als das, was auf a b fällt, um so viel als die Linie c 1' länger ist, als die Linie a 1. Der Faden b c wird also ein dunkleres Roth haben, als der Fa- den a b.
Mit dem Faden A I B, verhält es sich ganz an- ders. Man siehet aus der Figur, daß die Stärke des Lichts sich in jeder Stelle verändert; denn bey B fallen die Strahlen näher aneinander auf den Faden, als bey A. Der Abstand der Punkte A I ist der größte, I, II, etwas kleiner, II, III, wieder et- was kleiner u. s. f. Darum ist das Licht zwischen A und I am schwächsten; zwischen I und II etwas stärker; zwischen II und III wieder etwas stärker, und so nimmt es an Stärke immer zu, bis in B, wo es am stärksten ist.
Daraus folget, daß der Faden A B auf jeder Stelle eine andre Schattirung seiner rothen Farbe habe. Bey B wird sie am hellesten seyn, und im- mer dunkler werden bis nach A: was aber unter- halb dem Punkt A ist, wird wegen gänzlichem Man- gel des Lichts seine Farbe völlig verlieren, und schwarz scheinen.
Man stelle sich nun eine runde glatte Kugel, von welcher Farbe man wolle, vor, die von der Sonne erleuchtet wird; diese Kugel muß, vermöge der oben erwähnten Beobachtung auf der Hälfte, die erleuchtet wird, alle mögliche Schattirungen der Farbe, die sie hat, zeigen. Da wo das höchste Licht auffält, wird sie am hellesten, und da wo gar kein Licht hinfällt, wird sie schwarz seyn. Zwischen die- sen beyden Stellen aber wird die eigenthümliche Farbe der Kugel auf jeder Stelle eine besondre Schat- tirung haben: welches nicht seyn würde, wenn man anstatt der Kugel einen flachen Teller von derselben Farbe gegen die Sonne kehrte; denn weil auf je- den Punkt des Tellers eben so starkes Licht fällt, als auf jeden andern; so bleibet die eigenthümliche Farbe des Tellers in jedem Punkt dieselbige. Also machet die, von der höchsten Stelle des Lichts bis auf den völligen Schatten, allmählig abnehmende Stärke desselben, und die daher entstehende Mannigfaltig- keit der Schattirungen der eigenthümlichen Farbe der Kugel, daß wir sie als eine Kugel, und nicht, als einen flachen Teller sehen. Daher ist klar, daß die Gestalt der Körper, in so fern sie nicht mehr durch die Umrisse kann angedeutet werden, allein von der allmähligen Schattirung ihrer eigenthümlichen [Spaltenumbruch]
Lich
Farben, durch die Stärke und Schwäche des Lichts, dem Auge fühlbar wird.
Also hat der Mahler vor allen Dingen die Wür- kung des stärkeren und schwächeren Lichts auf jede Farbe gründlich zu beobachten, und dabey zu beden- ken, daß die Stärke des Lichts von zwey Ursachen herkomme, nämlich von der absoluten Menge dessel- den, da z. B. das Sonnenlicht bey etwas nebligter Luft weniger Stärke hat, als bey völlig reinem Him- mel, und denn von der Lage, die jede Stelle des Körpers gegen die Richtung des Lichts hat, und wo- durch es, wie aus der vorherstehenden Figur erhel- let, stärker, oder schwächer wird. Die Verände- rungen der Farben, die dadurch verursachet werden, müssen ihm für jeden Grad der Stärke des Lichts völlig bekannt und geläufig seyn, und er muß diesen Theil der Kunst, mit der Genauigkeit eines Natur- forschers studiren, wie Leonbardo da Vinci ge- than hat.
Der zweyte Hauptpunkt, den er zu überlegen hat, betrift die Natur; oder Farbe des Lichts selbst; weil auch dieses die Farbe der Körper ändert. Es giebt weißes, gelbes, blaues Licht u. s. f. Man seze, daß der Mahler in seinem Zimmer einen vor ihm ste- henden Gegenstand zu mahlen habe, der blos vom Himmel, oder von dem durch die Fenster einfallen- den Tageslicht, ohne Sonnenschein erleuchtet wird. Jst die Luft hell und rein, so kommt alles Licht von dem blauen Himmel; ist die Luft mit weißen Wol- ken überzogen, so kommt es von diesen allein: jenes blaue Licht aber giebt allen Farben der Körper einen andern Blik, als dieses Weiße. Die gelbe Farbe würde bey dem blauen Lichte der hellen Luft schon et- was grünlich werden. Darum muß der Mahler auch diesen Einflus des Lichts auf die Farben genau erforschen. Am wichtigsten ist diese Kenntnis in Ab- sicht auf das, von gefärbten Körpern auf die zu mahlenden Gegenstände zurütgeworfene Licht; aber davon wird an einem andern Orte besonders gehan- delt werden. (*)
Die dritte Betrachtung, die der Mahler über das Licht zu machen hat, ist sein Einfluß auf die Hal- tung und Würkung. Man sindet nämlich, daß der- selbe Gegenstand, z. B. eine Gegend, bey merklich verändertem Licht auch ihr ganzes Ansehen verän- dert, mehr oder weniger angenehm wird, und daß sich alle darauf befindliche Dinge besser, oder
schlech-
(*) Wie- derschein.
[Spaltenumbruch]
Lich
als das, was auf a b faͤllt, um ſo viel als die Linie c 1′ laͤnger iſt, als die Linie a 1. Der Faden b c wird alſo ein dunkleres Roth haben, als der Fa- den a b.
Mit dem Faden A I B, verhaͤlt es ſich ganz an- ders. Man ſiehet aus der Figur, daß die Staͤrke des Lichts ſich in jeder Stelle veraͤndert; denn bey B fallen die Strahlen naͤher aneinander auf den Faden, als bey A. Der Abſtand der Punkte A I iſt der groͤßte, I, II, etwas kleiner, II, III, wieder et- was kleiner u. ſ. f. Darum iſt das Licht zwiſchen A und I am ſchwaͤchſten; zwiſchen I und II etwas ſtaͤrker; zwiſchen II und III wieder etwas ſtaͤrker, und ſo nimmt es an Staͤrke immer zu, bis in B, wo es am ſtaͤrkſten iſt.
Daraus folget, daß der Faden A B auf jeder Stelle eine andre Schattirung ſeiner rothen Farbe habe. Bey B wird ſie am helleſten ſeyn, und im- mer dunkler werden bis nach A: was aber unter- halb dem Punkt A iſt, wird wegen gaͤnzlichem Man- gel des Lichts ſeine Farbe voͤllig verlieren, und ſchwarz ſcheinen.
Man ſtelle ſich nun eine runde glatte Kugel, von welcher Farbe man wolle, vor, die von der Sonne erleuchtet wird; dieſe Kugel muß, vermoͤge der oben erwaͤhnten Beobachtung auf der Haͤlfte, die erleuchtet wird, alle moͤgliche Schattirungen der Farbe, die ſie hat, zeigen. Da wo das hoͤchſte Licht auffaͤlt, wird ſie am helleſten, und da wo gar kein Licht hinfaͤllt, wird ſie ſchwarz ſeyn. Zwiſchen die- ſen beyden Stellen aber wird die eigenthuͤmliche Farbe der Kugel auf jeder Stelle eine beſondre Schat- tirung haben: welches nicht ſeyn wuͤrde, wenn man anſtatt der Kugel einen flachen Teller von derſelben Farbe gegen die Sonne kehrte; denn weil auf je- den Punkt des Tellers eben ſo ſtarkes Licht faͤllt, als auf jeden andern; ſo bleibet die eigenthuͤmliche Farbe des Tellers in jedem Punkt dieſelbige. Alſo machet die, von der hoͤchſten Stelle des Lichts bis auf den voͤlligen Schatten, allmaͤhlig abnehmende Staͤrke deſſelben, und die daher entſtehende Mannigfaltig- keit der Schattirungen der eigenthuͤmlichen Farbe der Kugel, daß wir ſie als eine Kugel, und nicht, als einen flachen Teller ſehen. Daher iſt klar, daß die Geſtalt der Koͤrper, in ſo fern ſie nicht mehr durch die Umriſſe kann angedeutet werden, allein von der allmaͤhligen Schattirung ihrer eigenthuͤmlichen [Spaltenumbruch]
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Farben, durch die Staͤrke und Schwaͤche des Lichts, dem Auge fuͤhlbar wird.
Alſo hat der Mahler vor allen Dingen die Wuͤr- kung des ſtaͤrkeren und ſchwaͤcheren Lichts auf jede Farbe gruͤndlich zu beobachten, und dabey zu beden- ken, daß die Staͤrke des Lichts von zwey Urſachen herkomme, naͤmlich von der abſoluten Menge deſſel- den, da z. B. das Sonnenlicht bey etwas nebligter Luft weniger Staͤrke hat, als bey voͤllig reinem Him- mel, und denn von der Lage, die jede Stelle des Koͤrpers gegen die Richtung des Lichts hat, und wo- durch es, wie aus der vorherſtehenden Figur erhel- let, ſtaͤrker, oder ſchwaͤcher wird. Die Veraͤnde- rungen der Farben, die dadurch verurſachet werden, muͤſſen ihm fuͤr jeden Grad der Staͤrke des Lichts voͤllig bekannt und gelaͤufig ſeyn, und er muß dieſen Theil der Kunſt, mit der Genauigkeit eines Natur- forſchers ſtudiren, wie Leonbardo da Vinci ge- than hat.
Der zweyte Hauptpunkt, den er zu uͤberlegen hat, betrift die Natur; oder Farbe des Lichts ſelbſt; weil auch dieſes die Farbe der Koͤrper aͤndert. Es giebt weißes, gelbes, blaues Licht u. ſ. f. Man ſeze, daß der Mahler in ſeinem Zimmer einen vor ihm ſte- henden Gegenſtand zu mahlen habe, der blos vom Himmel, oder von dem durch die Fenſter einfallen- den Tageslicht, ohne Sonnenſchein erleuchtet wird. Jſt die Luft hell und rein, ſo kommt alles Licht von dem blauen Himmel; iſt die Luft mit weißen Wol- ken uͤberzogen, ſo kommt es von dieſen allein: jenes blaue Licht aber giebt allen Farben der Koͤrper einen andern Blik, als dieſes Weiße. Die gelbe Farbe wuͤrde bey dem blauen Lichte der hellen Luft ſchon et- was gruͤnlich werden. Darum muß der Mahler auch dieſen Einflus des Lichts auf die Farben genau erforſchen. Am wichtigſten iſt dieſe Kenntnis in Ab- ſicht auf das, von gefaͤrbten Koͤrpern auf die zu mahlenden Gegenſtaͤnde zuruͤtgeworfene Licht; aber davon wird an einem andern Orte beſonders gehan- delt werden. (*)
Die dritte Betrachtung, die der Mahler uͤber das Licht zu machen hat, iſt ſein Einfluß auf die Hal- tung und Wuͤrkung. Man ſindet naͤmlich, daß der- ſelbe Gegenſtand, z. B. eine Gegend, bey merklich veraͤndertem Licht auch ihr ganzes Anſehen veraͤn- dert, mehr oder weniger angenehm wird, und daß ſich alle darauf befindliche Dinge beſſer, oder
ſchlech-
(*) Wie- derſchein.
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[706[688]/0123]
Lich
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als das, was auf a b faͤllt, um ſo viel als die Linie
c 1′ laͤnger iſt, als die Linie a 1. Der Faden
b c wird alſo ein dunkleres Roth haben, als der Fa-
den a b.
Mit dem Faden A I B, verhaͤlt es ſich ganz an-
ders. Man ſiehet aus der Figur, daß die Staͤrke
des Lichts ſich in jeder Stelle veraͤndert; denn bey B
fallen die Strahlen naͤher aneinander auf den Faden,
als bey A. Der Abſtand der Punkte A I iſt der
groͤßte, I, II, etwas kleiner, II, III, wieder et-
was kleiner u. ſ. f. Darum iſt das Licht zwiſchen
A und I am ſchwaͤchſten; zwiſchen I und II etwas
ſtaͤrker; zwiſchen II und III wieder etwas ſtaͤrker,
und ſo nimmt es an Staͤrke immer zu, bis in B,
wo es am ſtaͤrkſten iſt.
Daraus folget, daß der Faden A B auf jeder
Stelle eine andre Schattirung ſeiner rothen Farbe
habe. Bey B wird ſie am helleſten ſeyn, und im-
mer dunkler werden bis nach A: was aber unter-
halb dem Punkt A iſt, wird wegen gaͤnzlichem Man-
gel des Lichts ſeine Farbe voͤllig verlieren, und ſchwarz
ſcheinen.
Man ſtelle ſich nun eine runde glatte Kugel, von
welcher Farbe man wolle, vor, die von der Sonne
erleuchtet wird; dieſe Kugel muß, vermoͤge der
oben erwaͤhnten Beobachtung auf der Haͤlfte, die
erleuchtet wird, alle moͤgliche Schattirungen der
Farbe, die ſie hat, zeigen. Da wo das hoͤchſte Licht
auffaͤlt, wird ſie am helleſten, und da wo gar kein
Licht hinfaͤllt, wird ſie ſchwarz ſeyn. Zwiſchen die-
ſen beyden Stellen aber wird die eigenthuͤmliche
Farbe der Kugel auf jeder Stelle eine beſondre Schat-
tirung haben: welches nicht ſeyn wuͤrde, wenn man
anſtatt der Kugel einen flachen Teller von derſelben
Farbe gegen die Sonne kehrte; denn weil auf je-
den Punkt des Tellers eben ſo ſtarkes Licht faͤllt, als
auf jeden andern; ſo bleibet die eigenthuͤmliche Farbe
des Tellers in jedem Punkt dieſelbige. Alſo machet
die, von der hoͤchſten Stelle des Lichts bis auf den
voͤlligen Schatten, allmaͤhlig abnehmende Staͤrke
deſſelben, und die daher entſtehende Mannigfaltig-
keit der Schattirungen der eigenthuͤmlichen Farbe der
Kugel, daß wir ſie als eine Kugel, und nicht, als
einen flachen Teller ſehen. Daher iſt klar, daß die
Geſtalt der Koͤrper, in ſo fern ſie nicht mehr durch
die Umriſſe kann angedeutet werden, allein von
der allmaͤhligen Schattirung ihrer eigenthuͤmlichen
Farben, durch die Staͤrke und Schwaͤche des Lichts,
dem Auge fuͤhlbar wird.
Alſo hat der Mahler vor allen Dingen die Wuͤr-
kung des ſtaͤrkeren und ſchwaͤcheren Lichts auf jede
Farbe gruͤndlich zu beobachten, und dabey zu beden-
ken, daß die Staͤrke des Lichts von zwey Urſachen
herkomme, naͤmlich von der abſoluten Menge deſſel-
den, da z. B. das Sonnenlicht bey etwas nebligter
Luft weniger Staͤrke hat, als bey voͤllig reinem Him-
mel, und denn von der Lage, die jede Stelle des
Koͤrpers gegen die Richtung des Lichts hat, und wo-
durch es, wie aus der vorherſtehenden Figur erhel-
let, ſtaͤrker, oder ſchwaͤcher wird. Die Veraͤnde-
rungen der Farben, die dadurch verurſachet werden,
muͤſſen ihm fuͤr jeden Grad der Staͤrke des Lichts
voͤllig bekannt und gelaͤufig ſeyn, und er muß dieſen
Theil der Kunſt, mit der Genauigkeit eines Natur-
forſchers ſtudiren, wie Leonbardo da Vinci ge-
than hat.
Der zweyte Hauptpunkt, den er zu uͤberlegen hat,
betrift die Natur; oder Farbe des Lichts ſelbſt; weil
auch dieſes die Farbe der Koͤrper aͤndert. Es giebt
weißes, gelbes, blaues Licht u. ſ. f. Man ſeze,
daß der Mahler in ſeinem Zimmer einen vor ihm ſte-
henden Gegenſtand zu mahlen habe, der blos vom
Himmel, oder von dem durch die Fenſter einfallen-
den Tageslicht, ohne Sonnenſchein erleuchtet wird.
Jſt die Luft hell und rein, ſo kommt alles Licht von
dem blauen Himmel; iſt die Luft mit weißen Wol-
ken uͤberzogen, ſo kommt es von dieſen allein: jenes
blaue Licht aber giebt allen Farben der Koͤrper einen
andern Blik, als dieſes Weiße. Die gelbe Farbe
wuͤrde bey dem blauen Lichte der hellen Luft ſchon et-
was gruͤnlich werden. Darum muß der Mahler
auch dieſen Einflus des Lichts auf die Farben genau
erforſchen. Am wichtigſten iſt dieſe Kenntnis in Ab-
ſicht auf das, von gefaͤrbten Koͤrpern auf die zu
mahlenden Gegenſtaͤnde zuruͤtgeworfene Licht; aber
davon wird an einem andern Orte beſonders gehan-
delt werden. (*)
Die dritte Betrachtung, die der Mahler uͤber
das Licht zu machen hat, iſt ſein Einfluß auf die Hal-
tung und Wuͤrkung. Man ſindet naͤmlich, daß der-
ſelbe Gegenſtand, z. B. eine Gegend, bey merklich
veraͤndertem Licht auch ihr ganzes Anſehen veraͤn-
dert, mehr oder weniger angenehm wird, und
daß ſich alle darauf befindliche Dinge beſſer, oder
ſchlech-
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 706[688]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/123>, abgerufen am 24.11.2024.
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