begreife. Weil man aber insgemein nur alsdenn die Localfarben nennt, wenn man ihre Würkung auf das Ganze betrachtet, so wollen wir nur von diesem zweyten Punkt sprechen, da von dem ersten in andern Artikeln gesprochen worden.
Wir betrachten demnach hier die Wissenschaft der Localfarben, nur in so fern sie dienet, dem Ganzen die Harmonie und Haltung zu geben. Wir setzen zum voraus, daß der Mahler sein Werk erst auf der Leinwand gezeichnet habe, und daß er ietzo sich mit der Wahl der Farbe eines jeden einzeln Gegenstan- des beschäftige. Einige dieser Farben sind ganz will- kührlich, z. E. die Farbe der Kleider, hingegen sind auch andre, die nur zum Theil willkührlich sind, wie z. E. die Farbe des hellen Himmels, die mehr oder weniger blaß, hell oder dunkel kann gewählt wer- den, noch andre sind gar nicht willkührlich, als das Grüne des Grases oder der Bäume. Ueberall, wo eine Wahl statt hat, muß der Mahler auf die beste Uebereinstimmung und die vollkommenste Haltung des Ganzen sehen. Jede dieser beyden Absichten er- fodert viel Erfahrung und Ueberlegung.
Noch ehe er die geringste Entschliessung in Anse- hung der Localfarben nehmen kann, muß er die Art seines Colorits, den Ort der Scene, den Grad des allgemeinen Lichts und der Einschränkung desselben genau erwogen haben. Wenn er sich dieses alles fest eingeprägt und ganz geläufig gemacht hat, so kann er an die Localfarben denken. Versäumet er diese vorläufigen Bestimmungen, so wird er ofte, wenn sein Gemählde ganz angelegt, oder wol gar halb ausgemahlt ist, alles wieder umarbeiten müs- sen, weil eine einzige Localfarbe, die er unrecht ge- wählt hatte, ihm Harmonie oder Haltung zernich- tet. So wie der Tonsetzer bey seiner Melodie die Harmonie nicht einen Augenblik bey Seite setzen kann, so muß der Mahler, wenn er aus Farbenge- ben denkt, gar alles was zum Gemählde gehört, die Anordnung, die Grupirung, das Licht und alles übrige beständig vor Augen haben.
Jn Sachen, die so sehr auf lange Erfahrungen ankommen, wo so gar vielerley auf einmal und als eine einzige Hauptvorstellung der Einbildungskraft vorschweben muß, ist es fast unmöglich und auch unnütze, besondre Regeln zu suchen. Man muß sich begnügen, den Künstler überhaupt auf alle we- sentliche Umstände aufmerksam zu machen.
[Spaltenumbruch]
Eig Ein
Jn der Wahl der eigenthümlichen Farben habe der Mahler die Harmonie des Ganzen beständig vor Augen. Jst er genöthiget zwey Farben neben einan- der zu setzen, die sich schweer vereinigen, so suche er sich durch die Dämpfung der einen durch starken Schatten, oder durch verbindende Wiederscheine zu hel- fen. Es kömmt hiebey fast alles auf die Wahl des Lichts und der Erleuchtung an. Hat er z. B. sein Gemählde so angeordnet, daß der hinterste Grund gegen den vodern zu helle wird, so wähle er eine stärkere Erleuchtung für diesen und eine schwächere für jenen.
Jn Ansehung der Haltung bietet sich eine ganz einfache Regel von selbst an. Wo das Licht und der Schatten in dem Grade, den sie auf gewissen Stellen haben müssen, nicht hinreichen, den Gegen- stand genug zu heben oder zu dämpfen; da wähle man im ersten Falle sehr helle, im andern sehr dunkle eigenthümliche Farben; jene müssen ofte die Stelle des hellern Lichts, diese aber des Schattens vertre- ten. Mancherley sehr feine, aus Betrachtung würk- licher Gemählden genommene Anmerkungen über die Localfarben wird man in des Hrn. v. Hagedorn Be- trachtungen über die Mahlerey finden.
Einbildungskraft. (Schöne Künste.)
Das Vermögen der Seele die Gegenstände der Sinnen und der innerlichen Empfindung sich klar vorzustellen, wenn sie gleich nicht gegenwärtig auf sie würken. Es ist also eine Würkung der Einbil- dungskraft, daß wir uns eine Gegend, die wir ehe- dem gesehen haben, mit einiger Klarheit wieder vorstellen, ob sie gleich nicht vor unsern Augen ist. Jnsgemein erstrekt sich der Begriff dieser Fähigkeit noch etwas weiter, indem man ihr auch noch das zuschreibt, was wir die Dichtungskraft genennt haben. (*)
(*) S. Dichtungs- kraft.
Die Einbildungskraft ist eine der vorzüglichsten Eigenschaften der Seele, deren Mangel den Men- schen noch unter die Thiere erniedrigen würde; weil er alsdenn, als eine blosse Maschine, nur durch ge- genwärtige Eindrüke und allemal nach Maaßgebung ihrer Stärke würd in Würksamkeit gesetzt werden. Wir betrachten sie aber hier nur, in so fern sie eine der vorzüglichsten Gaben des Künstlers ist, und ihre Würkung an den Werken des Geschmaks bewundern läßt. Sie ist eigentlich die Mutter aller schönen
Künste,
O o 2
[Spaltenumbruch]
Eig
begreife. Weil man aber insgemein nur alsdenn die Localfarben nennt, wenn man ihre Wuͤrkung auf das Ganze betrachtet, ſo wollen wir nur von dieſem zweyten Punkt ſprechen, da von dem erſten in andern Artikeln geſprochen worden.
Wir betrachten demnach hier die Wiſſenſchaft der Localfarben, nur in ſo fern ſie dienet, dem Ganzen die Harmonie und Haltung zu geben. Wir ſetzen zum voraus, daß der Mahler ſein Werk erſt auf der Leinwand gezeichnet habe, und daß er ietzo ſich mit der Wahl der Farbe eines jeden einzeln Gegenſtan- des beſchaͤftige. Einige dieſer Farben ſind ganz will- kuͤhrlich, z. E. die Farbe der Kleider, hingegen ſind auch andre, die nur zum Theil willkuͤhrlich ſind, wie z. E. die Farbe des hellen Himmels, die mehr oder weniger blaß, hell oder dunkel kann gewaͤhlt wer- den, noch andre ſind gar nicht willkuͤhrlich, als das Gruͤne des Graſes oder der Baͤume. Ueberall, wo eine Wahl ſtatt hat, muß der Mahler auf die beſte Uebereinſtimmung und die vollkommenſte Haltung des Ganzen ſehen. Jede dieſer beyden Abſichten er- fodert viel Erfahrung und Ueberlegung.
Noch ehe er die geringſte Entſchlieſſung in Anſe- hung der Localfarben nehmen kann, muß er die Art ſeines Colorits, den Ort der Scene, den Grad des allgemeinen Lichts und der Einſchraͤnkung deſſelben genau erwogen haben. Wenn er ſich dieſes alles feſt eingepraͤgt und ganz gelaͤufig gemacht hat, ſo kann er an die Localfarben denken. Verſaͤumet er dieſe vorlaͤufigen Beſtimmungen, ſo wird er ofte, wenn ſein Gemaͤhlde ganz angelegt, oder wol gar halb ausgemahlt iſt, alles wieder umarbeiten muͤſ- ſen, weil eine einzige Localfarbe, die er unrecht ge- waͤhlt hatte, ihm Harmonie oder Haltung zernich- tet. So wie der Tonſetzer bey ſeiner Melodie die Harmonie nicht einen Augenblik bey Seite ſetzen kann, ſo muß der Mahler, wenn er aus Farbenge- ben denkt, gar alles was zum Gemaͤhlde gehoͤrt, die Anordnung, die Grupirung, das Licht und alles uͤbrige beſtaͤndig vor Augen haben.
Jn Sachen, die ſo ſehr auf lange Erfahrungen ankommen, wo ſo gar vielerley auf einmal und als eine einzige Hauptvorſtellung der Einbildungskraft vorſchweben muß, iſt es faſt unmoͤglich und auch unnuͤtze, beſondre Regeln zu ſuchen. Man muß ſich begnuͤgen, den Kuͤnſtler uͤberhaupt auf alle we- ſentliche Umſtaͤnde aufmerkſam zu machen.
[Spaltenumbruch]
Eig Ein
Jn der Wahl der eigenthuͤmlichen Farben habe der Mahler die Harmonie des Ganzen beſtaͤndig vor Augen. Jſt er genoͤthiget zwey Farben neben einan- der zu ſetzen, die ſich ſchweer vereinigen, ſo ſuche er ſich durch die Daͤmpfung der einen durch ſtarken Schatten, oder durch verbindende Wiederſcheine zu hel- fen. Es koͤmmt hiebey faſt alles auf die Wahl des Lichts und der Erleuchtung an. Hat er z. B. ſein Gemaͤhlde ſo angeordnet, daß der hinterſte Grund gegen den vodern zu helle wird, ſo waͤhle er eine ſtaͤrkere Erleuchtung fuͤr dieſen und eine ſchwaͤchere fuͤr jenen.
Jn Anſehung der Haltung bietet ſich eine ganz einfache Regel von ſelbſt an. Wo das Licht und der Schatten in dem Grade, den ſie auf gewiſſen Stellen haben muͤſſen, nicht hinreichen, den Gegen- ſtand genug zu heben oder zu daͤmpfen; da waͤhle man im erſten Falle ſehr helle, im andern ſehr dunkle eigenthuͤmliche Farben; jene muͤſſen ofte die Stelle des hellern Lichts, dieſe aber des Schattens vertre- ten. Mancherley ſehr feine, aus Betrachtung wuͤrk- licher Gemaͤhlden genommene Anmerkungen uͤber die Localfarben wird man in des Hrn. v. Hagedorn Be- trachtungen uͤber die Mahlerey finden.
Einbildungskraft. (Schoͤne Kuͤnſte.)
Das Vermoͤgen der Seele die Gegenſtaͤnde der Sinnen und der innerlichen Empfindung ſich klar vorzuſtellen, wenn ſie gleich nicht gegenwaͤrtig auf ſie wuͤrken. Es iſt alſo eine Wuͤrkung der Einbil- dungskraft, daß wir uns eine Gegend, die wir ehe- dem geſehen haben, mit einiger Klarheit wieder vorſtellen, ob ſie gleich nicht vor unſern Augen iſt. Jnsgemein erſtrekt ſich der Begriff dieſer Faͤhigkeit noch etwas weiter, indem man ihr auch noch das zuſchreibt, was wir die Dichtungskraft genennt haben. (*)
(*) S. Dichtungs- kraft.
Die Einbildungskraft iſt eine der vorzuͤglichſten Eigenſchaften der Seele, deren Mangel den Men- ſchen noch unter die Thiere erniedrigen wuͤrde; weil er alsdenn, als eine bloſſe Maſchine, nur durch ge- genwaͤrtige Eindruͤke und allemal nach Maaßgebung ihrer Staͤrke wuͤrd in Wuͤrkſamkeit geſetzt werden. Wir betrachten ſie aber hier nur, in ſo fern ſie eine der vorzuͤglichſten Gaben des Kuͤnſtlers iſt, und ihre Wuͤrkung an den Werken des Geſchmaks bewundern laͤßt. Sie iſt eigentlich die Mutter aller ſchoͤnen
Kuͤnſte,
O o 2
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[291/0303]
Eig
Eig Ein
begreife. Weil man aber insgemein nur alsdenn
die Localfarben nennt, wenn man ihre Wuͤrkung auf
das Ganze betrachtet, ſo wollen wir nur von dieſem
zweyten Punkt ſprechen, da von dem erſten in andern
Artikeln geſprochen worden.
Wir betrachten demnach hier die Wiſſenſchaft der
Localfarben, nur in ſo fern ſie dienet, dem Ganzen
die Harmonie und Haltung zu geben. Wir ſetzen
zum voraus, daß der Mahler ſein Werk erſt auf der
Leinwand gezeichnet habe, und daß er ietzo ſich mit
der Wahl der Farbe eines jeden einzeln Gegenſtan-
des beſchaͤftige. Einige dieſer Farben ſind ganz will-
kuͤhrlich, z. E. die Farbe der Kleider, hingegen ſind
auch andre, die nur zum Theil willkuͤhrlich ſind, wie
z. E. die Farbe des hellen Himmels, die mehr oder
weniger blaß, hell oder dunkel kann gewaͤhlt wer-
den, noch andre ſind gar nicht willkuͤhrlich, als das
Gruͤne des Graſes oder der Baͤume. Ueberall, wo
eine Wahl ſtatt hat, muß der Mahler auf die beſte
Uebereinſtimmung und die vollkommenſte Haltung
des Ganzen ſehen. Jede dieſer beyden Abſichten er-
fodert viel Erfahrung und Ueberlegung.
Noch ehe er die geringſte Entſchlieſſung in Anſe-
hung der Localfarben nehmen kann, muß er die Art
ſeines Colorits, den Ort der Scene, den Grad des
allgemeinen Lichts und der Einſchraͤnkung deſſelben
genau erwogen haben. Wenn er ſich dieſes alles
feſt eingepraͤgt und ganz gelaͤufig gemacht hat, ſo
kann er an die Localfarben denken. Verſaͤumet er
dieſe vorlaͤufigen Beſtimmungen, ſo wird er ofte,
wenn ſein Gemaͤhlde ganz angelegt, oder wol gar
halb ausgemahlt iſt, alles wieder umarbeiten muͤſ-
ſen, weil eine einzige Localfarbe, die er unrecht ge-
waͤhlt hatte, ihm Harmonie oder Haltung zernich-
tet. So wie der Tonſetzer bey ſeiner Melodie die
Harmonie nicht einen Augenblik bey Seite ſetzen
kann, ſo muß der Mahler, wenn er aus Farbenge-
ben denkt, gar alles was zum Gemaͤhlde gehoͤrt, die
Anordnung, die Grupirung, das Licht und alles
uͤbrige beſtaͤndig vor Augen haben.
Jn Sachen, die ſo ſehr auf lange Erfahrungen
ankommen, wo ſo gar vielerley auf einmal und als
eine einzige Hauptvorſtellung der Einbildungskraft
vorſchweben muß, iſt es faſt unmoͤglich und auch
unnuͤtze, beſondre Regeln zu ſuchen. Man muß
ſich begnuͤgen, den Kuͤnſtler uͤberhaupt auf alle we-
ſentliche Umſtaͤnde aufmerkſam zu machen.
Jn der Wahl der eigenthuͤmlichen Farben habe
der Mahler die Harmonie des Ganzen beſtaͤndig vor
Augen. Jſt er genoͤthiget zwey Farben neben einan-
der zu ſetzen, die ſich ſchweer vereinigen, ſo ſuche
er ſich durch die Daͤmpfung der einen durch ſtarken
Schatten, oder durch verbindende Wiederſcheine zu hel-
fen. Es koͤmmt hiebey faſt alles auf die Wahl des
Lichts und der Erleuchtung an. Hat er z. B. ſein
Gemaͤhlde ſo angeordnet, daß der hinterſte Grund
gegen den vodern zu helle wird, ſo waͤhle er eine
ſtaͤrkere Erleuchtung fuͤr dieſen und eine ſchwaͤchere
fuͤr jenen.
Jn Anſehung der Haltung bietet ſich eine ganz
einfache Regel von ſelbſt an. Wo das Licht und
der Schatten in dem Grade, den ſie auf gewiſſen
Stellen haben muͤſſen, nicht hinreichen, den Gegen-
ſtand genug zu heben oder zu daͤmpfen; da waͤhle
man im erſten Falle ſehr helle, im andern ſehr dunkle
eigenthuͤmliche Farben; jene muͤſſen ofte die Stelle
des hellern Lichts, dieſe aber des Schattens vertre-
ten. Mancherley ſehr feine, aus Betrachtung wuͤrk-
licher Gemaͤhlden genommene Anmerkungen uͤber die
Localfarben wird man in des Hrn. v. Hagedorn Be-
trachtungen uͤber die Mahlerey finden.
Einbildungskraft.
(Schoͤne Kuͤnſte.)
Das Vermoͤgen der Seele die Gegenſtaͤnde der
Sinnen und der innerlichen Empfindung ſich klar
vorzuſtellen, wenn ſie gleich nicht gegenwaͤrtig auf
ſie wuͤrken. Es iſt alſo eine Wuͤrkung der Einbil-
dungskraft, daß wir uns eine Gegend, die wir ehe-
dem geſehen haben, mit einiger Klarheit wieder
vorſtellen, ob ſie gleich nicht vor unſern Augen iſt.
Jnsgemein erſtrekt ſich der Begriff dieſer Faͤhigkeit
noch etwas weiter, indem man ihr auch noch das
zuſchreibt, was wir die Dichtungskraft genennt
haben. (*)
Die Einbildungskraft iſt eine der vorzuͤglichſten
Eigenſchaften der Seele, deren Mangel den Men-
ſchen noch unter die Thiere erniedrigen wuͤrde; weil
er alsdenn, als eine bloſſe Maſchine, nur durch ge-
genwaͤrtige Eindruͤke und allemal nach Maaßgebung
ihrer Staͤrke wuͤrd in Wuͤrkſamkeit geſetzt werden.
Wir betrachten ſie aber hier nur, in ſo fern ſie eine
der vorzuͤglichſten Gaben des Kuͤnſtlers iſt, und ihre
Wuͤrkung an den Werken des Geſchmaks bewundern
laͤßt. Sie iſt eigentlich die Mutter aller ſchoͤnen
Kuͤnſte,
O o 2
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/303>, abgerufen am 15.08.2024.
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