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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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schlechter ausnehmen, das Aug reizen, oder ihm
gleichgültig werden; nachdem ein stärkeres, oder
schwächeres Licht darauf fällt, oder nachdem das
Licht allgemein verbreitet, oder auf eine Stelle ein-
geschränkt ist, oder nachdem das eingeschränkte Licht
in einem kleinen oder großen Winkel, von der rech-
ten, oder linken Seite, von vorne oder von hinten,
einfällt. Diese Betrachtung wird sehr weitläuftig,
und der Mahler, der alle Vortheile der guten Wür-
kung des Lichts auf das Gemähld überhaupt mit
Sicherheit nuzen will, muß unglaublich viel beob-
achtet haben. Wir wollen nur die Hauptpunkte
berühren. Einige allgemeine hiehergehörige Beob-
achtungen sind in dem Artikel über die Haltung be-
reits angeführt worden.

Auf die Würkung der Stärke und Schwäche
des Lichts, muß der Mahler aufmerksam seyn: jede
mahlerische Scene, sowohl in der leblosen Natur, als
in der sittlichen Welt, bey hellem und dunkeln Himmel,
bey Sonnenschein und an trüben Tagen, muß er
mit dem überlegenden Aug eines wahren Künstlers
betrachten. Je mehr er sich darin übet, je mehr
Vortheile wird er entdeken, die bald das stärkere,
bald das schwächere Licht dem Gegenstand giebt.
So wird er finden, daß ein sehr starkes Licht, zu-
mal wenn die Schatten nicht durch ein beträchtliches
wiederscheinendes Licht erheitert werden, der Harmo-
nie des Gemähldes schädlich ist; indem die hellen
und dunkelen Stellen, in einiger Entfernung, wie
abstechende Fleken aussehen. Bey gewissen Anord-
nungen der Gegenstände wird er gewahr werden,
daß ein schwaches Licht alles matt macht, ein star-
kes aber eine unangenehme Zerstreuung kleiner, hel-
ler, und dunkeler Massen hervorbringt. Er wird
aber wohl thun, wenn er nach dem Beyspiel des da
Vinci
seine Bemerkungen anfschreibt; auch biswei-
len, wo er besonders gute Würkungen des Lichts
wahrgenommen hat, sich derselben durch flüchtige
Entwürfe versichert. Die Fälle, wie man die Gegen-
stände in der Natur angeordnet antrift, sind unend-
lich; mancher Anordnung ist ein starkes Licht vor-
theilhaft, da ein schwächeres bey einer andern An-
ordnung bessere Würkung thut. Es ist nöthig dem
Mahler, der seine Kunst von Grund aus studiren will,
dergleichen mannigfaltige Beobachtungen zu empfeh-
len, damit er nur erst sich selbst überzeuge, daß die
Kunst unerschöpflich sey, und daß er täglich Gele-
genheit habe, etwas Neues zu lernen.

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Jn Ansehung der Verbreitung, oder Ausdähnung
des Lichts ist zuvoderst anzumerken, daß es Scenen
giebt, über welche sich das Licht von allen Seiten
her gleich ausbreitet, da in andern Fällen blos von
einer Seite das stärkste Hauptlicht einfällt, folglich
nur eine Seite der Gegenstände trift, da die andre
Seite blos von weit schwächerm wiederscheinenden
Licht einige Beleuchtung bekommt. Jenes allge-
mein verbreitete Licht ist das Tageslicht auf freyen
uneingeschränkten Pläzen, wo jeder Gegenstand so-
wol von oben, als von jeder Seite her, dasselbe
Licht empfängt. Das eingeschränkte Licht entsteht
entweder vom Sonnenschein auf freyen Pläzen, oder
daher, daß die Gegenstände an einigen Seiten von
Mauren, Wänden, oder Höhen so bedekt sind, daß
das Tageslicht nur von einer einzigen Seite auf sie
fallen kann; wie in einem Zimmer, das nur nach
einer Gegend Fenster hat, oder an dem Fuß hoher
Berge, und ansehnlicher Gebäude, die das Tages-
licht von einer, oder mehrern Seiten auffangen.

Bald thut das allgemein verbreitete, bald das
mehr oder weniger eingeschränkte Licht die beste Wür-
kung, nachdem die Anordnung und andre Umstände
des Gemähldes beschaffen sind. Ueberhaupt hat das
allgemein verbreitete Licht den Vortheil, daß dadurch
die Harmonie leichter zu erhalten ist, und daß die
Schatten, weil sie gemäßiget sind, nicht als schwarze
Fleken erschemen Nur für einzele Gegenstände, wie
die Portraite sind, ist ein genau eingeschränktes, da-
bey aber etwas gedämpftes Licht nicht nur vorzüglich,
sondern beynahe nothwendig.

Ueber das eingeschränkte Licht wird ein genauer
Beobachter mancherley wichtige Bemerkungen zu
machen haben. Er wird finden, daß in den meisten
Fällen ein etwas hocheinfallendes Licht die beste Wür-
kung thut; weil dadurch auch der Boden, worauf
die Gegenstände stehen, hinlänglich erleuchtet wird,
und weil die Schatten nicht nur kürzer, sondern
auch runder und in angenehmere Formen gebildet
werden, als bey niedrigem, oder flachen Licht. Aber
er wird auch Fälle beobachten können, wo eine
Gruppe, die schon für sich ein vollständiges Gemähld
ausmachen würde, am vortheilhaftesten durch ein
sehr genau eingeschränktes und blos durch eine kleine
Oefnung einfallendes Licht, das nur auf die Haupt-
figur fällt, erleuchtet wird, das die andern Figuren
blos abglitschend und durch Wiederscheine etwas
erhellet.

Am
Zweyter Theil. Ss ss

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Lich
ſchlechter ausnehmen, das Aug reizen, oder ihm
gleichguͤltig werden; nachdem ein ſtaͤrkeres, oder
ſchwaͤcheres Licht darauf faͤllt, oder nachdem das
Licht allgemein verbreitet, oder auf eine Stelle ein-
geſchraͤnkt iſt, oder nachdem das eingeſchraͤnkte Licht
in einem kleinen oder großen Winkel, von der rech-
ten, oder linken Seite, von vorne oder von hinten,
einfaͤllt. Dieſe Betrachtung wird ſehr weitlaͤuftig,
und der Mahler, der alle Vortheile der guten Wuͤr-
kung des Lichts auf das Gemaͤhld uͤberhaupt mit
Sicherheit nuzen will, muß unglaublich viel beob-
achtet haben. Wir wollen nur die Hauptpunkte
beruͤhren. Einige allgemeine hiehergehoͤrige Beob-
achtungen ſind in dem Artikel uͤber die Haltung be-
reits angefuͤhrt worden.

Auf die Wuͤrkung der Staͤrke und Schwaͤche
des Lichts, muß der Mahler aufmerkſam ſeyn: jede
mahleriſche Scene, ſowohl in der lebloſen Natur, als
in der ſittlichen Welt, bey hellem und dunkeln Himmel,
bey Sonnenſchein und an truͤben Tagen, muß er
mit dem uͤberlegenden Aug eines wahren Kuͤnſtlers
betrachten. Je mehr er ſich darin uͤbet, je mehr
Vortheile wird er entdeken, die bald das ſtaͤrkere,
bald das ſchwaͤchere Licht dem Gegenſtand giebt.
So wird er finden, daß ein ſehr ſtarkes Licht, zu-
mal wenn die Schatten nicht durch ein betraͤchtliches
wiederſcheinendes Licht erheitert werden, der Harmo-
nie des Gemaͤhldes ſchaͤdlich iſt; indem die hellen
und dunkelen Stellen, in einiger Entfernung, wie
abſtechende Fleken ausſehen. Bey gewiſſen Anord-
nungen der Gegenſtaͤnde wird er gewahr werden,
daß ein ſchwaches Licht alles matt macht, ein ſtar-
kes aber eine unangenehme Zerſtreuung kleiner, hel-
ler, und dunkeler Maſſen hervorbringt. Er wird
aber wohl thun, wenn er nach dem Beyſpiel des da
Vinci
ſeine Bemerkungen anfſchreibt; auch biswei-
len, wo er beſonders gute Wuͤrkungen des Lichts
wahrgenommen hat, ſich derſelben durch fluͤchtige
Entwuͤrfe verſichert. Die Faͤlle, wie man die Gegen-
ſtaͤnde in der Natur angeordnet antrift, ſind unend-
lich; mancher Anordnung iſt ein ſtarkes Licht vor-
theilhaft, da ein ſchwaͤcheres bey einer andern An-
ordnung beſſere Wuͤrkung thut. Es iſt noͤthig dem
Mahler, der ſeine Kunſt von Grund aus ſtudiren will,
dergleichen mannigfaltige Beobachtungen zu empfeh-
len, damit er nur erſt ſich ſelbſt uͤberzeuge, daß die
Kunſt unerſchoͤpflich ſey, und daß er taͤglich Gele-
genheit habe, etwas Neues zu lernen.

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Lich

Jn Anſehung der Verbreitung, oder Ausdaͤhnung
des Lichts iſt zuvoderſt anzumerken, daß es Scenen
giebt, uͤber welche ſich das Licht von allen Seiten
her gleich ausbreitet, da in andern Faͤllen blos von
einer Seite das ſtaͤrkſte Hauptlicht einfaͤllt, folglich
nur eine Seite der Gegenſtaͤnde trift, da die andre
Seite blos von weit ſchwaͤcherm wiederſcheinenden
Licht einige Beleuchtung bekommt. Jenes allge-
mein verbreitete Licht iſt das Tageslicht auf freyen
uneingeſchraͤnkten Plaͤzen, wo jeder Gegenſtand ſo-
wol von oben, als von jeder Seite her, daſſelbe
Licht empfaͤngt. Das eingeſchraͤnkte Licht entſteht
entweder vom Sonnenſchein auf freyen Plaͤzen, oder
daher, daß die Gegenſtaͤnde an einigen Seiten von
Mauren, Waͤnden, oder Hoͤhen ſo bedekt ſind, daß
das Tageslicht nur von einer einzigen Seite auf ſie
fallen kann; wie in einem Zimmer, das nur nach
einer Gegend Fenſter hat, oder an dem Fuß hoher
Berge, und anſehnlicher Gebaͤude, die das Tages-
licht von einer, oder mehrern Seiten auffangen.

Bald thut das allgemein verbreitete, bald das
mehr oder weniger eingeſchraͤnkte Licht die beſte Wuͤr-
kung, nachdem die Anordnung und andre Umſtaͤnde
des Gemaͤhldes beſchaffen ſind. Ueberhaupt hat das
allgemein verbreitete Licht den Vortheil, daß dadurch
die Harmonie leichter zu erhalten iſt, und daß die
Schatten, weil ſie gemaͤßiget ſind, nicht als ſchwarze
Fleken erſchemen Nur fuͤr einzele Gegenſtaͤnde, wie
die Portraite ſind, iſt ein genau eingeſchraͤnktes, da-
bey aber etwas gedaͤmpftes Licht nicht nur vorzuͤglich,
ſondern beynahe nothwendig.

Ueber das eingeſchraͤnkte Licht wird ein genauer
Beobachter mancherley wichtige Bemerkungen zu
machen haben. Er wird finden, daß in den meiſten
Faͤllen ein etwas hocheinfallendes Licht die beſte Wuͤr-
kung thut; weil dadurch auch der Boden, worauf
die Gegenſtaͤnde ſtehen, hinlaͤnglich erleuchtet wird,
und weil die Schatten nicht nur kuͤrzer, ſondern
auch runder und in angenehmere Formen gebildet
werden, als bey niedrigem, oder flachen Licht. Aber
er wird auch Faͤlle beobachten koͤnnen, wo eine
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ausmachen wuͤrde, am vortheilhafteſten durch ein
ſehr genau eingeſchraͤnktes und blos durch eine kleine
Oefnung einfallendes Licht, das nur auf die Haupt-
figur faͤllt, erleuchtet wird, das die andern Figuren
blos abglitſchend und durch Wiederſcheine etwas
erhellet.

Am
Zweyter Theil. Ss ss
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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 707[689]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/124>, abgerufen am 05.05.2024.