Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] All mit einem Brustharnisch, ist kein natürliches Zeichender Weisheit, und also keine wahre Allegorie. Jn- dessen ist es unwiederruflich dafür angenommen. Man ist es gewohnt, vielen blos hieroglyphischen Zeichen der Alten den Rang der wahren allegori- schen Bilder zu lassen, weil wir von Kindheit auf so daran gewohnt werden, daß sie uns wie natür- liche Zeichen vorkommen. Bey dieser Gelegenheit ist hier auch noch vorläufig Nun wollen wir die Gattungen der Allegorie All mehrere, um eine Handlung, eine geschehene Sa-che, oder eine aus vielen Begriffen zusammenge- setzte Vorstellung auszudrüken. Die erste Art wol- len wir allegorische Bilder, die andere Art alle- gorische Vorstellungen nennen. Sehen wir auf den Unterschied in der Materie der Allegorie, so ist sie auch von zwey Arten. Die eine nimmt ihre Bilder ganz aus der Natur, indem sie z. B. die Arbeitsamkeit durch eine Biene vorstellt; die andere erdichtet die Bilder ganz oder zum Theil. Jener sollte man den Namen des Sinnbildes geben, dieser aber den Namen der eigentlichen Allego- gorie. Wir betrachten also zuerst die allegorischen Bil- Einen höhern Rang verdienen die Bilder, die blos E 2
[Spaltenumbruch] All mit einem Bruſtharniſch, iſt kein natuͤrliches Zeichender Weisheit, und alſo keine wahre Allegorie. Jn- deſſen iſt es unwiederruflich dafuͤr angenommen. Man iſt es gewohnt, vielen blos hieroglyphiſchen Zeichen der Alten den Rang der wahren allegori- ſchen Bilder zu laſſen, weil wir von Kindheit auf ſo daran gewohnt werden, daß ſie uns wie natuͤr- liche Zeichen vorkommen. Bey dieſer Gelegenheit iſt hier auch noch vorlaͤufig Nun wollen wir die Gattungen der Allegorie All mehrere, um eine Handlung, eine geſchehene Sa-che, oder eine aus vielen Begriffen zuſammenge- ſetzte Vorſtellung auszudruͤken. Die erſte Art wol- len wir allegoriſche Bilder, die andere Art alle- goriſche Vorſtellungen nennen. Sehen wir auf den Unterſchied in der Materie der Allegorie, ſo iſt ſie auch von zwey Arten. Die eine nimmt ihre Bilder ganz aus der Natur, indem ſie z. B. die Arbeitſamkeit durch eine Biene vorſtellt; die andere erdichtet die Bilder ganz oder zum Theil. Jener ſollte man den Namen des Sinnbildes geben, dieſer aber den Namen der eigentlichen Allego- gorie. Wir betrachten alſo zuerſt die allegoriſchen Bil- Einen hoͤhern Rang verdienen die Bilder, die blos E 2
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Es wuͤrde ein Feh-<lb/> ler ſeyn, die allegoriſche Sprache zu brauchen, wo<lb/> ſie nichts anders ausrichtet, als die gemeine Spra-<lb/> che. Die zeichnenden Kuͤnſte haben fuͤr allgemeine<lb/> Begriffe und Saͤtze keine eigentliche Sprache. Alſo<lb/> iſt ihnen erlaubt, wenn es auch ohne Verſtaͤrkung<lb/> des Nachdruks geſchieht, allegoriſch zu ſeyn, und<lb/> ihre Zeichen blos in die Stelle der gemeinen Spra-<lb/> che zu ſetzen. Es iſt nicht allemal ein Fehler, wenn<lb/> ihre Allegorie die Sachen nicht ſtaͤrker ſagt, als der ge-<lb/> meine Ausdruk der Rede. Wenn z. B. auf einer alten<lb/> roͤmiſchen Schaumuͤnze das Reich unter einer zu<lb/> Boden geſunkenen Perſon vorgeſtellt wird, die durch<lb/> den Kaiſer Veſpaſianus wieder aufgerichtet wird,<lb/> ſo ſagt dieſe Allegorie nicht das geringſte mehr,<lb/> auch mit nicht mehr Kraft, als es der eigentliche<lb/> Ausdruk der Sprache, <hi rendition="#fr">er hat das gefallene Reich<lb/> wieder her geſtellt,</hi> ſagen wuͤrde. Hier muß dem<lb/> Zeichner ſchon zum Verdienſt angerechnet werden,<lb/> was bey dem Redner noch keiner waͤre. Man muß<lb/> alſo in zeichnenden Kuͤnſten das ſchon fuͤr Allegorie<lb/> gelten laſſen, was in den redenden noch gemeiner<lb/> Ausdruk waͤre. Jndeſſen verdienen immer diejenigen<lb/> Allegorien unſre vorzuͤgliche Achtung, welche allge-<lb/> meine Sachen nicht blos verſtaͤndlich, ſondern auch<lb/> noch mit Kraft und aͤſthetiſchem Vortheile ausdruͤ-<lb/> ken.</p><lb/> <p>Nun wollen wir die Gattungen der Allegorie<lb/> naͤher betrachten. Nach dem Unterſchied ihrer Be-<lb/> deutung ſind ſie von zweyerley Art: entweder ſtel-<lb/> len ſie uns blos einen einzigen unzertrennbaren Ge-<lb/> genſtand vor; ein unſichtbares Weſen, einen Be-<lb/> griff, eine Eigenſchaft — oder ſie verbinden deren<lb/><cb/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">All</hi></fw><lb/> mehrere, um eine Handlung, eine geſchehene Sa-<lb/> che, oder eine aus vielen Begriffen zuſammenge-<lb/> ſetzte Vorſtellung auszudruͤken. Die erſte Art wol-<lb/> len wir <hi rendition="#fr">allegoriſche Bilder,</hi> die andere Art <hi rendition="#fr">alle-<lb/> goriſche Vorſtellungen</hi> nennen. Sehen wir auf<lb/> den Unterſchied in der Materie der Allegorie, ſo iſt<lb/> ſie auch von zwey Arten. Die eine nimmt ihre<lb/> Bilder ganz aus der Natur, indem ſie z. B. die<lb/> Arbeitſamkeit durch eine Biene vorſtellt; die andere<lb/> erdichtet die Bilder ganz oder zum Theil. 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Die Noth hat ſie eingefuͤhrt.</p><lb/> <p>Einen hoͤhern Rang verdienen die Bilder, die<lb/> uns nicht blos ſchlechthin die Namen und das ſicht-<lb/> bare der Dinge anzeigen, ſondern zugleich etwas<lb/> von ihrer Beſchaffenheit vorbilden. Sie gleichen<lb/> den viel bedeutenden Woͤrtern, deren Ableitung o-<lb/> der Zuſammenſezung uns ſchon einigermaaßen die<lb/> Erklaͤrung der Sache giebt, ſind natuͤrlich bedeu-<lb/> tende Zeichen. So iſt das Sinnbild der Seele o-<lb/> der der Unſterblichkeit, welches die Alten durch ei-<lb/> nen Schmetterling ausdruͤken. Es zeigt nicht<lb/> <fw place="bottom" type="sig">E 2</fw><fw place="bottom" type="catch">blos</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [35/0047]
All
All
mit einem Bruſtharniſch, iſt kein natuͤrliches Zeichen
der Weisheit, und alſo keine wahre Allegorie. Jn-
deſſen iſt es unwiederruflich dafuͤr angenommen.
Man iſt es gewohnt, vielen blos hieroglyphiſchen
Zeichen der Alten den Rang der wahren allegori-
ſchen Bilder zu laſſen, weil wir von Kindheit auf
ſo daran gewohnt werden, daß ſie uns wie natuͤr-
liche Zeichen vorkommen.
Bey dieſer Gelegenheit iſt hier auch noch vorlaͤufig
zu erinnern, daß in der Abſicht, in welcher die reden-
den und zeichnenden Kuͤnſte die Allegorie brauchen,
ſich ein Unterſchied findet, der dieſen etwas mehr
Freyheit als jenen erlaubt. Die Rede kann ſich
uͤberall des eigentlichen Ausdrukes bedienen, und
geht deswegen davon nicht ab, als wenn es mit
merklichem Vortheil geſchieht. Es wuͤrde ein Feh-
ler ſeyn, die allegoriſche Sprache zu brauchen, wo
ſie nichts anders ausrichtet, als die gemeine Spra-
che. Die zeichnenden Kuͤnſte haben fuͤr allgemeine
Begriffe und Saͤtze keine eigentliche Sprache. Alſo
iſt ihnen erlaubt, wenn es auch ohne Verſtaͤrkung
des Nachdruks geſchieht, allegoriſch zu ſeyn, und
ihre Zeichen blos in die Stelle der gemeinen Spra-
che zu ſetzen. Es iſt nicht allemal ein Fehler, wenn
ihre Allegorie die Sachen nicht ſtaͤrker ſagt, als der ge-
meine Ausdruk der Rede. Wenn z. B. auf einer alten
roͤmiſchen Schaumuͤnze das Reich unter einer zu
Boden geſunkenen Perſon vorgeſtellt wird, die durch
den Kaiſer Veſpaſianus wieder aufgerichtet wird,
ſo ſagt dieſe Allegorie nicht das geringſte mehr,
auch mit nicht mehr Kraft, als es der eigentliche
Ausdruk der Sprache, er hat das gefallene Reich
wieder her geſtellt, ſagen wuͤrde. Hier muß dem
Zeichner ſchon zum Verdienſt angerechnet werden,
was bey dem Redner noch keiner waͤre. Man muß
alſo in zeichnenden Kuͤnſten das ſchon fuͤr Allegorie
gelten laſſen, was in den redenden noch gemeiner
Ausdruk waͤre. Jndeſſen verdienen immer diejenigen
Allegorien unſre vorzuͤgliche Achtung, welche allge-
meine Sachen nicht blos verſtaͤndlich, ſondern auch
noch mit Kraft und aͤſthetiſchem Vortheile ausdruͤ-
ken.
Nun wollen wir die Gattungen der Allegorie
naͤher betrachten. Nach dem Unterſchied ihrer Be-
deutung ſind ſie von zweyerley Art: entweder ſtel-
len ſie uns blos einen einzigen unzertrennbaren Ge-
genſtand vor; ein unſichtbares Weſen, einen Be-
griff, eine Eigenſchaft — oder ſie verbinden deren
mehrere, um eine Handlung, eine geſchehene Sa-
che, oder eine aus vielen Begriffen zuſammenge-
ſetzte Vorſtellung auszudruͤken. Die erſte Art wol-
len wir allegoriſche Bilder, die andere Art alle-
goriſche Vorſtellungen nennen. Sehen wir auf
den Unterſchied in der Materie der Allegorie, ſo iſt
ſie auch von zwey Arten. Die eine nimmt ihre
Bilder ganz aus der Natur, indem ſie z. B. die
Arbeitſamkeit durch eine Biene vorſtellt; die andere
erdichtet die Bilder ganz oder zum Theil. Jener
ſollte man den Namen des Sinnbildes geben,
dieſer aber den Namen der eigentlichen Allego-
gorie.
Wir betrachten alſo zuerſt die allegoriſchen Bil-
der, ſie ſeyen Sinnbilder oder eigentliche Allegori-
en. Die gemeineſte Gattung derſelben iſt die, die
weiter keinen Vortheil hat, als daß ſie die Vorſtel-
lung der Sache moͤglich macht. Sie thun nichts
mehr, als ein lateiniſches Wort in der deutſchen
Sprache, wenn dieſe keines hat, dieſelbe Sache
auszudruͤken. So ſagt uns das Bild einer Frau-
ensperſon, mit einer geſchloßenen Crone auf dem
Kopf und in einem mit goldenen Lilien bezeichneten
Mantel, nichts mehr, als das Wort Frankreich
ſagen wuͤrde. Sie ſind von zweyerley Art: ſolche
die blos die Namen der Sache bezeichnen, oder ſie
ſchlechtweg nennen, wie z. E. der Froſch und der
Eidex in zwey Joniſchen antiken Voluten, welche
die Baumeiſter Batrachus und Saurus bezeichnen
ſollen; (*) oder ſie zeigen die Sache durch eine ihrer
Eigenſchaften an, wie die Vorſtellung der Stadt
Damaskus durch das Bild einer Frauensperſon,
die Pflaumen in der Hand haͤlt (*) welche Frucht
dieſer Stadt vorzuͤglich eigen war. Von dieſen Ar-
ten ſind ungemein viel allegoriſche Bilder; ſie ſind
im Grunde bloße Hieroglyphen; die aber deshalb,
wie kurz vorher iſt angemerkt worden, nicht zu ver-
werffen ſind. Die Noth hat ſie eingefuͤhrt.
(*) S.
Winkelm.
Anm uͤber
die Bau-
kunſt der
Alten.
(*) Win-
kelm Alleg.
p. 92.
Einen hoͤhern Rang verdienen die Bilder, die
uns nicht blos ſchlechthin die Namen und das ſicht-
bare der Dinge anzeigen, ſondern zugleich etwas
von ihrer Beſchaffenheit vorbilden. Sie gleichen
den viel bedeutenden Woͤrtern, deren Ableitung o-
der Zuſammenſezung uns ſchon einigermaaßen die
Erklaͤrung der Sache giebt, ſind natuͤrlich bedeu-
tende Zeichen. So iſt das Sinnbild der Seele o-
der der Unſterblichkeit, welches die Alten durch ei-
nen Schmetterling ausdruͤken. Es zeigt nicht
blos
E 2
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