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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Sylben gut von einander abstechen, daß die einzelen
Theile eines Worts klar vernommen werden. Es
giebt Wörter, die kein Mensch, der sie zum ersten-
mal höret, nachsprechen, oder schreiben könnte: diese
sind das Gegentheil deutlicher Wörter.

Hat ein Wort die beyden erwähnten Eigenschaf-
ten, so hat es auch schon das Wichtigste in Absicht
auf das leichte Behalten. Doch mag wol noch in
manchen Fällen das leichte Aussprechen noch von
andern Eigenschaften herkommen. Der Buchsta-
ben R hat, als ein Mitlauter den stärksten Klang,
ist auch deutlich, aber doch schweer auszusprechen.
Darum kommt auch viel darauf an, daß ein Wort
nicht allzuschwere Bewegungen der Gliedmaaßen der
Sprach erfordere.

Dieses scheinen also die Grundsätze zu seyn,
nach welchen die Wörter der Sprach zum ästheti-
schen Gebrauch verbessert werden müssen. Wäre
nicht die Bildung der Sprach dem völligen Des-
votismus des Gebrauchs unterworfen; so würde
es wol der Müh werth seyn, eigene Veranstaltun-
gen für die Verbesserung derselben, in Absicht
auf den guten Klang der Wörter zu machen. Sollte
es inzwischen irgend einer deutschen Academie gelin-
gen, Ansehen genug bey der ganzen Nation zu er-
halten; so könnte sie alsdenn durch ein Wörterbuch
hierinn viel Nutzen stiften. Aber der Gebrauch ist
ein schnelleres und kräftigeres Mittel. Wir müs-
sen die Verbesserung des Wolklanges der Sprache
von Schriftstellern erwarten, die allgemeinen Bey-
fall finden.

Hier zeiget sich die Wichtigkeit blos ergözender
und belustigender Werke der Beredsamkeit und Dicht-
kunst; wenn die Verfasser vorzügliches Gefühl für
den Wolklang haben. Sie sind die besten Mittel
den guten Klang der Sprach auszubreiten. So
wenig Achtung sie bisweilen ihres Juhalts wegen
verdienen, so schätzbar müssen sie der Nation we-
gen dieses Nebennutzens seyn. Einem blos ergö-
zenden Schriftsteller liegt ob, mit äusserster Sorg-
falt wolklingend zu schreiben; weil darin sein Haupt-
verdienst besteht. Es ist so gar billig, daß man die
Dichter die ein vorzüglich feines Ohr haben, und
sich dem äusserst mühesamen Geschäft, den höchsten
Wolklang zu suchen, unterziehen, durch Beyfall
ermuntere; weil die Sprache durch sie in einer ihrer
schätzbarsten Eigenschaften gewinnet.

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Kla

Hier ist, glaube ich, auch der Ort anzumerken,
daß blos in Rüksicht auf den Wolklang der Worte,
die Einführung fremder, anstatt einheimischer Wör-
ter, nicht nur erlaubt, sondern verdienstlich sey.
Haben wir für gewisse nicht unwichtige Begriffe
eigenthümliche Wörter von schlechtem Klang, und
ist ihnen gar nicht aufzuhelfen, so sollte man sie,
so oft es angeht, gegen fremde, wolklingende ver-
tanschen, und sie blos der gemeinen Rede überlas-
sen. So möchte ichs, um ein Beyspiel zu geben,
wol leiden, daß das Wort Gerücht für immer ge-
gen Fanne vertauscht würde; und so könnte man
mit viel andern auch noch verfahren. Darin ist
Hr. Ramler allen nach ihm folgenden Dichtern mit
seinem Beyspiel vorgegangen.

Gut würd es auch seyn, wenn die, welche die
nen herauskommenden Schriften des Geschmaks
der Nation ankündigen, besondere Aufmerksamkeit
auf den Wolklang richteten, und allemal das Neue
und Vorzügliche was sie hierüber bemerken, anzeig-
ten. Unsre Sprach ist darin noch großer Verbesse-
rung fähig. Man sollte darum diejenigen, die den
Klang eines Worts durch Weglassung, oder Aen-
drung irgend eines Buchstabens verbessern, nicht
tadeln, noch sie einer Uebertretung der grammati-
schen Regeln beschuldigen, sondern ihnen viel mehr
Dank dafür wissen. Dadurch haben die Jtaliäner
ihre Sprache so wolklingend gemacht, als sonst
keine neuere Sprache ist. Jn Deutschland würde
der eines critischen Verbrechens schuldig erklärt wer-
den, der sich unterstünde mit einem deutschen Worte
eine solche Veränderung vorzunehmen, als die ist,
da der Jtaliäner Fiamma, Fiume, anstatt Flamma,
Flume,
gesetzt hat. Will man aber dergleichen
Dinge nicht erlauben, so kann auch der Klang der
Sprache nicht zu einer gewissen Vollkommenheit
kommen.

Die Dichter, denen unsre Sprach in diesem Stük
am meisten zu Danken hat, sind unstreitig Klopstok
und Ramler. Man hat den letztern sehr ernstlich
getadelt, daß er eigenmächtig in andrer Dichter Ar-
beit viel geändert habe. Es gehört nicht hieher, die
Rechtmäßigkeit dieser Sache zu untersuchen; aber
dieses kann hier gesagt werden, daß ich es für ein
sehr verdienstliches Werk halten würde, wenn Hr.
Ramler gewisse sehr gute Gedichte die nicht wolklin-
gend genug sind, nach seiner Art umarbeiten, und
anstatt schlechter Worte wolklingende nehmen wollte,

wenn

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Kla
Sylben gut von einander abſtechen, daß die einzelen
Theile eines Worts klar vernommen werden. Es
giebt Woͤrter, die kein Menſch, der ſie zum erſten-
mal hoͤret, nachſprechen, oder ſchreiben koͤnnte: dieſe
ſind das Gegentheil deutlicher Woͤrter.

Hat ein Wort die beyden erwaͤhnten Eigenſchaf-
ten, ſo hat es auch ſchon das Wichtigſte in Abſicht
auf das leichte Behalten. Doch mag wol noch in
manchen Faͤllen das leichte Ausſprechen noch von
andern Eigenſchaften herkommen. Der Buchſta-
ben R hat, als ein Mitlauter den ſtaͤrkſten Klang,
iſt auch deutlich, aber doch ſchweer auszuſprechen.
Darum kommt auch viel darauf an, daß ein Wort
nicht allzuſchwere Bewegungen der Gliedmaaßen der
Sprach erfordere.

Dieſes ſcheinen alſo die Grundſaͤtze zu ſeyn,
nach welchen die Woͤrter der Sprach zum aͤſtheti-
ſchen Gebrauch verbeſſert werden muͤſſen. Waͤre
nicht die Bildung der Sprach dem voͤlligen Des-
votismus des Gebrauchs unterworfen; ſo wuͤrde
es wol der Muͤh werth ſeyn, eigene Veranſtaltun-
gen fuͤr die Verbeſſerung derſelben, in Abſicht
auf den guten Klang der Woͤrter zu machen. Sollte
es inzwiſchen irgend einer deutſchen Academie gelin-
gen, Anſehen genug bey der ganzen Nation zu er-
halten; ſo koͤnnte ſie alsdenn durch ein Woͤrterbuch
hierinn viel Nutzen ſtiften. Aber der Gebrauch iſt
ein ſchnelleres und kraͤftigeres Mittel. Wir muͤſ-
ſen die Verbeſſerung des Wolklanges der Sprache
von Schriftſtellern erwarten, die allgemeinen Bey-
fall finden.

Hier zeiget ſich die Wichtigkeit blos ergoͤzender
und beluſtigender Werke der Beredſamkeit und Dicht-
kunſt; wenn die Verfaſſer vorzuͤgliches Gefuͤhl fuͤr
den Wolklang haben. Sie ſind die beſten Mittel
den guten Klang der Sprach auszubreiten. So
wenig Achtung ſie bisweilen ihres Juhalts wegen
verdienen, ſo ſchaͤtzbar muͤſſen ſie der Nation we-
gen dieſes Nebennutzens ſeyn. Einem blos ergoͤ-
zenden Schriftſteller liegt ob, mit aͤuſſerſter Sorg-
falt wolklingend zu ſchreiben; weil darin ſein Haupt-
verdienſt beſteht. Es iſt ſo gar billig, daß man die
Dichter die ein vorzuͤglich feines Ohr haben, und
ſich dem aͤuſſerſt muͤheſamen Geſchaͤft, den hoͤchſten
Wolklang zu ſuchen, unterziehen, durch Beyfall
ermuntere; weil die Sprache durch ſie in einer ihrer
ſchaͤtzbarſten Eigenſchaften gewinnet.

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Kla

Hier iſt, glaube ich, auch der Ort anzumerken,
daß blos in Ruͤkſicht auf den Wolklang der Worte,
die Einfuͤhrung fremder, anſtatt einheimiſcher Woͤr-
ter, nicht nur erlaubt, ſondern verdienſtlich ſey.
Haben wir fuͤr gewiſſe nicht unwichtige Begriffe
eigenthuͤmliche Woͤrter von ſchlechtem Klang, und
iſt ihnen gar nicht aufzuhelfen, ſo ſollte man ſie,
ſo oft es angeht, gegen fremde, wolklingende ver-
tanſchen, und ſie blos der gemeinen Rede uͤberlaſ-
ſen. So moͤchte ichs, um ein Beyſpiel zu geben,
wol leiden, daß das Wort Geruͤcht fuͤr immer ge-
gen Fanne vertauſcht wuͤrde; und ſo koͤnnte man
mit viel andern auch noch verfahren. Darin iſt
Hr. Ramler allen nach ihm folgenden Dichtern mit
ſeinem Beyſpiel vorgegangen.

Gut wuͤrd es auch ſeyn, wenn die, welche die
nen herauskommenden Schriften des Geſchmaks
der Nation ankuͤndigen, beſondere Aufmerkſamkeit
auf den Wolklang richteten, und allemal das Neue
und Vorzuͤgliche was ſie hieruͤber bemerken, anzeig-
ten. Unſre Sprach iſt darin noch großer Verbeſſe-
rung faͤhig. Man ſollte darum diejenigen, die den
Klang eines Worts durch Weglaſſung, oder Aen-
drung irgend eines Buchſtabens verbeſſern, nicht
tadeln, noch ſie einer Uebertretung der grammati-
ſchen Regeln beſchuldigen, ſondern ihnen viel mehr
Dank dafuͤr wiſſen. Dadurch haben die Jtaliaͤner
ihre Sprache ſo wolklingend gemacht, als ſonſt
keine neuere Sprache iſt. Jn Deutſchland wuͤrde
der eines critiſchen Verbrechens ſchuldig erklaͤrt wer-
den, der ſich unterſtuͤnde mit einem deutſchen Worte
eine ſolche Veraͤnderung vorzunehmen, als die iſt,
da der Jtaliaͤner Fiamma, Fiume, anſtatt Flamma,
Flume,
geſetzt hat. Will man aber dergleichen
Dinge nicht erlauben, ſo kann auch der Klang der
Sprache nicht zu einer gewiſſen Vollkommenheit
kommen.

Die Dichter, denen unſre Sprach in dieſem Stuͤk
am meiſten zu Danken hat, ſind unſtreitig Klopſtok
und Ramler. Man hat den letztern ſehr ernſtlich
getadelt, daß er eigenmaͤchtig in andrer Dichter Ar-
beit viel geaͤndert habe. Es gehoͤrt nicht hieher, die
Rechtmaͤßigkeit dieſer Sache zu unterſuchen; aber
dieſes kann hier geſagt werden, daß ich es fuͤr ein
ſehr verdienſtliches Werk halten wuͤrde, wenn Hr.
Ramler gewiſſe ſehr gute Gedichte die nicht wolklin-
gend genug ſind, nach ſeiner Art umarbeiten, und
anſtatt ſchlechter Worte wolklingende nehmen wollte,

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[588/0023] Kla Kla Sylben gut von einander abſtechen, daß die einzelen Theile eines Worts klar vernommen werden. Es giebt Woͤrter, die kein Menſch, der ſie zum erſten- mal hoͤret, nachſprechen, oder ſchreiben koͤnnte: dieſe ſind das Gegentheil deutlicher Woͤrter. Hat ein Wort die beyden erwaͤhnten Eigenſchaf- ten, ſo hat es auch ſchon das Wichtigſte in Abſicht auf das leichte Behalten. Doch mag wol noch in manchen Faͤllen das leichte Ausſprechen noch von andern Eigenſchaften herkommen. Der Buchſta- ben R hat, als ein Mitlauter den ſtaͤrkſten Klang, iſt auch deutlich, aber doch ſchweer auszuſprechen. Darum kommt auch viel darauf an, daß ein Wort nicht allzuſchwere Bewegungen der Gliedmaaßen der Sprach erfordere. Dieſes ſcheinen alſo die Grundſaͤtze zu ſeyn, nach welchen die Woͤrter der Sprach zum aͤſtheti- ſchen Gebrauch verbeſſert werden muͤſſen. Waͤre nicht die Bildung der Sprach dem voͤlligen Des- votismus des Gebrauchs unterworfen; ſo wuͤrde es wol der Muͤh werth ſeyn, eigene Veranſtaltun- gen fuͤr die Verbeſſerung derſelben, in Abſicht auf den guten Klang der Woͤrter zu machen. Sollte es inzwiſchen irgend einer deutſchen Academie gelin- gen, Anſehen genug bey der ganzen Nation zu er- halten; ſo koͤnnte ſie alsdenn durch ein Woͤrterbuch hierinn viel Nutzen ſtiften. Aber der Gebrauch iſt ein ſchnelleres und kraͤftigeres Mittel. Wir muͤſ- ſen die Verbeſſerung des Wolklanges der Sprache von Schriftſtellern erwarten, die allgemeinen Bey- fall finden. Hier zeiget ſich die Wichtigkeit blos ergoͤzender und beluſtigender Werke der Beredſamkeit und Dicht- kunſt; wenn die Verfaſſer vorzuͤgliches Gefuͤhl fuͤr den Wolklang haben. Sie ſind die beſten Mittel den guten Klang der Sprach auszubreiten. So wenig Achtung ſie bisweilen ihres Juhalts wegen verdienen, ſo ſchaͤtzbar muͤſſen ſie der Nation we- gen dieſes Nebennutzens ſeyn. Einem blos ergoͤ- zenden Schriftſteller liegt ob, mit aͤuſſerſter Sorg- falt wolklingend zu ſchreiben; weil darin ſein Haupt- verdienſt beſteht. Es iſt ſo gar billig, daß man die Dichter die ein vorzuͤglich feines Ohr haben, und ſich dem aͤuſſerſt muͤheſamen Geſchaͤft, den hoͤchſten Wolklang zu ſuchen, unterziehen, durch Beyfall ermuntere; weil die Sprache durch ſie in einer ihrer ſchaͤtzbarſten Eigenſchaften gewinnet. Hier iſt, glaube ich, auch der Ort anzumerken, daß blos in Ruͤkſicht auf den Wolklang der Worte, die Einfuͤhrung fremder, anſtatt einheimiſcher Woͤr- ter, nicht nur erlaubt, ſondern verdienſtlich ſey. Haben wir fuͤr gewiſſe nicht unwichtige Begriffe eigenthuͤmliche Woͤrter von ſchlechtem Klang, und iſt ihnen gar nicht aufzuhelfen, ſo ſollte man ſie, ſo oft es angeht, gegen fremde, wolklingende ver- tanſchen, und ſie blos der gemeinen Rede uͤberlaſ- ſen. So moͤchte ichs, um ein Beyſpiel zu geben, wol leiden, daß das Wort Geruͤcht fuͤr immer ge- gen Fanne vertauſcht wuͤrde; und ſo koͤnnte man mit viel andern auch noch verfahren. Darin iſt Hr. Ramler allen nach ihm folgenden Dichtern mit ſeinem Beyſpiel vorgegangen. Gut wuͤrd es auch ſeyn, wenn die, welche die nen herauskommenden Schriften des Geſchmaks der Nation ankuͤndigen, beſondere Aufmerkſamkeit auf den Wolklang richteten, und allemal das Neue und Vorzuͤgliche was ſie hieruͤber bemerken, anzeig- ten. Unſre Sprach iſt darin noch großer Verbeſſe- rung faͤhig. Man ſollte darum diejenigen, die den Klang eines Worts durch Weglaſſung, oder Aen- drung irgend eines Buchſtabens verbeſſern, nicht tadeln, noch ſie einer Uebertretung der grammati- ſchen Regeln beſchuldigen, ſondern ihnen viel mehr Dank dafuͤr wiſſen. Dadurch haben die Jtaliaͤner ihre Sprache ſo wolklingend gemacht, als ſonſt keine neuere Sprache iſt. Jn Deutſchland wuͤrde der eines critiſchen Verbrechens ſchuldig erklaͤrt wer- den, der ſich unterſtuͤnde mit einem deutſchen Worte eine ſolche Veraͤnderung vorzunehmen, als die iſt, da der Jtaliaͤner Fiamma, Fiume, anſtatt Flamma, Flume, geſetzt hat. Will man aber dergleichen Dinge nicht erlauben, ſo kann auch der Klang der Sprache nicht zu einer gewiſſen Vollkommenheit kommen. Die Dichter, denen unſre Sprach in dieſem Stuͤk am meiſten zu Danken hat, ſind unſtreitig Klopſtok und Ramler. Man hat den letztern ſehr ernſtlich getadelt, daß er eigenmaͤchtig in andrer Dichter Ar- beit viel geaͤndert habe. Es gehoͤrt nicht hieher, die Rechtmaͤßigkeit dieſer Sache zu unterſuchen; aber dieſes kann hier geſagt werden, daß ich es fuͤr ein ſehr verdienſtliches Werk halten wuͤrde, wenn Hr. Ramler gewiſſe ſehr gute Gedichte die nicht wolklin- gend genug ſind, nach ſeiner Art umarbeiten, und anſtatt ſchlechter Worte wolklingende nehmen wollte, wenn

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/23>, abgerufen am 27.04.2024.