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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Es gehört aber mehr, als blos lebhafte Einbil-
dungskraft zu der vollkommenen metaphorischen
Schreibart. Es kann nüzlich seyn, wenn wir hier
über die bey dem Gebrauch der Methapher nöthige
Behutsamkeit und Ueberlegung einige Hauptanmer-
kungen machen. Aristoteles hat angemerkt, daß
die Metapher auf eine vierfache Weise fehlerhaft
wird. 1. Wenn sie nicht richtig, das ist, wenn
keine würkliche Aehnlichkeit zwischen dem Bild und
dem Gegenbild ist. 2. Wenn sie (bey ernsthaftem
Gebrauch) etwas comisches hat, das ist, wenn das
Bild und das Gegenbild einen lächerlichen Contrast
ausmachen. 3. Wenn sie zu hoch, oder schwül-
stig ist. 4. Wenn sie dunkel und zu weit hergeholt
ist. Man könnte noch 5 hinzuthun, wenn sie ab-
genuzt, oder so sehr gewöhnlich ist, daß man ohne
das Bild sich das Gegenbild dabey unmittelbar vor-
stellt. Dieses bezieht sich auf ihre Beschaffenheit.
Jhr Gebrauch ist fehlerhaft. 1. Wenn man sie bey
zu gemeinen Begriffen und Gedanken anwendet.
2. Wenn sie zu sehr angehäuft werden.

Man trift fast in allen Sprachen durchgehends
angenommene Metaphern an, die einen oder meh-
rere der erwähmen fünf Fehler an sich haben. Denn
da sie oft aus Noth entstanden, oder von seltenen
Umständen, ihren Ursprung bekommen haben, so
konnten sie freylich nicht immer überlegt, nicht im-
mer nach der strengsten Aehnlichkeit der Vorstellun-
gen abgepaßt seyn. Vor dergleichen Metaphern,
wenn sie gleich in der gemeinen Rede vollgültig sind,
hütet man sich in Werken des Geschmaks. Und
hier ist auch der Ort anzumerken, daß nicht alle auf
fremden Boden erwachsene Metaphern in jeden an-
dern können verpflanzt werden, wenn sie gleich noch
so richtig und schön wären. Jn warmen Ländern,
wo Frost, Schnee und Eis völlig unbekannte Dinge
sind, könnte keine aus den Sprachen kalter Länder
von ihnen hergenommene Metapher gebraucht wer-
den, und auch umgekehrt; und in einem Lande, wo
die Gebräuche der römischen Hierarchie völlig unbe-
kannt sind, würde Niemand die artige Metapher
eines alten deutschen Dichters verstehen.

Ein krummer Stab, der ist gewachsen
Zum langen Sveer. (*)

Dieses bedarf keiner Ausführung. So kann auch
eine kühne Metapher in der Sprach eines kaltblüti-
gen Volkes sehr schwülstig seyn, die unter Völkern
von mehr erhizter Einbildungskraft nichts ausseror-
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dentliches hat. Hierüber verdienet folgende Anmer-
kung eines scharfsinnigen Kopfes erwogen zu wer-
den. "Der Grund, sagt er, der kühnen Wort-
metaphern lag in der ersten Erfindung: aber wie?
wenn späth nachher, wenn schon alles Bedürfnis
weggefallen ist, aus bloßer Nachahmungssucht, oder
Liebe zum Alterthum, dergleichen Wort- und Bil-
dergattungen bleiben? Und gar noch ausgedähnt und
erhöhet werden? Denn, o denn, wird der erhabene
Unsinn, das aufgedunsene Wortspiel daraus, was
es im Anfang eigentlich nicht war. Dort wars
kühner, männlicher Wiz, der denn vielleicht am
wenigsten spielen wollte, wenn er am meisten zu
spielen schien; es war rohe Erhabenheit der Phan-
tasie, die solch Gefühl in solche Worte herausarbei-
tete; aber nun im Gebrauche schaler Nachahmer,
ohne solches Gefühl, ohne solche Gelegenheit --
ach! Ampullen von Worten ohne Geist." (*)

Zu Erfindung vollkommener Metaphern gehört
nicht blos lebhafter Wiz; eine gesunde Beurthei-
lung muß ihm zu Hülfe kommen. Sind beyde
durch einen fleißigen Beobachtungsgeist und weit-
läuftige Kenntnis der körperlichen und sittlichen Na-
tur unterstüzt, so muß ein großer Reichthum der
Metaphern daher entstehen. Darum ist nicht leicht
etwas, woraus man das Genie eines Schriftstel-
lers besser erkennen kann, als aus den Gebrauch
der ihm eigenen Metaphern. Es gilt auch hier,
was schon an einem andern Orte dieses Werks an-
gemerkt worden, daß in unsern Zeiten bey der in
Vergleichung der Alten so weiten Ausdähnung der
Kenntnis natürlicher Dinge, und bey so sehr ver-
vielfältigten mechanischen Künsten, die Quelle der
Metaphern weit reicher ist, als sie ehemals war. Es
zeigte würklich Armuth des Genies an, wenn die
Neuern in diesem Stük die Alten nicht überträfen

Es ist wol unnöthig sich hier in besondere Be-
trachtungen über die Vermeidung der oben ange-
zeigten Fehler, die in der Metapher selbst, und in
ihrem Gebrauch können begangen werden, einzulas-
sen, da ein mittelmäßiges Nachdenken sie an die
Hand giebt.

Aber dieses verdienet angemerkt zu werden, daß
die Metapher um ganz vollkommen zu seyn, auch
in dem Ton der Materie, wo sie gebraucht wird,
müsse gestimmt seyn. Jm Schäfergedicht muß sie
von lieblichen, ländlichen Dingen hergenommen wer-
den, da sie bey strengerm Jnhalt auch von sehr ernst-

haf-
(*) Ma-
ner ein al-
ter Dichter,
aus des

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G[i]offar.

Bey Leib-
nizen in sei-
nem Ery-
mol.
(*) Her-
der über
den Ur-
sprung der
Sprache.
S. 115.
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Es gehoͤrt aber mehr, als blos lebhafte Einbil-
dungskraft zu der vollkommenen metaphoriſchen
Schreibart. Es kann nuͤzlich ſeyn, wenn wir hier
uͤber die bey dem Gebrauch der Methapher noͤthige
Behutſamkeit und Ueberlegung einige Hauptanmer-
kungen machen. Ariſtoteles hat angemerkt, daß
die Metapher auf eine vierfache Weiſe fehlerhaft
wird. 1. Wenn ſie nicht richtig, das iſt, wenn
keine wuͤrkliche Aehnlichkeit zwiſchen dem Bild und
dem Gegenbild iſt. 2. Wenn ſie (bey ernſthaftem
Gebrauch) etwas comiſches hat, das iſt, wenn das
Bild und das Gegenbild einen laͤcherlichen Contraſt
ausmachen. 3. Wenn ſie zu hoch, oder ſchwuͤl-
ſtig iſt. 4. Wenn ſie dunkel und zu weit hergeholt
iſt. Man koͤnnte noch 5 hinzuthun, wenn ſie ab-
genuzt, oder ſo ſehr gewoͤhnlich iſt, daß man ohne
das Bild ſich das Gegenbild dabey unmittelbar vor-
ſtellt. Dieſes bezieht ſich auf ihre Beſchaffenheit.
Jhr Gebrauch iſt fehlerhaft. 1. Wenn man ſie bey
zu gemeinen Begriffen und Gedanken anwendet.
2. Wenn ſie zu ſehr angehaͤuft werden.

Man trift faſt in allen Sprachen durchgehends
angenommene Metaphern an, die einen oder meh-
rere der erwaͤhmen fuͤnf Fehler an ſich haben. Denn
da ſie oft aus Noth entſtanden, oder von ſeltenen
Umſtaͤnden, ihren Urſprung bekommen haben, ſo
konnten ſie freylich nicht immer uͤberlegt, nicht im-
mer nach der ſtrengſten Aehnlichkeit der Vorſtellun-
gen abgepaßt ſeyn. Vor dergleichen Metaphern,
wenn ſie gleich in der gemeinen Rede vollguͤltig ſind,
huͤtet man ſich in Werken des Geſchmaks. Und
hier iſt auch der Ort anzumerken, daß nicht alle auf
fremden Boden erwachſene Metaphern in jeden an-
dern koͤnnen verpflanzt werden, wenn ſie gleich noch
ſo richtig und ſchoͤn waͤren. Jn warmen Laͤndern,
wo Froſt, Schnee und Eis voͤllig unbekannte Dinge
ſind, koͤnnte keine aus den Sprachen kalter Laͤnder
von ihnen hergenommene Metapher gebraucht wer-
den, und auch umgekehrt; und in einem Lande, wo
die Gebraͤuche der roͤmiſchen Hierarchie voͤllig unbe-
kannt ſind, wuͤrde Niemand die artige Metapher
eines alten deutſchen Dichters verſtehen.

Ein krummer Stab, der iſt gewachſen
Zum langen Sveer. (*)

Dieſes bedarf keiner Ausfuͤhrung. So kann auch
eine kuͤhne Metapher in der Sprach eines kaltbluͤti-
gen Volkes ſehr ſchwuͤlſtig ſeyn, die unter Voͤlkern
von mehr erhizter Einbildungskraft nichts auſſeror-
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Met
dentliches hat. Hieruͤber verdienet folgende Anmer-
kung eines ſcharfſinnigen Kopfes erwogen zu wer-
den. „Der Grund, ſagt er, der kuͤhnen Wort-
metaphern lag in der erſten Erfindung: aber wie?
wenn ſpaͤth nachher, wenn ſchon alles Beduͤrfnis
weggefallen iſt, aus bloßer Nachahmungsſucht, oder
Liebe zum Alterthum, dergleichen Wort- und Bil-
dergattungen bleiben? Und gar noch ausgedaͤhnt und
erhoͤhet werden? Denn, o denn, wird der erhabene
Unſinn, das aufgedunſene Wortſpiel daraus, was
es im Anfang eigentlich nicht war. Dort wars
kuͤhner, maͤnnlicher Wiz, der denn vielleicht am
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ſpielen ſchien; es war rohe Erhabenheit der Phan-
taſie, die ſolch Gefuͤhl in ſolche Worte herausarbei-
tete; aber nun im Gebrauche ſchaler Nachahmer,
ohne ſolches Gefuͤhl, ohne ſolche Gelegenheit —
ach! Ampullen von Worten ohne Geiſt.“ (*)

Zu Erfindung vollkommener Metaphern gehoͤrt
nicht blos lebhafter Wiz; eine geſunde Beurthei-
lung muß ihm zu Huͤlfe kommen. Sind beyde
durch einen fleißigen Beobachtungsgeiſt und weit-
laͤuftige Kenntnis der koͤrperlichen und ſittlichen Na-
tur unterſtuͤzt, ſo muß ein großer Reichthum der
Metaphern daher entſtehen. Darum iſt nicht leicht
etwas, woraus man das Genie eines Schriftſtel-
lers beſſer erkennen kann, als aus den Gebrauch
der ihm eigenen Metaphern. Es gilt auch hier,
was ſchon an einem andern Orte dieſes Werks an-
gemerkt worden, daß in unſern Zeiten bey der in
Vergleichung der Alten ſo weiten Ausdaͤhnung der
Kenntnis natuͤrlicher Dinge, und bey ſo ſehr ver-
vielfaͤltigten mechaniſchen Kuͤnſten, die Quelle der
Metaphern weit reicher iſt, als ſie ehemals war. Es
zeigte wuͤrklich Armuth des Genies an, wenn die
Neuern in dieſem Stuͤk die Alten nicht uͤbertraͤfen

Es iſt wol unnoͤthig ſich hier in beſondere Be-
trachtungen uͤber die Vermeidung der oben ange-
zeigten Fehler, die in der Metapher ſelbſt, und in
ihrem Gebrauch koͤnnen begangen werden, einzulaſ-
ſen, da ein mittelmaͤßiges Nachdenken ſie an die
Hand giebt.

Aber dieſes verdienet angemerkt zu werden, daß
die Metapher um ganz vollkommen zu ſeyn, auch
in dem Ton der Materie, wo ſie gebraucht wird,
muͤſſe geſtimmt ſeyn. Jm Schaͤfergedicht muß ſie
von lieblichen, laͤndlichen Dingen hergenommen wer-
den, da ſie bey ſtrengerm Jnhalt auch von ſehr ernſt-

haf-
(*) Ma-
ner ein al-
ter Dichter,
aus des

H[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]ndri
G[i]offar.

Bey Leib-
nizen in ſei-
nem Ery-
mol.
(*) Her-
der uͤber
den Ur-
ſprung der
Sprache.
S. 115.
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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 762[744]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/179>, abgerufen am 24.11.2024.