Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch]
Erz Zur Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit ist vor Einen großen Grad der Wahrheit kann auch der Erz Es erhellet hieraus hinlänglich, daß es eine Hermogenes unterscheidet drey Hauptgattungen Die ausgeführte Art besteht darin, daß der Die zierliche Art trägt die Sache mit Zusätzen so Erster Theil. Y y
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Erz Zur Wahrheit oder Wahrſcheinlichkeit iſt vor Einen großen Grad der Wahrheit kann auch der Erz Es erhellet hieraus hinlaͤnglich, daß es eine Hermogenes unterſcheidet drey Hauptgattungen Die ausgefuͤhrte Art beſteht darin, daß der Die zierliche Art traͤgt die Sache mit Zuſaͤtzen ſo Erſter Theil. Y y
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So wie es gewiſſe Gemaͤhlde giebt,<lb/> von denen man leicht urtheilen kann, daß ſie blos<lb/> aus der Phantaſie, nach einem Jdeal gemacht ſind,<lb/> andre hingegen, wo man aus verſchiedenen ſehr<lb/> zufaͤlligen Kleinigkeiten gewiß erkennt, daß ſie nach<lb/> der Natur gemacht ſind; ſo iſt es auch mit den Er-<lb/> zaͤhlungen beſchaffen, deren Wahrheit oder Erdich-<lb/> tung man aus Kleinigkeiten am beſten beurtheilet.<lb/><note place="left">(*) <hi rendition="#aq">L. IV.<lb/> C.</hi> §. 41.</note>Folgendes Beyſpiel aus dem Quintilianus (*) kann<lb/> zur Erlaͤuterung dienen. <hi rendition="#aq">In portum veni, navim<lb/> proſpexi, quanti veheret interrogavi, de pretio<lb/> convenit, conſcendi, ſublatæ ſunt anchoræ, ſolvi-<lb/> mus oram, profecti ſumus.</hi> Alles dieſes ſagt im<lb/> Grunde nichts anders, als die zwey Worte: <hi rendition="#aq">E portu<lb/> navigavi.</hi> Aber das ausgezeichnete Gemaͤhlde macht,<lb/> daß man die Sache zu ſehen glaubt. Da bey jeder<lb/> Erzaͤhlung etwas die Hauptſach iſt, das, wornach<lb/> alles andre beurtheilt wird, dieſe Hauptſach aber,<lb/><note place="left">(*) Grup-<lb/> pe.</note>wie die Hauptgruppe des Mahlers (*) in dem Ge-<lb/> maͤhlde, voranſtehen und am deutlichſten ins Geſicht<lb/> fallen muß; ſo muß der Redner durch Bezeichnung<lb/> kleiner Umſtaͤnde, die Hauptſache nahe vor das<lb/> Geſicht bringen. Darin iſt Homer ein großer Mei-<lb/> ſter der Kunſt. Die Hauptſachen heben ſich in ſei-<lb/> nen Gemaͤhlden vom Grund heraus, und kommen<lb/> ganz nahe.</p><lb/> <p>Einen großen Grad der Wahrheit kann auch der<lb/> Ton der Rede einer Erzaͤhlung geben. Ein den Sa-<lb/> chen, die man erzaͤhlt, voͤllig angemeſſener Ton, der<lb/> ſich waͤhrender Erzaͤhlung immer nach der Beſchaf-<lb/> fenheit der Dinge, die erzaͤhlt werden, abaͤndert,<lb/> iſt beynahe allein hinreichend die ganze Sache wahr-<lb/> ſcheinlich zu machen; ſo wie ein falſcher Ton, be-<lb/> ſonders da man zur Unzeit wichtig thut, oder ins<lb/><note place="left">(*) S.<lb/> Ton der<lb/> Rede.</note>declamatoriſche verfaͤllt, einen ſehr großen Verdacht<lb/> der Unwahrheit erweken kann. 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Von dieſer Art iſt die<lb/> Erzaͤhlung in des <hi rendition="#fr">Demoſthenes</hi> Rede gegen den<lb/><hi rendition="#fr">Conon.</hi> Die Sache war an ſich ſo klar, daß der<lb/> natuͤrlichſte Vortrag derſelben am geſchickteſten war,<lb/> die Zuhoͤrer gegen den Beklagten einzunehmen.</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#fr">ausgefuͤhrte</hi> Art beſteht darin, daß der<lb/> Redner verſchiedenes beybringt, das in der geſche-<lb/> henen Sache nicht offenbar liegt, indem er Urſa-<lb/> chen davon angiebt, Abſichten aufdekt, und etwa<lb/> Umſtaͤnde ergaͤnzt, alles in der Abſicht die Sache<lb/> gut oder ſchlecht vorzuſtellen. Er hilft alſo dem<lb/> Urtheil des Zuhoͤrers dabey, da er im erſtern Fall<lb/> es ihm gaͤnzlich frey gelaſſen hat. Dieſe Art iſt noͤ-<lb/> thig, wo die vorzutragende Sache etwas zweydeu-<lb/> tig iſt, ſo daß der Zuhoͤrer, wenn ihm die Sache<lb/> einfach erzaͤhlt wuͤrde, auch wol ein ander Urtheil<lb/> davon faͤllen, oder ſie anders faſſen koͤnnte, als es<lb/> die Abſicht des Redners erfodert.</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#fr">zierliche</hi> Art traͤgt die Sache mit Zuſaͤtzen<lb/> vor, welche die Einbildungskraft des Zuhoͤrers ein-<lb/> nehmen. Er miſcht Bilder und Nebenumſtaͤnde in<lb/> die Sache, welche ihn fuͤr oder gegen die Begeben-<lb/> heit einnehmen, welche er entweder auf eine vor-<lb/> theilhafte oder verhaßte Weiſe vorſtellt, ſo daß er<lb/> das Urtheil des Zuhoͤrers ſchon in der Erzaͤhlung<lb/> ſelbſt lenkt. Er braucht die Farben der Beredſam-<lb/> keit ſein Gemaͤhld deſto kraͤftiger zu machen. Die-<lb/> ſes iſt bey gerichtlichen Erzaͤhlungen ein Kunſtgriff,<lb/> der den Sachen den Ausſchlag geben kann; und<lb/> darin war Cicero ein großer Meiſter. Man uͤber-<lb/> lege folgende Stelle. 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Erz
Erz
Zur Wahrheit oder Wahrſcheinlichkeit iſt vor
allen Dingen nothwendig, daß keine Luͤke in der
Erzaͤhlung gelaſſen, daß nichts uͤbergangen werde,
daraus das, was hernach folget, begreifflich wird.
Aber dieſes iſt noch nicht allemal hinlaͤnglich. Ge-
wiſſe Theile der Erzaͤhlung muͤſſen genau, umſtaͤnd-
lich und durch ſolche Kleinigkeiten ausgezeichnet ſeyn,
daß der Zuhoͤrer bey der Sache gegenwaͤrtig zu ſeyn
glaubet. Dadurch wird die Erzaͤhlung um ſo mehr
wahrſcheinlich, da der Zuhoͤrer ſich nicht vorſtellen
kann, daß alles ſo umſtaͤndlich wuͤrde koͤnnen be-
zeichnet werden, wenn ſich die Sachen nicht wuͤrklich
ſo verhielten. So wie es gewiſſe Gemaͤhlde giebt,
von denen man leicht urtheilen kann, daß ſie blos
aus der Phantaſie, nach einem Jdeal gemacht ſind,
andre hingegen, wo man aus verſchiedenen ſehr
zufaͤlligen Kleinigkeiten gewiß erkennt, daß ſie nach
der Natur gemacht ſind; ſo iſt es auch mit den Er-
zaͤhlungen beſchaffen, deren Wahrheit oder Erdich-
tung man aus Kleinigkeiten am beſten beurtheilet.
Folgendes Beyſpiel aus dem Quintilianus (*) kann
zur Erlaͤuterung dienen. In portum veni, navim
proſpexi, quanti veheret interrogavi, de pretio
convenit, conſcendi, ſublatæ ſunt anchoræ, ſolvi-
mus oram, profecti ſumus. Alles dieſes ſagt im
Grunde nichts anders, als die zwey Worte: E portu
navigavi. Aber das ausgezeichnete Gemaͤhlde macht,
daß man die Sache zu ſehen glaubt. Da bey jeder
Erzaͤhlung etwas die Hauptſach iſt, das, wornach
alles andre beurtheilt wird, dieſe Hauptſach aber,
wie die Hauptgruppe des Mahlers (*) in dem Ge-
maͤhlde, voranſtehen und am deutlichſten ins Geſicht
fallen muß; ſo muß der Redner durch Bezeichnung
kleiner Umſtaͤnde, die Hauptſache nahe vor das
Geſicht bringen. Darin iſt Homer ein großer Mei-
ſter der Kunſt. Die Hauptſachen heben ſich in ſei-
nen Gemaͤhlden vom Grund heraus, und kommen
ganz nahe.
(*) L. IV.
C. §. 41.
(*) Grup-
pe.
Einen großen Grad der Wahrheit kann auch der
Ton der Rede einer Erzaͤhlung geben. Ein den Sa-
chen, die man erzaͤhlt, voͤllig angemeſſener Ton, der
ſich waͤhrender Erzaͤhlung immer nach der Beſchaf-
fenheit der Dinge, die erzaͤhlt werden, abaͤndert,
iſt beynahe allein hinreichend die ganze Sache wahr-
ſcheinlich zu machen; ſo wie ein falſcher Ton, be-
ſonders da man zur Unzeit wichtig thut, oder ins
declamatoriſche verfaͤllt, einen ſehr großen Verdacht
der Unwahrheit erweken kann. (*)
(*) S.
Ton der
Rede.
Es erhellet hieraus hinlaͤnglich, daß es eine
hoͤchſt ſchweere Sach iſt, gut zu erzaͤhlen, und viel-
leicht erfodert kein Theil der Beredſamkeit fleißigere
Uebung, als dieſer.
Hermogenes unterſcheidet drey Hauptgattungen
die Erzaͤhlung zu behandeln, die einfache, die aus-
gefuͤhrte, die zierliche. Die erſte erzaͤhlt die Sache
ſchlechtweg, wie ſie geſchehen iſt, ohne ſich in irgend
eine Art der Ausſchweiffung einzulaſſen. Sie wird
da gebraucht, wo die geſchehene Sache an ſich ſelbſt
mit den dabey vorkommenden Umſtaͤnden hinrei-
chend iſt, dem Zuhoͤrer die Begriffe zu geben, die
unſrer Abſicht gemaͤß ſind. Von dieſer Art iſt die
Erzaͤhlung in des Demoſthenes Rede gegen den
Conon. Die Sache war an ſich ſo klar, daß der
natuͤrlichſte Vortrag derſelben am geſchickteſten war,
die Zuhoͤrer gegen den Beklagten einzunehmen.
Die ausgefuͤhrte Art beſteht darin, daß der
Redner verſchiedenes beybringt, das in der geſche-
henen Sache nicht offenbar liegt, indem er Urſa-
chen davon angiebt, Abſichten aufdekt, und etwa
Umſtaͤnde ergaͤnzt, alles in der Abſicht die Sache
gut oder ſchlecht vorzuſtellen. Er hilft alſo dem
Urtheil des Zuhoͤrers dabey, da er im erſtern Fall
es ihm gaͤnzlich frey gelaſſen hat. Dieſe Art iſt noͤ-
thig, wo die vorzutragende Sache etwas zweydeu-
tig iſt, ſo daß der Zuhoͤrer, wenn ihm die Sache
einfach erzaͤhlt wuͤrde, auch wol ein ander Urtheil
davon faͤllen, oder ſie anders faſſen koͤnnte, als es
die Abſicht des Redners erfodert.
Die zierliche Art traͤgt die Sache mit Zuſaͤtzen
vor, welche die Einbildungskraft des Zuhoͤrers ein-
nehmen. Er miſcht Bilder und Nebenumſtaͤnde in
die Sache, welche ihn fuͤr oder gegen die Begeben-
heit einnehmen, welche er entweder auf eine vor-
theilhafte oder verhaßte Weiſe vorſtellt, ſo daß er
das Urtheil des Zuhoͤrers ſchon in der Erzaͤhlung
ſelbſt lenkt. Er braucht die Farben der Beredſam-
keit ſein Gemaͤhld deſto kraͤftiger zu machen. Die-
ſes iſt bey gerichtlichen Erzaͤhlungen ein Kunſtgriff,
der den Sachen den Ausſchlag geben kann; und
darin war Cicero ein großer Meiſter. Man uͤber-
lege folgende Stelle. Anſtatt blos zu ſagen: Quin-
ctius trauete dem Verſprechen des Naͤvius, traͤgt er
die Sache ſo vor: Quia, quod virum bonum facere
oportebat, id loquebatur Nævius; credit Quinctius
eum, qui orationem bonorum imitaretur, facta quo-
que imitaturum. Dergleichen Wendungen ſind um
ſo
Erſter Theil. Y y
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