, und von diesen schlechten Mustern sind die Verkröpfun- gen in der neuen Baukunst beybehalten worden.
Sie sind nicht nur, wie schon angemerkt worden, völlig ungereimt und den wesentlichsten Regeln ent- gegen, sondern geben auch den Gebäuden ein sehr überladenes gothisches, oder vielmehr arabisches [Spaltenumbruch]
Küh
Ansehen; weil das Aug nicht gerade über ein Ge- bälke weglaufen kann, sondern alle Augenblike an Eken anstößt.
Das große Portal an dem Königl. Schloß in Berlin, das eine Nachahmung des Triumphbogens des Kaysers Sept. Severus ist, und noch mehr die sonst prächtige Fassade gegen den zweyten Hof, wo die Haupttreppe des Schlosses ist, sind durch Ver- kröpfungen gänzlich verdorben. Es läßt sich nicht begreifen, wie es kommt, daß man diese Würkung eines verdorbenen Geschmaks nicht schon längst ge- hemmt hat.
Kühn. (Schöne Künste.)
Die Kühnheit ist nur vorzüglich starken Seelen eigen, die aus Gefühl ihrer Stärke Dinge unter- nehmen, die andre nicht würden gewagt haben. Deswegen ist unter allen Aeusserungen der Seelen- kräfte nichts, das unsre Hochachtung so stark an sich zieht, als das Schöne und Gute, das mit Kühnheit verbunden ist. Selbst alsdenn, wenn ein kühner Geist in seinem Unternehmen zuviel Hinternis angetroffen hat, versagen wir ihm unsre Hochachtung nicht, wenn wir nur sehen, daß er seine Kräfte ganz gebraucht hat. Der Werth des Menschen muß unstreitig nur aus der Größe und Stärke seiner Seelenkräfte geschätzt werden. Die- ses fühlen wir so überzeugend, daß wir uns ofte nicht enthalten können, in verwerflichen Handlun- gen, die mit Kühnheit unternommen worden sind, noch etwas zu finden, das wir hochachten; näm- lich die Kühnheit selbst, in so fern sie eine Wür- kung des innern Gefühls seiner Kraft ist.
Darum gehöret das Kühne unter die größten ästhetischen Schönheiten, weil es Bewundrung und Hochachtung erwekt: zugleich aber hat es noch den höchstschätzbaren Vorzug, daß es auf die Stärkung und Erweiterung unsrer innern Kräfte abziehlt. Wie man unter Furchtsamen Gefahr läuft furcht- sam zu werden; so wird man unter kühnen Men- schen auch stark. Wenn ein Künstler von hohem Geist und großen Herzen einen Stoff bearbeitet, so wird man in Gedanken und Gesinnungen eine Kühnheit bemerken, die uns gegen die Höhe heran- zieht, auf der wir den Künstler sehen.
Diese Kühnheit äussert sich sowol in der Beur- theilung, als in den Empfindungen. Menschen
von
[Spaltenumbruch]
Kroͤ
ſchen zwey Krinnen, wird ohngeſehr den vierten Theil ſo breit gelaſſen, als die Breite einer Krinne betraͤgt, welche dadurch ohngefehr auf den fuͤnften Theil eines Models beſtimmt wird. Man kann die Aushoͤlung nach einem halben oder kleinern Zirkel- bogen machen. Es iſt kaum der Muͤhe werth, hier Regeln zu geben. Nur muß man nicht, wie einige italiaͤniſche Baumeiſter in doriſchen Ordnung thun, die Krinnen ohne Saum oder Steg an ein- ander laufen laſſen. Auch nicht wie einige franzoͤ- ſiſche Baumeiſter gethan, an dem unterſten Drittel des Stammes die Krinnen mit runden Staͤben aus- fuͤllen. Alles dieſes ſcheint dem guten Geſchmak entgegen zu ſeyn.
Kroͤpfung. (Baukunſt.)
Wird auch Verkroͤpfung genennt. Dadurch be- zeichnet man in der Baukunſt die Brechung eines ſonſt gerade laufenden Gliedes, wodurch ein Theil deſſelben weiter hervorſteht, als die uͤbrigen und folglich eine Art des Kropfes macht. Man ſieht an neuern Gebaͤuden nur gar zu ofte Beyſpiele hier- von. Es giebt zu viel Baumeiſter, die Wandſaͤu- len anbringen, welche halb, oder noch weiter, aus der Mauer heraustreten, da das Gebaͤlke uͤber die Saͤulen ſo angelegt iſt, daß der Unterbalken uͤber die Mauer gar nicht auslaͤuft. Weil auf dieſe Weiſe die Saͤulen gar nichts zu tragen haͤtten, ſo kroͤpfen ſie das ganze Gebaͤlke uͤber den Saͤulen, und begehen dadurch einen der ungereimteſten Fehler, die man in der Bankunſt begehen kann. Denn was iſt ungereimteres, als Saͤulen anzubringen, die nichts tragen? oder das, was ſeiner Natur nach gerade geſtrekt ſeyn ſollte, wie ein Balken, zu kroͤ- pfen? nur damit es ſcheine, daß die unnuͤtzen Saͤu- len etwas zu tragen haben. Die alten Baumeiſter aus der guten Zeit, waren weit entfernt, ſolche Ungereimtheiten zu begehen. Man trift keine Kroͤ- pfungen bey ihnen an. Aber die roͤmiſchen Baumei- ſter unter den Kayſern haben ſie ſchon eingefuͤhrt, wie an den Triumphbogen einiger Kayſer zu ſehen iſt, und von dieſen ſchlechten Muſtern ſind die Verkroͤpfun- gen in der neuen Baukunſt beybehalten worden.
Sie ſind nicht nur, wie ſchon angemerkt worden, voͤllig ungereimt und den weſentlichſten Regeln ent- gegen, ſondern geben auch den Gebaͤuden ein ſehr uͤberladenes gothiſches, oder vielmehr arabiſches [Spaltenumbruch]
Kuͤh
Anſehen; weil das Aug nicht gerade uͤber ein Ge- baͤlke weglaufen kann, ſondern alle Augenblike an Eken anſtoͤßt.
Das große Portal an dem Koͤnigl. Schloß in Berlin, das eine Nachahmung des Triumphbogens des Kayſers Sept. Severus iſt, und noch mehr die ſonſt praͤchtige Faſſade gegen den zweyten Hof, wo die Haupttreppe des Schloſſes iſt, ſind durch Ver- kroͤpfungen gaͤnzlich verdorben. Es laͤßt ſich nicht begreifen, wie es kommt, daß man dieſe Wuͤrkung eines verdorbenen Geſchmaks nicht ſchon laͤngſt ge- hemmt hat.
Kuͤhn. (Schoͤne Kuͤnſte.)
Die Kuͤhnheit iſt nur vorzuͤglich ſtarken Seelen eigen, die aus Gefuͤhl ihrer Staͤrke Dinge unter- nehmen, die andre nicht wuͤrden gewagt haben. Deswegen iſt unter allen Aeuſſerungen der Seelen- kraͤfte nichts, das unſre Hochachtung ſo ſtark an ſich zieht, als das Schoͤne und Gute, das mit Kuͤhnheit verbunden iſt. Selbſt alsdenn, wenn ein kuͤhner Geiſt in ſeinem Unternehmen zuviel Hinternis angetroffen hat, verſagen wir ihm unſre Hochachtung nicht, wenn wir nur ſehen, daß er ſeine Kraͤfte ganz gebraucht hat. Der Werth des Menſchen muß unſtreitig nur aus der Groͤße und Staͤrke ſeiner Seelenkraͤfte geſchaͤtzt werden. Die- ſes fuͤhlen wir ſo uͤberzeugend, daß wir uns ofte nicht enthalten koͤnnen, in verwerflichen Handlun- gen, die mit Kuͤhnheit unternommen worden ſind, noch etwas zu finden, das wir hochachten; naͤm- lich die Kuͤhnheit ſelbſt, in ſo fern ſie eine Wuͤr- kung des innern Gefuͤhls ſeiner Kraft iſt.
Darum gehoͤret das Kuͤhne unter die groͤßten aͤſthetiſchen Schoͤnheiten, weil es Bewundrung und Hochachtung erwekt: zugleich aber hat es noch den hoͤchſtſchaͤtzbaren Vorzug, daß es auf die Staͤrkung und Erweiterung unſrer innern Kraͤfte abziehlt. Wie man unter Furchtſamen Gefahr laͤuft furcht- ſam zu werden; ſo wird man unter kuͤhnen Men- ſchen auch ſtark. Wenn ein Kuͤnſtler von hohem Geiſt und großen Herzen einen Stoff bearbeitet, ſo wird man in Gedanken und Geſinnungen eine Kuͤhnheit bemerken, die uns gegen die Hoͤhe heran- zieht, auf der wir den Kuͤnſtler ſehen.
Dieſe Kuͤhnheit aͤuſſert ſich ſowol in der Beur- theilung, als in den Empfindungen. Menſchen
von
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0043"n="608"/><cb/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Kroͤ</hi></fw><lb/>ſchen zwey Krinnen, wird ohngeſehr den vierten<lb/>
Theil ſo breit gelaſſen, als die Breite einer Krinne<lb/>
betraͤgt, welche dadurch ohngefehr auf den fuͤnften<lb/>
Theil eines Models beſtimmt wird. Man kann die<lb/>
Aushoͤlung nach einem halben oder kleinern Zirkel-<lb/>
bogen machen. Es iſt kaum der Muͤhe werth,<lb/>
hier Regeln zu geben. Nur muß man nicht, wie<lb/>
einige italiaͤniſche Baumeiſter in doriſchen Ordnung<lb/>
thun, die Krinnen ohne Saum oder Steg an ein-<lb/>
ander laufen laſſen. Auch nicht wie einige franzoͤ-<lb/>ſiſche Baumeiſter gethan, an dem unterſten Drittel<lb/>
des Stammes die Krinnen mit runden Staͤben aus-<lb/>
fuͤllen. Alles dieſes ſcheint dem guten Geſchmak<lb/>
entgegen zu ſeyn.</p></div><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Kroͤpfung.</hi><lb/>
(Baukunſt.)</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">W</hi>ird auch <hirendition="#fr">Verkroͤpfung</hi> genennt. Dadurch be-<lb/>
zeichnet man in der Baukunſt die Brechung eines<lb/>ſonſt gerade laufenden Gliedes, wodurch ein Theil<lb/>
deſſelben weiter hervorſteht, als die uͤbrigen und<lb/>
folglich eine Art des Kropfes macht. Man ſieht<lb/>
an neuern Gebaͤuden nur gar zu ofte Beyſpiele hier-<lb/>
von. Es giebt zu viel Baumeiſter, die Wandſaͤu-<lb/>
len anbringen, welche halb, oder noch weiter, aus<lb/>
der Mauer heraustreten, da das Gebaͤlke uͤber die<lb/>
Saͤulen ſo angelegt iſt, daß der Unterbalken uͤber<lb/>
die Mauer gar nicht auslaͤuft. Weil auf dieſe<lb/>
Weiſe die Saͤulen gar nichts zu tragen haͤtten, ſo<lb/>
kroͤpfen ſie das ganze Gebaͤlke uͤber den Saͤulen,<lb/>
und begehen dadurch einen der ungereimteſten Fehler,<lb/>
die man in der Bankunſt begehen kann. Denn<lb/>
was iſt ungereimteres, als Saͤulen anzubringen,<lb/>
die nichts tragen? oder das, was ſeiner Natur nach<lb/>
gerade geſtrekt ſeyn ſollte, wie ein Balken, zu kroͤ-<lb/>
pfen? nur damit es ſcheine, daß die unnuͤtzen Saͤu-<lb/>
len etwas zu tragen haben. Die alten Baumeiſter<lb/>
aus der guten Zeit, waren weit entfernt, ſolche<lb/>
Ungereimtheiten zu begehen. Man trift keine Kroͤ-<lb/>
pfungen bey ihnen an. Aber die roͤmiſchen Baumei-<lb/>ſter unter den Kayſern haben ſie ſchon eingefuͤhrt,<lb/>
wie an den Triumphbogen einiger Kayſer zu ſehen iſt,<lb/>
und von dieſen ſchlechten Muſtern ſind die Verkroͤpfun-<lb/>
gen in der neuen Baukunſt beybehalten worden.</p><lb/><p>Sie ſind nicht nur, wie ſchon angemerkt worden,<lb/>
voͤllig ungereimt und den weſentlichſten Regeln ent-<lb/>
gegen, ſondern geben auch den Gebaͤuden ein ſehr<lb/>
uͤberladenes gothiſches, oder vielmehr arabiſches<lb/><cb/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Kuͤh</hi></fw><lb/>
Anſehen; weil das Aug nicht gerade uͤber ein Ge-<lb/>
baͤlke weglaufen kann, ſondern alle Augenblike an<lb/>
Eken anſtoͤßt.</p><lb/><p>Das große Portal an dem Koͤnigl. Schloß in<lb/>
Berlin, das eine Nachahmung des Triumphbogens<lb/>
des Kayſers Sept. Severus iſt, und noch mehr die<lb/>ſonſt praͤchtige Faſſade gegen den zweyten Hof, wo<lb/>
die Haupttreppe des Schloſſes iſt, ſind durch Ver-<lb/>
kroͤpfungen gaͤnzlich verdorben. Es laͤßt ſich nicht<lb/>
begreifen, wie es kommt, daß man dieſe Wuͤrkung<lb/>
eines verdorbenen Geſchmaks nicht ſchon laͤngſt ge-<lb/>
hemmt hat.</p></div><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Kuͤhn.</hi><lb/>
(Schoͤne Kuͤnſte.)</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>ie Kuͤhnheit iſt nur vorzuͤglich ſtarken Seelen<lb/>
eigen, die aus Gefuͤhl ihrer Staͤrke Dinge unter-<lb/>
nehmen, die andre nicht wuͤrden gewagt haben.<lb/>
Deswegen iſt unter allen Aeuſſerungen der Seelen-<lb/>
kraͤfte nichts, das unſre Hochachtung ſo ſtark an<lb/>ſich zieht, als das Schoͤne und Gute, das mit<lb/>
Kuͤhnheit verbunden iſt. Selbſt alsdenn, wenn<lb/>
ein kuͤhner Geiſt in ſeinem Unternehmen zuviel<lb/>
Hinternis angetroffen hat, verſagen wir ihm unſre<lb/>
Hochachtung nicht, wenn wir nur ſehen, daß er<lb/>ſeine Kraͤfte ganz gebraucht hat. Der Werth des<lb/>
Menſchen muß unſtreitig nur aus der Groͤße und<lb/>
Staͤrke ſeiner Seelenkraͤfte geſchaͤtzt werden. Die-<lb/>ſes fuͤhlen wir ſo uͤberzeugend, daß wir uns ofte<lb/>
nicht enthalten koͤnnen, in verwerflichen Handlun-<lb/>
gen, die mit Kuͤhnheit unternommen worden ſind,<lb/>
noch etwas zu finden, das wir hochachten; naͤm-<lb/>
lich die Kuͤhnheit ſelbſt, in ſo fern ſie eine Wuͤr-<lb/>
kung des innern Gefuͤhls ſeiner Kraft iſt.</p><lb/><p>Darum gehoͤret das Kuͤhne unter die groͤßten<lb/>
aͤſthetiſchen Schoͤnheiten, weil es Bewundrung und<lb/>
Hochachtung erwekt: zugleich aber hat es noch den<lb/>
hoͤchſtſchaͤtzbaren Vorzug, daß es auf die Staͤrkung<lb/>
und Erweiterung unſrer innern Kraͤfte abziehlt.<lb/>
Wie man unter Furchtſamen Gefahr laͤuft furcht-<lb/>ſam zu werden; ſo wird man unter kuͤhnen Men-<lb/>ſchen auch ſtark. Wenn ein Kuͤnſtler von hohem<lb/>
Geiſt und großen Herzen einen Stoff bearbeitet,<lb/>ſo wird man in Gedanken und Geſinnungen eine<lb/>
Kuͤhnheit bemerken, die uns gegen die Hoͤhe heran-<lb/>
zieht, auf der wir den Kuͤnſtler ſehen.</p><lb/><p>Dieſe Kuͤhnheit aͤuſſert ſich ſowol in der Beur-<lb/>
theilung, als in den Empfindungen. Menſchen<lb/><fwplace="bottom"type="catch">von</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[608/0043]
Kroͤ
Kuͤh
ſchen zwey Krinnen, wird ohngeſehr den vierten
Theil ſo breit gelaſſen, als die Breite einer Krinne
betraͤgt, welche dadurch ohngefehr auf den fuͤnften
Theil eines Models beſtimmt wird. Man kann die
Aushoͤlung nach einem halben oder kleinern Zirkel-
bogen machen. Es iſt kaum der Muͤhe werth,
hier Regeln zu geben. Nur muß man nicht, wie
einige italiaͤniſche Baumeiſter in doriſchen Ordnung
thun, die Krinnen ohne Saum oder Steg an ein-
ander laufen laſſen. Auch nicht wie einige franzoͤ-
ſiſche Baumeiſter gethan, an dem unterſten Drittel
des Stammes die Krinnen mit runden Staͤben aus-
fuͤllen. Alles dieſes ſcheint dem guten Geſchmak
entgegen zu ſeyn.
Kroͤpfung.
(Baukunſt.)
Wird auch Verkroͤpfung genennt. Dadurch be-
zeichnet man in der Baukunſt die Brechung eines
ſonſt gerade laufenden Gliedes, wodurch ein Theil
deſſelben weiter hervorſteht, als die uͤbrigen und
folglich eine Art des Kropfes macht. Man ſieht
an neuern Gebaͤuden nur gar zu ofte Beyſpiele hier-
von. Es giebt zu viel Baumeiſter, die Wandſaͤu-
len anbringen, welche halb, oder noch weiter, aus
der Mauer heraustreten, da das Gebaͤlke uͤber die
Saͤulen ſo angelegt iſt, daß der Unterbalken uͤber
die Mauer gar nicht auslaͤuft. Weil auf dieſe
Weiſe die Saͤulen gar nichts zu tragen haͤtten, ſo
kroͤpfen ſie das ganze Gebaͤlke uͤber den Saͤulen,
und begehen dadurch einen der ungereimteſten Fehler,
die man in der Bankunſt begehen kann. Denn
was iſt ungereimteres, als Saͤulen anzubringen,
die nichts tragen? oder das, was ſeiner Natur nach
gerade geſtrekt ſeyn ſollte, wie ein Balken, zu kroͤ-
pfen? nur damit es ſcheine, daß die unnuͤtzen Saͤu-
len etwas zu tragen haben. Die alten Baumeiſter
aus der guten Zeit, waren weit entfernt, ſolche
Ungereimtheiten zu begehen. Man trift keine Kroͤ-
pfungen bey ihnen an. Aber die roͤmiſchen Baumei-
ſter unter den Kayſern haben ſie ſchon eingefuͤhrt,
wie an den Triumphbogen einiger Kayſer zu ſehen iſt,
und von dieſen ſchlechten Muſtern ſind die Verkroͤpfun-
gen in der neuen Baukunſt beybehalten worden.
Sie ſind nicht nur, wie ſchon angemerkt worden,
voͤllig ungereimt und den weſentlichſten Regeln ent-
gegen, ſondern geben auch den Gebaͤuden ein ſehr
uͤberladenes gothiſches, oder vielmehr arabiſches
Anſehen; weil das Aug nicht gerade uͤber ein Ge-
baͤlke weglaufen kann, ſondern alle Augenblike an
Eken anſtoͤßt.
Das große Portal an dem Koͤnigl. Schloß in
Berlin, das eine Nachahmung des Triumphbogens
des Kayſers Sept. Severus iſt, und noch mehr die
ſonſt praͤchtige Faſſade gegen den zweyten Hof, wo
die Haupttreppe des Schloſſes iſt, ſind durch Ver-
kroͤpfungen gaͤnzlich verdorben. Es laͤßt ſich nicht
begreifen, wie es kommt, daß man dieſe Wuͤrkung
eines verdorbenen Geſchmaks nicht ſchon laͤngſt ge-
hemmt hat.
Kuͤhn.
(Schoͤne Kuͤnſte.)
Die Kuͤhnheit iſt nur vorzuͤglich ſtarken Seelen
eigen, die aus Gefuͤhl ihrer Staͤrke Dinge unter-
nehmen, die andre nicht wuͤrden gewagt haben.
Deswegen iſt unter allen Aeuſſerungen der Seelen-
kraͤfte nichts, das unſre Hochachtung ſo ſtark an
ſich zieht, als das Schoͤne und Gute, das mit
Kuͤhnheit verbunden iſt. Selbſt alsdenn, wenn
ein kuͤhner Geiſt in ſeinem Unternehmen zuviel
Hinternis angetroffen hat, verſagen wir ihm unſre
Hochachtung nicht, wenn wir nur ſehen, daß er
ſeine Kraͤfte ganz gebraucht hat. Der Werth des
Menſchen muß unſtreitig nur aus der Groͤße und
Staͤrke ſeiner Seelenkraͤfte geſchaͤtzt werden. Die-
ſes fuͤhlen wir ſo uͤberzeugend, daß wir uns ofte
nicht enthalten koͤnnen, in verwerflichen Handlun-
gen, die mit Kuͤhnheit unternommen worden ſind,
noch etwas zu finden, das wir hochachten; naͤm-
lich die Kuͤhnheit ſelbſt, in ſo fern ſie eine Wuͤr-
kung des innern Gefuͤhls ſeiner Kraft iſt.
Darum gehoͤret das Kuͤhne unter die groͤßten
aͤſthetiſchen Schoͤnheiten, weil es Bewundrung und
Hochachtung erwekt: zugleich aber hat es noch den
hoͤchſtſchaͤtzbaren Vorzug, daß es auf die Staͤrkung
und Erweiterung unſrer innern Kraͤfte abziehlt.
Wie man unter Furchtſamen Gefahr laͤuft furcht-
ſam zu werden; ſo wird man unter kuͤhnen Men-
ſchen auch ſtark. Wenn ein Kuͤnſtler von hohem
Geiſt und großen Herzen einen Stoff bearbeitet,
ſo wird man in Gedanken und Geſinnungen eine
Kuͤhnheit bemerken, die uns gegen die Hoͤhe heran-
zieht, auf der wir den Kuͤnſtler ſehen.
Dieſe Kuͤhnheit aͤuſſert ſich ſowol in der Beur-
theilung, als in den Empfindungen. Menſchen
von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 608. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/43>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.