allein, kann die wahre Deklamation befördert, oder gehindert werden. Also müssen z. B. die Sylben, die in einen ununterbrochenen Zusammenhang, bis auf einen kleinen oder grössern Ruhepunkt fortfliessen, nur von einer Harmonie begleitet werden, die das Gehör ununterbrochen fortreißt; so daß es höchst- fehlerhaft seyn würde, auf eine Sylbe, auf welcher schon das Gefühl der folgenden erwekt wird, eine beruhigende Harmonie, wie der Dreyklang ist, zu nehmen.
Es ist vorher gesagt worden, daß die Kirchen- musik sich vornehmlich an das diatonische Geschlecht halte. Dieses ist aber nur von dem gemeinsten Cho- ral, den die ganze Gemeinde mitsinget zu verstehen, wo das Einfache, und das Consonirende allemal die beste Würkung thut; besonders auch darum, weil zu solchen Chorälen allemal ein sanfter Affekt sich am besten schiket. Wo aber schon ein lebhafterer oder gar heftiger Affekt vorkommt, welcher den Tonsetzer ver- anlasset, die Form des Chorals zu verlassen, da wird auch in dem Gesang und in der Harmonie zu Errei- chung des Ausdruks schon mehr erfodert, und da thun kleinere Jntervalle als die Diatonischen sind, ofte die beste Würkung. Man hat deswegen, bis- weilen nicht nur Chromatische, sondern gar enhar- monische Fortschreitungen hiezu nöthig. Ehedem hatte man in einigen großen Cathedralkirchen eigene Sänger, die sich in enharmonischen Fortschreitungen besonders übten, und deswegen bey Gelegenheiten, wo sehr starke Leidenschaften auszudruken sind, der- gleichen z. B. in den Klageliedern des Jeremias vor- kommen, ihre besondern Stimmen bekamen.
Da überhaupt jede Kirchenmusik, von welcher Form sie sonst sey, den Charakter der Feyerlichkeit und Andacht nothwendig an sich haben muß; so hat der Tonsetzer sich aller Künsteleyen, aller Figuren, Zierrathen und Läufe, die blos die Kunst des Sän- gers anzeigen; ferner aller geschwinden Passagen, und alles dessen, was den Ausdruk der Empfindung mehr ausschweifend macht, als verstärkt, zu enthal- ten. Fürnehmlich muß in den tiefen Stimmen die allzugroße Geschwindigkeit vermieden werden, weil sie in den Kirchen sehr nachschallen, und durch eine schnelle Folge tiefer Töne alle Harmonie verwirrt wird. Deswegen sind alle Arien, die nach der Opernform gemacht werden, besonders aber die da- rin angebrachten Läufe und Schlußcadenzen völlig zu verwerfen.
[Spaltenumbruch]
Kir Kla
Darum erfodert die Kirchenmusik nicht nur einen sehr starken Harmonisten, sondern auch zugleich ei- nen Mann von starker Ueberlegung und einem rich- tigen Gefühl; damit nicht entweder blos unordent- liches Geräusch, ohne bestimmten Ausdruk, oder eine Vermischung von Feyerlichkeit und Ueppigkeit, die Stelle der ernsthaften Empfindungen der Andacht einnehme.
Klang. (Mußk.)
Die Betrachtung des Ursprunges und der wahren Beschaffenheit des Klanges, erkläret so manchen Punkt in der Musik, und giebt verschiedene so wich- tige Folgerungen für die Kenntnis der Harmonie, daß sie hier nicht kann übergangen werden.
Der Klaug ist ein anhaltender steter Schall, der von dem bloßen Laut, dadurch unterschieden ist, daß dieser nur einzele abgesezte Schläge hören läßt, wie die Schläge eines Hammers; da der Klang anhal- tend ist. Wie sich das Herunterfallen einzeler Tro- pfen, sie folgen schneller oder langsamer auf einander, zu dem steten Rinnen eines Wasserstrales verhält, so verhält sich der bloße Schall oder Laut, der aus einzelen Gehörtropfen besteht, zu dem Klang, der ein ununterbrochenes Fließen des Schalles ist. Die Naturkündiger sagen uns, daß auch der Klang, ob er gleich uns als anhaltend vorkommt, aus wieder- holten einzeln und würklich abgesetzten Schlägen beste- he, die aber so schnell auf einander folgen, daß wir den Zwischenraum der Zeit von einem zum andern nicht mehr empfinden, sondern sie in einen steten Ton zu- sammen hängen; das Ohr zeiget sich hiebey, wie das Aug in ähnlichem Fall. Wenn man in der Dunkelheit eine glüende Kohle schnell wegwirft, so scheinet uns der Weg den sie nihmt, ein steter feu- riger Strich, oder eine glüende Schnur zu seyn, ob wir gleich jeden Augenblick nur einen glüenden Punkt dieser Linie sehen.
Diese Bemerkung über die wahre Beschaffenheit des Schalles ist der Grund zur wissenschaftlichen Be- trachtung des Klanges und der Harmonie. Be- sonders wissen wir daher, worin der Unterschied zwischen hohen und tiefen Tönen bestehe, welches die Gelegenheit giebt, die Töne in Ansehung ihrer Höhe gegen einander zu berechnen. Nämlich --
Je schneller die einzelen Schläge, aus denen der Klang besteht auf einander folgen, je höher scheinet
uns
[Spaltenumbruch]
Kir
allein, kann die wahre Deklamation befoͤrdert, oder gehindert werden. Alſo muͤſſen z. B. die Sylben, die in einen ununterbrochenen Zuſammenhang, bis auf einen kleinen oder groͤſſern Ruhepunkt fortflieſſen, nur von einer Harmonie begleitet werden, die das Gehoͤr ununterbrochen fortreißt; ſo daß es hoͤchſt- fehlerhaft ſeyn wuͤrde, auf eine Sylbe, auf welcher ſchon das Gefuͤhl der folgenden erwekt wird, eine beruhigende Harmonie, wie der Dreyklang iſt, zu nehmen.
Es iſt vorher geſagt worden, daß die Kirchen- muſik ſich vornehmlich an das diatoniſche Geſchlecht halte. Dieſes iſt aber nur von dem gemeinſten Cho- ral, den die ganze Gemeinde mitſinget zu verſtehen, wo das Einfache, und das Conſonirende allemal die beſte Wuͤrkung thut; beſonders auch darum, weil zu ſolchen Choraͤlen allemal ein ſanfter Affekt ſich am beſten ſchiket. Wo aber ſchon ein lebhafterer oder gar heftiger Affekt vorkommt, welcher den Tonſetzer ver- anlaſſet, die Form des Chorals zu verlaſſen, da wird auch in dem Geſang und in der Harmonie zu Errei- chung des Ausdruks ſchon mehr erfodert, und da thun kleinere Jntervalle als die Diatoniſchen ſind, ofte die beſte Wuͤrkung. Man hat deswegen, bis- weilen nicht nur Chromatiſche, ſondern gar enhar- moniſche Fortſchreitungen hiezu noͤthig. Ehedem hatte man in einigen großen Cathedralkirchen eigene Saͤnger, die ſich in enharmoniſchen Fortſchreitungen beſonders uͤbten, und deswegen bey Gelegenheiten, wo ſehr ſtarke Leidenſchaften auszudruken ſind, der- gleichen z. B. in den Klageliedern des Jeremias vor- kommen, ihre beſondern Stimmen bekamen.
Da uͤberhaupt jede Kirchenmuſik, von welcher Form ſie ſonſt ſey, den Charakter der Feyerlichkeit und Andacht nothwendig an ſich haben muß; ſo hat der Tonſetzer ſich aller Kuͤnſteleyen, aller Figuren, Zierrathen und Laͤufe, die blos die Kunſt des Saͤn- gers anzeigen; ferner aller geſchwinden Paſſagen, und alles deſſen, was den Ausdruk der Empfindung mehr ausſchweifend macht, als verſtaͤrkt, zu enthal- ten. Fuͤrnehmlich muß in den tiefen Stimmen die allzugroße Geſchwindigkeit vermieden werden, weil ſie in den Kirchen ſehr nachſchallen, und durch eine ſchnelle Folge tiefer Toͤne alle Harmonie verwirrt wird. Deswegen ſind alle Arien, die nach der Opernform gemacht werden, beſonders aber die da- rin angebrachten Laͤufe und Schlußcadenzen voͤllig zu verwerfen.
[Spaltenumbruch]
Kir Kla
Darum erfodert die Kirchenmuſik nicht nur einen ſehr ſtarken Harmoniſten, ſondern auch zugleich ei- nen Mann von ſtarker Ueberlegung und einem rich- tigen Gefuͤhl; damit nicht entweder blos unordent- liches Geraͤuſch, ohne beſtimmten Ausdruk, oder eine Vermiſchung von Feyerlichkeit und Ueppigkeit, die Stelle der ernſthaften Empfindungen der Andacht einnehme.
Klang. (Mußk.)
Die Betrachtung des Urſprunges und der wahren Beſchaffenheit des Klanges, erklaͤret ſo manchen Punkt in der Muſik, und giebt verſchiedene ſo wich- tige Folgerungen fuͤr die Kenntnis der Harmonie, daß ſie hier nicht kann uͤbergangen werden.
Der Klaug iſt ein anhaltender ſteter Schall, der von dem bloßen Laut, dadurch unterſchieden iſt, daß dieſer nur einzele abgeſezte Schlaͤge hoͤren laͤßt, wie die Schlaͤge eines Hammers; da der Klang anhal- tend iſt. Wie ſich das Herunterfallen einzeler Tro- pfen, ſie folgen ſchneller oder langſamer auf einander, zu dem ſteten Rinnen eines Waſſerſtrales verhaͤlt, ſo verhaͤlt ſich der bloße Schall oder Laut, der aus einzelen Gehoͤrtropfen beſteht, zu dem Klang, der ein ununterbrochenes Fließen des Schalles iſt. Die Naturkuͤndiger ſagen uns, daß auch der Klang, ob er gleich uns als anhaltend vorkommt, aus wieder- holten einzeln und wuͤrklich abgeſetzten Schlaͤgen beſte- he, die aber ſo ſchnell auf einander folgen, daß wir den Zwiſchenraum der Zeit von einem zum andern nicht mehr empfinden, ſondern ſie in einen ſteten Ton zu- ſammen haͤngen; das Ohr zeiget ſich hiebey, wie das Aug in aͤhnlichem Fall. Wenn man in der Dunkelheit eine gluͤende Kohle ſchnell wegwirft, ſo ſcheinet uns der Weg den ſie nihmt, ein ſteter feu- riger Strich, oder eine gluͤende Schnur zu ſeyn, ob wir gleich jeden Augenblick nur einen gluͤenden Punkt dieſer Linie ſehen.
Dieſe Bemerkung uͤber die wahre Beſchaffenheit des Schalles iſt der Grund zur wiſſenſchaftlichen Be- trachtung des Klanges und der Harmonie. Be- ſonders wiſſen wir daher, worin der Unterſchied zwiſchen hohen und tiefen Toͤnen beſtehe, welches die Gelegenheit giebt, die Toͤne in Anſehung ihrer Hoͤhe gegen einander zu berechnen. Naͤmlich —
Je ſchneller die einzelen Schlaͤge, aus denen der Klang beſteht auf einander folgen, je hoͤher ſcheinet
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[584/0019]
Kir
Kir Kla
allein, kann die wahre Deklamation befoͤrdert, oder
gehindert werden. Alſo muͤſſen z. B. die Sylben,
die in einen ununterbrochenen Zuſammenhang, bis
auf einen kleinen oder groͤſſern Ruhepunkt fortflieſſen,
nur von einer Harmonie begleitet werden, die das
Gehoͤr ununterbrochen fortreißt; ſo daß es hoͤchſt-
fehlerhaft ſeyn wuͤrde, auf eine Sylbe, auf welcher
ſchon das Gefuͤhl der folgenden erwekt wird, eine
beruhigende Harmonie, wie der Dreyklang iſt, zu
nehmen.
Es iſt vorher geſagt worden, daß die Kirchen-
muſik ſich vornehmlich an das diatoniſche Geſchlecht
halte. Dieſes iſt aber nur von dem gemeinſten Cho-
ral, den die ganze Gemeinde mitſinget zu verſtehen,
wo das Einfache, und das Conſonirende allemal die
beſte Wuͤrkung thut; beſonders auch darum, weil
zu ſolchen Choraͤlen allemal ein ſanfter Affekt ſich am
beſten ſchiket. Wo aber ſchon ein lebhafterer oder gar
heftiger Affekt vorkommt, welcher den Tonſetzer ver-
anlaſſet, die Form des Chorals zu verlaſſen, da wird
auch in dem Geſang und in der Harmonie zu Errei-
chung des Ausdruks ſchon mehr erfodert, und da
thun kleinere Jntervalle als die Diatoniſchen ſind,
ofte die beſte Wuͤrkung. Man hat deswegen, bis-
weilen nicht nur Chromatiſche, ſondern gar enhar-
moniſche Fortſchreitungen hiezu noͤthig. Ehedem
hatte man in einigen großen Cathedralkirchen eigene
Saͤnger, die ſich in enharmoniſchen Fortſchreitungen
beſonders uͤbten, und deswegen bey Gelegenheiten,
wo ſehr ſtarke Leidenſchaften auszudruken ſind, der-
gleichen z. B. in den Klageliedern des Jeremias vor-
kommen, ihre beſondern Stimmen bekamen.
Da uͤberhaupt jede Kirchenmuſik, von welcher
Form ſie ſonſt ſey, den Charakter der Feyerlichkeit
und Andacht nothwendig an ſich haben muß; ſo hat
der Tonſetzer ſich aller Kuͤnſteleyen, aller Figuren,
Zierrathen und Laͤufe, die blos die Kunſt des Saͤn-
gers anzeigen; ferner aller geſchwinden Paſſagen,
und alles deſſen, was den Ausdruk der Empfindung
mehr ausſchweifend macht, als verſtaͤrkt, zu enthal-
ten. Fuͤrnehmlich muß in den tiefen Stimmen die
allzugroße Geſchwindigkeit vermieden werden, weil
ſie in den Kirchen ſehr nachſchallen, und durch eine
ſchnelle Folge tiefer Toͤne alle Harmonie verwirrt
wird. Deswegen ſind alle Arien, die nach der
Opernform gemacht werden, beſonders aber die da-
rin angebrachten Laͤufe und Schlußcadenzen voͤllig
zu verwerfen.
Darum erfodert die Kirchenmuſik nicht nur einen
ſehr ſtarken Harmoniſten, ſondern auch zugleich ei-
nen Mann von ſtarker Ueberlegung und einem rich-
tigen Gefuͤhl; damit nicht entweder blos unordent-
liches Geraͤuſch, ohne beſtimmten Ausdruk, oder
eine Vermiſchung von Feyerlichkeit und Ueppigkeit,
die Stelle der ernſthaften Empfindungen der Andacht
einnehme.
Klang.
(Mußk.)
Die Betrachtung des Urſprunges und der wahren
Beſchaffenheit des Klanges, erklaͤret ſo manchen
Punkt in der Muſik, und giebt verſchiedene ſo wich-
tige Folgerungen fuͤr die Kenntnis der Harmonie,
daß ſie hier nicht kann uͤbergangen werden.
Der Klaug iſt ein anhaltender ſteter Schall, der
von dem bloßen Laut, dadurch unterſchieden iſt, daß
dieſer nur einzele abgeſezte Schlaͤge hoͤren laͤßt, wie
die Schlaͤge eines Hammers; da der Klang anhal-
tend iſt. Wie ſich das Herunterfallen einzeler Tro-
pfen, ſie folgen ſchneller oder langſamer auf einander,
zu dem ſteten Rinnen eines Waſſerſtrales verhaͤlt,
ſo verhaͤlt ſich der bloße Schall oder Laut, der aus
einzelen Gehoͤrtropfen beſteht, zu dem Klang, der
ein ununterbrochenes Fließen des Schalles iſt. Die
Naturkuͤndiger ſagen uns, daß auch der Klang, ob
er gleich uns als anhaltend vorkommt, aus wieder-
holten einzeln und wuͤrklich abgeſetzten Schlaͤgen beſte-
he, die aber ſo ſchnell auf einander folgen, daß wir den
Zwiſchenraum der Zeit von einem zum andern nicht
mehr empfinden, ſondern ſie in einen ſteten Ton zu-
ſammen haͤngen; das Ohr zeiget ſich hiebey, wie
das Aug in aͤhnlichem Fall. Wenn man in der
Dunkelheit eine gluͤende Kohle ſchnell wegwirft, ſo
ſcheinet uns der Weg den ſie nihmt, ein ſteter feu-
riger Strich, oder eine gluͤende Schnur zu ſeyn, ob
wir gleich jeden Augenblick nur einen gluͤenden Punkt
dieſer Linie ſehen.
Dieſe Bemerkung uͤber die wahre Beſchaffenheit
des Schalles iſt der Grund zur wiſſenſchaftlichen Be-
trachtung des Klanges und der Harmonie. Be-
ſonders wiſſen wir daher, worin der Unterſchied
zwiſchen hohen und tiefen Toͤnen beſtehe, welches
die Gelegenheit giebt, die Toͤne in Anſehung ihrer
Hoͤhe gegen einander zu berechnen. Naͤmlich —
Je ſchneller die einzelen Schlaͤge, aus denen der
Klang beſteht auf einander folgen, je hoͤher ſcheinet
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/19>, abgerufen am 24.11.2024.
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