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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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wichtig. Zwar bleibt ein nach allen Regeln ange-
ordnetes Werk, dessen einzele Theile ohne Kraft
und ohne Reizung sind, allemal ein schlechtes
Werk. Hingegen thun schöne Theile auch nur bey
der besten Anordnung ihre volle Würkung; so
wie ein schönes Gesicht nur von der Schönheit der
ganzen Person die volle Kraft des Reizes bekömmt.

Die Anordnung macht nächst der Erfindung ohne
Zweifel den wichtigsten Theil der Kunst aus. Jst
der Künstler in diesen beyden Stüken glüklich ge-
wesen, so wird es ihm bey Ausarbeitung seines
Werks niemal an dem nöthigen Feuer der Einbil-
dungskraft fehlen, ohne welche kein Werk erträg-
lich wird. Der gute Einfluß, den die Schönheit
des Plans auf seinen Geist macht, erleichtert ihm
alle Arbeit. Dies erfuhr der griechische Comicus
Menander.
Als er einsmals, kurz vor dem Feste
des Bachus, von einem Freund gefragt wurde,
warum er noch kein Lustspiel verfertiget habe, da
doch das Fest so nahe sey, antwortete er: Jch bin
fertig; denn beyde, die Erfindung und Anordnung

(*) Plu-
tarch. Jn
der Ab-
handlung,
ob die Athe-
nienser im
Krieg oder
in den
Künsten
größer ge-
wesen.
habe ich bereits im Kopfe. (*)

Es ist begreiflich, daß ein Künstler, der die
Haupttheile seines Werks, wegen ihrer guten An-
ordnung, sich mit Vergnügen vorstellt, und das
Ganze in seinen Theilen immer übersehen kann, mit
der Freyheit und Lust arbeitet, ohne welche kein
Werk einen glüklichen Fortgang haben kann. Hin-
gegen muß auch das ängstliche Wesen, das er
bey der Ungewißheit oder bey der Unsicherheit seines
Plans nothwendig empfindet, einen übeln Einfluß
auf seine Arbeit haben. Wir rathen daher jedem
Künstler, daß er die glüklichsten Augenblike, wo er
seinen Geist durch das himmlische Feuer der Mu-
sen am meisten erhitzt fühlt, auf die Anordnung
und Verfertigung seines Plans anwende. Die
glüklich erhitzte Einbildungskraft thut dabey unend-
lich mehr Vortheil als die Regeln. Denn insge-
mein sieht sie in Werken des Geschmaks mehr und
besser, als die Vernunft selbst.

Die Anordnung eines jeden Werks muß durch
seine Absicht, oder durch die Würkung, welche es
thun soll, bestimmt werden. Dieses haben alle
mit einander gemein, daß sie, im Ganzen betrach-
tet, unsre Aufmerksamkeit reizen, und daß die
Theile in der Ordnung erscheinen müssen, die jedem
seine bestimmte Würkung giebt. Denn nur aus
dieser Absicht werden einzele Gegenstände in ein
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Ano
Ganzes verbunden. Jedes Werk des Ge-
schmaks, so weitläuftig es auch ist, muß eine ein-
zige Hauptvorstellung erweken: seine Theile müs-
sen diese Hauptvorstellung ausführlich und lebhaft
machen. Denn ohne dieses ist das Werk kein
ganzes, sondern eine Zusammenhäufung mehre-
rer Werke. Macht der Künstler sich an die Ar-
beit, ehe er eine bestimmte Hauptvorstellung des
Ganzen hat, oder ehe sie ihm deutlich genug ist, so
wird er in der Anordnung niemals glüklich seyn.

Das Ganze fällt unstreitig am besten in die Ein-
bildungskraft, das aus wenigen, wol zusammen
hangenden Haupttheilen besteht, deren jeder das,
was er mannigfaltiges hat, wieder in kleinern Haupt-
partheyen vorstellt. So zeiget uns der menschliche
Körper, das vollkommenste Ganze in Absicht auf
Figur, nur wenige Haupttheile, ob er gleich aus
unzähligen Gliedern besteht. Jeder Haupttheil schei-
net anfänglich wieder ein unzertrennliches Ganzes
auszumachen, bis man bey genauer Betrachtung be-
merkt, daß er aus sehr vielen kleinen Theilen zusammen
gesezt sey, davon jeder die beste Stelle, so wol in
Absicht auf seinen Gebrauch, als auf die engeste
Verbindung mit dem ganzen, einnimmt. An diesem
vollkommenen Bau kann man nichts versetzen, keine
Theile weder weiter aus einander dehnen, noch
enger zusammen bringen, ohne das Ansehen des
ganzen zu verlezen. So ist jedes vollkommene Werk
der Kunst. Man glaubt, es sey unmöglich irgend
einen Theil zu versetzen; jedes scheinet da, wo es
ist, nothwendig; kein Theil kann gefaßt werden,
ohne daß das ganze zugleich sich dem Anschauen dar-
stelle.

Es sind hauptsächlich drey Dinge, welche die An-
ordnung eines Werks vollkommen machen. Die
genaue Verbindung aller Theile; eine hinlängliche
Abwechslung oder Mannigfaltigkeit in den auf ein-
ander folgenden Theilen; und die Verwiklung der
Vorstellungen. Diesem zufolge hat der Künstler
bey Anordnung seines Plans beständig darauf Acht
zu haben, daß die Einbildungskraft zwar immer
mit dem Hauptinhalt beschäftiget sey, und von jedem
einzeln Theil immer natürlicher Weise auf das ganze
zurük geführt werde, daß aber zugleich die Einbil-
dungskraft und das Herz mit abwechselnden Gegen-
ständen mannigfaltig beschäftiget werden, und daß
die Entwiklung der Hauptsache gehörig aufgehalten
werde um die Neugierde immer mehr zu reizen, bis

daß

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Ano
wichtig. Zwar bleibt ein nach allen Regeln ange-
ordnetes Werk, deſſen einzele Theile ohne Kraft
und ohne Reizung ſind, allemal ein ſchlechtes
Werk. Hingegen thun ſchoͤne Theile auch nur bey
der beſten Anordnung ihre volle Wuͤrkung; ſo
wie ein ſchoͤnes Geſicht nur von der Schoͤnheit der
ganzen Perſon die volle Kraft des Reizes bekoͤmmt.

Die Anordnung macht naͤchſt der Erfindung ohne
Zweifel den wichtigſten Theil der Kunſt aus. Jſt
der Kuͤnſtler in dieſen beyden Stuͤken gluͤklich ge-
weſen, ſo wird es ihm bey Ausarbeitung ſeines
Werks niemal an dem noͤthigen Feuer der Einbil-
dungskraft fehlen, ohne welche kein Werk ertraͤg-
lich wird. Der gute Einfluß, den die Schoͤnheit
des Plans auf ſeinen Geiſt macht, erleichtert ihm
alle Arbeit. Dies erfuhr der griechiſche Comicus
Menander.
Als er einsmals, kurz vor dem Feſte
des Bachus, von einem Freund gefragt wurde,
warum er noch kein Luſtſpiel verfertiget habe, da
doch das Feſt ſo nahe ſey, antwortete er: Jch bin
fertig; denn beyde, die Erfindung und Anordnung

(*) Plu-
tarch. Jn
der Ab-
handlung,
ob die Athe-
nienſer im
Krieg oder
in den
Kuͤnſten
groͤßer ge-
weſen.
habe ich bereits im Kopfe. (*)

Es iſt begreiflich, daß ein Kuͤnſtler, der die
Haupttheile ſeines Werks, wegen ihrer guten An-
ordnung, ſich mit Vergnuͤgen vorſtellt, und das
Ganze in ſeinen Theilen immer uͤberſehen kann, mit
der Freyheit und Luſt arbeitet, ohne welche kein
Werk einen gluͤklichen Fortgang haben kann. Hin-
gegen muß auch das aͤngſtliche Weſen, das er
bey der Ungewißheit oder bey der Unſicherheit ſeines
Plans nothwendig empfindet, einen uͤbeln Einfluß
auf ſeine Arbeit haben. Wir rathen daher jedem
Kuͤnſtler, daß er die gluͤklichſten Augenblike, wo er
ſeinen Geiſt durch das himmliſche Feuer der Mu-
ſen am meiſten erhitzt fuͤhlt, auf die Anordnung
und Verfertigung ſeines Plans anwende. Die
gluͤklich erhitzte Einbildungskraft thut dabey unend-
lich mehr Vortheil als die Regeln. Denn insge-
mein ſieht ſie in Werken des Geſchmaks mehr und
beſſer, als die Vernunft ſelbſt.

Die Anordnung eines jeden Werks muß durch
ſeine Abſicht, oder durch die Wuͤrkung, welche es
thun ſoll, beſtimmt werden. Dieſes haben alle
mit einander gemein, daß ſie, im Ganzen betrach-
tet, unſre Aufmerkſamkeit reizen, und daß die
Theile in der Ordnung erſcheinen muͤſſen, die jedem
ſeine beſtimmte Wuͤrkung giebt. Denn nur aus
dieſer Abſicht werden einzele Gegenſtaͤnde in ein
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Ano
Ganzes verbunden. Jedes Werk des Ge-
ſchmaks, ſo weitlaͤuftig es auch iſt, muß eine ein-
zige Hauptvorſtellung erweken: ſeine Theile muͤſ-
ſen dieſe Hauptvorſtellung ausfuͤhrlich und lebhaft
machen. Denn ohne dieſes iſt das Werk kein
ganzes, ſondern eine Zuſammenhaͤufung mehre-
rer Werke. Macht der Kuͤnſtler ſich an die Ar-
beit, ehe er eine beſtimmte Hauptvorſtellung des
Ganzen hat, oder ehe ſie ihm deutlich genug iſt, ſo
wird er in der Anordnung niemals gluͤklich ſeyn.

Das Ganze faͤllt unſtreitig am beſten in die Ein-
bildungskraft, das aus wenigen, wol zuſammen
hangenden Haupttheilen beſteht, deren jeder das,
was er mannigfaltiges hat, wieder in kleinern Haupt-
partheyen vorſtellt. So zeiget uns der menſchliche
Koͤrper, das vollkommenſte Ganze in Abſicht auf
Figur, nur wenige Haupttheile, ob er gleich aus
unzaͤhligen Gliedern beſteht. Jeder Haupttheil ſchei-
net anfaͤnglich wieder ein unzertrennliches Ganzes
auszumachen, bis man bey genauer Betrachtung be-
merkt, daß er aus ſehr vielen kleinen Theilen zuſammen
geſezt ſey, davon jeder die beſte Stelle, ſo wol in
Abſicht auf ſeinen Gebrauch, als auf die engeſte
Verbindung mit dem ganzen, einnimmt. An dieſem
vollkommenen Bau kann man nichts verſetzen, keine
Theile weder weiter aus einander dehnen, noch
enger zuſammen bringen, ohne das Anſehen des
ganzen zu verlezen. So iſt jedes vollkommene Werk
der Kunſt. Man glaubt, es ſey unmoͤglich irgend
einen Theil zu verſetzen; jedes ſcheinet da, wo es
iſt, nothwendig; kein Theil kann gefaßt werden,
ohne daß das ganze zugleich ſich dem Anſchauen dar-
ſtelle.

Es ſind hauptſaͤchlich drey Dinge, welche die An-
ordnung eines Werks vollkommen machen. Die
genaue Verbindung aller Theile; eine hinlaͤngliche
Abwechslung oder Mannigfaltigkeit in den auf ein-
ander folgenden Theilen; und die Verwiklung der
Vorſtellungen. Dieſem zufolge hat der Kuͤnſtler
bey Anordnung ſeines Plans beſtaͤndig darauf Acht
zu haben, daß die Einbildungskraft zwar immer
mit dem Hauptinhalt beſchaͤftiget ſey, und von jedem
einzeln Theil immer natuͤrlicher Weiſe auf das ganze
zuruͤk gefuͤhrt werde, daß aber zugleich die Einbil-
dungskraft und das Herz mit abwechſelnden Gegen-
ſtaͤnden mannigfaltig beſchaͤftiget werden, und daß
die Entwiklung der Hauptſache gehoͤrig aufgehalten
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[58/0070] Ano Ano wichtig. Zwar bleibt ein nach allen Regeln ange- ordnetes Werk, deſſen einzele Theile ohne Kraft und ohne Reizung ſind, allemal ein ſchlechtes Werk. Hingegen thun ſchoͤne Theile auch nur bey der beſten Anordnung ihre volle Wuͤrkung; ſo wie ein ſchoͤnes Geſicht nur von der Schoͤnheit der ganzen Perſon die volle Kraft des Reizes bekoͤmmt. Die Anordnung macht naͤchſt der Erfindung ohne Zweifel den wichtigſten Theil der Kunſt aus. Jſt der Kuͤnſtler in dieſen beyden Stuͤken gluͤklich ge- weſen, ſo wird es ihm bey Ausarbeitung ſeines Werks niemal an dem noͤthigen Feuer der Einbil- dungskraft fehlen, ohne welche kein Werk ertraͤg- lich wird. Der gute Einfluß, den die Schoͤnheit des Plans auf ſeinen Geiſt macht, erleichtert ihm alle Arbeit. Dies erfuhr der griechiſche Comicus Menander. Als er einsmals, kurz vor dem Feſte des Bachus, von einem Freund gefragt wurde, warum er noch kein Luſtſpiel verfertiget habe, da doch das Feſt ſo nahe ſey, antwortete er: Jch bin fertig; denn beyde, die Erfindung und Anordnung habe ich bereits im Kopfe. (*) (*) Plu- tarch. Jn der Ab- handlung, ob die Athe- nienſer im Krieg oder in den Kuͤnſten groͤßer ge- weſen. Es iſt begreiflich, daß ein Kuͤnſtler, der die Haupttheile ſeines Werks, wegen ihrer guten An- ordnung, ſich mit Vergnuͤgen vorſtellt, und das Ganze in ſeinen Theilen immer uͤberſehen kann, mit der Freyheit und Luſt arbeitet, ohne welche kein Werk einen gluͤklichen Fortgang haben kann. Hin- gegen muß auch das aͤngſtliche Weſen, das er bey der Ungewißheit oder bey der Unſicherheit ſeines Plans nothwendig empfindet, einen uͤbeln Einfluß auf ſeine Arbeit haben. Wir rathen daher jedem Kuͤnſtler, daß er die gluͤklichſten Augenblike, wo er ſeinen Geiſt durch das himmliſche Feuer der Mu- ſen am meiſten erhitzt fuͤhlt, auf die Anordnung und Verfertigung ſeines Plans anwende. Die gluͤklich erhitzte Einbildungskraft thut dabey unend- lich mehr Vortheil als die Regeln. Denn insge- mein ſieht ſie in Werken des Geſchmaks mehr und beſſer, als die Vernunft ſelbſt. Die Anordnung eines jeden Werks muß durch ſeine Abſicht, oder durch die Wuͤrkung, welche es thun ſoll, beſtimmt werden. Dieſes haben alle mit einander gemein, daß ſie, im Ganzen betrach- tet, unſre Aufmerkſamkeit reizen, und daß die Theile in der Ordnung erſcheinen muͤſſen, die jedem ſeine beſtimmte Wuͤrkung giebt. Denn nur aus dieſer Abſicht werden einzele Gegenſtaͤnde in ein Ganzes verbunden. Jedes Werk des Ge- ſchmaks, ſo weitlaͤuftig es auch iſt, muß eine ein- zige Hauptvorſtellung erweken: ſeine Theile muͤſ- ſen dieſe Hauptvorſtellung ausfuͤhrlich und lebhaft machen. Denn ohne dieſes iſt das Werk kein ganzes, ſondern eine Zuſammenhaͤufung mehre- rer Werke. Macht der Kuͤnſtler ſich an die Ar- beit, ehe er eine beſtimmte Hauptvorſtellung des Ganzen hat, oder ehe ſie ihm deutlich genug iſt, ſo wird er in der Anordnung niemals gluͤklich ſeyn. Das Ganze faͤllt unſtreitig am beſten in die Ein- bildungskraft, das aus wenigen, wol zuſammen hangenden Haupttheilen beſteht, deren jeder das, was er mannigfaltiges hat, wieder in kleinern Haupt- partheyen vorſtellt. So zeiget uns der menſchliche Koͤrper, das vollkommenſte Ganze in Abſicht auf Figur, nur wenige Haupttheile, ob er gleich aus unzaͤhligen Gliedern beſteht. Jeder Haupttheil ſchei- net anfaͤnglich wieder ein unzertrennliches Ganzes auszumachen, bis man bey genauer Betrachtung be- merkt, daß er aus ſehr vielen kleinen Theilen zuſammen geſezt ſey, davon jeder die beſte Stelle, ſo wol in Abſicht auf ſeinen Gebrauch, als auf die engeſte Verbindung mit dem ganzen, einnimmt. An dieſem vollkommenen Bau kann man nichts verſetzen, keine Theile weder weiter aus einander dehnen, noch enger zuſammen bringen, ohne das Anſehen des ganzen zu verlezen. So iſt jedes vollkommene Werk der Kunſt. Man glaubt, es ſey unmoͤglich irgend einen Theil zu verſetzen; jedes ſcheinet da, wo es iſt, nothwendig; kein Theil kann gefaßt werden, ohne daß das ganze zugleich ſich dem Anſchauen dar- ſtelle. Es ſind hauptſaͤchlich drey Dinge, welche die An- ordnung eines Werks vollkommen machen. Die genaue Verbindung aller Theile; eine hinlaͤngliche Abwechslung oder Mannigfaltigkeit in den auf ein- ander folgenden Theilen; und die Verwiklung der Vorſtellungen. Dieſem zufolge hat der Kuͤnſtler bey Anordnung ſeines Plans beſtaͤndig darauf Acht zu haben, daß die Einbildungskraft zwar immer mit dem Hauptinhalt beſchaͤftiget ſey, und von jedem einzeln Theil immer natuͤrlicher Weiſe auf das ganze zuruͤk gefuͤhrt werde, daß aber zugleich die Einbil- dungskraft und das Herz mit abwechſelnden Gegen- ſtaͤnden mannigfaltig beſchaͤftiget werden, und daß die Entwiklung der Hauptſache gehoͤrig aufgehalten werde um die Neugierde immer mehr zu reizen, bis daß

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/70>, abgerufen am 26.04.2024.