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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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angefangene Täuschung des Auges, das nunmehr
das Gemählde nicht mehr für ein Schattenbild, wie
es in der That ist, sondern für etwas in der Natur
vorhandenes hält; daß man ein würkliches Land, und
lebende Menschen vor sich zu sehen glaubt. Durch
die liebliche Harmonie der Farben aber wird das Aug
auf das Angenehmste gerühret, daß es sich mit Lust
mit Betrachtung des Gegenstandes beschäftiget.

Dieses sind also die Talente und Künste, wo-
durch das Gemählde zu einem vielwürkenden Werk
des Geschmaks gemacht wird. Nun bleibet uns
zur vollständigen Beschreibung dieser schönen Kunst
noch übrig anzuzeigen, auf wie vielerley Art der
Mahler den gewählten Gegenstand vermittelst der
vier beschriebenen Arbeiten im Gemählde zur Würk-
lichkeit bringet. Denn es ist auf gar vielerley Weise
möglich denselben Gegenstand gut zu mahlen.

Gegenwärtig wird das Mahlen mit Oelfarben,
das den Alten unbekannt war, für die vornehmste
gehalten; wir haben ihr Verfahren besonders be-
schrieben. (*) Nach diesem kommen die verschiede-
nen Arten mit Wasserfarben zu mahlen, vornehm-
lich in Betrachtung (*), mit denen man entweder
auf frischen Mörtel, womit die Mauren bekleidet
werden (*) oder auf trokene Mauren; auf Holz,
Leinwand, Papier oder andern Grund mahlet. Eine
besondere Art ganz kleine Gemählde mit Wasserfar-
ben zu mahlen, wird Miniatur genennt. (*) Eine
dritte Art ist die den Alten gebräuchliche, und vor
kurzem wieder neu erfundene Art, der man den
Namen der Eneaustischen Mahlerey gegeben. (*)
Die vierte bedienet sich trokener Farben, und ist
unter dem Namen Pastel (*) bekannt. Die fünfte
braucht Farben von feinem zerriebenen Glas, auf
einem im Feuer dauerhaften Grunde; wenn das
Gemählde fertig ist, so wird es im Feuer auf dem
Grund eingebrannt. Dies ist die Schmelzmahle-
rey,
(*) oder das Emailliren. Die sechste Art ist
das Mosaische, oder Musaische, (*) nach welcher
durch Nebeneinandersezung unzähliger kleiner Stüke
vom gefärbtem Glas, das Gemähld herausgebracht
wird. Vor einigen Jahrhunderten war die Glas-
mahlerey,
(*) die auf die Fenster, vornehmlich
der Kirchen angebracht wurd, sehr gewöhnlich, ist
aber gegenwärtig beynahe völlig abgekommen. Zu
allen diesen Arten kann man die hinzusezen, da ver-
mittelst gefärbter Wolle, oder Seide, Gemählde
auf Tapeten, oder andere Gowandstoffen eingestikt,
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oder eingewürkt werden, worunter die so genannten
Challiots, wo das Gemähld in eine Art Sammet
eingewürkt ist, wie auch die so genannten Haute-
und Basse-Lisses die Merkwürdigsten sind. Diese
so vielfältigen Arten zu mahlen beweisen, wie herr-
schend der Geschmak an der Mahlerey zu allen Zei-
ten gewesen, da man so mannigfaltige Mittel aus-
gedacht hat, sie auf alle mögliche Weise überall an-
zubringen.

Von dem Ursprunge dieser Kunst läßt sich, wie
von den ersten Anfängen der andern schönen Künste
nichts gewisses sagen. Die Mahlerey scheinet nicht
so unmittelbar von leidenschaftlichen Empfindungen
entstanden zu seyn, als die Musik, der Tanz und
die Dichtkunst; doch hat sie ebenfalls einen allen
Menschen gemeinen und angebohrnen Trieb, die
Neigung, Dingen, die wir täglich um uns haben,
eine gefällige Form und ein angenehmes Ansehen zu
geben, zum Grunde: aber hier mußte schon Ueber-
legung zu diesem Hang zur Verschönerung hinzu-
kommen. Es ist also nicht zu vermuthen, daß die
Mahlerey, so wie Musik und Dichtkunst, schon bey
ganz rohen Völkern in Gang gekommen sey. Zeich-
nung scheinet aus dem Schnizen der Bilder entstan-
den zu seyn. Da sich die Menschen überall gleichen,
und wir noch izt sehen, wie müßige Hirten ihre
Stäbe, Bächer, oder etwas anders von ihren we-
nigen Geräthschaften, mit Schnizwerk verziehren, so
mag es auch ehedem gewesen seyn. Daher mag der
noch sehr rohe Mensch auf den Einfall gekommen seyn,
auch auf die hölzerne Wände seiner Hütte Figuren ein-
zuschneiden. Wie aus diesem, bey zunehmendem
Nachdenken über die Verschönerung der Dinge die
verschiedenen Arten zu zeichnen nach und nach ent-
standen seyen, läßt sich gar wol begreifen. Auch
die Verbindung der Farben mit der Zeichnung, wo-
durch eigentlich der Grund zur Mahlerey gelegt
worden, ist leicht zu erklären. Die Menschen ha-
ben ein natürliches Wolgefallen an schönen Farben,
und suchen beym ersten Aufkeimen des Geschmaks
am Schönen, ihren Kleidern und andern Dingen
schöne Farben zu geben. Die Säfte verschiedener
Pflanzen boten sich zuerst dazu dar, und es war
ganz natürlich diese beyden Arten der Verschönerung
der Dinge zu vereinigen.

Auf diese Weise kann man auf die Spuhr kom-
men, wie der erste Keim der Mahlerey entstanden
ist. Von da aus mußte freylich noch mancher Schritt

gethan
(*) S.
Oelfarb-
mahler.
(*) S.
Wasserfar-
ben.
(*) S.
Fresko.
(*) S.
Miniatur.
(*) S.
Encaustisch
(*) S.
Pastel.
(*) S.
Schmelz-
mahlerey
(*) S
Mosaisch.
(*) S.
Glasmah-
lerey.
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angefangene Taͤuſchung des Auges, das nunmehr
das Gemaͤhlde nicht mehr fuͤr ein Schattenbild, wie
es in der That iſt, ſondern fuͤr etwas in der Natur
vorhandenes haͤlt; daß man ein wuͤrkliches Land, und
lebende Menſchen vor ſich zu ſehen glaubt. Durch
die liebliche Harmonie der Farben aber wird das Aug
auf das Angenehmſte geruͤhret, daß es ſich mit Luſt
mit Betrachtung des Gegenſtandes beſchaͤftiget.

Dieſes ſind alſo die Talente und Kuͤnſte, wo-
durch das Gemaͤhlde zu einem vielwuͤrkenden Werk
des Geſchmaks gemacht wird. Nun bleibet uns
zur vollſtaͤndigen Beſchreibung dieſer ſchoͤnen Kunſt
noch uͤbrig anzuzeigen, auf wie vielerley Art der
Mahler den gewaͤhlten Gegenſtand vermittelſt der
vier beſchriebenen Arbeiten im Gemaͤhlde zur Wuͤrk-
lichkeit bringet. Denn es iſt auf gar vielerley Weiſe
moͤglich denſelben Gegenſtand gut zu mahlen.

Gegenwaͤrtig wird das Mahlen mit Oelfarben,
das den Alten unbekannt war, fuͤr die vornehmſte
gehalten; wir haben ihr Verfahren beſonders be-
ſchrieben. (*) Nach dieſem kommen die verſchiede-
nen Arten mit Waſſerfarben zu mahlen, vornehm-
lich in Betrachtung (*), mit denen man entweder
auf friſchen Moͤrtel, womit die Mauren bekleidet
werden (*) oder auf trokene Mauren; auf Holz,
Leinwand, Papier oder andern Grund mahlet. Eine
beſondere Art ganz kleine Gemaͤhlde mit Waſſerfar-
ben zu mahlen, wird Miniatur genennt. (*) Eine
dritte Art iſt die den Alten gebraͤuchliche, und vor
kurzem wieder neu erfundene Art, der man den
Namen der Eneauſtiſchen Mahlerey gegeben. (*)
Die vierte bedienet ſich trokener Farben, und iſt
unter dem Namen Paſtel (*) bekannt. Die fuͤnfte
braucht Farben von feinem zerriebenen Glas, auf
einem im Feuer dauerhaften Grunde; wenn das
Gemaͤhlde fertig iſt, ſo wird es im Feuer auf dem
Grund eingebrannt. Dies iſt die Schmelzmahle-
rey,
(*) oder das Emailliren. Die ſechste Art iſt
das Moſaiſche, oder Muſaiſche, (*) nach welcher
durch Nebeneinanderſezung unzaͤhliger kleiner Stuͤke
vom gefaͤrbtem Glas, das Gemaͤhld herausgebracht
wird. Vor einigen Jahrhunderten war die Glas-
mahlerey,
(*) die auf die Fenſter, vornehmlich
der Kirchen angebracht wurd, ſehr gewoͤhnlich, iſt
aber gegenwaͤrtig beynahe voͤllig abgekommen. Zu
allen dieſen Arten kann man die hinzuſezen, da ver-
mittelſt gefaͤrbter Wolle, oder Seide, Gemaͤhlde
auf Tapeten, oder andere Gowandſtoffen eingeſtikt,
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oder eingewuͤrkt werden, worunter die ſo genannten
Challiots, wo das Gemaͤhld in eine Art Sammet
eingewuͤrkt iſt, wie auch die ſo genannten Haute-
und Baſſe-Liſſes die Merkwuͤrdigſten ſind. Dieſe
ſo vielfaͤltigen Arten zu mahlen beweiſen, wie herr-
ſchend der Geſchmak an der Mahlerey zu allen Zei-
ten geweſen, da man ſo mannigfaltige Mittel aus-
gedacht hat, ſie auf alle moͤgliche Weiſe uͤberall an-
zubringen.

Von dem Urſprunge dieſer Kunſt laͤßt ſich, wie
von den erſten Anfaͤngen der andern ſchoͤnen Kuͤnſte
nichts gewiſſes ſagen. Die Mahlerey ſcheinet nicht
ſo unmittelbar von leidenſchaftlichen Empfindungen
entſtanden zu ſeyn, als die Muſik, der Tanz und
die Dichtkunſt; doch hat ſie ebenfalls einen allen
Menſchen gemeinen und angebohrnen Trieb, die
Neigung, Dingen, die wir taͤglich um uns haben,
eine gefaͤllige Form und ein angenehmes Anſehen zu
geben, zum Grunde: aber hier mußte ſchon Ueber-
legung zu dieſem Hang zur Verſchoͤnerung hinzu-
kommen. Es iſt alſo nicht zu vermuthen, daß die
Mahlerey, ſo wie Muſik und Dichtkunſt, ſchon bey
ganz rohen Voͤlkern in Gang gekommen ſey. Zeich-
nung ſcheinet aus dem Schnizen der Bilder entſtan-
den zu ſeyn. Da ſich die Menſchen uͤberall gleichen,
und wir noch izt ſehen, wie muͤßige Hirten ihre
Staͤbe, Baͤcher, oder etwas anders von ihren we-
nigen Geraͤthſchaften, mit Schnizwerk verziehren, ſo
mag es auch ehedem geweſen ſeyn. Daher mag der
noch ſehr rohe Menſch auf den Einfall gekommen ſeyn,
auch auf die hoͤlzerne Waͤnde ſeiner Huͤtte Figuren ein-
zuſchneiden. Wie aus dieſem, bey zunehmendem
Nachdenken uͤber die Verſchoͤnerung der Dinge die
verſchiedenen Arten zu zeichnen nach und nach ent-
ſtanden ſeyen, laͤßt ſich gar wol begreifen. Auch
die Verbindung der Farben mit der Zeichnung, wo-
durch eigentlich der Grund zur Mahlerey gelegt
worden, iſt leicht zu erklaͤren. Die Menſchen ha-
ben ein natuͤrliches Wolgefallen an ſchoͤnen Farben,
und ſuchen beym erſten Aufkeimen des Geſchmaks
am Schoͤnen, ihren Kleidern und andern Dingen
ſchoͤne Farben zu geben. Die Saͤfte verſchiedener
Pflanzen boten ſich zuerſt dazu dar, und es war
ganz natuͤrlich dieſe beyden Arten der Verſchoͤnerung
der Dinge zu vereinigen.

Auf dieſe Weiſe kann man auf die Spuhr kom-
men, wie der erſte Keim der Mahlerey entſtanden
iſt. Von da aus mußte freylich noch mancher Schritt

gethan
(*) S.
Oelfarb-
mahler.
(*) S.
Waſſerfar-
ben.
(*) S.
Fresko.
(*) S.
Miniatur.
(*) S.
Encauſtiſch
(*) S.
Paſtel.
(*) S.
Schmelz-
mahlerey
(*) S
Moſaiſch.
(*) S.
Glasmah-
lerey.
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[735[717]/0152] Mah Mah angefangene Taͤuſchung des Auges, das nunmehr das Gemaͤhlde nicht mehr fuͤr ein Schattenbild, wie es in der That iſt, ſondern fuͤr etwas in der Natur vorhandenes haͤlt; daß man ein wuͤrkliches Land, und lebende Menſchen vor ſich zu ſehen glaubt. Durch die liebliche Harmonie der Farben aber wird das Aug auf das Angenehmſte geruͤhret, daß es ſich mit Luſt mit Betrachtung des Gegenſtandes beſchaͤftiget. Dieſes ſind alſo die Talente und Kuͤnſte, wo- durch das Gemaͤhlde zu einem vielwuͤrkenden Werk des Geſchmaks gemacht wird. Nun bleibet uns zur vollſtaͤndigen Beſchreibung dieſer ſchoͤnen Kunſt noch uͤbrig anzuzeigen, auf wie vielerley Art der Mahler den gewaͤhlten Gegenſtand vermittelſt der vier beſchriebenen Arbeiten im Gemaͤhlde zur Wuͤrk- lichkeit bringet. Denn es iſt auf gar vielerley Weiſe moͤglich denſelben Gegenſtand gut zu mahlen. Gegenwaͤrtig wird das Mahlen mit Oelfarben, das den Alten unbekannt war, fuͤr die vornehmſte gehalten; wir haben ihr Verfahren beſonders be- ſchrieben. (*) Nach dieſem kommen die verſchiede- nen Arten mit Waſſerfarben zu mahlen, vornehm- lich in Betrachtung (*), mit denen man entweder auf friſchen Moͤrtel, womit die Mauren bekleidet werden (*) oder auf trokene Mauren; auf Holz, Leinwand, Papier oder andern Grund mahlet. Eine beſondere Art ganz kleine Gemaͤhlde mit Waſſerfar- ben zu mahlen, wird Miniatur genennt. (*) Eine dritte Art iſt die den Alten gebraͤuchliche, und vor kurzem wieder neu erfundene Art, der man den Namen der Eneauſtiſchen Mahlerey gegeben. (*) Die vierte bedienet ſich trokener Farben, und iſt unter dem Namen Paſtel (*) bekannt. Die fuͤnfte braucht Farben von feinem zerriebenen Glas, auf einem im Feuer dauerhaften Grunde; wenn das Gemaͤhlde fertig iſt, ſo wird es im Feuer auf dem Grund eingebrannt. Dies iſt die Schmelzmahle- rey, (*) oder das Emailliren. Die ſechste Art iſt das Moſaiſche, oder Muſaiſche, (*) nach welcher durch Nebeneinanderſezung unzaͤhliger kleiner Stuͤke vom gefaͤrbtem Glas, das Gemaͤhld herausgebracht wird. Vor einigen Jahrhunderten war die Glas- mahlerey, (*) die auf die Fenſter, vornehmlich der Kirchen angebracht wurd, ſehr gewoͤhnlich, iſt aber gegenwaͤrtig beynahe voͤllig abgekommen. Zu allen dieſen Arten kann man die hinzuſezen, da ver- mittelſt gefaͤrbter Wolle, oder Seide, Gemaͤhlde auf Tapeten, oder andere Gowandſtoffen eingeſtikt, oder eingewuͤrkt werden, worunter die ſo genannten Challiots, wo das Gemaͤhld in eine Art Sammet eingewuͤrkt iſt, wie auch die ſo genannten Haute- und Baſſe-Liſſes die Merkwuͤrdigſten ſind. Dieſe ſo vielfaͤltigen Arten zu mahlen beweiſen, wie herr- ſchend der Geſchmak an der Mahlerey zu allen Zei- ten geweſen, da man ſo mannigfaltige Mittel aus- gedacht hat, ſie auf alle moͤgliche Weiſe uͤberall an- zubringen. Von dem Urſprunge dieſer Kunſt laͤßt ſich, wie von den erſten Anfaͤngen der andern ſchoͤnen Kuͤnſte nichts gewiſſes ſagen. Die Mahlerey ſcheinet nicht ſo unmittelbar von leidenſchaftlichen Empfindungen entſtanden zu ſeyn, als die Muſik, der Tanz und die Dichtkunſt; doch hat ſie ebenfalls einen allen Menſchen gemeinen und angebohrnen Trieb, die Neigung, Dingen, die wir taͤglich um uns haben, eine gefaͤllige Form und ein angenehmes Anſehen zu geben, zum Grunde: aber hier mußte ſchon Ueber- legung zu dieſem Hang zur Verſchoͤnerung hinzu- kommen. Es iſt alſo nicht zu vermuthen, daß die Mahlerey, ſo wie Muſik und Dichtkunſt, ſchon bey ganz rohen Voͤlkern in Gang gekommen ſey. Zeich- nung ſcheinet aus dem Schnizen der Bilder entſtan- den zu ſeyn. Da ſich die Menſchen uͤberall gleichen, und wir noch izt ſehen, wie muͤßige Hirten ihre Staͤbe, Baͤcher, oder etwas anders von ihren we- nigen Geraͤthſchaften, mit Schnizwerk verziehren, ſo mag es auch ehedem geweſen ſeyn. Daher mag der noch ſehr rohe Menſch auf den Einfall gekommen ſeyn, auch auf die hoͤlzerne Waͤnde ſeiner Huͤtte Figuren ein- zuſchneiden. Wie aus dieſem, bey zunehmendem Nachdenken uͤber die Verſchoͤnerung der Dinge die verſchiedenen Arten zu zeichnen nach und nach ent- ſtanden ſeyen, laͤßt ſich gar wol begreifen. Auch die Verbindung der Farben mit der Zeichnung, wo- durch eigentlich der Grund zur Mahlerey gelegt worden, iſt leicht zu erklaͤren. Die Menſchen ha- ben ein natuͤrliches Wolgefallen an ſchoͤnen Farben, und ſuchen beym erſten Aufkeimen des Geſchmaks am Schoͤnen, ihren Kleidern und andern Dingen ſchoͤne Farben zu geben. Die Saͤfte verſchiedener Pflanzen boten ſich zuerſt dazu dar, und es war ganz natuͤrlich dieſe beyden Arten der Verſchoͤnerung der Dinge zu vereinigen. Auf dieſe Weiſe kann man auf die Spuhr kom- men, wie der erſte Keim der Mahlerey entſtanden iſt. Von da aus mußte freylich noch mancher Schritt gethan (*) S. Oelfarb- mahler. (*) S. Waſſerfar- ben. (*) S. Fresko. (*) S. Miniatur. (*) S. Encauſtiſch (*) S. Paſtel. (*) S. Schmelz- mahlerey (*) S Moſaiſch. (*) S. Glasmah- lerey. Xx xx 3

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 735[717]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/152>, abgerufen am 22.11.2024.