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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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[Spaltenumbruch]
Pla
Deum metum, parentum Amorem et cognatum con-
cordiam:
Tibi morigera atque ut munifica sim bonis, prosim pro-
bis.
(*)

Sehr fürtreflich und höchst rührend ist die Art, wie,
in dem Perser ein junges Frauenzimmer ihren Va-
ter, einen niederträchtigen Schmaruzer, von einer
schimpflichen Handlung abzubringen sucht.

Quamquam res nostrae sunt, pater, pauperculae,
Modice et modeste melius est vitam vivere:
Nam si ad paupertatem admigrant insamiae.
Gravior paupertas fit, fides sublestior.

Als sie ihm die Schande vorstellte in die er sich stür-
zen würde, er aber diese Vorstellung verachtete: sagt
sie ihm:

Pater, hominum immortalis est infamia,
Etiam tum vivit cum esse credas mortuam.

Und wie kann man nachdrüklicher und mit mehr
Wahrheit von öffentlicher Rechtschaffenheit sprechen,
als unser Verfasser in dieser Stelle thut. Einer
bekommt auf die Frage:

-- ut munitum muro tibi visum est oppidum?

diese Autwort:

Si incolae bene sunt morati, pulchre munitum arbitror.
Persidia et peculatus ex urbe et avaritia si exulant,
Quarta invidia, quinta ambitio, sexta obtrectatio
Septima perjurium -- indiligentia -- injuria --
-- scelus: --
Haec nisi aberunt, centuplex murus rebus servandis pa-
rum est.
(*)

Wir führen dieses blos zur Prob an; denn es wäre
sehr leicht eine große Sammlung von fürtreflichen
Denksprüchen und Lehren aus dem Plautus zusam-
men zu tragen.

Von der Dreistigkeit mit der er die verdorbenen
Sitten seiner Zeit angegriffen hat, kann folgende
Stelle zeugen. Jm Curculio erscheinet zwischen
dem dritten und vierten Aufzug der Choragus, und
sagt den Zuhörern, er wolle mittlerweile, bis die
Personen wieder auftreten, den Zuschauern sagen,
wo jede Art der Bürger, die sie etwa zu spre-
chen hätten, am gewissesten anzutreffen sey. Denn
giebt er folgende Nachricht.

Qui perjurum convenire volt hominem, mitto in Co-
mitium.
Qui mendacem et gloriosum, apud Cloacinae sacrum.
Ditis damnosos maritos sub Basilica quaerito.

[Spaltenumbruch]
Pla
Ibidem erunt scorta exsoleta, quique stipulari sole[s]t.
Symbolarum Collatores apud forum piscarium.
In soro infimo boni homines, atque dites ambulant.
In medio propter canalem, ibi ostentatores meri.
Confidentes, garrulique et malevoli supra lacum
Qui alteri de nihilo andacter dicunt contumeliam,
Et qui ipsi sat habent, quod in se possit vere dicier.
Sub Veteribus, ibi sunt qui dant, quique accipiunt
foenore.
Pone aedem Castoris, ibi sunt, subito quibus credas male.
In Tusco vico, ibi sunt homines, qui ipsi sese vendi-
tant. &c.

Man hat Ursache sich zu wunderen, daß die neueren
comischen Dichter den großen Reichthum jeder Art
der comischen Schönheiten, der im Plautus liegt,
sich so wenig zu Nuze gemacht haben. Jch kenne
außer dem Aristophanes keinen Dichter, der die vim
comicam
nach allen ihren Wendungen so sehr in
seiner Gewalt gehabt, als dieser.

Dabey dürfen wir aber seine Fehler nicht ver-
schweigen. Nicht ohne Unwillen siehet man, daß
er sich bisweilen bis zum Possenreisser erniedriget,
der sich die unanständigsten Dinge erlaubt, und die
Schaubühne, als einen Ort ansieht,

Ubi lepos, joci, risus, vinum ebrietas deceut. (*)

So gar mitten im Ernst, und wo es völlig wieder-
sprechend ist, treibt er bisweilen den Narren. Jch
will nur ein einziges Beyspiehl davon anführen.
Ein junger Mensch sucht ein Mädchen, das er lie-
bet von dem Sclavenhändler, dem sie gehört, kos-
zukaufen. Dieser war mit einigen Sclavinnen,
darunter jenes Mädchen war, zu Schiffe gegan-
gen, hatte Schifbruch erlitten, und das Mädchen
hatte sich gerettet, und sich in einen an der Küste
liegenden Tempel der Venus, als in eine sichere
Freystadt begeben. Hier will der Sclavenhändler
sie mit Gewalt von der Statue der Göttin weg-
reißen. Der Knecht des verliebten Jünglings kömmt
dazu, erstaunet über die Gottlosigkeit des Sclaven-
händlers u. s. w. Er sucht eine seinem Herren so
wichtige Person zu retten, und wendet sich deshalb
an einen nahe am Tempel wohnenden Alten, den
er um Hülf und Beystand anruft. Die Situation
ist hier völlig ernsthaft; besonders aber ist der Alte,
dessen Hülfe hier dem Knecht nöthig war, eine wich-
tige Person, die er nothwendig in sein Jntresse zie-
hen muß. Und nun -- man begreift nicht, wie so
etwas unsinniges dem Plautus hat einfallen kön-

neu --
(*) Am-
phitr.
(*) Persae.
(*) Pseu-
dol. Pro-
log.
U u u u u 2
[Spaltenumbruch]
Pla
Deum metum, parentum Amorem et cognatum con-
cordiam:
Tibi morigera atque ut munifica ſim bonis, proſim pro-
bis.
(*)

Sehr fuͤrtreflich und hoͤchſt ruͤhrend iſt die Art, wie,
in dem Perſer ein junges Frauenzimmer ihren Va-
ter, einen niedertraͤchtigen Schmaruzer, von einer
ſchimpflichen Handlung abzubringen ſucht.

Quamquam res noſtræ ſunt, pater, pauperculæ,
Modice et modeſte melius eſt vitam vivere:
Nam ſi ad paupertatem admigrant inſamiæ.
Gravior paupertas fit, fides ſubleſtior.

Als ſie ihm die Schande vorſtellte in die er ſich ſtuͤr-
zen wuͤrde, er aber dieſe Vorſtellung verachtete: ſagt
ſie ihm:

Pater, hominum immortalis eſt infamia,
Etiam tum vivit cum eſſe credas mortuam.

Und wie kann man nachdruͤklicher und mit mehr
Wahrheit von oͤffentlicher Rechtſchaffenheit ſprechen,
als unſer Verfaſſer in dieſer Stelle thut. Einer
bekommt auf die Frage:

ut munitum muro tibi viſum eſt oppidum?

dieſe Autwort:

Si incolæ bene ſunt morati, pulchre munitum arbitror.
Perſidia et peculatus ex urbe et avaritia ſi exulant,
Quarta invidia, quinta ambitio, ſexta obtrectatio
Septima perjurium — indiligentia — injuria —
— ſcelus: —
Hæc niſi aberunt, centuplex murus rebus ſervandis pa-
rum eſt.
(*)

Wir fuͤhren dieſes blos zur Prob an; denn es waͤre
ſehr leicht eine große Sammlung von fuͤrtreflichen
Denkſpruͤchen und Lehren aus dem Plautus zuſam-
men zu tragen.

Von der Dreiſtigkeit mit der er die verdorbenen
Sitten ſeiner Zeit angegriffen hat, kann folgende
Stelle zeugen. Jm Curculio erſcheinet zwiſchen
dem dritten und vierten Aufzug der Choragus, und
ſagt den Zuhoͤrern, er wolle mittlerweile, bis die
Perſonen wieder auftreten, den Zuſchauern ſagen,
wo jede Art der Buͤrger, die ſie etwa zu ſpre-
chen haͤtten, am gewiſſeſten anzutreffen ſey. Denn
giebt er folgende Nachricht.

Qui perjurum convenire volt hominem, mitto in Co-
mitium.
Qui mendacem et glorioſum, apud Cloacinæ ſacrum.
Ditis damnoſos maritos ſub Baſilica quærito.

[Spaltenumbruch]
Pla
Ibidem erunt ſcorta exſoleta, quique ſtipulari ſole[s]t.
Symbolarum Collatores apud forum piſcarium.
In ſoro infimo boni homines, atque dites ambulant.
In medio propter canalem, ibi oſtentatores meri.
Confidentes, garrulique et malevoli ſupra lacum
Qui alteri de nihilo andacter dicunt contumeliam,
Et qui ipſi ſat habent, quod in ſe poſſit vere dicier.
Sub Veteribus, ibi ſunt qui dant, quique accipiunt
foenore.
Pone ædem Caſtoris, ibi ſunt, ſubito quibus credas male.
In Tuſco vico, ibi ſunt homines, qui ipſi ſeſe vendi-
tant. &c.

Man hat Urſache ſich zu wunderen, daß die neueren
comiſchen Dichter den großen Reichthum jeder Art
der comiſchen Schoͤnheiten, der im Plautus liegt,
ſich ſo wenig zu Nuze gemacht haben. Jch kenne
außer dem Ariſtophanes keinen Dichter, der die vim
comicam
nach allen ihren Wendungen ſo ſehr in
ſeiner Gewalt gehabt, als dieſer.

Dabey duͤrfen wir aber ſeine Fehler nicht ver-
ſchweigen. Nicht ohne Unwillen ſiehet man, daß
er ſich bisweilen bis zum Poſſenreiſſer erniedriget,
der ſich die unanſtaͤndigſten Dinge erlaubt, und die
Schaubuͤhne, als einen Ort anſieht,

Ubi lepos, joci, riſus, vinum ebrietas deceut. (*)

So gar mitten im Ernſt, und wo es voͤllig wieder-
ſprechend iſt, treibt er bisweilen den Narren. Jch
will nur ein einziges Beyſpiehl davon anfuͤhren.
Ein junger Menſch ſucht ein Maͤdchen, das er lie-
bet von dem Sclavenhaͤndler, dem ſie gehoͤrt, kos-
zukaufen. Dieſer war mit einigen Sclavinnen,
darunter jenes Maͤdchen war, zu Schiffe gegan-
gen, hatte Schifbruch erlitten, und das Maͤdchen
hatte ſich gerettet, und ſich in einen an der Kuͤſte
liegenden Tempel der Venus, als in eine ſichere
Freyſtadt begeben. Hier will der Sclavenhaͤndler
ſie mit Gewalt von der Statue der Goͤttin weg-
reißen. Der Knecht des verliebten Juͤnglings koͤmmt
dazu, erſtaunet uͤber die Gottloſigkeit des Sclaven-
haͤndlers u. ſ. w. Er ſucht eine ſeinem Herren ſo
wichtige Perſon zu retten, und wendet ſich deshalb
an einen nahe am Tempel wohnenden Alten, den
er um Huͤlf und Beyſtand anruft. Die Situation
iſt hier voͤllig ernſthaft; beſonders aber iſt der Alte,
deſſen Huͤlfe hier dem Knecht noͤthig war, eine wich-
tige Perſon, die er nothwendig in ſein Jntreſſe zie-
hen muß. Und nun — man begreift nicht, wie ſo
etwas unſinniges dem Plautus hat einfallen koͤn-

neu —
(*) Am-
phitr.
(*) Perſæ.
(*) Pſeu-
dol. Pro-
log.
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[909[891]/0327] Pla Pla Deum metum, parentum Amorem et cognatum con- cordiam: Tibi morigera atque ut munifica ſim bonis, proſim pro- bis. (*) Sehr fuͤrtreflich und hoͤchſt ruͤhrend iſt die Art, wie, in dem Perſer ein junges Frauenzimmer ihren Va- ter, einen niedertraͤchtigen Schmaruzer, von einer ſchimpflichen Handlung abzubringen ſucht. Quamquam res noſtræ ſunt, pater, pauperculæ, Modice et modeſte melius eſt vitam vivere: Nam ſi ad paupertatem admigrant inſamiæ. Gravior paupertas fit, fides ſubleſtior. Als ſie ihm die Schande vorſtellte in die er ſich ſtuͤr- zen wuͤrde, er aber dieſe Vorſtellung verachtete: ſagt ſie ihm: Pater, hominum immortalis eſt infamia, Etiam tum vivit cum eſſe credas mortuam. Und wie kann man nachdruͤklicher und mit mehr Wahrheit von oͤffentlicher Rechtſchaffenheit ſprechen, als unſer Verfaſſer in dieſer Stelle thut. Einer bekommt auf die Frage: — ut munitum muro tibi viſum eſt oppidum? dieſe Autwort: Si incolæ bene ſunt morati, pulchre munitum arbitror. Perſidia et peculatus ex urbe et avaritia ſi exulant, Quarta invidia, quinta ambitio, ſexta obtrectatio Septima perjurium — indiligentia — injuria — — ſcelus: — Hæc niſi aberunt, centuplex murus rebus ſervandis pa- rum eſt. (*) Wir fuͤhren dieſes blos zur Prob an; denn es waͤre ſehr leicht eine große Sammlung von fuͤrtreflichen Denkſpruͤchen und Lehren aus dem Plautus zuſam- men zu tragen. Von der Dreiſtigkeit mit der er die verdorbenen Sitten ſeiner Zeit angegriffen hat, kann folgende Stelle zeugen. Jm Curculio erſcheinet zwiſchen dem dritten und vierten Aufzug der Choragus, und ſagt den Zuhoͤrern, er wolle mittlerweile, bis die Perſonen wieder auftreten, den Zuſchauern ſagen, wo jede Art der Buͤrger, die ſie etwa zu ſpre- chen haͤtten, am gewiſſeſten anzutreffen ſey. Denn giebt er folgende Nachricht. Qui perjurum convenire volt hominem, mitto in Co- mitium. Qui mendacem et glorioſum, apud Cloacinæ ſacrum. Ditis damnoſos maritos ſub Baſilica quærito. Ibidem erunt ſcorta exſoleta, quique ſtipulari ſolest. Symbolarum Collatores apud forum piſcarium. In ſoro infimo boni homines, atque dites ambulant. In medio propter canalem, ibi oſtentatores meri. Confidentes, garrulique et malevoli ſupra lacum Qui alteri de nihilo andacter dicunt contumeliam, Et qui ipſi ſat habent, quod in ſe poſſit vere dicier. Sub Veteribus, ibi ſunt qui dant, quique accipiunt foenore. Pone ædem Caſtoris, ibi ſunt, ſubito quibus credas male. In Tuſco vico, ibi ſunt homines, qui ipſi ſeſe vendi- tant. &c. Man hat Urſache ſich zu wunderen, daß die neueren comiſchen Dichter den großen Reichthum jeder Art der comiſchen Schoͤnheiten, der im Plautus liegt, ſich ſo wenig zu Nuze gemacht haben. Jch kenne außer dem Ariſtophanes keinen Dichter, der die vim comicam nach allen ihren Wendungen ſo ſehr in ſeiner Gewalt gehabt, als dieſer. Dabey duͤrfen wir aber ſeine Fehler nicht ver- ſchweigen. Nicht ohne Unwillen ſiehet man, daß er ſich bisweilen bis zum Poſſenreiſſer erniedriget, der ſich die unanſtaͤndigſten Dinge erlaubt, und die Schaubuͤhne, als einen Ort anſieht, Ubi lepos, joci, riſus, vinum ebrietas deceut. (*) So gar mitten im Ernſt, und wo es voͤllig wieder- ſprechend iſt, treibt er bisweilen den Narren. Jch will nur ein einziges Beyſpiehl davon anfuͤhren. Ein junger Menſch ſucht ein Maͤdchen, das er lie- bet von dem Sclavenhaͤndler, dem ſie gehoͤrt, kos- zukaufen. Dieſer war mit einigen Sclavinnen, darunter jenes Maͤdchen war, zu Schiffe gegan- gen, hatte Schifbruch erlitten, und das Maͤdchen hatte ſich gerettet, und ſich in einen an der Kuͤſte liegenden Tempel der Venus, als in eine ſichere Freyſtadt begeben. Hier will der Sclavenhaͤndler ſie mit Gewalt von der Statue der Goͤttin weg- reißen. Der Knecht des verliebten Juͤnglings koͤmmt dazu, erſtaunet uͤber die Gottloſigkeit des Sclaven- haͤndlers u. ſ. w. Er ſucht eine ſeinem Herren ſo wichtige Perſon zu retten, und wendet ſich deshalb an einen nahe am Tempel wohnenden Alten, den er um Huͤlf und Beyſtand anruft. Die Situation iſt hier voͤllig ernſthaft; beſonders aber iſt der Alte, deſſen Huͤlfe hier dem Knecht noͤthig war, eine wich- tige Perſon, die er nothwendig in ſein Jntreſſe zie- hen muß. Und nun — man begreift nicht, wie ſo etwas unſinniges dem Plautus hat einfallen koͤn- neu — (*) Am- phitr. (*) Perſæ. (*) Pſeu- dol. Pro- log. U u u u u 2

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 909[891]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/327>, abgerufen am 26.11.2024.