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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Dak Dan
t ift man sowol bey den lateinischen als deutschen
Dichtern an. Jederman kennt den Virgilischen
Vers:

(*)
Aen. VIII.
vs.
596.
Quadrupedante putrem sonitu quatit ungula campum. (*)

Aber ein ganzes Gedicht in dieser Versart würde
nicht erträglich seyn. Zum Affekt einer ströhmenden
Freude schiket sie sich sehr wol, und kann sogar,
wenn man nur mit einem andern Vers abwech-
selt, zur lyrischen Versart dienen, wie in dieser
Strophe:

Bist du die Freude? du bist es! dich meldet ein lächelnder
Morgen;
Die Fittige thauen unsterblichen Glanz.
Ströme von Wollust ergiessen sich nach mir, schon sterben
die Sorgen.
(*) S.
Schlegel
Vermischte
Schriften
der Verfas-
ser der neuen
Beyträge,
1. B. 6. St.
S. 449.
Sie hauchet mich an, ich fühle mich ganz. (*)
Dante.

Ein Florentiner. Er verwaltete in seiner Republik
die vornehmsten Aemter, bevor er verwiesen ward.
Er schrieb hernach sein grosses dreyfaches Gedicht
la divina Comedia, das zwar unter die dogmatischen
gehört, dem aber dieser ausserordentliche Geist eine
ganz poetische Gestalt gegeben. Die Hölle hat bey
ihm die unselige Grösse, noch der Himmel die erha-
bene Hoheit, welche sie bey Milton bekommen ha-
ben, eben so wenig, als seine Teufel und seine selige
Geister, die Grösse der Miltonischen haben. Sein
größtes Verdienst ist, daß er die Hölle, das Fege-
feuer, das Paradies für Scenen gebraucht hat, auf
welchen er die verschiedenen Charaktere aus allen
Zeiten, Ständen und Welttheilen eingeführt hat.
Sein Werk ist ein unerschöpflicher Schatz von Le-
bensarten und Sinnesarten der Menschen, voller
Charakter, voller Reden, voller Lebensregeln. Die
innersten Winkel der Seele werden da belenchtet,
und die nützlichsten Lehren mitgetheilt. Man muß
sehr allegoriesüchtig seyn, wenn man verstektere Ge-
heimnisse darin suchen will. Man beschuldiget die-
ses Werk der Dunkelheit und Härte; aber wenn
man hier und da die abstrakte und scholastische Ma-
terie erlaubet, so muß man ihm das Dunkle und
Harte verzeihen. Er wollte nicht allein für die grosse
Welt, sondern auch für die tiefsinnige, und insbe-
sondere für die Peripatetiker schreiben. Von diesen
Stellen gilt, was Plato von des Heraklitus Natur-
lehre gesagt hat. Die Sachen, die ich verstehe,
sind göttlich, und ich glaube, daß auch die es sind,
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Dec Dek
die ich nicht verstanden habe. Eine andre Art der
Dunkelheit und Härte ist durch die Nachläßigkeit
der folgenden Schriftsteller entstanden, welche die
Wörter, die in des Dante Tagen angenehm und ge-
läufig waren, haben entweichen oder gar unter-
gehen lassen.

Seine lyrische Gedichte verdienen nicht weniger
Achtung, (*) als sein grosses Werk. Es leuchten(*) Io per
me non ho
minore sti-
ma delle
sue liriche
poesie &c.
Muratori
storia della
lingua Ital.

darin gewisse poetische Tugenden hervor, die in dem
grossen Gedicht seltener sind. Was sich ihnen rohes
angehängt hat, hindert uns nicht, daß wir nicht
eine kernichte, edle und artige Denkungsart darin
entdeken. S. Muratori Storia della lingua ital. Er
starb 1321. Er hatte drey Söhne, und jeder von
ihnen hat ein Werk über das dreyfache Gedicht ge-
schrieben.

Decime.
(Musik.)

Ein Jntervall, dessen Töne zehen diatonische Stu-
fen von einander abstehen, als C-e. Die Decime
ist eigentlich die Terz von der Octave des Grund-
tones, und wird auch nie anders, als eine Terz
behandelt. Deswegen wird auch der Name Decime
hauptsächlich nur gebraucht, wenn von dem Con-
trapunkt die Rede ist, wobey die Decime nothwen-
dig von der Terz muß unterschieden werden, da in
Absicht auf die Höhe ein grosser Unterschied zwischen
dem Contrapunkt in der Decime und dem in der Terz
ist, (*) ob gleich sonst die Regeln der Harmonie zwi-(*) S.
Contra-
punkt.

schen diesen beyden Jntervallen keinen Unterschied
machen.

Deke.
(Baukunst.)

Die obere von den Flächen, die den Raum eines
Zimmers einschliessen. Jn gemeinen Zimmern wird
sie gerade gestrekt, und überall waagerecht. Jn
grossen Säulen giebt man den Deken bisweilen eine
pyramidische Gestalt, und alsdenn werden sie Kap-
deken
genennt.

Die Deken werden entweder blos mit Kalk und
Gyps beworfen, oder von Täfelwerk gemacht, und
in beyden Fällen entweder glatt gelassen, oder in
Felder eingetheilt, oder mit verschiedenen Zierrathen
ausgeputzt. Die schlechteste Art ist die glatte Kalk-
deke; ihre weisse Farbe vermehrt die Helligkeit des
Zimmers: will man sie verzieren, so kann man

sie

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Dak Dan
t ift man ſowol bey den lateiniſchen als deutſchen
Dichtern an. Jederman kennt den Virgiliſchen
Vers:

(*)
Aen. VIII.
vs.
596.
Quadrupedante putrem ſonitu quatit ungula campum. (*)

Aber ein ganzes Gedicht in dieſer Versart wuͤrde
nicht ertraͤglich ſeyn. Zum Affekt einer ſtroͤhmenden
Freude ſchiket ſie ſich ſehr wol, und kann ſogar,
wenn man nur mit einem andern Vers abwech-
ſelt, zur lyriſchen Versart dienen, wie in dieſer
Strophe:

Biſt du die Freude? du biſt es! dich meldet ein laͤchelnder
Morgen;
Die Fittige thauen unſterblichen Glanz.
Stroͤme von Wolluſt ergieſſen ſich nach mir, ſchon ſterben
die Sorgen.
(*) S.
Schlegel
Vermiſchte
Schriften
der Verfaſ-
ſer der neuẽ
Beytraͤge,
1. B. 6. St.
S. 449.
Sie hauchet mich an, ich fuͤhle mich ganz. (*)
Dante.

Ein Florentiner. Er verwaltete in ſeiner Republik
die vornehmſten Aemter, bevor er verwieſen ward.
Er ſchrieb hernach ſein groſſes dreyfaches Gedicht
la divina Comedia, das zwar unter die dogmatiſchen
gehoͤrt, dem aber dieſer auſſerordentliche Geiſt eine
ganz poetiſche Geſtalt gegeben. Die Hoͤlle hat bey
ihm die unſelige Groͤſſe, noch der Himmel die erha-
bene Hoheit, welche ſie bey Milton bekommen ha-
ben, eben ſo wenig, als ſeine Teufel und ſeine ſelige
Geiſter, die Groͤſſe der Miltoniſchen haben. Sein
groͤßtes Verdienſt iſt, daß er die Hoͤlle, das Fege-
feuer, das Paradies fuͤr Scenen gebraucht hat, auf
welchen er die verſchiedenen Charaktere aus allen
Zeiten, Staͤnden und Welttheilen eingefuͤhrt hat.
Sein Werk iſt ein unerſchoͤpflicher Schatz von Le-
bensarten und Sinnesarten der Menſchen, voller
Charakter, voller Reden, voller Lebensregeln. Die
innerſten Winkel der Seele werden da belenchtet,
und die nuͤtzlichſten Lehren mitgetheilt. Man muß
ſehr allegorieſuͤchtig ſeyn, wenn man verſtektere Ge-
heimniſſe darin ſuchen will. Man beſchuldiget die-
ſes Werk der Dunkelheit und Haͤrte; aber wenn
man hier und da die abſtrakte und ſcholaſtiſche Ma-
terie erlaubet, ſo muß man ihm das Dunkle und
Harte verzeihen. Er wollte nicht allein fuͤr die groſſe
Welt, ſondern auch fuͤr die tiefſinnige, und insbe-
ſondere fuͤr die Peripatetiker ſchreiben. Von dieſen
Stellen gilt, was Plato von des Heraklitus Natur-
lehre geſagt hat. Die Sachen, die ich verſtehe,
ſind goͤttlich, und ich glaube, daß auch die es ſind,
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Dec Dek
die ich nicht verſtanden habe. Eine andre Art der
Dunkelheit und Haͤrte iſt durch die Nachlaͤßigkeit
der folgenden Schriftſteller entſtanden, welche die
Woͤrter, die in des Dante Tagen angenehm und ge-
laͤufig waren, haben entweichen oder gar unter-
gehen laſſen.

Seine lyriſche Gedichte verdienen nicht weniger
Achtung, (*) als ſein groſſes Werk. Es leuchten(*) Io per
me non ho
minore ſti-
ma delle
ſue liriche
poeſie &c.
Muratori
ſtoria della
lingua Ital.

darin gewiſſe poetiſche Tugenden hervor, die in dem
groſſen Gedicht ſeltener ſind. Was ſich ihnen rohes
angehaͤngt hat, hindert uns nicht, daß wir nicht
eine kernichte, edle und artige Denkungsart darin
entdeken. S. Muratori Storia della lingua ital. Er
ſtarb 1321. Er hatte drey Soͤhne, und jeder von
ihnen hat ein Werk uͤber das dreyfache Gedicht ge-
ſchrieben.

Decime.
(Muſik.)

Ein Jntervall, deſſen Toͤne zehen diatoniſche Stu-
fen von einander abſtehen, als C-e. Die Decime
iſt eigentlich die Terz von der Octave des Grund-
tones, und wird auch nie anders, als eine Terz
behandelt. Deswegen wird auch der Name Decime
hauptſaͤchlich nur gebraucht, wenn von dem Con-
trapunkt die Rede iſt, wobey die Decime nothwen-
dig von der Terz muß unterſchieden werden, da in
Abſicht auf die Hoͤhe ein groſſer Unterſchied zwiſchen
dem Contrapunkt in der Decime und dem in der Terz
iſt, (*) ob gleich ſonſt die Regeln der Harmonie zwi-(*) S.
Contra-
punkt.

ſchen dieſen beyden Jntervallen keinen Unterſchied
machen.

Deke.
(Baukunſt.)

Die obere von den Flaͤchen, die den Raum eines
Zimmers einſchlieſſen. Jn gemeinen Zimmern wird
ſie gerade geſtrekt, und uͤberall waagerecht. Jn
groſſen Saͤulen giebt man den Deken bisweilen eine
pyramidiſche Geſtalt, und alsdenn werden ſie Kap-
deken
genennt.

Die Deken werden entweder blos mit Kalk und
Gyps beworfen, oder von Taͤfelwerk gemacht, und
in beyden Faͤllen entweder glatt gelaſſen, oder in
Felder eingetheilt, oder mit verſchiedenen Zierrathen
ausgeputzt. Die ſchlechteſte Art iſt die glatte Kalk-
deke; ihre weiſſe Farbe vermehrt die Helligkeit des
Zimmers: will man ſie verzieren, ſo kann man

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[236/0248] Dak Dan Dec Dek t ift man ſowol bey den lateiniſchen als deutſchen Dichtern an. Jederman kennt den Virgiliſchen Vers: Quadrupedante putrem ſonitu quatit ungula campum. (*) Aber ein ganzes Gedicht in dieſer Versart wuͤrde nicht ertraͤglich ſeyn. Zum Affekt einer ſtroͤhmenden Freude ſchiket ſie ſich ſehr wol, und kann ſogar, wenn man nur mit einem andern Vers abwech- ſelt, zur lyriſchen Versart dienen, wie in dieſer Strophe: Biſt du die Freude? du biſt es! dich meldet ein laͤchelnder Morgen; Die Fittige thauen unſterblichen Glanz. Stroͤme von Wolluſt ergieſſen ſich nach mir, ſchon ſterben die Sorgen. Sie hauchet mich an, ich fuͤhle mich ganz. (*) Dante. Ein Florentiner. Er verwaltete in ſeiner Republik die vornehmſten Aemter, bevor er verwieſen ward. Er ſchrieb hernach ſein groſſes dreyfaches Gedicht la divina Comedia, das zwar unter die dogmatiſchen gehoͤrt, dem aber dieſer auſſerordentliche Geiſt eine ganz poetiſche Geſtalt gegeben. Die Hoͤlle hat bey ihm die unſelige Groͤſſe, noch der Himmel die erha- bene Hoheit, welche ſie bey Milton bekommen ha- ben, eben ſo wenig, als ſeine Teufel und ſeine ſelige Geiſter, die Groͤſſe der Miltoniſchen haben. Sein groͤßtes Verdienſt iſt, daß er die Hoͤlle, das Fege- feuer, das Paradies fuͤr Scenen gebraucht hat, auf welchen er die verſchiedenen Charaktere aus allen Zeiten, Staͤnden und Welttheilen eingefuͤhrt hat. Sein Werk iſt ein unerſchoͤpflicher Schatz von Le- bensarten und Sinnesarten der Menſchen, voller Charakter, voller Reden, voller Lebensregeln. Die innerſten Winkel der Seele werden da belenchtet, und die nuͤtzlichſten Lehren mitgetheilt. Man muß ſehr allegorieſuͤchtig ſeyn, wenn man verſtektere Ge- heimniſſe darin ſuchen will. Man beſchuldiget die- ſes Werk der Dunkelheit und Haͤrte; aber wenn man hier und da die abſtrakte und ſcholaſtiſche Ma- terie erlaubet, ſo muß man ihm das Dunkle und Harte verzeihen. Er wollte nicht allein fuͤr die groſſe Welt, ſondern auch fuͤr die tiefſinnige, und insbe- ſondere fuͤr die Peripatetiker ſchreiben. Von dieſen Stellen gilt, was Plato von des Heraklitus Natur- lehre geſagt hat. Die Sachen, die ich verſtehe, ſind goͤttlich, und ich glaube, daß auch die es ſind, die ich nicht verſtanden habe. Eine andre Art der Dunkelheit und Haͤrte iſt durch die Nachlaͤßigkeit der folgenden Schriftſteller entſtanden, welche die Woͤrter, die in des Dante Tagen angenehm und ge- laͤufig waren, haben entweichen oder gar unter- gehen laſſen. Seine lyriſche Gedichte verdienen nicht weniger Achtung, (*) als ſein groſſes Werk. Es leuchten darin gewiſſe poetiſche Tugenden hervor, die in dem groſſen Gedicht ſeltener ſind. Was ſich ihnen rohes angehaͤngt hat, hindert uns nicht, daß wir nicht eine kernichte, edle und artige Denkungsart darin entdeken. S. Muratori Storia della lingua ital. Er ſtarb 1321. Er hatte drey Soͤhne, und jeder von ihnen hat ein Werk uͤber das dreyfache Gedicht ge- ſchrieben. (*) Io per me non ho minore ſti- ma delle ſue liriche poeſie &c. Muratori ſtoria della lingua Ital. Decime. (Muſik.) Ein Jntervall, deſſen Toͤne zehen diatoniſche Stu- fen von einander abſtehen, als C-e. Die Decime iſt eigentlich die Terz von der Octave des Grund- tones, und wird auch nie anders, als eine Terz behandelt. Deswegen wird auch der Name Decime hauptſaͤchlich nur gebraucht, wenn von dem Con- trapunkt die Rede iſt, wobey die Decime nothwen- dig von der Terz muß unterſchieden werden, da in Abſicht auf die Hoͤhe ein groſſer Unterſchied zwiſchen dem Contrapunkt in der Decime und dem in der Terz iſt, (*) ob gleich ſonſt die Regeln der Harmonie zwi- ſchen dieſen beyden Jntervallen keinen Unterſchied machen. (*) S. Contra- punkt. Deke. (Baukunſt.) Die obere von den Flaͤchen, die den Raum eines Zimmers einſchlieſſen. Jn gemeinen Zimmern wird ſie gerade geſtrekt, und uͤberall waagerecht. Jn groſſen Saͤulen giebt man den Deken bisweilen eine pyramidiſche Geſtalt, und alsdenn werden ſie Kap- deken genennt. Die Deken werden entweder blos mit Kalk und Gyps beworfen, oder von Taͤfelwerk gemacht, und in beyden Faͤllen entweder glatt gelaſſen, oder in Felder eingetheilt, oder mit verſchiedenen Zierrathen ausgeputzt. Die ſchlechteſte Art iſt die glatte Kalk- deke; ihre weiſſe Farbe vermehrt die Helligkeit des Zimmers: will man ſie verzieren, ſo kann man ſie

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/248>, abgerufen am 23.11.2024.