Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] For genstände: man sagt in diesem Sinn, ein Gefäßhabe eine schöne Form. Von solchen Gegenständen hat man das Wort in der Sprache der Künste, auch auf die menschliche Gestalt angewendet; so sagt man z. B. Michel Angelo habe in seinen Werken auf große Formen gesehen, und versteht durch diese Formen auch die Gestalt der Figuren von menschli- cher Bildung. Die Formen sind wegen der mannigfaltigen ästhe- Es kommen uns mannigfaltige Figuren und Kör- Dieses ist die geringste Gattung der Formen, von For verziert; und der Mahler, wenn er seine Figurenwol gruppirt, und alles in regelmäßige Massen an- ordnet. Diese Formen würken ein bloßes Gefallen, oder eine Zufriedenheit des Auges. Wenn aber diese Schönheit zugleich mit Schik- Gute Formen von der zweyten Art können einen der D d d 2
[Spaltenumbruch] For genſtaͤnde: man ſagt in dieſem Sinn, ein Gefaͤßhabe eine ſchoͤne Form. Von ſolchen Gegenſtaͤnden hat man das Wort in der Sprache der Kuͤnſte, auch auf die menſchliche Geſtalt angewendet; ſo ſagt man z. B. Michel Angelo habe in ſeinen Werken auf große Formen geſehen, und verſteht durch dieſe Formen auch die Geſtalt der Figuren von menſchli- cher Bildung. Die Formen ſind wegen der mannigfaltigen aͤſthe- Es kommen uns mannigfaltige Figuren und Koͤr- Dieſes iſt die geringſte Gattung der Formen, von For verziert; und der Mahler, wenn er ſeine Figurenwol gruppirt, und alles in regelmaͤßige Maſſen an- ordnet. Dieſe Formen wuͤrken ein bloßes Gefallen, oder eine Zufriedenheit des Auges. Wenn aber dieſe Schoͤnheit zugleich mit Schik- Gute Formen von der zweyten Art koͤnnen einen der D d d 2
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Wir merken demnach an, daß es dreyerley<lb/> Gattungen der Formen giebt; ſolche, die eine blos<lb/> koͤrperliche Schoͤnheit haben; hernach ſolche, in de-<lb/> nen koͤrperliche Schoͤnheit mit Schiklichkeit und<lb/> Tuͤchtigkeit verbunden iſt; und endlich auch ſolche,<lb/> in denen auſſer der koͤrperlichen Schoͤnheit und<lb/> Schiklichkeit, auch ſittliche Kraft liegt. Zur erſten<lb/> Gattung gehoͤren alle Figuren und Koͤrper, die regel-<lb/> maͤßig ſind, aber keine beſondere Beſtimmung ha-<lb/> ben; zur andern Claſſe regelmaͤßige Koͤrper, deren<lb/> Geſtalt durch eine beſondere Beſtimmung ihre Ein-<lb/> ſchraͤnkung bekoͤmmt; und zur dritten die, in denen<lb/> auſſer den vorhergehenden Eigenſchaſten noch inne-<lb/> res Leben und ſittliche Wuͤrkſamkeit entdekt wird.</p><lb/> <p>Es kommen uns mannigfaltige Figuren und Koͤr-<lb/> per vor, von deren Natur und Endzwek wir nichts<lb/> erkennen; die uns aber doch gefallen oder mißfallen,<lb/> blos in ſo fern ſie eine Figur haben. 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For
For
genſtaͤnde: man ſagt in dieſem Sinn, ein Gefaͤß
habe eine ſchoͤne Form. Von ſolchen Gegenſtaͤnden
hat man das Wort in der Sprache der Kuͤnſte, auch
auf die menſchliche Geſtalt angewendet; ſo ſagt
man z. B. Michel Angelo habe in ſeinen Werken
auf große Formen geſehen, und verſteht durch dieſe
Formen auch die Geſtalt der Figuren von menſchli-
cher Bildung.
Die Formen ſind wegen der mannigfaltigen aͤſthe-
tiſchen Kraft, die ſie haben, der hauptſaͤchlichſte Ge-
genſtand der zeichnenden Kuͤnſte, und verdienen des-
wegen nach ihren Hauptgattungen betrachtet zu wer-
den. Wir merken demnach an, daß es dreyerley
Gattungen der Formen giebt; ſolche, die eine blos
koͤrperliche Schoͤnheit haben; hernach ſolche, in de-
nen koͤrperliche Schoͤnheit mit Schiklichkeit und
Tuͤchtigkeit verbunden iſt; und endlich auch ſolche,
in denen auſſer der koͤrperlichen Schoͤnheit und
Schiklichkeit, auch ſittliche Kraft liegt. Zur erſten
Gattung gehoͤren alle Figuren und Koͤrper, die regel-
maͤßig ſind, aber keine beſondere Beſtimmung ha-
ben; zur andern Claſſe regelmaͤßige Koͤrper, deren
Geſtalt durch eine beſondere Beſtimmung ihre Ein-
ſchraͤnkung bekoͤmmt; und zur dritten die, in denen
auſſer den vorhergehenden Eigenſchaſten noch inne-
res Leben und ſittliche Wuͤrkſamkeit entdekt wird.
Es kommen uns mannigfaltige Figuren und Koͤr-
per vor, von deren Natur und Endzwek wir nichts
erkennen; die uns aber doch gefallen oder mißfallen,
blos in ſo fern ſie eine Figur haben. Unter den
Steinen, welche auf den Feldern zerſtreuet ſind,
ziehen die, deren Figur eine merkliche Regelmaͤßig-
keit hat, unſer Aug auf ſich, und wenn wir die in
der Luft zerſtreueten Wolken ſehen, ſo ſind wir auf-
merkſam und vergnuͤgen uns, ſo ofte wir in ihren
Figuren und in ihren verſchiedenen Gruppirungen
etwas regelmaͤßiges entdeken. Wir ſchreiben ihnen
in ſo fern eine Schoͤnheit zu, die aber blos darin
beſteht, daß ihre Form faßlich iſt, daß wir uns ei-
nen mehr oder weniger klaren und deutlichen Begriff
davon machen koͤnnen. Sie haben die blos todte
Schoͤnheit, die, wie die Philoſophen bemerkt haben,
aus Einheit und Mannigfaltigkeit entſteht.
Dieſes iſt die geringſte Gattung der Formen, von
welcher aber die zeichnenden Kuͤnſte einen ſtarken
Gebrauch machen. Sie hat der Baumeiſter zur
Abſicht, wenn er die Deken der Zimmer mit Fel-
dern, und die Fußboden mit kuͤnſtlichem Tafelwerk
verziert; und der Mahler, wenn er ſeine Figuren
wol gruppirt, und alles in regelmaͤßige Maſſen an-
ordnet. Dieſe Formen wuͤrken ein bloßes Gefallen,
oder eine Zufriedenheit des Auges.
Wenn aber dieſe Schoͤnheit zugleich mit Schik-
lichkeit und Tuͤchtigkeit verbunden wird, ſo bekoͤmmt
die Form ſchon eine lebhaftere Kraft. Wir koͤn-
nen die Saͤulen der Baukunſt zum Beyſpiel anfuͤh-
ren. Das Verhaͤltnis ihrer Hoͤhe zur Dike und
die Einziehung oder allmaͤhlige Verduͤnnerung des
Stammes, daß ſie einen Fuß und Knauff haben,
daß der unterſte Theil des Fußes eine vierekigte
Platte, und der oberſte Theil des Knauffs eine Ta-
fel iſt, und mehr ſolche Dinge gehoͤren zum Schikli-
chen und Tuͤchtigen; denn durch dieſe Eigenſchaften
wird die Saͤule tuͤchtig zu tragen, was ſie zu tra-
gen hat. So iſt in einem ſchoͤnen Gefaͤß, in einer
ſchoͤnen Vaſe, blos koͤrperliche Schoͤnheit mit Tuͤch-
tigkeit verbunden, wenn die Form zum Gebrauch,
den man davon macht, voͤllig ſchiklich iſt, oder ihn
erleichtert. So ſind unſre Trinkglaͤſer, da ein klei-
ner comſcher Baͤcher auf einem duͤnnen zum Anfaſ-
ſen bequaͤmen, und unten mit einem breiten Fuß
verſehenen Stamm ſteht. Die koͤrperliche Schoͤn-
heit mit Schiklichkeit oder Tuͤchtigkeit verbunden,
ſehen wir uͤberall in den Formen der Pflanzen und
der Thiere, und wir vermiſſen ſie gar oft in den
Werken der Kunſt, wo die Zierrathen ohne Beur-
theilung angebracht werden, wie bey Meſſern, deren
Hefte ſo wunderlich geſtaltet ſind, daß man ſie nicht
feſt anfaſſen, oder mit ſo viel ekigten Zierrathen ver-
ſehen ſind, daß man ſie ohne ſich zu verwunden
nicht lange feſt halten kann.
Gute Formen von der zweyten Art koͤnnen einen
großen Grad des Vergnuͤgens erweken. Das Pflan-
zen- und Thierreich iſt voll von ſolchen Formen, die
man nicht ohne inniges Vergnuͤgen betrachten kann.
Jn den ſchoͤnen Kuͤnſten zeiget die Baukunſt manche
Schoͤnheit dieſer Art. Eine nach dem guten Ge-
ſchmak der Griechen gebauete Saͤulenordnung zeiget
uns das Schoͤne mit dem Tuͤchtigen und Schikli-
chen in der engeſten Verbindung. Was kann feſter,
beſſer zuſammengefuͤgt, zu ſeinem Endzwek ſchikli-
cher, zugleich aber regelmaͤßiger ſeyn, als jeder Theil
der doriſchen Ordnung? Durch eine gluͤkliche Ver-
einigung des Schoͤnen mit dem Tuͤchtigen und Schik-
lichen, werden auch Werke der mechaniſchen Kuͤnſte
zu Werken des Geſchmaks, und der Goldſchmidt,
der
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