Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Ges arbeitung und Formung noch schätzbarer und rarerzu machen, eine der vornehmsten Ursachen des Ur- sprungs und der Aufnahme der bildenden Künste ge- wesen. Es ist das Genie aller Völker, bey denen der Geschmak aufgekeimet hat, daß sie den Sachen, die ihnen als Geräthschaften, oder blos zum Schmuk dienen, durch angebrachte Zierrathen mehr Schön- heit und einen größern Werth zu geben suchen. Dem sey aber, wie es wolle, so ist dieses offen- Man trift darauf eine große Mannigfaltigkeit Einige dieser Steine sind die ältesten Ueberbleib- Ges sein Aug und seine Hand zur Vollkommenheit derKunst zu üben. Wegen der edlen Einfalt in Darstellung der Zum Glük hat man leichte Mittel, diese fürtreff- Es ist bereits erinnert worden, daß die Kunst in so
[Spaltenumbruch] Geſ arbeitung und Formung noch ſchaͤtzbarer und rarerzu machen, eine der vornehmſten Urſachen des Ur- ſprungs und der Aufnahme der bildenden Kuͤnſte ge- weſen. Es iſt das Genie aller Voͤlker, bey denen der Geſchmak aufgekeimet hat, daß ſie den Sachen, die ihnen als Geraͤthſchaften, oder blos zum Schmuk dienen, durch angebrachte Zierrathen mehr Schoͤn- heit und einen groͤßern Werth zu geben ſuchen. Dem ſey aber, wie es wolle, ſo iſt dieſes offen- Man trift darauf eine große Mannigfaltigkeit Einige dieſer Steine ſind die aͤlteſten Ueberbleib- Geſ ſein Aug und ſeine Hand zur Vollkommenheit derKunſt zu uͤben. Wegen der edlen Einfalt in Darſtellung der Zum Gluͤk hat man leichte Mittel, dieſe fuͤrtreff- Es iſt bereits erinnert worden, daß die Kunſt in ſo
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Die<lb/> Menge der aus dem Alterthum noch vorhandenen<lb/> geſchnittenen Steine iſt unzaͤhlbar; die ſich darin<lb/> zeigende Kunſt und Schoͤnheit aber, ſind bewun-<lb/> drungswuͤrdig.</p><lb/> <p>Man trift darauf eine große Mannigfaltigkeit<lb/> der Bilder und Erfindungen an; Vorſtellungen der<lb/> Goͤtter, heiliger und weltlicher Gebraͤuche; Abbil-<lb/> dungen alter Helden und beruͤhmter Maͤnner; An-<lb/> deutungen großer Begebenheiten und Thaten; hie-<lb/> roglyphiſche und allegoriſche Vorſtellungen; Thiere<lb/> und Geraͤthſchaften. Die geſchnittenen Steine des<lb/> Alterthums werden deswegen als Monumente der<lb/> Gebraͤuche, der Sitten und der Geſchichte verſchie-<lb/> dener alten Voͤlker hochgeſchaͤtzt. Hier aber werden<lb/> ſie blos als Werke der zeichnenden und bildenden<lb/> Kuͤnſte betrachtet.</p><lb/> <p>Einige dieſer Steine ſind die aͤlteſten Ueberbleib-<lb/> ſel dieſer Kuͤnſte, andre werden mit Recht auch unter<lb/> die vollkommenſten Werke derſelben gerechnet: zur<lb/> Geſchichte dieſer Kunſt in Abſicht auf das Alterthum,<lb/> ſind ſie ohne allen Streit die wichtigſten Materia-<lb/> lien. Jhre große Menge, ihr verſchiedenes Alter<lb/> und ihre beynahe ganz vollkommene Erhaltung, da<lb/> die meiſten noch eben ſo ſind, wie ſie aus der Hand<lb/> des Kuͤnſtlers gekommen, erlauben uns, die Geſchichte<lb/> der zeichnenden Kuͤnſte beynahe von ihrem Urſprung,<lb/> bis auf ihren gaͤnzlichen Verfall zu verfolgen. Nir-<lb/> gend erſcheinet der erfindriſche Geiſt verſchiedener<lb/> alten Voͤlker, der faſt unbegreifliche Fleiß der grie-<lb/> chiſchen Kuͤnſtler, ihr großer und feiner Geſchmak,<lb/> ihre gluͤkliche Phantaſie die hoͤchſte Schoͤnheit der<lb/> Formen auszudruͤken, in hellerm Licht, als in die-<lb/> ſen Werken. Sie werden deswegen von allen Ken-<lb/> nern fuͤr die wichtigſten Huͤlfsmittel gehalten, das<lb/> Aug zur Empfindung des Schoͤnen zu bilden. Wenn<lb/> man wenige antike Statuͤen ausnihmt, ſo hat der<lb/> Zeichner nichts vollkommeners, als dieſe Steine, um<lb/><cb/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Geſ</hi></fw><lb/> ſein Aug und ſeine Hand zur Vollkommenheit der<lb/> Kunſt zu uͤben.</p><lb/> <p>Wegen der edlen Einfalt in Darſtellung der<lb/> Schoͤnheit, und des kraͤftigſten Ausdruks der Bedeu-<lb/> tung, dienen ſie uͤberhaupt zur Bildung des Ge-<lb/> ſchmaks. 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Geſ
Geſ
arbeitung und Formung noch ſchaͤtzbarer und rarer
zu machen, eine der vornehmſten Urſachen des Ur-
ſprungs und der Aufnahme der bildenden Kuͤnſte ge-
weſen. Es iſt das Genie aller Voͤlker, bey denen
der Geſchmak aufgekeimet hat, daß ſie den Sachen,
die ihnen als Geraͤthſchaften, oder blos zum Schmuk
dienen, durch angebrachte Zierrathen mehr Schoͤn-
heit und einen groͤßern Werth zu geben ſuchen.
Dem ſey aber, wie es wolle, ſo iſt dieſes offen-
bar, daß kein Theil der Kunſt iſt, den der Fleiß
und das Genie mehr bearbeitet hat, als dieſer. Die
Menge der aus dem Alterthum noch vorhandenen
geſchnittenen Steine iſt unzaͤhlbar; die ſich darin
zeigende Kunſt und Schoͤnheit aber, ſind bewun-
drungswuͤrdig.
Man trift darauf eine große Mannigfaltigkeit
der Bilder und Erfindungen an; Vorſtellungen der
Goͤtter, heiliger und weltlicher Gebraͤuche; Abbil-
dungen alter Helden und beruͤhmter Maͤnner; An-
deutungen großer Begebenheiten und Thaten; hie-
roglyphiſche und allegoriſche Vorſtellungen; Thiere
und Geraͤthſchaften. Die geſchnittenen Steine des
Alterthums werden deswegen als Monumente der
Gebraͤuche, der Sitten und der Geſchichte verſchie-
dener alten Voͤlker hochgeſchaͤtzt. Hier aber werden
ſie blos als Werke der zeichnenden und bildenden
Kuͤnſte betrachtet.
Einige dieſer Steine ſind die aͤlteſten Ueberbleib-
ſel dieſer Kuͤnſte, andre werden mit Recht auch unter
die vollkommenſten Werke derſelben gerechnet: zur
Geſchichte dieſer Kunſt in Abſicht auf das Alterthum,
ſind ſie ohne allen Streit die wichtigſten Materia-
lien. Jhre große Menge, ihr verſchiedenes Alter
und ihre beynahe ganz vollkommene Erhaltung, da
die meiſten noch eben ſo ſind, wie ſie aus der Hand
des Kuͤnſtlers gekommen, erlauben uns, die Geſchichte
der zeichnenden Kuͤnſte beynahe von ihrem Urſprung,
bis auf ihren gaͤnzlichen Verfall zu verfolgen. Nir-
gend erſcheinet der erfindriſche Geiſt verſchiedener
alten Voͤlker, der faſt unbegreifliche Fleiß der grie-
chiſchen Kuͤnſtler, ihr großer und feiner Geſchmak,
ihre gluͤkliche Phantaſie die hoͤchſte Schoͤnheit der
Formen auszudruͤken, in hellerm Licht, als in die-
ſen Werken. Sie werden deswegen von allen Ken-
nern fuͤr die wichtigſten Huͤlfsmittel gehalten, das
Aug zur Empfindung des Schoͤnen zu bilden. Wenn
man wenige antike Statuͤen ausnihmt, ſo hat der
Zeichner nichts vollkommeners, als dieſe Steine, um
ſein Aug und ſeine Hand zur Vollkommenheit der
Kunſt zu uͤben.
Wegen der edlen Einfalt in Darſtellung der
Schoͤnheit, und des kraͤftigſten Ausdruks der Bedeu-
tung, dienen ſie uͤberhaupt zur Bildung des Ge-
ſchmaks. Der, dem es gegluͤkt hat, die ganze Voll-
kommenheit dieſer Werke zu fuͤhlen, hat dadurch
allein ſeinem Geſchmak die voͤllige Ausbildung gege-
ben. Weſſen Phantaſie und Geiſt, den Geiſt, der
aus denſelben ſo hell hervorleuchtet, gefaßt und ſich
zugeeignet hat, der kann ſchweerlich in irgend einem
Gegenſtande des Geſchmaks ein ſchwaches oder fal-
ſches Gefuͤhl behalten; denn faſt jede Aeuſſerung des
guten Geſchmaks wird darin angetroffen. Die Zeich-
nung iſt von der hoͤchſten Richtigkeit, dabey ſo frey
und ſo leicht, daß ſie das wahre Gepraͤg der Natur
auf den erſten Blik zeiget. Auch in den kleineſten
Koͤpfen zeiget ſich Schoͤnheit mit Anſtand und Wuͤr-
de. Die Stellungen ſind, nach Beſchaffenheit des
Ausdruks, wahrhaft und hoͤchſt anſtaͤndig; jeder Ge-
genſtand iſt vollkommen das, was er ſeyn ſoll. Alſo
iſt ein unablaͤßiges Studium dieſer Steine nicht nur
dem Zeichner, ſondern jedem Menſchen, dem an Bil-
dung des Geſchmaks gelegen iſt, auf das Beſte zu
empfehlen.
Zum Gluͤk hat man leichte Mittel, dieſe fuͤrtreff-
lichen Werke der Kunſt uͤberall auszubreiten; durch
Abdruͤke in Siegellak, Abguͤſſe in Schwefel und an-
dre Materien, kann man ſie mit der groͤßten Leich-
tigkeit vervielfaͤltigen (*), und fuͤr den Kuͤnſtler und
Liebhaber der Kunſt hat ein guter Abdruk den
Werth des Originals ſelbſt. Man hat deswegen
nicht noͤthig Reiſen anzuſtellen, um die Cabinetter
oder Sammlungen geſchnittener Steine zu fehen;
jeder Liebhaber kann mit maͤßigen Koſten die ſchoͤn-
ſten davon ſich anſchaffen und alſo taͤglich vor Au-
geil haben.
(*) S.
Abguͤſſe.
Es iſt bereits erinnert worden, daß die Kunſt in
harte Steine zu ſchneiden von hohem Alterthum ſey.
Jn Aegypten muß ſie ſchon zu Moſes Zeiten im Ge-
brauch geweſen ſeyn, da um dieſelbe Zeit der Stein-
ſchneider gedacht wird, (*) welche die Namen der
XII Staͤmme in Onych eingegraben. Man findet
auch, daß ſchon in der aͤlteſten Geſchichte der Baby-
lonier und Perſer der Fingerringe mit Steinen ge-
dacht wird: und da man noch einige geſchnittene
Steine von perſiſchem Jnhalt hat, die ſich von an-
dern durch einen beſondern Geſchmak unterſcheiden,
ſo
(*) 2. B.
Moſ. C.
xxxix
v. 6.
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