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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Aes
aus. Man sieht überhaupt durchgehends, daß er
seine Zuschauer recht hat erschüttern wollen, und es
läßt sich merken, daß Gedanken, Wörter, Töne und
ein heftiger Vortrag übereingestimmt haben, diese
Absicht zu unterstützen.

Seine Chöre bestunden aus einer großen Menge
Personen, ihre Gesänge sind lang, und sowol im
Jnhalt, als im Ausdruk und dem Ton der Worte,
feyerlich oder wild. Es ist zu vermuthen, daß er
die Sänger zu einem etwas übertriebenen Vor-
trag angehalten habe. Zum Beyspiel dessen die-
(*) IKETI-
#. vs.

867. u. f. f.
#
&c.
net eine Stelle in den Danaiden, (*) derglei-
chen man sonst bey keinem Dichter findet. Man sagt,
es habe ein Aufzug des Chores in seinen Eumeni-
den das Volk in solches Schreken gesetzt, daß ei-
nige Kinder in Ohnmacht gesunken, und Schwan-
gere unzeitig gebohren haben. Dieses ist gar
nicht unglaublich.

Aeschylus hat sich eben so sehr um die gute Vor-
stellung seiner Trauerspiele, als um deren Verfer-
tigung bekümmert. Die Alten berichten, daß er den
Bau und die Auszierung der Schaubühne sehr
verbessert habe. Jn den ersten Zeiten ward sie nur
von Baumreisern gemacht, hernach bauete man
Hütten mit verschiedenen Abtheilungen. Aeschylus
ließ prächtige Schaubühnen bauen, und die wahren
Oerter der Scene durch Gemälde und Maschinen
(*) Lib.
VII.
nachahmen. Vitruvius meldet, (*) Agatharchus
habe zuerst in Athen eine ordentliche Bühne für
den Aeschylus gebaut, und eine Abhandlung davon
geschrieben. Dieser wußte wol, daß das Trauerspiel
niemals seine ganze Würkung thut, wenn nicht alles
Aeußerliche mit dem Jnhalt übereinstimmt. Horaz
schreibt ihm die Erfindung der erhabenen Bühne
und der Masken zu.

- - - Personae pallaeque repertor honestae
(*) de Arte
vs.
278.
AEschylus & modicis instravit pulpita tignis. (*)

Es zeuget übrigens von keiner gemeinen Beschei-
denheit, daß ein Mann von dieser Größe seine
Trauerspiele Ueberbleibsele von den herrlichen
(*) Athe-
naeus Lib
VIII.
Mahlzeiten des Homers genennt hat. (*) Eine
andre Probe seiner Bescheidenheit ist es, daß er es
sich für einen höhern Ruhm geschätzt, zu dem Sieg
bey Marathon etwas beygetragen, als durch sein
Genie andre übertroffen zu haben: wenn anders die
Grabschrist, die man ihm gesetzt, wie Athenäus
(*) Athen.
L. XIV.
vorgiebt, (*) von ihm selbst ist.

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Aes

Von meinem nicht unrühmlichen Muthe,
wirst du marathonischer Wald zeugen, und du
dikbehaarter Meder, der ihn erfahren hat.

Was könnte man auf die Gräber unsrer meisten
neuern Dichter setzen, wenn ihrer poetischen Arbei-
ten darauf nicht erwähnt werden dürfte?

Aesopus.

Der älteste bekannte Fabeldichter. Er lebte zu den
Zeiten des Crösus und Solons. Die Nachrich-
ten von seiner Person und seinem Leben haben ei-
nigen so unzuverläßig geschienen, daß sie so gar auf
die Gedanken gerathen, ein solcher Mann habe
gar niemals gelebt. Doch ist es wahrscheinlicher, daß
Aesopus eine würkliche Person gewesen, daß er in
Phrygien gebohren, eine Zeitlang in der Knecht-
schaft gelebt, hernach frey geworden und in Sardis,
am Hofe des Crösus, sich aufgehalten habe.

Man findet seine wahre oder erdichtete Lebens-
geschichte an hundert Orten beschrieben. Planudes,
ein Grieche, aus den mittlern Zeiten, hat viel fabel-
haftes davon zusammen getragen. Unter den neu-
ern hat Meziriac die zuverläßigsten Nachrichten
von diesem Fabeldichter gesammelt.

Seine Fabeln stunden bey den Griechen in gros-
sem Ansehen, welches sie nun seit zwey tausend Jah-
ren bey allen Völkern, die Wissenschaften und Ge-
schmak besitzen, behauptet haben. Einige halten
ihn für den Erfinder der Fabel, die nach ihm die
Aesopische genennt wird. Es ist wahrscheinlich,
daß er selbst seine Fabeln nicht aufgeschrieben, son-
dern bey gewißen Gelegenheiten, als lehrreiche und
witzige Einfälle blos erzählt habe. Wenigstens sind
die griechischen Fabeln, die man für die seinige aus-
giebt, nur ihrer Erfindung nach von ihm, sein Aus-
druk aber ist verlohren gegangen. (*) Sokrates(*) S. Va-
vastor de
ludicra
dictione.

schätzte die äsopischen Fabeln so hoch, daß er sie in
Verse eingekleidet hat. Plato sagt: er habe dieses
zufolge einiger wiederholten Träume, die er für
göttlich gehalten habe, gethan. S. Fabel.

Aesthetik.

Die Philosophie der schönen Künste, oder
die Wissenschaft, welche sowol die allgemeine
Theorie, als die Regeln der schönen Künste
aus der Natur des Geschmaks herleitet.

Das Wort bedeutet eigentlich die Wissenschaft der
Empfindungen, welche in der griechischen Sprache

#-

[Spaltenumbruch]

Aeſ
aus. Man ſieht uͤberhaupt durchgehends, daß er
ſeine Zuſchauer recht hat erſchuͤttern wollen, und es
laͤßt ſich merken, daß Gedanken, Woͤrter, Toͤne und
ein heftiger Vortrag uͤbereingeſtimmt haben, dieſe
Abſicht zu unterſtuͤtzen.

Seine Choͤre beſtunden aus einer großen Menge
Perſonen, ihre Geſaͤnge ſind lang, und ſowol im
Jnhalt, als im Ausdruk und dem Ton der Worte,
feyerlich oder wild. Es iſt zu vermuthen, daß er
die Saͤnger zu einem etwas uͤbertriebenen Vor-
trag angehalten habe. Zum Beyſpiel deſſen die-
(*) IKETI-
#. vſ.

867. u. f. f.
#
&c.
net eine Stelle in den Danaiden, (*) derglei-
chen man ſonſt bey keinem Dichter findet. Man ſagt,
es habe ein Aufzug des Chores in ſeinen Eumeni-
den das Volk in ſolches Schreken geſetzt, daß ei-
nige Kinder in Ohnmacht geſunken, und Schwan-
gere unzeitig gebohren haben. Dieſes iſt gar
nicht unglaublich.

Aeſchylus hat ſich eben ſo ſehr um die gute Vor-
ſtellung ſeiner Trauerſpiele, als um deren Verfer-
tigung bekuͤmmert. Die Alten berichten, daß er den
Bau und die Auszierung der Schaubuͤhne ſehr
verbeſſert habe. Jn den erſten Zeiten ward ſie nur
von Baumreiſern gemacht, hernach bauete man
Huͤtten mit verſchiedenen Abtheilungen. Aeſchylus
ließ praͤchtige Schaubuͤhnen bauen, und die wahren
Oerter der Scene durch Gemaͤlde und Maſchinen
(*) Lib.
VII.
nachahmen. Vitruvius meldet, (*) Agatharchus
habe zuerſt in Athen eine ordentliche Buͤhne fuͤr
den Aeſchylus gebaut, und eine Abhandlung davon
geſchrieben. Dieſer wußte wol, daß das Trauerſpiel
niemals ſeine ganze Wuͤrkung thut, wenn nicht alles
Aeußerliche mit dem Jnhalt uͤbereinſtimmt. Horaz
ſchreibt ihm die Erfindung der erhabenen Buͤhne
und der Masken zu.

‒ ‒ ‒ Perſonæ pallæque repertor honeſtæ
(*) de Arte
vſ.
278.
Æſchylus & modicis inſtravit pulpita tignis. (*)

Es zeuget uͤbrigens von keiner gemeinen Beſchei-
denheit, daß ein Mann von dieſer Groͤße ſeine
Trauerſpiele Ueberbleibſele von den herrlichen
(*) Athe-
næus Lib
VIII.
Mahlzeiten des Homers genennt hat. (*) Eine
andre Probe ſeiner Beſcheidenheit iſt es, daß er es
ſich fuͤr einen hoͤhern Ruhm geſchaͤtzt, zu dem Sieg
bey Marathon etwas beygetragen, als durch ſein
Genie andre uͤbertroffen zu haben: wenn anders die
Grabſchriſt, die man ihm geſetzt, wie Athenaͤus
(*) Athen.
L. XIV.
vorgiebt, (*) von ihm ſelbſt iſt.

[Spaltenumbruch]
Aeſ

Von meinem nicht unruͤhmlichen Muthe,
wirſt du marathoniſcher Wald zeugen, und du
dikbehaarter Meder, der ihn erfahren hat.

Was koͤnnte man auf die Graͤber unſrer meiſten
neuern Dichter ſetzen, wenn ihrer poetiſchen Arbei-
ten darauf nicht erwaͤhnt werden duͤrfte?

Aeſopus.

Der aͤlteſte bekannte Fabeldichter. Er lebte zu den
Zeiten des Croͤſus und Solons. Die Nachrich-
ten von ſeiner Perſon und ſeinem Leben haben ei-
nigen ſo unzuverlaͤßig geſchienen, daß ſie ſo gar auf
die Gedanken gerathen, ein ſolcher Mann habe
gar niemals gelebt. Doch iſt es wahrſcheinlicher, daß
Aeſopus eine wuͤrkliche Perſon geweſen, daß er in
Phrygien gebohren, eine Zeitlang in der Knecht-
ſchaft gelebt, hernach frey geworden und in Sardis,
am Hofe des Croͤſus, ſich aufgehalten habe.

Man findet ſeine wahre oder erdichtete Lebens-
geſchichte an hundert Orten beſchrieben. Planudes,
ein Grieche, aus den mittlern Zeiten, hat viel fabel-
haftes davon zuſammen getragen. Unter den neu-
ern hat Meziriac die zuverlaͤßigſten Nachrichten
von dieſem Fabeldichter geſammelt.

Seine Fabeln ſtunden bey den Griechen in groſ-
ſem Anſehen, welches ſie nun ſeit zwey tauſend Jah-
ren bey allen Voͤlkern, die Wiſſenſchaften und Ge-
ſchmak beſitzen, behauptet haben. Einige halten
ihn fuͤr den Erfinder der Fabel, die nach ihm die
Aeſopiſche genennt wird. Es iſt wahrſcheinlich,
daß er ſelbſt ſeine Fabeln nicht aufgeſchrieben, ſon-
dern bey gewißen Gelegenheiten, als lehrreiche und
witzige Einfaͤlle blos erzaͤhlt habe. Wenigſtens ſind
die griechiſchen Fabeln, die man fuͤr die ſeinige aus-
giebt, nur ihrer Erfindung nach von ihm, ſein Aus-
druk aber iſt verlohren gegangen. (*) Sokrates(*) S. Va-
vaſtor de
ludicra
dictione.

ſchaͤtzte die aͤſopiſchen Fabeln ſo hoch, daß er ſie in
Verſe eingekleidet hat. Plato ſagt: er habe dieſes
zufolge einiger wiederholten Traͤume, die er fuͤr
goͤttlich gehalten habe, gethan. S. Fabel.

Aeſthetik.

Die Philoſophie der ſchoͤnen Kuͤnſte, oder
die Wiſſenſchaft, welche ſowol die allgemeine
Theorie, als die Regeln der ſchoͤnen Kuͤnſte
aus der Natur des Geſchmaks herleitet.

Das Wort bedeutet eigentlich die Wiſſenſchaft der
Empfindungen, welche in der griechiſchen Sprache

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[20/0032] Aeſ Aeſ aus. Man ſieht uͤberhaupt durchgehends, daß er ſeine Zuſchauer recht hat erſchuͤttern wollen, und es laͤßt ſich merken, daß Gedanken, Woͤrter, Toͤne und ein heftiger Vortrag uͤbereingeſtimmt haben, dieſe Abſicht zu unterſtuͤtzen. Seine Choͤre beſtunden aus einer großen Menge Perſonen, ihre Geſaͤnge ſind lang, und ſowol im Jnhalt, als im Ausdruk und dem Ton der Worte, feyerlich oder wild. Es iſt zu vermuthen, daß er die Saͤnger zu einem etwas uͤbertriebenen Vor- trag angehalten habe. Zum Beyſpiel deſſen die- net eine Stelle in den Danaiden, (*) derglei- chen man ſonſt bey keinem Dichter findet. Man ſagt, es habe ein Aufzug des Chores in ſeinen Eumeni- den das Volk in ſolches Schreken geſetzt, daß ei- nige Kinder in Ohnmacht geſunken, und Schwan- gere unzeitig gebohren haben. Dieſes iſt gar nicht unglaublich. (*) IKETI- #. vſ. 867. u. f. f. # &c. Aeſchylus hat ſich eben ſo ſehr um die gute Vor- ſtellung ſeiner Trauerſpiele, als um deren Verfer- tigung bekuͤmmert. Die Alten berichten, daß er den Bau und die Auszierung der Schaubuͤhne ſehr verbeſſert habe. Jn den erſten Zeiten ward ſie nur von Baumreiſern gemacht, hernach bauete man Huͤtten mit verſchiedenen Abtheilungen. Aeſchylus ließ praͤchtige Schaubuͤhnen bauen, und die wahren Oerter der Scene durch Gemaͤlde und Maſchinen nachahmen. Vitruvius meldet, (*) Agatharchus habe zuerſt in Athen eine ordentliche Buͤhne fuͤr den Aeſchylus gebaut, und eine Abhandlung davon geſchrieben. Dieſer wußte wol, daß das Trauerſpiel niemals ſeine ganze Wuͤrkung thut, wenn nicht alles Aeußerliche mit dem Jnhalt uͤbereinſtimmt. Horaz ſchreibt ihm die Erfindung der erhabenen Buͤhne und der Masken zu. (*) Lib. VII. ‒ ‒ ‒ Perſonæ pallæque repertor honeſtæ Æſchylus & modicis inſtravit pulpita tignis. (*) Es zeuget uͤbrigens von keiner gemeinen Beſchei- denheit, daß ein Mann von dieſer Groͤße ſeine Trauerſpiele Ueberbleibſele von den herrlichen Mahlzeiten des Homers genennt hat. (*) Eine andre Probe ſeiner Beſcheidenheit iſt es, daß er es ſich fuͤr einen hoͤhern Ruhm geſchaͤtzt, zu dem Sieg bey Marathon etwas beygetragen, als durch ſein Genie andre uͤbertroffen zu haben: wenn anders die Grabſchriſt, die man ihm geſetzt, wie Athenaͤus vorgiebt, (*) von ihm ſelbſt iſt. (*) Athe- næus Lib VIII. (*) Athen. L. XIV. Von meinem nicht unruͤhmlichen Muthe, wirſt du marathoniſcher Wald zeugen, und du dikbehaarter Meder, der ihn erfahren hat. Was koͤnnte man auf die Graͤber unſrer meiſten neuern Dichter ſetzen, wenn ihrer poetiſchen Arbei- ten darauf nicht erwaͤhnt werden duͤrfte? Aeſopus. Der aͤlteſte bekannte Fabeldichter. Er lebte zu den Zeiten des Croͤſus und Solons. Die Nachrich- ten von ſeiner Perſon und ſeinem Leben haben ei- nigen ſo unzuverlaͤßig geſchienen, daß ſie ſo gar auf die Gedanken gerathen, ein ſolcher Mann habe gar niemals gelebt. Doch iſt es wahrſcheinlicher, daß Aeſopus eine wuͤrkliche Perſon geweſen, daß er in Phrygien gebohren, eine Zeitlang in der Knecht- ſchaft gelebt, hernach frey geworden und in Sardis, am Hofe des Croͤſus, ſich aufgehalten habe. Man findet ſeine wahre oder erdichtete Lebens- geſchichte an hundert Orten beſchrieben. Planudes, ein Grieche, aus den mittlern Zeiten, hat viel fabel- haftes davon zuſammen getragen. Unter den neu- ern hat Meziriac die zuverlaͤßigſten Nachrichten von dieſem Fabeldichter geſammelt. Seine Fabeln ſtunden bey den Griechen in groſ- ſem Anſehen, welches ſie nun ſeit zwey tauſend Jah- ren bey allen Voͤlkern, die Wiſſenſchaften und Ge- ſchmak beſitzen, behauptet haben. Einige halten ihn fuͤr den Erfinder der Fabel, die nach ihm die Aeſopiſche genennt wird. Es iſt wahrſcheinlich, daß er ſelbſt ſeine Fabeln nicht aufgeſchrieben, ſon- dern bey gewißen Gelegenheiten, als lehrreiche und witzige Einfaͤlle blos erzaͤhlt habe. Wenigſtens ſind die griechiſchen Fabeln, die man fuͤr die ſeinige aus- giebt, nur ihrer Erfindung nach von ihm, ſein Aus- druk aber iſt verlohren gegangen. (*) Sokrates ſchaͤtzte die aͤſopiſchen Fabeln ſo hoch, daß er ſie in Verſe eingekleidet hat. Plato ſagt: er habe dieſes zufolge einiger wiederholten Traͤume, die er fuͤr goͤttlich gehalten habe, gethan. S. Fabel. (*) S. Va- vaſtor de ludicra dictione. Aeſthetik. Die Philoſophie der ſchoͤnen Kuͤnſte, oder die Wiſſenſchaft, welche ſowol die allgemeine Theorie, als die Regeln der ſchoͤnen Kuͤnſte aus der Natur des Geſchmaks herleitet. Das Wort bedeutet eigentlich die Wiſſenſchaft der Empfindungen, welche in der griechiſchen Sprache #-

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/32>, abgerufen am 24.04.2024.