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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Auf
gehören einigermaßen auch zu der Aufhaltung. S.
Episode.

Auflösung.
(Schöne Künste.)

Dieses Wort wird in der Kunstsprache verschiedent-
lich gebraucht, und kann, wegen der Wichtigkeit
der Sache, die es ausdrükt, zum Kunstwort gemacht
werden. Auflösung bedeutet überhaupt die Her-
stellung der Freyheit und Ordnung nach vorher-
gegangener Verwiklung. Dergleichen Auflösungen
kommen in Werken der schönen Künste verschiedent-
lich vor. Jn der Musik wird die Harmonie ofte
verrükt; daher entstehen die Dissonanzen, die eine
würkliche Unordnung sind, aus welcher durch die
Auflösung, die Ordnung und völlige Harmonie
wieder hergestellet wird: Jn der dramatischen
Handlung ist allemal Verwiklung; verschiedenes
streitet gegen einander, am Ende der Handlung
entwikelt sich alles durch die Auflösung, die deswe-
gen in der französischen Sprache Denouement,
(Entwiklung des Knotens) genennt wird. Aber
auch jede andre Handlung, und beynahe jede Vor-
stellung, darin vieles zugleich zu dem Ganzen einer
Sache gehört, hat eine Verwiklung, und kann des-
wegen einer Auflösung fähig seyn. Also kommen
diese beyden Sachen fast überall vor.

Man kann keine Herstellung der Ordnung sehen
oder empfinden, ohne dadurch angenehm gerührt
zu werden. Daher kommen Verwiklungen und Auf-
lösungen so vielfältig in den Werken der Kunst vor,
weil sie ihnen Kraft und Reizung geben. Der Ur-
sprung alles Vergnügens ist in der Thätigkeit unsers
Geistes zu suchen; diese fühlen wir zu wenig, wenn
unsre Vorstellungen, unaufgehalten in einem sanf-
ten Laufe fortgehen; denn da ist nirgend eine An-
strengung nöthig, durch welche wir uns unsrer
Thätigkeit bewußt sind. Diese empfinden wir nur
bey Hindernissen, bey gegen einander laufenden Vor-
stellungen, beym Streit der Elemente, die auf uns
würken. Da bemüht sich der Geist die Ordnung
wieder herzustellen: je schneller und vollkommener
dieses geschieht, wenn nur vorher die Anstrengung
aufs höchste gestiegen ist, je größer ist das Ver-
gnügen.

Weiter wollen wir die allgemeine Betrachtung
dieser Sache nicht treiben; sondern von den Auf-
[Spaltenumbruch]

Auf
lösungen sprechen, worüber Kunstverständige schon
längst besondere Betrachtungen angestellt haben.

Auflösung der dramatischen Verwiklung.
Dadurch versteht man die Hauptauflösung, wo-
durch das ganze Stük sein End erreicht. Sie
wird auch nach einem griechischen Worte Cata-
strophe
genennt. (*) Wie eine Berathschlagung,(*) Cata-
strophe:
conversio
negotii ex-
agitati in
tranquilli-
tatem non
expecta-
tam. Sca-
lig. Poet.
L. I. c.
9.

wenn sie ordentlich vollendet wird, einen Entschluß
hervor bringet, so hat jede Handlung einen Erfolg;
nämlich es wird etwas bewürkt, das alle weitere
Bemühung und Unternehmung über die Sache un-
möglich macht. Ein Friedensschluß hebt auf ein-
mal alle Unternehmungen des Krieges auf, und
die Ankunft an dem Orte, wohin die Reise gerich-
tet war, endiget dieselbe. Jn verwikelten Hand-
lungen, wie die dramatischen sind, finden sich ent-
weder Hindernisse und Schwierigkeiten, die sich dem
Erfolg entgegen stellen; oder es zeiget sich in dem
Charakter der Hauptpersonen etwas, wodurch eine
merkwürdige Veränderung in ihren Glüksumstän-
den entstehen muß; wobey sich aber so viel Schwie-
rigkeiten zeigen, daß man begierig wird, den Aus-
gang der Sache zu erfahren. Dasjenige, was die-
sen Ausgang oder jenen Erfolg bestimmt und auch
begreiflich macht, ist eigentlich die Auflösung der
Handlung. So ist im Oedipus in Theben des
Sophokles die völlige Entdekung, daß dieser der
Sohn und Mörder des Lajus sey, die Auflösung
der Handlung; denn dadurch wird der Erfolg be-
stimmt, daß Oedipus den Thron verläßt und sich
selbst verbannt, wodurch die ganze Sache ihr völ-
liges Ende erreicht; und so ist in Addisons Cato,
der Selbstmord dieses Helden die Auflösung, wo-
durch der Ausgang der Sache bestimmt, nnd die
ganze Handlung völlig geendiget wird.

Die Auflösung ist vollkommen, wenn sie natür-
lich und vollständig ist, auch zu rechter Zeit ge-
schieht. Natürlich ist sie, wenn sie nicht nur aus
der Handlung selbst entsteht, sondern so, daß nichts
übertriebenes, nichts unwahrscheinliches in den
Ursachen ist, wodurch sie bewürkt wird. Der Cha-
racter des Cato macht seinen Entschluß sehr na-
türlich; eben so natürlich ist die so ofte vorkom-
mende Auflösung in Comödien, da ein Vater seinem
Sohn aus Zärtlichkeit nachgiebt und in etwas
williget, was er zu hintertreiben gesucht hat; daß
ein listiger Mann, wie Ulysses, aller Hinternisse
ungeachtet zu seinem Zwek kommt; daß eine toll-

kühne

[Spaltenumbruch]

Auf
gehoͤren einigermaßen auch zu der Aufhaltung. S.
Epiſode.

Aufloͤſung.
(Schoͤne Kuͤnſte.)

Dieſes Wort wird in der Kunſtſprache verſchiedent-
lich gebraucht, und kann, wegen der Wichtigkeit
der Sache, die es ausdruͤkt, zum Kunſtwort gemacht
werden. Aufloͤſung bedeutet uͤberhaupt die Her-
ſtellung der Freyheit und Ordnung nach vorher-
gegangener Verwiklung. Dergleichen Aufloͤſungen
kommen in Werken der ſchoͤnen Kuͤnſte verſchiedent-
lich vor. Jn der Muſik wird die Harmonie ofte
verruͤkt; daher entſtehen die Diſſonanzen, die eine
wuͤrkliche Unordnung ſind, aus welcher durch die
Aufloͤſung, die Ordnung und voͤllige Harmonie
wieder hergeſtellet wird: Jn der dramatiſchen
Handlung iſt allemal Verwiklung; verſchiedenes
ſtreitet gegen einander, am Ende der Handlung
entwikelt ſich alles durch die Aufloͤſung, die deswe-
gen in der franzoͤſiſchen Sprache Dénouement,
(Entwiklung des Knotens) genennt wird. Aber
auch jede andre Handlung, und beynahe jede Vor-
ſtellung, darin vieles zugleich zu dem Ganzen einer
Sache gehoͤrt, hat eine Verwiklung, und kann des-
wegen einer Aufloͤſung faͤhig ſeyn. Alſo kommen
dieſe beyden Sachen faſt uͤberall vor.

Man kann keine Herſtellung der Ordnung ſehen
oder empfinden, ohne dadurch angenehm geruͤhrt
zu werden. Daher kommen Verwiklungen und Auf-
loͤſungen ſo vielfaͤltig in den Werken der Kunſt vor,
weil ſie ihnen Kraft und Reizung geben. Der Ur-
ſprung alles Vergnuͤgens iſt in der Thaͤtigkeit unſers
Geiſtes zu ſuchen; dieſe fuͤhlen wir zu wenig, wenn
unſre Vorſtellungen, unaufgehalten in einem ſanf-
ten Laufe fortgehen; denn da iſt nirgend eine An-
ſtrengung noͤthig, durch welche wir uns unſrer
Thaͤtigkeit bewußt ſind. Dieſe empfinden wir nur
bey Hinderniſſen, bey gegen einander laufenden Vor-
ſtellungen, beym Streit der Elemente, die auf uns
wuͤrken. Da bemuͤht ſich der Geiſt die Ordnung
wieder herzuſtellen: je ſchneller und vollkommener
dieſes geſchieht, wenn nur vorher die Anſtrengung
aufs hoͤchſte geſtiegen iſt, je groͤßer iſt das Ver-
gnuͤgen.

Weiter wollen wir die allgemeine Betrachtung
dieſer Sache nicht treiben; ſondern von den Auf-
[Spaltenumbruch]

Auf
loͤſungen ſprechen, woruͤber Kunſtverſtaͤndige ſchon
laͤngſt beſondere Betrachtungen angeſtellt haben.

Aufloͤſung der dramatiſchen Verwiklung.
Dadurch verſteht man die Hauptaufloͤſung, wo-
durch das ganze Stuͤk ſein End erreicht. Sie
wird auch nach einem griechiſchen Worte Cata-
ſtrophe
genennt. (*) Wie eine Berathſchlagung,(*) Cata-
ſtrophe:
converſio
negotii ex-
agitati in
tranquilli-
tatem non
expecta-
tam. Sca-
lig. Poet.
L. I. c.
9.

wenn ſie ordentlich vollendet wird, einen Entſchluß
hervor bringet, ſo hat jede Handlung einen Erfolg;
naͤmlich es wird etwas bewuͤrkt, das alle weitere
Bemuͤhung und Unternehmung uͤber die Sache un-
moͤglich macht. Ein Friedensſchluß hebt auf ein-
mal alle Unternehmungen des Krieges auf, und
die Ankunft an dem Orte, wohin die Reiſe gerich-
tet war, endiget dieſelbe. Jn verwikelten Hand-
lungen, wie die dramatiſchen ſind, finden ſich ent-
weder Hinderniſſe und Schwierigkeiten, die ſich dem
Erfolg entgegen ſtellen; oder es zeiget ſich in dem
Charakter der Hauptperſonen etwas, wodurch eine
merkwuͤrdige Veraͤnderung in ihren Gluͤksumſtaͤn-
den entſtehen muß; wobey ſich aber ſo viel Schwie-
rigkeiten zeigen, daß man begierig wird, den Aus-
gang der Sache zu erfahren. Dasjenige, was die-
ſen Ausgang oder jenen Erfolg beſtimmt und auch
begreiflich macht, iſt eigentlich die Aufloͤſung der
Handlung. So iſt im Oedipus in Theben des
Sophokles die voͤllige Entdekung, daß dieſer der
Sohn und Moͤrder des Lajus ſey, die Aufloͤſung
der Handlung; denn dadurch wird der Erfolg be-
ſtimmt, daß Oedipus den Thron verlaͤßt und ſich
ſelbſt verbannt, wodurch die ganze Sache ihr voͤl-
liges Ende erreicht; und ſo iſt in Addiſons Cato,
der Selbſtmord dieſes Helden die Aufloͤſung, wo-
durch der Ausgang der Sache beſtimmt, nnd die
ganze Handlung voͤllig geendiget wird.

Die Aufloͤſung iſt vollkommen, wenn ſie natuͤr-
lich und vollſtaͤndig iſt, auch zu rechter Zeit ge-
ſchieht. Natuͤrlich iſt ſie, wenn ſie nicht nur aus
der Handlung ſelbſt entſteht, ſondern ſo, daß nichts
uͤbertriebenes, nichts unwahrſcheinliches in den
Urſachen iſt, wodurch ſie bewuͤrkt wird. Der Cha-
racter des Cato macht ſeinen Entſchluß ſehr na-
tuͤrlich; eben ſo natuͤrlich iſt die ſo ofte vorkom-
mende Aufloͤſung in Comoͤdien, da ein Vater ſeinem
Sohn aus Zaͤrtlichkeit nachgiebt und in etwas
williget, was er zu hintertreiben geſucht hat; daß
ein liſtiger Mann, wie Ulyſſes, aller Hinterniſſe
ungeachtet zu ſeinem Zwek kommt; daß eine toll-

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[86/0098] Auf Auf gehoͤren einigermaßen auch zu der Aufhaltung. S. Epiſode. Aufloͤſung. (Schoͤne Kuͤnſte.) Dieſes Wort wird in der Kunſtſprache verſchiedent- lich gebraucht, und kann, wegen der Wichtigkeit der Sache, die es ausdruͤkt, zum Kunſtwort gemacht werden. Aufloͤſung bedeutet uͤberhaupt die Her- ſtellung der Freyheit und Ordnung nach vorher- gegangener Verwiklung. Dergleichen Aufloͤſungen kommen in Werken der ſchoͤnen Kuͤnſte verſchiedent- lich vor. Jn der Muſik wird die Harmonie ofte verruͤkt; daher entſtehen die Diſſonanzen, die eine wuͤrkliche Unordnung ſind, aus welcher durch die Aufloͤſung, die Ordnung und voͤllige Harmonie wieder hergeſtellet wird: Jn der dramatiſchen Handlung iſt allemal Verwiklung; verſchiedenes ſtreitet gegen einander, am Ende der Handlung entwikelt ſich alles durch die Aufloͤſung, die deswe- gen in der franzoͤſiſchen Sprache Dénouement, (Entwiklung des Knotens) genennt wird. Aber auch jede andre Handlung, und beynahe jede Vor- ſtellung, darin vieles zugleich zu dem Ganzen einer Sache gehoͤrt, hat eine Verwiklung, und kann des- wegen einer Aufloͤſung faͤhig ſeyn. Alſo kommen dieſe beyden Sachen faſt uͤberall vor. Man kann keine Herſtellung der Ordnung ſehen oder empfinden, ohne dadurch angenehm geruͤhrt zu werden. Daher kommen Verwiklungen und Auf- loͤſungen ſo vielfaͤltig in den Werken der Kunſt vor, weil ſie ihnen Kraft und Reizung geben. Der Ur- ſprung alles Vergnuͤgens iſt in der Thaͤtigkeit unſers Geiſtes zu ſuchen; dieſe fuͤhlen wir zu wenig, wenn unſre Vorſtellungen, unaufgehalten in einem ſanf- ten Laufe fortgehen; denn da iſt nirgend eine An- ſtrengung noͤthig, durch welche wir uns unſrer Thaͤtigkeit bewußt ſind. Dieſe empfinden wir nur bey Hinderniſſen, bey gegen einander laufenden Vor- ſtellungen, beym Streit der Elemente, die auf uns wuͤrken. Da bemuͤht ſich der Geiſt die Ordnung wieder herzuſtellen: je ſchneller und vollkommener dieſes geſchieht, wenn nur vorher die Anſtrengung aufs hoͤchſte geſtiegen iſt, je groͤßer iſt das Ver- gnuͤgen. Weiter wollen wir die allgemeine Betrachtung dieſer Sache nicht treiben; ſondern von den Auf- loͤſungen ſprechen, woruͤber Kunſtverſtaͤndige ſchon laͤngſt beſondere Betrachtungen angeſtellt haben. Aufloͤſung der dramatiſchen Verwiklung. Dadurch verſteht man die Hauptaufloͤſung, wo- durch das ganze Stuͤk ſein End erreicht. Sie wird auch nach einem griechiſchen Worte Cata- ſtrophe genennt. (*) Wie eine Berathſchlagung, wenn ſie ordentlich vollendet wird, einen Entſchluß hervor bringet, ſo hat jede Handlung einen Erfolg; naͤmlich es wird etwas bewuͤrkt, das alle weitere Bemuͤhung und Unternehmung uͤber die Sache un- moͤglich macht. Ein Friedensſchluß hebt auf ein- mal alle Unternehmungen des Krieges auf, und die Ankunft an dem Orte, wohin die Reiſe gerich- tet war, endiget dieſelbe. Jn verwikelten Hand- lungen, wie die dramatiſchen ſind, finden ſich ent- weder Hinderniſſe und Schwierigkeiten, die ſich dem Erfolg entgegen ſtellen; oder es zeiget ſich in dem Charakter der Hauptperſonen etwas, wodurch eine merkwuͤrdige Veraͤnderung in ihren Gluͤksumſtaͤn- den entſtehen muß; wobey ſich aber ſo viel Schwie- rigkeiten zeigen, daß man begierig wird, den Aus- gang der Sache zu erfahren. Dasjenige, was die- ſen Ausgang oder jenen Erfolg beſtimmt und auch begreiflich macht, iſt eigentlich die Aufloͤſung der Handlung. So iſt im Oedipus in Theben des Sophokles die voͤllige Entdekung, daß dieſer der Sohn und Moͤrder des Lajus ſey, die Aufloͤſung der Handlung; denn dadurch wird der Erfolg be- ſtimmt, daß Oedipus den Thron verlaͤßt und ſich ſelbſt verbannt, wodurch die ganze Sache ihr voͤl- liges Ende erreicht; und ſo iſt in Addiſons Cato, der Selbſtmord dieſes Helden die Aufloͤſung, wo- durch der Ausgang der Sache beſtimmt, nnd die ganze Handlung voͤllig geendiget wird. (*) Cata- ſtrophe: converſio negotii ex- agitati in tranquilli- tatem non expecta- tam. Sca- lig. Poet. L. I. c. 9. Die Aufloͤſung iſt vollkommen, wenn ſie natuͤr- lich und vollſtaͤndig iſt, auch zu rechter Zeit ge- ſchieht. Natuͤrlich iſt ſie, wenn ſie nicht nur aus der Handlung ſelbſt entſteht, ſondern ſo, daß nichts uͤbertriebenes, nichts unwahrſcheinliches in den Urſachen iſt, wodurch ſie bewuͤrkt wird. Der Cha- racter des Cato macht ſeinen Entſchluß ſehr na- tuͤrlich; eben ſo natuͤrlich iſt die ſo ofte vorkom- mende Aufloͤſung in Comoͤdien, da ein Vater ſeinem Sohn aus Zaͤrtlichkeit nachgiebt und in etwas williget, was er zu hintertreiben geſucht hat; daß ein liſtiger Mann, wie Ulyſſes, aller Hinterniſſe ungeachtet zu ſeinem Zwek kommt; daß eine toll- kuͤhne

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/98>, abgerufen am 27.04.2024.