Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Ges so ist kein Zweifel, daß diese Völker die Kunst inSteine zu schneiden würklich besessen haben. Also ist allem Ansehen nach die Kunst im Orient Einige etruskische Steine tragen die Zeichen eines Bey den Griechen hat sie zu den Zeiten des Ges Jn Griechenland blühete diese Kunst bis auf die Von Rom aus breitete sie sich fast über alle Von dem Verfall des römischen Reichs an erhielt abge- (+) Descript. des pierres Gravees du seu Baron de Stosch. p. 403. (++) S. Gemmae antiquae coelatae scalptorum nominibus insignitae a Phil. de Stesch. Amst. 1724. sol. N n n 2
[Spaltenumbruch] Geſ ſo iſt kein Zweifel, daß dieſe Voͤlker die Kunſt inSteine zu ſchneiden wuͤrklich beſeſſen haben. Alſo iſt allem Anſehen nach die Kunſt im Orient Einige etruskiſche Steine tragen die Zeichen eines Bey den Griechen hat ſie zu den Zeiten des Geſ Jn Griechenland bluͤhete dieſe Kunſt bis auf die Von Rom aus breitete ſie ſich faſt uͤber alle Von dem Verfall des roͤmiſchen Reichs an erhielt abge- (†) Deſcript. des pierres Gravées du ſeu Baron de Stoſch. p. 403. (††) S. Gemmæ antiquæ cœlatæ ſcalptorum nominibus inſignitæ a Phil. de Steſch. Amſt. 1724. ſol. N n n 2
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Geſ
Geſ
ſo iſt kein Zweifel, daß dieſe Voͤlker die Kunſt in
Steine zu ſchneiden wuͤrklich beſeſſen haben.
Alſo iſt allem Anſehen nach die Kunſt im Orient
entſtanden, und hat ſich von da aus nach Aegypten,
Kleinaſien, Griechenland und Jtalien ausgebreitet.
Winkelmann haͤlt dafuͤr, daß einer der aͤlteſten grie-
chiſchen Steine, worauf der ſterbende Othryades
vorgeſtellt iſt, zu den Zeiten des Anakreons verfer-
tiget worden.
(†) Er zeuget von einer noch etwas
rohen Kunſt. Man findet bey den Alten den Na-
men eines Steinſchneiders Theodors von Samos,
der den beruͤhmten Stein geſchnitten haben ſoll, den
Polykrates in ſeinem Pettſchaftring getragen hat.
Aber dieſes iſt nicht die aͤlteſte Anzeige dieſer Kunſt
unter den Griechen; denn es erhellet aus dem
Geſetze Solons, deſſen Diogenes Laertius Erwaͤh-
nung thut, das dem Steinſchneider, der einen
Pettſchaftring verkauft, verbietet, den Abdruk
davon zu behalten, daß dieſe Kunſt in Athen
ſchon vor der 40 Olympias ganz bekannt muͤſſe ge-
weſen ſeyn.
Einige etruskiſche Steine tragen die Zeichen eines
ſehr hohen Alters. Herr Winkelmann beſchreibt (*)
einen, worauf fuͤnf von den Helden des erſten the-
biſchen Krieges vorgeſtellt ſind, deren Namen in ur-
alter, von der Rechten zur Linken fortlaufender
Schrift darauf eingegraben ſind. Ein andrer etrus-
kiſcher Stein (*) ſtellt den Tydeus vor, der ſich einen
Pfeil aus dem Fuße zieht. Der Name des Helden
iſt ebenfalls in der bemeldten alten Schreibart dar-
auf eingegraben, aber die Arbeit iſt in Anſehung der
Zeichnung, der guten Verhaͤltniſſe und der Nettig-
keit der Ausfuͤhrung, fuͤrtrefflich. Und hieraus er-
hellet, daß die alten Etrusker dieſe Kunſt ſehr fruͤhe
beſeſſen haben.
(*) auf der
344 Seite
des gedach-
ten Werks.
(*) daſ. auf
der 346 S.
Bey den Griechen hat ſie zu den Zeiten des
Alexanders den hoͤchſten Gipfel der Vollkommenheit
in Anſehung der feinen Zeichnung, der ſchoͤnen Ver-
haͤltniſſe und der edlen Stellungen der Figuren,
erreicht. Herr Winkelmann ſcheinet zu weit zu ge-
hen, wenn er aus dem ſterbenden Othryades ſchließt,
daß die Kunſt in Stein zu ſchneiden um die Zeiten
des Anakreons bey den Griechen uͤberhaupt noch
nicht hoͤher geſtiegen ſey, als ſie auf dem bemeldten
Steine ſich zeiget.
Jn Griechenland bluͤhete dieſe Kunſt bis auf die
Zeiten der roͤmiſchen Kayſer, da einige fuͤrtreffliche
Kuͤnſtler in dieſer Art nach Rom zogen, und ſie da-
ſelbſt in Flor brachten. Man bewundert mit Recht
die Arbeit eines Dioſcorides, eines Solons, eines
Evodus, eines Hyllus und andrer
(††), welche unter
den erſten Kayſern dieſe Kunſt in Rom getrieben ha-
ben. Es iſt ungewiß, ob die Roͤmer ſie ſchon be-
ſeſſen haben, ehe die Griechen ſie zu ihnen heruͤber ge-
bracht. Jhre griechiſche Abkunft wird dadurch wahr-
ſcheinlich, daß in der lateiniſchen Sprache kein Wort
iſt, das den griechiſchen Namen eines Steinſchnei-
ders (*) ausdruͤkt. Unter den vielen Namen der
alten Kuͤnſtler, die man noch hier und da auf den
Steinen lieſt, ſind kaum ein Paar wuͤrklich roͤmi-
ſche. Alſo waren es meiſtens Griechen, die in Rom
dieſe Kunſt getrieben haben. Sie blieb auf einem
merklichen Grad der Vollkommenheit bis auf die Zeit
des Septimius Severus, und verfiel nachher, wie
die andern ſchoͤnen Kuͤnſte.
(*) #.
Von Rom aus breitete ſie ſich faſt uͤber alle
Abendlaͤnder von Europa aus. Aber in die Zeiten
der letzten Kayſer, und in die abendlaͤndiſchen Pro-
vinzen des roͤmiſchen Reichs, kam nur noch das Me-
chaniſche davon. Der Geiſt der Kunſt, die voll-
kommene Zeichnung, der große Geſchmak, der edle
Ausdruk und ſelbſt die Handgriffe, wodurch die al-
ten Meiſter das Schoͤne aus ihrer Einbildungskraft
in den Stein gebracht hatten, waren verſchwunden.
Unter einer betraͤchtlichen Menge ſolcher Steine, die
allem Anſehen nach im dritten und vierten Jahr-
hundert auſſerhalb Jtalien geſchnitten worden, habe
ich kaum einen geſehen, der noch einige dunkele
Spuhren einer guten Zeichnung und fleißigen Aus-
fuͤhrung gehabt haͤtte.
Von dem Verfall des roͤmiſchen Reichs an erhielt
ſich das Mechaniſche dieſer Kunſt durch alle die fin-
ſtern Jahrhunderte, in welchen die Kuͤnſte und Wiſſen-
ſchaften uͤberhaupt am aͤuſſerſten Rand ihres Unter-
gangs ſchwebten, ſo wol in Jtalien, als in den
Provinzen des griechiſchen Reichs. Man verfertigte
viel geſchnittene Steine, fuͤrnehmlich von erhabener
Arbeit, ſo wol fuͤr die heiligen Gefaͤße, als fuͤr
die Auszierung der geiſtlichen Geſangbuͤcher. Auch
der Gebrauch der Ringe und Pettſchafte iſt niemal
abge-
(†) Deſcript. des pierres Gravées du ſeu Baron de
Stoſch. p. 403.
(††) S. Gemmæ antiquæ cœlatæ ſcalptorum nominibus
inſignitæ a Phil. de Steſch. Amſt. 1724. ſol.
N n n 2
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