Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch]

Rhy
der diese Schläge als bloße Töne betrachtet, und
sie als etwas der Sprach ähnliches beurtheilet, hat
sie schon etwas bedeutendes. Denn so bald man
sich dabey vorstellt, man höre einen Menschen in
einer unbekannten Sprache reden, so erwekt diese
Folge in gleiche Glieder eingetheilter Töne, den
Begriff eines Menschen, den ein einziger Gegen-
stand in einer bestimmten Empfindung oder Würk-
samkeit unterhält; und von der Art dieser Empfin-
dung mögen wir bemerken, ob sie lebhaft, oder sanft
und ruhig, sey. Man wird so gar finden, daß
es möglich sey, blos durch diese allereinfacheste
rhythmische, den Worten nach völlig unverständli-
che Sprache, verschiedene Gemüthslagen auszudrü-
ken. Dieses läßt sich leicht empfinden, ob es gleich
mit wenig Worten nicht zu beschreiben ist. Wer
die Materie ausführlich behandeln wollte, dürfte
nur nach verschiedenen Taktarten und Bewegungen
eine Folge solcher Schmiederhythmen aufsezen, und
sie durch Höhe und Tiefe, durch piano und forte
unterscheiden, als z. B.

[Abbildung]

so würde ihm gar nicht schweer fallen, verschiedene
Folgen dieser Art zu machen, deren jede einen ziem-
lich genau bestimmten Charakter hätte. Und dar-
aus würde man anfangen zu begreifen, wie blos
unbedeutende Töne, schon durch die einfacheste rhyth-
mische Eintheilung bestimmte, obgleich nur noch
allgemeine Bedeutungen bekommen können.

2. Geht man nun einen Schritt weiter, und
sezet aus diesen einfachen Gliedern oder Takten grös-
sere zusammen, so, daß jedes größere Glied aus
zwey, aus drey, oder aus vier Takten besteht, so
bekommt man durch diese neue rhythmische Einthei-
lung ein Mittel mehr, dieser an sich unverständli-
chen Sprach, verständliche Bedeutung zu geben.
Dadurch kann man diese Sprache in längere, oder
kürzere Säze eintheilen, und aus mehr, oder we-
niger Sazen bestimmt abgesezte Perioden machen.

[Spaltenumbruch]
Rhy

3. Um diese Sprache noch verständlicher zu ma-
chen, kann man mit den einzeln, aus zwey, drey,
oder vier Takten bestehenden Säzen, ungemein viel
Veränderungen vornehmen, deren jede etwas an-
deres bedeutet. So kann man, um nur etwas be-
sonderes zum Beyspiehl anzuführen, sehr leicht
durch dergleichen Veränderungen andeuten, ob die
Empfindung ruhig, oder unruhig, ob sie in glei-
cher Art anhaltend, oder veränderlich; ob sie star-
ken oder geringen Veränderungen unterworfen sey,
ob sie im Fortgang stärker, oder schwächer werde.

Um dieses alles zu empfinden, dürfte man nur
verschiedene dergleichen rhythmische Veränderungen
mit ein und eben derselben Reyhe Töne vornehmen.
Man stelle sich aus fast unzähligen nur folgende vor:
[Abbildung] und gebe genau auf die bey jeder Art veränderte
Empfindung Achtung; so wird man gar leicht be-
greifen, wie das Gefühl ruhiger, oder unruhiger,
allmählig zu- oder abnehmender, eine Zeitlang an-
haltender, und denn sich plözlich abändernder, und
noch auf mehrere Arten abgewechselter Empfindungen,
dadurch zu erweken sey.

Jch will nicht weiter gehen; denn dieses Wenige
ist völlig hinlänglich zu begreifen, wie vermittelst
Bewegung und Rhythmus allein, der Gesang zu ei-
ner ziemlich verständlichen Sprache der Leidenschaf-
ten werden könne. Aber sehr zu wünschen wär es,
daß sich ein Meister der Kunst die Mühe gäbe, die
verschiedenen Arten des Rhythmus deutlich ausein-
ander zu sezen, den Charakter jeder Art zu bestim-
men, und denn zu zeigen, was man, sowol durch
einzele Arten, als durch Abwechslung und Vermi-
schung mehrer Arten, auszudruken im Stande sey.

Dadurch würde der Grund zu einer wahren
Theorie der rhythmischen Behandlung eines Ton-
stüks gelegt werden, die von der größten Wichtigkeit
ist, und zur Kunst des Sazes noch gänzlich fehlet.
Denn bis izt verläßt sich jeder Tonsezer auf sein
Gefühl.

Nun
F f f f f f 3

[Spaltenumbruch]

Rhy
der dieſe Schlaͤge als bloße Toͤne betrachtet, und
ſie als etwas der Sprach aͤhnliches beurtheilet, hat
ſie ſchon etwas bedeutendes. Denn ſo bald man
ſich dabey vorſtellt, man hoͤre einen Menſchen in
einer unbekannten Sprache reden, ſo erwekt dieſe
Folge in gleiche Glieder eingetheilter Toͤne, den
Begriff eines Menſchen, den ein einziger Gegen-
ſtand in einer beſtimmten Empfindung oder Wuͤrk-
ſamkeit unterhaͤlt; und von der Art dieſer Empfin-
dung moͤgen wir bemerken, ob ſie lebhaft, oder ſanft
und ruhig, ſey. Man wird ſo gar finden, daß
es moͤglich ſey, blos durch dieſe allereinfacheſte
rhythmiſche, den Worten nach voͤllig unverſtaͤndli-
che Sprache, verſchiedene Gemuͤthslagen auszudruͤ-
ken. Dieſes laͤßt ſich leicht empfinden, ob es gleich
mit wenig Worten nicht zu beſchreiben iſt. Wer
die Materie ausfuͤhrlich behandeln wollte, duͤrfte
nur nach verſchiedenen Taktarten und Bewegungen
eine Folge ſolcher Schmiederhythmen aufſezen, und
ſie durch Hoͤhe und Tiefe, durch piano und forte
unterſcheiden, als z. B.

[Abbildung]

ſo wuͤrde ihm gar nicht ſchweer fallen, verſchiedene
Folgen dieſer Art zu machen, deren jede einen ziem-
lich genau beſtimmten Charakter haͤtte. Und dar-
aus wuͤrde man anfangen zu begreifen, wie blos
unbedeutende Toͤne, ſchon durch die einfacheſte rhyth-
miſche Eintheilung beſtimmte, obgleich nur noch
allgemeine Bedeutungen bekommen koͤnnen.

2. Geht man nun einen Schritt weiter, und
ſezet aus dieſen einfachen Gliedern oder Takten groͤſ-
ſere zuſammen, ſo, daß jedes groͤßere Glied aus
zwey, aus drey, oder aus vier Takten beſteht, ſo
bekommt man durch dieſe neue rhythmiſche Einthei-
lung ein Mittel mehr, dieſer an ſich unverſtaͤndli-
chen Sprach, verſtaͤndliche Bedeutung zu geben.
Dadurch kann man dieſe Sprache in laͤngere, oder
kuͤrzere Saͤze eintheilen, und aus mehr, oder we-
niger Sazen beſtimmt abgeſezte Perioden machen.

[Spaltenumbruch]
Rhy

3. Um dieſe Sprache noch verſtaͤndlicher zu ma-
chen, kann man mit den einzeln, aus zwey, drey,
oder vier Takten beſtehenden Saͤzen, ungemein viel
Veraͤnderungen vornehmen, deren jede etwas an-
deres bedeutet. So kann man, um nur etwas be-
ſonderes zum Beyſpiehl anzufuͤhren, ſehr leicht
durch dergleichen Veraͤnderungen andeuten, ob die
Empfindung ruhig, oder unruhig, ob ſie in glei-
cher Art anhaltend, oder veraͤnderlich; ob ſie ſtar-
ken oder geringen Veraͤnderungen unterworfen ſey,
ob ſie im Fortgang ſtaͤrker, oder ſchwaͤcher werde.

Um dieſes alles zu empfinden, duͤrfte man nur
verſchiedene dergleichen rhythmiſche Veraͤnderungen
mit ein und eben derſelben Reyhe Toͤne vornehmen.
Man ſtelle ſich aus faſt unzaͤhligen nur folgende vor:
[Abbildung] und gebe genau auf die bey jeder Art veraͤnderte
Empfindung Achtung; ſo wird man gar leicht be-
greifen, wie das Gefuͤhl ruhiger, oder unruhiger,
allmaͤhlig zu- oder abnehmender, eine Zeitlang an-
haltender, und denn ſich ploͤzlich abaͤndernder, und
noch auf mehrere Arten abgewechſelter Empfindungen,
dadurch zu erweken ſey.

Jch will nicht weiter gehen; denn dieſes Wenige
iſt voͤllig hinlaͤnglich zu begreifen, wie vermittelſt
Bewegung und Rhythmus allein, der Geſang zu ei-
ner ziemlich verſtaͤndlichen Sprache der Leidenſchaf-
ten werden koͤnne. Aber ſehr zu wuͤnſchen waͤr es,
daß ſich ein Meiſter der Kunſt die Muͤhe gaͤbe, die
verſchiedenen Arten des Rhythmus deutlich ausein-
ander zu ſezen, den Charakter jeder Art zu beſtim-
men, und denn zu zeigen, was man, ſowol durch
einzele Arten, als durch Abwechslung und Vermi-
ſchung mehrer Arten, auszudruken im Stande ſey.

Dadurch wuͤrde der Grund zu einer wahren
Theorie der rhythmiſchen Behandlung eines Ton-
ſtuͤks gelegt werden, die von der groͤßten Wichtigkeit
iſt, und zur Kunſt des Sazes noch gaͤnzlich fehlet.
Denn bis izt verlaͤßt ſich jeder Tonſezer auf ſein
Gefuͤhl.

Nun
F f f f f f 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0412" n="983[965]"/><cb/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Rhy</hi></fw><lb/>
der die&#x017F;e Schla&#x0364;ge als bloße To&#x0364;ne betrachtet, und<lb/>
&#x017F;ie als etwas der Sprach a&#x0364;hnliches beurtheilet, hat<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;chon etwas bedeutendes. Denn &#x017F;o bald man<lb/>
&#x017F;ich dabey vor&#x017F;tellt, man ho&#x0364;re einen Men&#x017F;chen in<lb/>
einer unbekannten Sprache reden, &#x017F;o erwekt die&#x017F;e<lb/>
Folge in gleiche Glieder eingetheilter To&#x0364;ne, den<lb/>
Begriff eines Men&#x017F;chen, den ein einziger Gegen-<lb/>
&#x017F;tand in einer be&#x017F;timmten Empfindung oder Wu&#x0364;rk-<lb/>
&#x017F;amkeit unterha&#x0364;lt; und von der Art die&#x017F;er Empfin-<lb/>
dung mo&#x0364;gen wir bemerken, ob &#x017F;ie lebhaft, oder &#x017F;anft<lb/>
und ruhig, &#x017F;ey. Man wird &#x017F;o gar finden, daß<lb/>
es mo&#x0364;glich &#x017F;ey, blos durch die&#x017F;e allereinfache&#x017F;te<lb/>
rhythmi&#x017F;che, den Worten nach vo&#x0364;llig unver&#x017F;ta&#x0364;ndli-<lb/>
che Sprache, ver&#x017F;chiedene Gemu&#x0364;thslagen auszudru&#x0364;-<lb/>
ken. Die&#x017F;es la&#x0364;ßt &#x017F;ich leicht empfinden, ob es gleich<lb/>
mit wenig Worten nicht zu be&#x017F;chreiben i&#x017F;t. Wer<lb/>
die Materie ausfu&#x0364;hrlich behandeln wollte, du&#x0364;rfte<lb/>
nur nach ver&#x017F;chiedenen Taktarten und Bewegungen<lb/>
eine Folge &#x017F;olcher Schmiederhythmen auf&#x017F;ezen, und<lb/>
&#x017F;ie durch Ho&#x0364;he und Tiefe, durch <hi rendition="#aq">piano</hi> und <hi rendition="#aq">forte</hi><lb/>
unter&#x017F;cheiden, als z. B.</p><lb/>
          <figure/>
          <p>&#x017F;o wu&#x0364;rde ihm gar nicht &#x017F;chweer fallen, ver&#x017F;chiedene<lb/>
Folgen die&#x017F;er Art zu machen, deren jede einen ziem-<lb/>
lich genau be&#x017F;timmten Charakter ha&#x0364;tte. Und dar-<lb/>
aus wu&#x0364;rde man anfangen zu begreifen, wie blos<lb/>
unbedeutende To&#x0364;ne, &#x017F;chon durch die einfache&#x017F;te rhyth-<lb/>
mi&#x017F;che Eintheilung be&#x017F;timmte, obgleich nur noch<lb/>
allgemeine Bedeutungen bekommen ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <p>2. Geht man nun einen Schritt weiter, und<lb/>
&#x017F;ezet aus die&#x017F;en einfachen Gliedern oder Takten gro&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ere zu&#x017F;ammen, &#x017F;o, daß jedes gro&#x0364;ßere Glied aus<lb/>
zwey, aus drey, oder aus vier Takten be&#x017F;teht, &#x017F;o<lb/>
bekommt man durch die&#x017F;e neue rhythmi&#x017F;che Einthei-<lb/>
lung ein Mittel mehr, die&#x017F;er an &#x017F;ich unver&#x017F;ta&#x0364;ndli-<lb/>
chen Sprach, ver&#x017F;ta&#x0364;ndliche Bedeutung zu geben.<lb/>
Dadurch kann man die&#x017F;e Sprache in la&#x0364;ngere, oder<lb/>
ku&#x0364;rzere Sa&#x0364;ze eintheilen, und aus mehr, oder we-<lb/>
niger Sazen be&#x017F;timmt abge&#x017F;ezte Perioden machen.</p><lb/>
          <cb/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Rhy</hi> </fw><lb/>
          <p>3. Um die&#x017F;e Sprache noch ver&#x017F;ta&#x0364;ndlicher zu ma-<lb/>
chen, kann man mit den einzeln, aus zwey, drey,<lb/>
oder vier Takten be&#x017F;tehenden Sa&#x0364;zen, ungemein viel<lb/>
Vera&#x0364;nderungen vornehmen, deren jede etwas an-<lb/>
deres bedeutet. So kann man, um nur etwas be-<lb/>
&#x017F;onderes zum Bey&#x017F;piehl anzufu&#x0364;hren, &#x017F;ehr leicht<lb/>
durch dergleichen Vera&#x0364;nderungen andeuten, ob die<lb/>
Empfindung ruhig, oder unruhig, ob &#x017F;ie in glei-<lb/>
cher Art anhaltend, oder vera&#x0364;nderlich; ob &#x017F;ie &#x017F;tar-<lb/>
ken oder geringen Vera&#x0364;nderungen unterworfen &#x017F;ey,<lb/>
ob &#x017F;ie im Fortgang &#x017F;ta&#x0364;rker, oder &#x017F;chwa&#x0364;cher werde.</p><lb/>
          <p>Um die&#x017F;es alles zu empfinden, du&#x0364;rfte man nur<lb/>
ver&#x017F;chiedene dergleichen rhythmi&#x017F;che Vera&#x0364;nderungen<lb/>
mit ein und eben der&#x017F;elben Reyhe To&#x0364;ne vornehmen.<lb/>
Man &#x017F;telle &#x017F;ich aus fa&#x017F;t unza&#x0364;hligen nur folgende vor:<lb/><figure/> und gebe genau auf die bey jeder Art vera&#x0364;nderte<lb/>
Empfindung Achtung; &#x017F;o wird man gar leicht be-<lb/>
greifen, wie das Gefu&#x0364;hl ruhiger, oder unruhiger,<lb/>
allma&#x0364;hlig zu- oder abnehmender, eine Zeitlang an-<lb/>
haltender, und denn &#x017F;ich plo&#x0364;zlich aba&#x0364;ndernder, und<lb/>
noch auf mehrere Arten abgewech&#x017F;elter Empfindungen,<lb/>
dadurch zu erweken &#x017F;ey.</p><lb/>
          <p>Jch will nicht weiter gehen; denn die&#x017F;es Wenige<lb/>
i&#x017F;t vo&#x0364;llig hinla&#x0364;nglich zu begreifen, wie vermittel&#x017F;t<lb/>
Bewegung und Rhythmus allein, der Ge&#x017F;ang zu ei-<lb/>
ner ziemlich ver&#x017F;ta&#x0364;ndlichen Sprache der Leiden&#x017F;chaf-<lb/>
ten werden ko&#x0364;nne. Aber &#x017F;ehr zu wu&#x0364;n&#x017F;chen wa&#x0364;r es,<lb/>
daß &#x017F;ich ein Mei&#x017F;ter der Kun&#x017F;t die Mu&#x0364;he ga&#x0364;be, die<lb/>
ver&#x017F;chiedenen Arten des Rhythmus deutlich ausein-<lb/>
ander zu &#x017F;ezen, den Charakter jeder Art zu be&#x017F;tim-<lb/>
men, und denn zu zeigen, was man, &#x017F;owol durch<lb/>
einzele Arten, als durch Abwechslung und Vermi-<lb/>
&#x017F;chung mehrer Arten, auszudruken im Stande &#x017F;ey.</p><lb/>
          <p>Dadurch wu&#x0364;rde der Grund zu einer wahren<lb/>
Theorie der rhythmi&#x017F;chen Behandlung eines Ton-<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;ks gelegt werden, die von der gro&#x0364;ßten Wichtigkeit<lb/>
i&#x017F;t, und zur Kun&#x017F;t des Sazes noch ga&#x0364;nzlich fehlet.<lb/>
Denn bis izt verla&#x0364;ßt &#x017F;ich jeder Ton&#x017F;ezer auf &#x017F;ein<lb/>
Gefu&#x0364;hl.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">F f f f f f 3</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Nun</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[983[965]/0412] Rhy Rhy der dieſe Schlaͤge als bloße Toͤne betrachtet, und ſie als etwas der Sprach aͤhnliches beurtheilet, hat ſie ſchon etwas bedeutendes. Denn ſo bald man ſich dabey vorſtellt, man hoͤre einen Menſchen in einer unbekannten Sprache reden, ſo erwekt dieſe Folge in gleiche Glieder eingetheilter Toͤne, den Begriff eines Menſchen, den ein einziger Gegen- ſtand in einer beſtimmten Empfindung oder Wuͤrk- ſamkeit unterhaͤlt; und von der Art dieſer Empfin- dung moͤgen wir bemerken, ob ſie lebhaft, oder ſanft und ruhig, ſey. Man wird ſo gar finden, daß es moͤglich ſey, blos durch dieſe allereinfacheſte rhythmiſche, den Worten nach voͤllig unverſtaͤndli- che Sprache, verſchiedene Gemuͤthslagen auszudruͤ- ken. Dieſes laͤßt ſich leicht empfinden, ob es gleich mit wenig Worten nicht zu beſchreiben iſt. Wer die Materie ausfuͤhrlich behandeln wollte, duͤrfte nur nach verſchiedenen Taktarten und Bewegungen eine Folge ſolcher Schmiederhythmen aufſezen, und ſie durch Hoͤhe und Tiefe, durch piano und forte unterſcheiden, als z. B. [Abbildung] ſo wuͤrde ihm gar nicht ſchweer fallen, verſchiedene Folgen dieſer Art zu machen, deren jede einen ziem- lich genau beſtimmten Charakter haͤtte. Und dar- aus wuͤrde man anfangen zu begreifen, wie blos unbedeutende Toͤne, ſchon durch die einfacheſte rhyth- miſche Eintheilung beſtimmte, obgleich nur noch allgemeine Bedeutungen bekommen koͤnnen. 2. Geht man nun einen Schritt weiter, und ſezet aus dieſen einfachen Gliedern oder Takten groͤſ- ſere zuſammen, ſo, daß jedes groͤßere Glied aus zwey, aus drey, oder aus vier Takten beſteht, ſo bekommt man durch dieſe neue rhythmiſche Einthei- lung ein Mittel mehr, dieſer an ſich unverſtaͤndli- chen Sprach, verſtaͤndliche Bedeutung zu geben. Dadurch kann man dieſe Sprache in laͤngere, oder kuͤrzere Saͤze eintheilen, und aus mehr, oder we- niger Sazen beſtimmt abgeſezte Perioden machen. 3. Um dieſe Sprache noch verſtaͤndlicher zu ma- chen, kann man mit den einzeln, aus zwey, drey, oder vier Takten beſtehenden Saͤzen, ungemein viel Veraͤnderungen vornehmen, deren jede etwas an- deres bedeutet. So kann man, um nur etwas be- ſonderes zum Beyſpiehl anzufuͤhren, ſehr leicht durch dergleichen Veraͤnderungen andeuten, ob die Empfindung ruhig, oder unruhig, ob ſie in glei- cher Art anhaltend, oder veraͤnderlich; ob ſie ſtar- ken oder geringen Veraͤnderungen unterworfen ſey, ob ſie im Fortgang ſtaͤrker, oder ſchwaͤcher werde. Um dieſes alles zu empfinden, duͤrfte man nur verſchiedene dergleichen rhythmiſche Veraͤnderungen mit ein und eben derſelben Reyhe Toͤne vornehmen. Man ſtelle ſich aus faſt unzaͤhligen nur folgende vor: [Abbildung] und gebe genau auf die bey jeder Art veraͤnderte Empfindung Achtung; ſo wird man gar leicht be- greifen, wie das Gefuͤhl ruhiger, oder unruhiger, allmaͤhlig zu- oder abnehmender, eine Zeitlang an- haltender, und denn ſich ploͤzlich abaͤndernder, und noch auf mehrere Arten abgewechſelter Empfindungen, dadurch zu erweken ſey. Jch will nicht weiter gehen; denn dieſes Wenige iſt voͤllig hinlaͤnglich zu begreifen, wie vermittelſt Bewegung und Rhythmus allein, der Geſang zu ei- ner ziemlich verſtaͤndlichen Sprache der Leidenſchaf- ten werden koͤnne. Aber ſehr zu wuͤnſchen waͤr es, daß ſich ein Meiſter der Kunſt die Muͤhe gaͤbe, die verſchiedenen Arten des Rhythmus deutlich ausein- ander zu ſezen, den Charakter jeder Art zu beſtim- men, und denn zu zeigen, was man, ſowol durch einzele Arten, als durch Abwechslung und Vermi- ſchung mehrer Arten, auszudruken im Stande ſey. Dadurch wuͤrde der Grund zu einer wahren Theorie der rhythmiſchen Behandlung eines Ton- ſtuͤks gelegt werden, die von der groͤßten Wichtigkeit iſt, und zur Kunſt des Sazes noch gaͤnzlich fehlet. Denn bis izt verlaͤßt ſich jeder Tonſezer auf ſein Gefuͤhl. Nun F f f f f f 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/412
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 983[965]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/412>, abgerufen am 19.05.2024.