liche Lage des Lichtstrohms in Absicht auf die Scene, oder den ganzen Raum des Gemähldes bestimmt werden. Hat denn der Mahler einen richtigen Grund- riß von seinem Gemählde, und ist die Höhe jedes Gegenstandes darauf bestimmt, so kann er genau sagen, welche Theile des Gemähldes in dem Licht- strohm, und welche außer demselben liegen.
Hiernächst kommen sowol der Horizont des Ge- mähldes, als der dafür angenommene Augenpunkt in Betrachtung, weil alles was über dem Horizont ist, sein Licht niedriger hat, als was unter ihm steht, und das, was zur Rechten des Augenpunkts liegt, keine Lichter haben kann, als auf seiner linken Seite.
Wir berühren diese Sachen hier nur obenhin, weil ihre Ausführung, wie gesagt, in die Abhand- lung der Perspektiv gehört. Wenn in einem histo- rischen Gemählde alles nach dem Leben könnte ge- mahlt werden, so hätte der Künstler diese Theorie zur sichern Anbringung der Lichter nicht nöthig. Die bloße Beobachtung würde ihm dieselben zeigen. Aber der Historienmahler sezet seine meisten Figuren, entweder aus der Phantasie hin, oder nihmt sie aus gesammelten sogenannten Studien: da kann er blos der Zeichnung halber sicher seyn; aber Licht und Schatten muß er aus genauen perspektivischen Regeln bestimmen.
Ungemein viele Fehler, sowol gegen die Perspek- tiv, als insbesondere gegen die wahre Sezung der Lichter, entstehen daher, daß die Mahler ihre histori- schen Stüke aus Studien zusammensezen, davon jedes aus einem eigenen Gesichtspunkt, und in einem eigenen Lichte gezeichnet und schattirt worden, und dann glauben, sie können ohne genaue Bestimmung der perspektivischen und optischen Regeln, diese Stu- dien, durch ohgefehre Schäzung so verändern, daß sie in die Perspektiv und Beleuchtung des Gemähl- des passen.
Lichter. (Redende Künste)
Cicero nennt (*) die einzeln Gedanken oder Stellen der Rede, welche besonders hervorstechen, orationis lumina,Lichter der Rede, die das zu seyn scheinen, was die griechischen Rhetoren khemata nennen. Es sind also einzele Gedanken, die durch irgend eine Art der Kraft uns stärker rühren, als das übrige der Stelle, welcher sie einverleibet werden: sie tre- ten aus dem Ton des übrigen heraus, verursachen [Spaltenumbruch]
Lich
plözlich einen stärkern Eindruk, und unterbrechen die Einförmigkeit der Würkung der Rede; wie wenn in einem sanften und gelassenen Ton der Rede auf einmal etwas heftiges, oder in einem heftigen Ton etwas sehr sanftes und zärtliches vorkommt; oder wenn unter Vorstellungen, die blos den Ver- stand erleuchten sollen, auf einmal das Herz in Em- pfindung gesezt wird. Ueberhaupt also können alle Stellen in der Rede, wodurch die Aufmerksamkeit auf Vorstellungen oder Empfindungen einen ausser- ordentlichen Reiz bekommt, hieher gerechnet werden; sehr kräftige Denksprüche, Machtsprüche, Bilder, Metaphern und Figuren von großem hervorstechen- dem Nachdruk.
Dergleichen Lichter sind in jeder gebundenen oder ungebundenen Rede um so viel nothwendiger; weil die Einförmigkeit der Würkung, ob diese gleich an sich noch so stark ist, doch allmählig in eine der Auf- merksamkeit schädliche Zerstreuung sezt. Selbst das Brausen eines starken Wasserfalles, das uns anfäng- lich beynahe betäubet, wird wegen seiner Einförmig- keit in die Länge fast unmerkbar. Darum muß in den Werken der schönen Künste, die wir nach und nach vernehmen, von Zeit zu Zeit etwas vorkom- men, wodurch die Aufmerksamkeit aufs neue gereizt wird. Man sindet beym Quintilian in den zwey ersten Abschnitten des IX Buches fast alles beysam- men, was hierüber kann gesagt werden.
Jn der Musik ist dieses eben so nöthig, als in der Rede. Da kann eine plözliche etwas ungewöhnli- che Ausweichung, oder Versezung, oder irgend eine andre unvermuthete Wendung des Gesanges, oder der Harmonie, dasselbe bewürken.
Licht und Schatten. (Zeichnende Künste.)
So oft ein eingeschränktes Licht auf dunkele Kör- per fällt, entstehen auch Schatten: so daß Licht und Schatten in einer unzertrennlichen Verbindung stehen; besonders weil allemal die Stärke in beyden nach einerley Graden ab und zunihmt. Darum wird in der Mahlerey der Ausdruk, Licht und Schatten, wie ein einziges Wort angesehen, wodurch man die unzertreunliche Verbindung dieser beyden Erschei- uungen anzeiget. Durch eine genaue aus der Form der erleuchteten körperlichen Gegenstände entsprin- gende Vermischung des Lichts und Schattens an herausstehenden und vertieften Stellen wird vieles
von
(*) S. Brut. c. 79. Orat. c. 25.
Ss ss 2
[Spaltenumbruch]
Lich
liche Lage des Lichtſtrohms in Abſicht auf die Scene, oder den ganzen Raum des Gemaͤhldes beſtimmt werden. Hat denn der Mahler einen richtigen Grund- riß von ſeinem Gemaͤhlde, und iſt die Hoͤhe jedes Gegenſtandes darauf beſtimmt, ſo kann er genau ſagen, welche Theile des Gemaͤhldes in dem Licht- ſtrohm, und welche außer demſelben liegen.
Hiernaͤchſt kommen ſowol der Horizont des Ge- maͤhldes, als der dafuͤr angenommene Augenpunkt in Betrachtung, weil alles was uͤber dem Horizont iſt, ſein Licht niedriger hat, als was unter ihm ſteht, und das, was zur Rechten des Augenpunkts liegt, keine Lichter haben kann, als auf ſeiner linken Seite.
Wir beruͤhren dieſe Sachen hier nur obenhin, weil ihre Ausfuͤhrung, wie geſagt, in die Abhand- lung der Perſpektiv gehoͤrt. Wenn in einem hiſto- riſchen Gemaͤhlde alles nach dem Leben koͤnnte ge- mahlt werden, ſo haͤtte der Kuͤnſtler dieſe Theorie zur ſichern Anbringung der Lichter nicht noͤthig. Die bloße Beobachtung wuͤrde ihm dieſelben zeigen. Aber der Hiſtorienmahler ſezet ſeine meiſten Figuren, entweder aus der Phantaſie hin, oder nihmt ſie aus geſammelten ſogenannten Studien: da kann er blos der Zeichnung halber ſicher ſeyn; aber Licht und Schatten muß er aus genauen perſpektiviſchen Regeln beſtimmen.
Ungemein viele Fehler, ſowol gegen die Perſpek- tiv, als insbeſondere gegen die wahre Sezung der Lichter, entſtehen daher, daß die Mahler ihre hiſtori- ſchen Stuͤke aus Studien zuſammenſezen, davon jedes aus einem eigenen Geſichtspunkt, und in einem eigenen Lichte gezeichnet und ſchattirt worden, und dann glauben, ſie koͤnnen ohne genaue Beſtimmung der perſpektiviſchen und optiſchen Regeln, dieſe Stu- dien, durch ohgefehre Schaͤzung ſo veraͤndern, daß ſie in die Perſpektiv und Beleuchtung des Gemaͤhl- des paſſen.
Lichter. (Redende Kuͤnſte)
Cicero nennt (*) die einzeln Gedanken oder Stellen der Rede, welche beſonders hervorſtechen, orationis lumina,Lichter der Rede, die das zu ſeyn ſcheinen, was die griechiſchen Rhetoren χηματα nennen. Es ſind alſo einzele Gedanken, die durch irgend eine Art der Kraft uns ſtaͤrker ruͤhren, als das uͤbrige der Stelle, welcher ſie einverleibet werden: ſie tre- ten aus dem Ton des uͤbrigen heraus, verurſachen [Spaltenumbruch]
Lich
ploͤzlich einen ſtaͤrkern Eindruk, und unterbrechen die Einfoͤrmigkeit der Wuͤrkung der Rede; wie wenn in einem ſanften und gelaſſenen Ton der Rede auf einmal etwas heftiges, oder in einem heftigen Ton etwas ſehr ſanftes und zaͤrtliches vorkommt; oder wenn unter Vorſtellungen, die blos den Ver- ſtand erleuchten ſollen, auf einmal das Herz in Em- pfindung geſezt wird. Ueberhaupt alſo koͤnnen alle Stellen in der Rede, wodurch die Aufmerkſamkeit auf Vorſtellungen oder Empfindungen einen auſſer- ordentlichen Reiz bekommt, hieher gerechnet werden; ſehr kraͤftige Denkſpruͤche, Machtſpruͤche, Bilder, Metaphern und Figuren von großem hervorſtechen- dem Nachdruk.
Dergleichen Lichter ſind in jeder gebundenen oder ungebundenen Rede um ſo viel nothwendiger; weil die Einfoͤrmigkeit der Wuͤrkung, ob dieſe gleich an ſich noch ſo ſtark iſt, doch allmaͤhlig in eine der Auf- merkſamkeit ſchaͤdliche Zerſtreuung ſezt. Selbſt das Brauſen eines ſtarken Waſſerfalles, das uns anfaͤng- lich beynahe betaͤubet, wird wegen ſeiner Einfoͤrmig- keit in die Laͤnge faſt unmerkbar. Darum muß in den Werken der ſchoͤnen Kuͤnſte, die wir nach und nach vernehmen, von Zeit zu Zeit etwas vorkom- men, wodurch die Aufmerkſamkeit aufs neue gereizt wird. Man ſindet beym Quintilian in den zwey erſten Abſchnitten des IX Buches faſt alles beyſam- men, was hieruͤber kann geſagt werden.
Jn der Muſik iſt dieſes eben ſo noͤthig, als in der Rede. Da kann eine ploͤzliche etwas ungewoͤhnli- che Ausweichung, oder Verſezung, oder irgend eine andre unvermuthete Wendung des Geſanges, oder der Harmonie, daſſelbe bewuͤrken.
Licht und Schatten. (Zeichnende Kuͤnſte.)
So oft ein eingeſchraͤnktes Licht auf dunkele Koͤr- per faͤllt, entſtehen auch Schatten: ſo daß Licht und Schatten in einer unzertrennlichen Verbindung ſtehen; beſonders weil allemal die Staͤrke in beyden nach einerley Graden ab und zunihmt. Darum wird in der Mahlerey der Ausdruk, Licht und Schatten, wie ein einziges Wort angeſehen, wodurch man die unzertreunliche Verbindung dieſer beyden Erſchei- uungen anzeiget. Durch eine genaue aus der Form der erleuchteten koͤrperlichen Gegenſtaͤnde entſprin- gende Vermiſchung des Lichts und Schattens an herausſtehenden und vertieften Stellen wird vieles
von
(*) S. Brut. c. 79. Orat. c. 25.
Ss ss 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0126"n="709[691]"/><cb/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Lich</hi></fw><lb/>
liche Lage des Lichtſtrohms in Abſicht auf die Scene,<lb/>
oder den ganzen Raum des Gemaͤhldes beſtimmt<lb/>
werden. Hat denn der Mahler einen richtigen Grund-<lb/>
riß von ſeinem Gemaͤhlde, und iſt die Hoͤhe jedes<lb/>
Gegenſtandes darauf beſtimmt, ſo kann er genau<lb/>ſagen, welche Theile des Gemaͤhldes in dem Licht-<lb/>ſtrohm, und welche außer demſelben liegen.</p><lb/><p>Hiernaͤchſt kommen ſowol der Horizont des Ge-<lb/>
maͤhldes, als der dafuͤr angenommene Augenpunkt<lb/>
in Betrachtung, weil alles was uͤber dem Horizont<lb/>
iſt, ſein Licht niedriger hat, als was unter ihm ſteht,<lb/>
und das, was zur Rechten des Augenpunkts liegt,<lb/>
keine Lichter haben kann, als auf ſeiner linken Seite.</p><lb/><p>Wir beruͤhren dieſe Sachen hier nur obenhin,<lb/>
weil ihre Ausfuͤhrung, wie geſagt, in die Abhand-<lb/>
lung der Perſpektiv gehoͤrt. Wenn in einem hiſto-<lb/>
riſchen Gemaͤhlde alles nach dem Leben koͤnnte ge-<lb/>
mahlt werden, ſo haͤtte der Kuͤnſtler dieſe Theorie<lb/>
zur ſichern Anbringung der Lichter nicht noͤthig.<lb/>
Die bloße Beobachtung wuͤrde ihm dieſelben zeigen.<lb/>
Aber der Hiſtorienmahler ſezet ſeine meiſten Figuren,<lb/>
entweder aus der Phantaſie hin, oder nihmt ſie<lb/>
aus geſammelten ſogenannten Studien: da kann er<lb/>
blos der Zeichnung halber ſicher ſeyn; aber Licht<lb/>
und Schatten muß er aus genauen perſpektiviſchen<lb/>
Regeln beſtimmen.</p><lb/><p>Ungemein viele Fehler, ſowol gegen die Perſpek-<lb/>
tiv, als insbeſondere gegen die wahre Sezung der<lb/>
Lichter, entſtehen daher, daß die Mahler ihre hiſtori-<lb/>ſchen Stuͤke aus Studien zuſammenſezen, davon<lb/>
jedes aus einem eigenen Geſichtspunkt, und in einem<lb/>
eigenen Lichte gezeichnet und ſchattirt worden, und<lb/>
dann glauben, ſie koͤnnen ohne genaue Beſtimmung<lb/>
der perſpektiviſchen und optiſchen Regeln, dieſe Stu-<lb/>
dien, durch ohgefehre Schaͤzung ſo veraͤndern, daß<lb/>ſie in die Perſpektiv und Beleuchtung des Gemaͤhl-<lb/>
des paſſen.</p></div><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Lichter.</hi></hi><lb/>
(Redende Kuͤnſte)</head><lb/><p><hirendition="#in">C</hi>icero nennt <noteplace="foot"n="(*)">S.<lb/><hirendition="#aq">Brut. c. 79.<lb/>
Orat. c.</hi> 25.</note> die einzeln Gedanken oder Stellen<lb/>
der Rede, welche beſonders hervorſtechen, <hirendition="#aq">orationis<lb/>
lumina,</hi><hirendition="#fr">Lichter der Rede,</hi> die das zu ſeyn ſcheinen,<lb/>
was die griechiſchen Rhetoren χηματα nennen.<lb/>
Es ſind alſo einzele Gedanken, die durch irgend eine<lb/>
Art der Kraft uns ſtaͤrker ruͤhren, als das uͤbrige<lb/>
der Stelle, welcher ſie einverleibet werden: ſie tre-<lb/>
ten aus dem Ton des uͤbrigen heraus, verurſachen<lb/><cb/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Lich</hi></fw><lb/>
ploͤzlich einen ſtaͤrkern Eindruk, und unterbrechen<lb/>
die Einfoͤrmigkeit der Wuͤrkung der Rede; wie wenn<lb/>
in einem ſanften und gelaſſenen Ton der Rede auf<lb/>
einmal etwas heftiges, oder in einem heftigen<lb/>
Ton etwas ſehr ſanftes und zaͤrtliches vorkommt;<lb/>
oder wenn unter Vorſtellungen, die blos den Ver-<lb/>ſtand erleuchten ſollen, auf einmal das Herz in Em-<lb/>
pfindung geſezt wird. Ueberhaupt alſo koͤnnen alle<lb/>
Stellen in der Rede, wodurch die Aufmerkſamkeit<lb/>
auf Vorſtellungen oder Empfindungen einen auſſer-<lb/>
ordentlichen Reiz bekommt, hieher gerechnet werden;<lb/>ſehr kraͤftige Denkſpruͤche, Machtſpruͤche, Bilder,<lb/>
Metaphern und Figuren von großem hervorſtechen-<lb/>
dem Nachdruk.</p><lb/><p>Dergleichen Lichter ſind in jeder gebundenen oder<lb/>
ungebundenen Rede um ſo viel nothwendiger; weil<lb/>
die Einfoͤrmigkeit der Wuͤrkung, ob dieſe gleich an<lb/>ſich noch ſo ſtark iſt, doch allmaͤhlig in eine der Auf-<lb/>
merkſamkeit ſchaͤdliche Zerſtreuung ſezt. Selbſt das<lb/>
Brauſen eines ſtarken Waſſerfalles, das uns anfaͤng-<lb/>
lich beynahe betaͤubet, wird wegen ſeiner Einfoͤrmig-<lb/>
keit in die Laͤnge faſt unmerkbar. Darum muß in<lb/>
den Werken der ſchoͤnen Kuͤnſte, die wir nach und<lb/>
nach vernehmen, von Zeit zu Zeit etwas vorkom-<lb/>
men, wodurch die Aufmerkſamkeit aufs neue gereizt<lb/>
wird. Man ſindet beym <hirendition="#fr">Quintilian</hi> in den zwey<lb/>
erſten Abſchnitten des <hirendition="#aq">IX</hi> Buches faſt alles beyſam-<lb/>
men, was hieruͤber kann geſagt werden.</p><lb/><p>Jn der Muſik iſt dieſes eben ſo noͤthig, als in der<lb/>
Rede. Da kann eine ploͤzliche etwas ungewoͤhnli-<lb/>
che Ausweichung, oder Verſezung, oder irgend eine<lb/>
andre unvermuthete Wendung des Geſanges, oder<lb/>
der Harmonie, daſſelbe bewuͤrken.</p></div><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Licht</hi> und <hirendition="#g">Schatten.</hi></hi><lb/>
(Zeichnende Kuͤnſte.)</head><lb/><p><hirendition="#in">S</hi>o oft ein eingeſchraͤnktes Licht auf dunkele Koͤr-<lb/>
per faͤllt, entſtehen auch Schatten: ſo daß Licht<lb/>
und Schatten in einer unzertrennlichen Verbindung<lb/>ſtehen; beſonders weil allemal die Staͤrke in beyden<lb/>
nach einerley Graden ab und zunihmt. Darum wird<lb/>
in der Mahlerey der Ausdruk, Licht und Schatten,<lb/>
wie ein einziges Wort angeſehen, wodurch man die<lb/>
unzertreunliche Verbindung dieſer beyden Erſchei-<lb/>
uungen anzeiget. Durch eine genaue aus der Form<lb/>
der erleuchteten koͤrperlichen Gegenſtaͤnde entſprin-<lb/>
gende Vermiſchung des Lichts und Schattens an<lb/>
herausſtehenden und vertieften Stellen wird vieles<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Ss ss 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">von</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[709[691]/0126]
Lich
Lich
liche Lage des Lichtſtrohms in Abſicht auf die Scene,
oder den ganzen Raum des Gemaͤhldes beſtimmt
werden. Hat denn der Mahler einen richtigen Grund-
riß von ſeinem Gemaͤhlde, und iſt die Hoͤhe jedes
Gegenſtandes darauf beſtimmt, ſo kann er genau
ſagen, welche Theile des Gemaͤhldes in dem Licht-
ſtrohm, und welche außer demſelben liegen.
Hiernaͤchſt kommen ſowol der Horizont des Ge-
maͤhldes, als der dafuͤr angenommene Augenpunkt
in Betrachtung, weil alles was uͤber dem Horizont
iſt, ſein Licht niedriger hat, als was unter ihm ſteht,
und das, was zur Rechten des Augenpunkts liegt,
keine Lichter haben kann, als auf ſeiner linken Seite.
Wir beruͤhren dieſe Sachen hier nur obenhin,
weil ihre Ausfuͤhrung, wie geſagt, in die Abhand-
lung der Perſpektiv gehoͤrt. Wenn in einem hiſto-
riſchen Gemaͤhlde alles nach dem Leben koͤnnte ge-
mahlt werden, ſo haͤtte der Kuͤnſtler dieſe Theorie
zur ſichern Anbringung der Lichter nicht noͤthig.
Die bloße Beobachtung wuͤrde ihm dieſelben zeigen.
Aber der Hiſtorienmahler ſezet ſeine meiſten Figuren,
entweder aus der Phantaſie hin, oder nihmt ſie
aus geſammelten ſogenannten Studien: da kann er
blos der Zeichnung halber ſicher ſeyn; aber Licht
und Schatten muß er aus genauen perſpektiviſchen
Regeln beſtimmen.
Ungemein viele Fehler, ſowol gegen die Perſpek-
tiv, als insbeſondere gegen die wahre Sezung der
Lichter, entſtehen daher, daß die Mahler ihre hiſtori-
ſchen Stuͤke aus Studien zuſammenſezen, davon
jedes aus einem eigenen Geſichtspunkt, und in einem
eigenen Lichte gezeichnet und ſchattirt worden, und
dann glauben, ſie koͤnnen ohne genaue Beſtimmung
der perſpektiviſchen und optiſchen Regeln, dieſe Stu-
dien, durch ohgefehre Schaͤzung ſo veraͤndern, daß
ſie in die Perſpektiv und Beleuchtung des Gemaͤhl-
des paſſen.
Lichter.
(Redende Kuͤnſte)
Cicero nennt (*) die einzeln Gedanken oder Stellen
der Rede, welche beſonders hervorſtechen, orationis
lumina, Lichter der Rede, die das zu ſeyn ſcheinen,
was die griechiſchen Rhetoren χηματα nennen.
Es ſind alſo einzele Gedanken, die durch irgend eine
Art der Kraft uns ſtaͤrker ruͤhren, als das uͤbrige
der Stelle, welcher ſie einverleibet werden: ſie tre-
ten aus dem Ton des uͤbrigen heraus, verurſachen
ploͤzlich einen ſtaͤrkern Eindruk, und unterbrechen
die Einfoͤrmigkeit der Wuͤrkung der Rede; wie wenn
in einem ſanften und gelaſſenen Ton der Rede auf
einmal etwas heftiges, oder in einem heftigen
Ton etwas ſehr ſanftes und zaͤrtliches vorkommt;
oder wenn unter Vorſtellungen, die blos den Ver-
ſtand erleuchten ſollen, auf einmal das Herz in Em-
pfindung geſezt wird. Ueberhaupt alſo koͤnnen alle
Stellen in der Rede, wodurch die Aufmerkſamkeit
auf Vorſtellungen oder Empfindungen einen auſſer-
ordentlichen Reiz bekommt, hieher gerechnet werden;
ſehr kraͤftige Denkſpruͤche, Machtſpruͤche, Bilder,
Metaphern und Figuren von großem hervorſtechen-
dem Nachdruk.
Dergleichen Lichter ſind in jeder gebundenen oder
ungebundenen Rede um ſo viel nothwendiger; weil
die Einfoͤrmigkeit der Wuͤrkung, ob dieſe gleich an
ſich noch ſo ſtark iſt, doch allmaͤhlig in eine der Auf-
merkſamkeit ſchaͤdliche Zerſtreuung ſezt. Selbſt das
Brauſen eines ſtarken Waſſerfalles, das uns anfaͤng-
lich beynahe betaͤubet, wird wegen ſeiner Einfoͤrmig-
keit in die Laͤnge faſt unmerkbar. Darum muß in
den Werken der ſchoͤnen Kuͤnſte, die wir nach und
nach vernehmen, von Zeit zu Zeit etwas vorkom-
men, wodurch die Aufmerkſamkeit aufs neue gereizt
wird. Man ſindet beym Quintilian in den zwey
erſten Abſchnitten des IX Buches faſt alles beyſam-
men, was hieruͤber kann geſagt werden.
Jn der Muſik iſt dieſes eben ſo noͤthig, als in der
Rede. Da kann eine ploͤzliche etwas ungewoͤhnli-
che Ausweichung, oder Verſezung, oder irgend eine
andre unvermuthete Wendung des Geſanges, oder
der Harmonie, daſſelbe bewuͤrken.
Licht und Schatten.
(Zeichnende Kuͤnſte.)
So oft ein eingeſchraͤnktes Licht auf dunkele Koͤr-
per faͤllt, entſtehen auch Schatten: ſo daß Licht
und Schatten in einer unzertrennlichen Verbindung
ſtehen; beſonders weil allemal die Staͤrke in beyden
nach einerley Graden ab und zunihmt. Darum wird
in der Mahlerey der Ausdruk, Licht und Schatten,
wie ein einziges Wort angeſehen, wodurch man die
unzertreunliche Verbindung dieſer beyden Erſchei-
uungen anzeiget. Durch eine genaue aus der Form
der erleuchteten koͤrperlichen Gegenſtaͤnde entſprin-
gende Vermiſchung des Lichts und Schattens an
herausſtehenden und vertieften Stellen wird vieles
von
(*) S.
Brut. c. 79.
Orat. c. 25.
Ss ss 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 709[691]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/126>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.