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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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und daß überhaupt die Glieder kurz sind, oder aus
wenigen Schlägen bestehen. Also hat er nicht ein-
mal nöthig mit Worten zu zählen, sein Gefühl em-
pfindet dieses Zählen auch ohne Worte. Kommt
nun der Zeitpunkt seines Schlages, so fällt er mit
Lust ein, weil er an dieser Ordnung ein Wolgefal-
len hat. Die beständige Aufmerksamkeit auf das
Zählen aber, so geringe sie auch scheinet, hindert
ihn auf das Ermüdende der Arbeit Achtung zu ge-
den. Es ist damit wie mit jeder andern ermüden-
den Verrichtung, die man ohne merkliche Aufmerk-
samkeit thun kann. Die Beschwerlichkeit des Ge-
hens, wird dem Wanderer dadurch erleichtert, daß
er unauf hörlich andre Gegenstände sieht, oder daß
durch ein Gespräch mit seinen Gefehrten, das Auf-
merken auf die Anstrengung der Kräfte verdun-
kelt wird.

Hat nun der Rhythmus außer seiner richtigen
Abmessung der Zeit noch etwas charakteristisches, ist
er fröhlich, zärtlich, ernsthaft; so wird auch auf
jede periodische Wiederkunft desselben Gliedes, der
Eindruk derselben Empfindung wiederholt. Dies
ist nach einem vorher gebrauchten Bilde, immer ein
neuer Schlag, den der Knabe seinem Kreisel giebt.
Dadurch wird dieselbe Empfindung der Fröhlichkeit,
der Zärtlichkeit, des Ernstes u. d. gl. fortdaurend
unterhalten, und durch die Einförmigkeit des Zäh-
lens, das man dabey durch das bloße Gefühl ver-
richtet, wird das Gemüth in dieser Empfindung
gleichsam eingewieget. Daher entstehet das gleich
anhaltende Gefühl, womit man einem Gesang
zuhöret.

Aber dieses ist noch nicht alles. Der Sänger,
Spiehler, oder Tänzer, der durch Bewegung seiner
Gliedmaaßen dem Rhythmus mit hervorbringen
hilft, selbst der Zuhörer, der nur leise mitsingt,
oder stille sitzend mit tanzt, empfindet noch eine auf
jeden Takt, und jeden Einschnitt wiederholte Auf-
munterung. Denn wie in dem vorher erklärten
Beyspiehl der Drescher in beständiger Aufmerksam-
keit ist, seinen Schlag zu rechter Zeit anzugeben,
so wird auch der Spiehler, Tänzer und Zuhörer in
beständiger Aufmerksamkeit erhalten durch genaue
Beobachtung der Accente den Rhythmus merklicher
zu machen. Daher besteht auf jeden Niederschlag
des Taktes, und auf jeden Eintritt eines neuen Ab-
schnittes, ein neues Bestreben den Nachdruk rich-
tig anzugeben. Ehe also der vorhergehende Ein-
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Rhy
druk noch ganz erschöpft ist, kommt schon ein neuer,
und dadurch geschiehet gewissermaaßen ein Aufsum-
men, eine Anhäufung der Empfindung und der
Würksamkeit, wodurch das Gemüth immer mehr
angefeuert und in der Empfindung gestärket wird.
Dieses kann so weit gehen, daß endlich das ganze
System der Nerven in Bewegung kommt, die, wie
jede Bewegung, wo immer neue Stöße hinzukom-
men, ehe die vorigen erschöpft sind, immer schnel-
ler wird; so, daß ein empfindsames Gemüth zulezt
ganz außer sich kommen kann.

Man siehet in der That bisweilen Personen, die
mit mäßiger Lust zu singen, oder zu tanzen anfan-
gen, allmählig aber, besonders wenn die begleiten-
den Jnstrumente den Rhythmus allmählig fühlbarer
machen, immer in stärkeres Feuer kommen, und
nicht aufhören, bis sie, wie ohnmächtig hinsinken;
weil der Körper die Ermüdung nicht länger zu er-
tragen vermögend ist. Es ist nicht möglich alles,
was dabey in dem Gemüthe vorgeht, so genau zu
beschreiben; wer aber gewohnt ist psychologische Er-
scheinungen mit einiger Genauigkeit zu beobachten,
der wird aus dem, was wir hier angemerkt haben,
die Würkung des Rhythmus zur Erleichterung an-
haltender gleichartiger Arbeit, und zur Unterhal-
tung, auch allmähliger Verstärkung der Empfin-
dungen völlig begreifen.

Endlich läßt sich aus allen diesen Betrachtungen
über den Rhythmus einsehen, wie vermittelst des-
selben eine Reyhe an sich unbedeutender Töne die
Art einer sittlichen oder leidenschaftlichen Rede an-
nehmen könne. Dieser Punkt verdiente allein um-
ständlich ausgeführet zu werden, weil dadurch das
wahre Wesen, die innerste Natur der Musik deutlich
würde an den Tag gelegt werden. Aber dieses er-
foderte eine weitläuftige Abhandlung, zu der wir
einen der Sachen kundigen Mann aufzumuntern
wünschten, weil alle, die bisher von der Musik ge-
schrieben haben, diesen, das ganze Wesen der Kunst
aufdekenden Punkt, fast gänzlich mit Stillschwei-
gen übergehen. Wir müssen uns begnügen, die
Sache durch wenige fundamental Anmerkungen
blos anzudeuten.

1. Eine Reyhe Töne, in blos durchaus gleich
lange und gleichartige Takte eingetheilet, wie das
Dröschen, oder das Hämmern der Schmiede, hat
schon die Kraft, daß sie die Arbeit des Dröschens
und Schmiedens erleichtert; für den Zuhörer aber,

der

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Rhy
und daß uͤberhaupt die Glieder kurz ſind, oder aus
wenigen Schlaͤgen beſtehen. Alſo hat er nicht ein-
mal noͤthig mit Worten zu zaͤhlen, ſein Gefuͤhl em-
pfindet dieſes Zaͤhlen auch ohne Worte. Kommt
nun der Zeitpunkt ſeines Schlages, ſo faͤllt er mit
Luſt ein, weil er an dieſer Ordnung ein Wolgefal-
len hat. Die beſtaͤndige Aufmerkſamkeit auf das
Zaͤhlen aber, ſo geringe ſie auch ſcheinet, hindert
ihn auf das Ermuͤdende der Arbeit Achtung zu ge-
den. Es iſt damit wie mit jeder andern ermuͤden-
den Verrichtung, die man ohne merkliche Aufmerk-
ſamkeit thun kann. Die Beſchwerlichkeit des Ge-
hens, wird dem Wanderer dadurch erleichtert, daß
er unauf hoͤrlich andre Gegenſtaͤnde ſieht, oder daß
durch ein Geſpraͤch mit ſeinen Gefehrten, das Auf-
merken auf die Anſtrengung der Kraͤfte verdun-
kelt wird.

Hat nun der Rhythmus außer ſeiner richtigen
Abmeſſung der Zeit noch etwas charakteriſtiſches, iſt
er froͤhlich, zaͤrtlich, ernſthaft; ſo wird auch auf
jede periodiſche Wiederkunft deſſelben Gliedes, der
Eindruk derſelben Empfindung wiederholt. Dies
iſt nach einem vorher gebrauchten Bilde, immer ein
neuer Schlag, den der Knabe ſeinem Kreiſel giebt.
Dadurch wird dieſelbe Empfindung der Froͤhlichkeit,
der Zaͤrtlichkeit, des Ernſtes u. d. gl. fortdaurend
unterhalten, und durch die Einfoͤrmigkeit des Zaͤh-
lens, das man dabey durch das bloße Gefuͤhl ver-
richtet, wird das Gemuͤth in dieſer Empfindung
gleichſam eingewieget. Daher entſtehet das gleich
anhaltende Gefuͤhl, womit man einem Geſang
zuhoͤret.

Aber dieſes iſt noch nicht alles. Der Saͤnger,
Spiehler, oder Taͤnzer, der durch Bewegung ſeiner
Gliedmaaßen dem Rhythmus mit hervorbringen
hilft, ſelbſt der Zuhoͤrer, der nur leiſe mitſingt,
oder ſtille ſitzend mit tanzt, empfindet noch eine auf
jeden Takt, und jeden Einſchnitt wiederholte Auf-
munterung. Denn wie in dem vorher erklaͤrten
Beyſpiehl der Dreſcher in beſtaͤndiger Aufmerkſam-
keit iſt, ſeinen Schlag zu rechter Zeit anzugeben,
ſo wird auch der Spiehler, Taͤnzer und Zuhoͤrer in
beſtaͤndiger Aufmerkſamkeit erhalten durch genaue
Beobachtung der Accente den Rhythmus merklicher
zu machen. Daher beſteht auf jeden Niederſchlag
des Taktes, und auf jeden Eintritt eines neuen Ab-
ſchnittes, ein neues Beſtreben den Nachdruk rich-
tig anzugeben. Ehe alſo der vorhergehende Ein-
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Rhy
druk noch ganz erſchoͤpft iſt, kommt ſchon ein neuer,
und dadurch geſchiehet gewiſſermaaßen ein Aufſum-
men, eine Anhaͤufung der Empfindung und der
Wuͤrkſamkeit, wodurch das Gemuͤth immer mehr
angefeuert und in der Empfindung geſtaͤrket wird.
Dieſes kann ſo weit gehen, daß endlich das ganze
Syſtem der Nerven in Bewegung kommt, die, wie
jede Bewegung, wo immer neue Stoͤße hinzukom-
men, ehe die vorigen erſchoͤpft ſind, immer ſchnel-
ler wird; ſo, daß ein empfindſames Gemuͤth zulezt
ganz außer ſich kommen kann.

Man ſiehet in der That bisweilen Perſonen, die
mit maͤßiger Luſt zu ſingen, oder zu tanzen anfan-
gen, allmaͤhlig aber, beſonders wenn die begleiten-
den Jnſtrumente den Rhythmus allmaͤhlig fuͤhlbarer
machen, immer in ſtaͤrkeres Feuer kommen, und
nicht aufhoͤren, bis ſie, wie ohnmaͤchtig hinſinken;
weil der Koͤrper die Ermuͤdung nicht laͤnger zu er-
tragen vermoͤgend iſt. Es iſt nicht moͤglich alles,
was dabey in dem Gemuͤthe vorgeht, ſo genau zu
beſchreiben; wer aber gewohnt iſt pſychologiſche Er-
ſcheinungen mit einiger Genauigkeit zu beobachten,
der wird aus dem, was wir hier angemerkt haben,
die Wuͤrkung des Rhythmus zur Erleichterung an-
haltender gleichartiger Arbeit, und zur Unterhal-
tung, auch allmaͤhliger Verſtaͤrkung der Empfin-
dungen voͤllig begreifen.

Endlich laͤßt ſich aus allen dieſen Betrachtungen
uͤber den Rhythmus einſehen, wie vermittelſt deſ-
ſelben eine Reyhe an ſich unbedeutender Toͤne die
Art einer ſittlichen oder leidenſchaftlichen Rede an-
nehmen koͤnne. Dieſer Punkt verdiente allein um-
ſtaͤndlich ausgefuͤhret zu werden, weil dadurch das
wahre Weſen, die innerſte Natur der Muſik deutlich
wuͤrde an den Tag gelegt werden. Aber dieſes er-
foderte eine weitlaͤuftige Abhandlung, zu der wir
einen der Sachen kundigen Mann aufzumuntern
wuͤnſchten, weil alle, die bisher von der Muſik ge-
ſchrieben haben, dieſen, das ganze Weſen der Kunſt
aufdekenden Punkt, faſt gaͤnzlich mit Stillſchwei-
gen uͤbergehen. Wir muͤſſen uns begnuͤgen, die
Sache durch wenige fundamental Anmerkungen
blos anzudeuten.

1. Eine Reyhe Toͤne, in blos durchaus gleich
lange und gleichartige Takte eingetheilet, wie das
Droͤſchen, oder das Haͤmmern der Schmiede, hat
ſchon die Kraft, daß ſie die Arbeit des Droͤſchens
und Schmiedens erleichtert; fuͤr den Zuhoͤrer aber,

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[982[964]/0411] Rhy Rhy und daß uͤberhaupt die Glieder kurz ſind, oder aus wenigen Schlaͤgen beſtehen. Alſo hat er nicht ein- mal noͤthig mit Worten zu zaͤhlen, ſein Gefuͤhl em- pfindet dieſes Zaͤhlen auch ohne Worte. Kommt nun der Zeitpunkt ſeines Schlages, ſo faͤllt er mit Luſt ein, weil er an dieſer Ordnung ein Wolgefal- len hat. Die beſtaͤndige Aufmerkſamkeit auf das Zaͤhlen aber, ſo geringe ſie auch ſcheinet, hindert ihn auf das Ermuͤdende der Arbeit Achtung zu ge- den. Es iſt damit wie mit jeder andern ermuͤden- den Verrichtung, die man ohne merkliche Aufmerk- ſamkeit thun kann. Die Beſchwerlichkeit des Ge- hens, wird dem Wanderer dadurch erleichtert, daß er unauf hoͤrlich andre Gegenſtaͤnde ſieht, oder daß durch ein Geſpraͤch mit ſeinen Gefehrten, das Auf- merken auf die Anſtrengung der Kraͤfte verdun- kelt wird. Hat nun der Rhythmus außer ſeiner richtigen Abmeſſung der Zeit noch etwas charakteriſtiſches, iſt er froͤhlich, zaͤrtlich, ernſthaft; ſo wird auch auf jede periodiſche Wiederkunft deſſelben Gliedes, der Eindruk derſelben Empfindung wiederholt. Dies iſt nach einem vorher gebrauchten Bilde, immer ein neuer Schlag, den der Knabe ſeinem Kreiſel giebt. Dadurch wird dieſelbe Empfindung der Froͤhlichkeit, der Zaͤrtlichkeit, des Ernſtes u. d. gl. fortdaurend unterhalten, und durch die Einfoͤrmigkeit des Zaͤh- lens, das man dabey durch das bloße Gefuͤhl ver- richtet, wird das Gemuͤth in dieſer Empfindung gleichſam eingewieget. Daher entſtehet das gleich anhaltende Gefuͤhl, womit man einem Geſang zuhoͤret. Aber dieſes iſt noch nicht alles. Der Saͤnger, Spiehler, oder Taͤnzer, der durch Bewegung ſeiner Gliedmaaßen dem Rhythmus mit hervorbringen hilft, ſelbſt der Zuhoͤrer, der nur leiſe mitſingt, oder ſtille ſitzend mit tanzt, empfindet noch eine auf jeden Takt, und jeden Einſchnitt wiederholte Auf- munterung. Denn wie in dem vorher erklaͤrten Beyſpiehl der Dreſcher in beſtaͤndiger Aufmerkſam- keit iſt, ſeinen Schlag zu rechter Zeit anzugeben, ſo wird auch der Spiehler, Taͤnzer und Zuhoͤrer in beſtaͤndiger Aufmerkſamkeit erhalten durch genaue Beobachtung der Accente den Rhythmus merklicher zu machen. Daher beſteht auf jeden Niederſchlag des Taktes, und auf jeden Eintritt eines neuen Ab- ſchnittes, ein neues Beſtreben den Nachdruk rich- tig anzugeben. Ehe alſo der vorhergehende Ein- druk noch ganz erſchoͤpft iſt, kommt ſchon ein neuer, und dadurch geſchiehet gewiſſermaaßen ein Aufſum- men, eine Anhaͤufung der Empfindung und der Wuͤrkſamkeit, wodurch das Gemuͤth immer mehr angefeuert und in der Empfindung geſtaͤrket wird. Dieſes kann ſo weit gehen, daß endlich das ganze Syſtem der Nerven in Bewegung kommt, die, wie jede Bewegung, wo immer neue Stoͤße hinzukom- men, ehe die vorigen erſchoͤpft ſind, immer ſchnel- ler wird; ſo, daß ein empfindſames Gemuͤth zulezt ganz außer ſich kommen kann. Man ſiehet in der That bisweilen Perſonen, die mit maͤßiger Luſt zu ſingen, oder zu tanzen anfan- gen, allmaͤhlig aber, beſonders wenn die begleiten- den Jnſtrumente den Rhythmus allmaͤhlig fuͤhlbarer machen, immer in ſtaͤrkeres Feuer kommen, und nicht aufhoͤren, bis ſie, wie ohnmaͤchtig hinſinken; weil der Koͤrper die Ermuͤdung nicht laͤnger zu er- tragen vermoͤgend iſt. Es iſt nicht moͤglich alles, was dabey in dem Gemuͤthe vorgeht, ſo genau zu beſchreiben; wer aber gewohnt iſt pſychologiſche Er- ſcheinungen mit einiger Genauigkeit zu beobachten, der wird aus dem, was wir hier angemerkt haben, die Wuͤrkung des Rhythmus zur Erleichterung an- haltender gleichartiger Arbeit, und zur Unterhal- tung, auch allmaͤhliger Verſtaͤrkung der Empfin- dungen voͤllig begreifen. Endlich laͤßt ſich aus allen dieſen Betrachtungen uͤber den Rhythmus einſehen, wie vermittelſt deſ- ſelben eine Reyhe an ſich unbedeutender Toͤne die Art einer ſittlichen oder leidenſchaftlichen Rede an- nehmen koͤnne. Dieſer Punkt verdiente allein um- ſtaͤndlich ausgefuͤhret zu werden, weil dadurch das wahre Weſen, die innerſte Natur der Muſik deutlich wuͤrde an den Tag gelegt werden. Aber dieſes er- foderte eine weitlaͤuftige Abhandlung, zu der wir einen der Sachen kundigen Mann aufzumuntern wuͤnſchten, weil alle, die bisher von der Muſik ge- ſchrieben haben, dieſen, das ganze Weſen der Kunſt aufdekenden Punkt, faſt gaͤnzlich mit Stillſchwei- gen uͤbergehen. Wir muͤſſen uns begnuͤgen, die Sache durch wenige fundamental Anmerkungen blos anzudeuten. 1. Eine Reyhe Toͤne, in blos durchaus gleich lange und gleichartige Takte eingetheilet, wie das Droͤſchen, oder das Haͤmmern der Schmiede, hat ſchon die Kraft, daß ſie die Arbeit des Droͤſchens und Schmiedens erleichtert; fuͤr den Zuhoͤrer aber, der

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 982[964]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/411>, abgerufen am 28.05.2024.