Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite
[Spaltenumbruch]
Con
[Abbildung]

Wenn man sehen will, wie sich die Jntervalle in
jedem Contrapunkt verändern, so darf man nur,
wie in folgenden zwey Beyspielen, zwey Reyhen
Zahlen, von 1 bis auf das Jntervall, in wel-
chem der Contrapunkt gemacht wird, in verkehrter
Ordnung unter einander schreiben.

Für den Contrapunkt in der Terz.

3. 2. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Für den Contrapunkt in der Duodecime.

12. 11. 10. 9. 8. 7. 6. 5. 4. 3. 2. 1.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Jn diesen Beyspielen stellt die eine Reyhe die
Jntervalle vor, wie sie sind, ehe die Versetzung in
den Contrapunkt geschieht, die andre Reyhe zei-
get, was durch den Contrapunkt aus jedem Jn-
tervall wird. Also wird durch den Contrapunkt in
der Duodecime die Octave zur Quinte, die Sep-
time zur Sexte u. s. f. oder umgekehrt, die Quinte
zur Octave, die Sexte zur Septime u. s. f.

Der Contrapunkt in der Octave verdienet beson-
ders vorgestellt zu werden.

8. 7. 6. 5. 4. 3. 2. 1.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

denn daraus erhellet, daß die Dissonanzen in der Um-
kehrung auch dissoniren, und die Consonanzen con-
sonirend bleiben, ausser der Quinte, welche in die
(*) S.
Quarte.
dissonirende Quarte übergeht (*). Aus diesem
Grunde ist der Contrapunkt in der Octave der leich-
teste; denn er erfodert weiter keine Vorsichtigkeit, als
daß beym Satz die Quinte mit der gehörigen Vorbe-
reitung angebracht werde, damit sie in der Umkeh-
rung als eine vorbereitete Dissonanz erscheine.

Die fünf erwähnten Contrapunkte, nämlich in der
Terz, in der Quinte, in der Octave, in der De-
cime und in der Duodecime, lassen sich in jedem
Gesang anbringen, und der Setzer wählt allemal
diejenige, die der Stimme, für welche er setzet, am
angemessensten ist.

Dieser doppelte Contrapunkt hat zwar seinen
Hauptsitz in Fugen, Moteten und Chören, die da-
her bey der grossen Einfalt des Gesanges ihre Man-
[Spaltenumbruch]

Con
nigfaltigkeit bekommen. Man würde sich aber
sehr irren, wenn man glaubte, daß dieser Theil der
Kunst für die Musik des Theaters und der Cammer
unnütz sey. Weder ein Duet noch ein Trio, kann
ohne die Künste des Contrapunkts gut werden, der
überhaupt in allen Fällen, wo zwey oder mehr con-
certirende Stimmen vorkommen, schlechterdings
nothwendig wird. Man setze, daß zu der ersten
Hauptstimme eine zweyte, ohne Rüksicht auf die
Regeln dieses Contrapunkts gesetzt werde. Nach der
Natur des Duets und des Trio (*) muß hernach(*) S.
Duet.

die zweyte Stimme den Hauptgesang führen, die
erste Stimme wird einigermaassen die begleitende,
und nimmt also die Stelle ein, die die zweyte Stim-
me vorher gehabt hat; deswegen muß ihr Gesang
versetzt werden. Wie kann dieses aber angehen,
wenn er zu einer solchen Versetzung, (wodurch je-
des Jntervall seine Natur verliehrt) nicht vorher
eingerichtet ist.

Diejenigen also, die sich, wegen eines falschen
Begriffs, den sie sich vom Contrapunkt machen,
einbilden, er bestehe blos aus pedantischen Künste-
leyen, und sey dem gefälligen Gesang hinderlich,
betrügen sich gar sehr. Er kann mit dem schönsten
Gesang verbunden werden.

Häufige Beyspiele findet man in allen Duetten
des Capellmeister Grauns, wo der süsseste Gesang
in Contrapunkte versetzt ist, ohne das geringste von
seiner Schönheit zu verliehren. Wir wollen zum
Beyspiel dessen, und zugleich zur Erläuterung des
Gebrauchs der Contrapunkte nur einen einzigen be-
sondern Fall anführen. Folgendes ist aus einem
Duet der Oper Europa galante genommen.

[Abbildung]
Die-
F f 3
[Spaltenumbruch]
Con
[Abbildung]

Wenn man ſehen will, wie ſich die Jntervalle in
jedem Contrapunkt veraͤndern, ſo darf man nur,
wie in folgenden zwey Beyſpielen, zwey Reyhen
Zahlen, von 1 bis auf das Jntervall, in wel-
chem der Contrapunkt gemacht wird, in verkehrter
Ordnung unter einander ſchreiben.

Fuͤr den Contrapunkt in der Terz.

3. 2. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Fuͤr den Contrapunkt in der Duodecime.

12. 11. 10. 9. 8. 7. 6. 5. 4. 3. 2. 1.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Jn dieſen Beyſpielen ſtellt die eine Reyhe die
Jntervalle vor, wie ſie ſind, ehe die Verſetzung in
den Contrapunkt geſchieht, die andre Reyhe zei-
get, was durch den Contrapunkt aus jedem Jn-
tervall wird. Alſo wird durch den Contrapunkt in
der Duodecime die Octave zur Quinte, die Sep-
time zur Sexte u. ſ. f. oder umgekehrt, die Quinte
zur Octave, die Sexte zur Septime u. ſ. f.

Der Contrapunkt in der Octave verdienet beſon-
ders vorgeſtellt zu werden.

8. 7. 6. 5. 4. 3. 2. 1.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

denn daraus erhellet, daß die Diſſonanzen in der Um-
kehrung auch diſſoniren, und die Conſonanzen con-
ſonirend bleiben, auſſer der Quinte, welche in die
(*) S.
Quarte.
diſſonirende Quarte uͤbergeht (*). Aus dieſem
Grunde iſt der Contrapunkt in der Octave der leich-
teſte; denn er erfodert weiter keine Vorſichtigkeit, als
daß beym Satz die Quinte mit der gehoͤrigen Vorbe-
reitung angebracht werde, damit ſie in der Umkeh-
rung als eine vorbereitete Diſſonanz erſcheine.

Die fuͤnf erwaͤhnten Contrapunkte, naͤmlich in der
Terz, in der Quinte, in der Octave, in der De-
cime und in der Duodecime, laſſen ſich in jedem
Geſang anbringen, und der Setzer waͤhlt allemal
diejenige, die der Stimme, fuͤr welche er ſetzet, am
angemeſſenſten iſt.

Dieſer doppelte Contrapunkt hat zwar ſeinen
Hauptſitz in Fugen, Moteten und Choͤren, die da-
her bey der groſſen Einfalt des Geſanges ihre Man-
[Spaltenumbruch]

Con
nigfaltigkeit bekommen. Man wuͤrde ſich aber
ſehr irren, wenn man glaubte, daß dieſer Theil der
Kunſt fuͤr die Muſik des Theaters und der Cammer
unnuͤtz ſey. Weder ein Duet noch ein Trio, kann
ohne die Kuͤnſte des Contrapunkts gut werden, der
uͤberhaupt in allen Faͤllen, wo zwey oder mehr con-
certirende Stimmen vorkommen, ſchlechterdings
nothwendig wird. Man ſetze, daß zu der erſten
Hauptſtimme eine zweyte, ohne Ruͤkſicht auf die
Regeln dieſes Contrapunkts geſetzt werde. Nach der
Natur des Duets und des Trio (*) muß hernach(*) S.
Duet.

die zweyte Stimme den Hauptgeſang fuͤhren, die
erſte Stimme wird einigermaaſſen die begleitende,
und nimmt alſo die Stelle ein, die die zweyte Stim-
me vorher gehabt hat; deswegen muß ihr Geſang
verſetzt werden. Wie kann dieſes aber angehen,
wenn er zu einer ſolchen Verſetzung, (wodurch je-
des Jntervall ſeine Natur verliehrt) nicht vorher
eingerichtet iſt.

Diejenigen alſo, die ſich, wegen eines falſchen
Begriffs, den ſie ſich vom Contrapunkt machen,
einbilden, er beſtehe blos aus pedantiſchen Kuͤnſte-
leyen, und ſey dem gefaͤlligen Geſang hinderlich,
betruͤgen ſich gar ſehr. Er kann mit dem ſchoͤnſten
Geſang verbunden werden.

Haͤufige Beyſpiele findet man in allen Duetten
des Capellmeiſter Grauns, wo der ſuͤſſeſte Geſang
in Contrapunkte verſetzt iſt, ohne das geringſte von
ſeiner Schoͤnheit zu verliehren. Wir wollen zum
Beyſpiel deſſen, und zugleich zur Erlaͤuterung des
Gebrauchs der Contrapunkte nur einen einzigen be-
ſondern Fall anfuͤhren. Folgendes iſt aus einem
Duet der Oper Europa galante genommen.

[Abbildung]
Die-
F f 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0241" n="229"/>
          <cb/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Con</hi> </fw><lb/>
          <figure/><lb/>
          <p>Wenn man &#x017F;ehen will, wie &#x017F;ich die Jntervalle in<lb/>
jedem Contrapunkt vera&#x0364;ndern, &#x017F;o darf man nur,<lb/>
wie in folgenden zwey Bey&#x017F;pielen, zwey Reyhen<lb/>
Zahlen, von 1 bis auf das Jntervall, in wel-<lb/>
chem der Contrapunkt gemacht wird, in verkehrter<lb/>
Ordnung unter einander &#x017F;chreiben.</p><lb/>
          <p>Fu&#x0364;r den Contrapunkt in der Terz.</p><lb/>
          <p>3. 2. 1. 2. 3. 4. 5. 6.<lb/>
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.</p><lb/>
          <p>Fu&#x0364;r den Contrapunkt in der Duodecime.</p><lb/>
          <p>12. 11. 10. 9. 8. 7. 6. 5. 4. 3. 2. 1.<lb/>
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.</p><lb/>
          <p>Jn die&#x017F;en Bey&#x017F;pielen &#x017F;tellt die eine Reyhe die<lb/>
Jntervalle vor, wie &#x017F;ie &#x017F;ind, ehe die Ver&#x017F;etzung in<lb/>
den Contrapunkt ge&#x017F;chieht, die andre Reyhe zei-<lb/>
get, was durch den Contrapunkt aus jedem Jn-<lb/>
tervall wird. Al&#x017F;o wird durch den Contrapunkt in<lb/>
der Duodecime die Octave zur Quinte, die Sep-<lb/>
time zur Sexte u. &#x017F;. f. oder umgekehrt, die Quinte<lb/>
zur Octave, die Sexte zur Septime u. &#x017F;. f.</p><lb/>
          <p>Der Contrapunkt in der Octave verdienet be&#x017F;on-<lb/>
ders vorge&#x017F;tellt zu werden.</p><lb/>
          <p>8. 7. 6. 5. 4. 3. 2. 1.<lb/>
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.</p><lb/>
          <p>denn daraus erhellet, daß die Di&#x017F;&#x017F;onanzen in der Um-<lb/>
kehrung auch di&#x017F;&#x017F;oniren, und die Con&#x017F;onanzen con-<lb/>
&#x017F;onirend bleiben, au&#x017F;&#x017F;er der Quinte, welche in die<lb/><note place="left">(*) S.<lb/>
Quarte.</note>di&#x017F;&#x017F;onirende Quarte u&#x0364;bergeht (*). Aus die&#x017F;em<lb/>
Grunde i&#x017F;t der Contrapunkt in der Octave der leich-<lb/>
te&#x017F;te; denn er erfodert weiter keine Vor&#x017F;ichtigkeit, als<lb/>
daß beym Satz die Quinte mit der geho&#x0364;rigen Vorbe-<lb/>
reitung angebracht werde, damit &#x017F;ie in der Umkeh-<lb/>
rung als eine vorbereitete Di&#x017F;&#x017F;onanz er&#x017F;cheine.</p><lb/>
          <p>Die fu&#x0364;nf erwa&#x0364;hnten Contrapunkte, na&#x0364;mlich in der<lb/>
Terz, in der Quinte, in der Octave, in der De-<lb/>
cime und in der Duodecime, la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich in jedem<lb/>
Ge&#x017F;ang anbringen, und der Setzer wa&#x0364;hlt allemal<lb/>
diejenige, die der Stimme, fu&#x0364;r welche er &#x017F;etzet, am<lb/>
angeme&#x017F;&#x017F;en&#x017F;ten i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;er doppelte Contrapunkt hat zwar &#x017F;einen<lb/>
Haupt&#x017F;itz in Fugen, Moteten und Cho&#x0364;ren, die da-<lb/>
her bey der gro&#x017F;&#x017F;en Einfalt des Ge&#x017F;anges ihre Man-<lb/><cb/>
<fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Con</hi></fw><lb/>
nigfaltigkeit bekommen. Man wu&#x0364;rde &#x017F;ich aber<lb/>
&#x017F;ehr irren, wenn man glaubte, daß die&#x017F;er Theil der<lb/>
Kun&#x017F;t fu&#x0364;r die Mu&#x017F;ik des Theaters und der Cammer<lb/>
unnu&#x0364;tz &#x017F;ey. Weder ein Duet noch ein Trio, kann<lb/>
ohne die Ku&#x0364;n&#x017F;te des Contrapunkts gut werden, der<lb/>
u&#x0364;berhaupt in allen Fa&#x0364;llen, wo zwey oder mehr con-<lb/>
certirende Stimmen vorkommen, &#x017F;chlechterdings<lb/>
nothwendig wird. Man &#x017F;etze, daß zu der er&#x017F;ten<lb/>
Haupt&#x017F;timme eine zweyte, ohne Ru&#x0364;k&#x017F;icht auf die<lb/>
Regeln die&#x017F;es Contrapunkts ge&#x017F;etzt werde. Nach der<lb/>
Natur des Duets und des Trio (*) muß hernach<note place="right">(*) S.<lb/>
Duet.</note><lb/>
die zweyte Stimme den Hauptge&#x017F;ang fu&#x0364;hren, die<lb/>
er&#x017F;te Stimme wird einigermaa&#x017F;&#x017F;en die begleitende,<lb/>
und nimmt al&#x017F;o die Stelle ein, die die zweyte Stim-<lb/>
me vorher gehabt hat; deswegen muß ihr Ge&#x017F;ang<lb/>
ver&#x017F;etzt werden. Wie kann die&#x017F;es aber angehen,<lb/>
wenn er zu einer &#x017F;olchen Ver&#x017F;etzung, (wodurch je-<lb/>
des Jntervall &#x017F;eine Natur verliehrt) nicht vorher<lb/>
eingerichtet i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Diejenigen al&#x017F;o, die &#x017F;ich, wegen eines fal&#x017F;chen<lb/>
Begriffs, den &#x017F;ie &#x017F;ich vom Contrapunkt machen,<lb/>
einbilden, er be&#x017F;tehe blos aus pedanti&#x017F;chen Ku&#x0364;n&#x017F;te-<lb/>
leyen, und &#x017F;ey dem gefa&#x0364;lligen Ge&#x017F;ang hinderlich,<lb/>
betru&#x0364;gen &#x017F;ich gar &#x017F;ehr. Er kann mit dem &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten<lb/>
Ge&#x017F;ang verbunden werden.</p><lb/>
          <p>Ha&#x0364;ufige Bey&#x017F;piele findet man in allen Duetten<lb/>
des Capellmei&#x017F;ter <hi rendition="#fr">Grauns,</hi> wo der &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;e&#x017F;te Ge&#x017F;ang<lb/>
in Contrapunkte ver&#x017F;etzt i&#x017F;t, ohne das gering&#x017F;te von<lb/>
&#x017F;einer Scho&#x0364;nheit zu verliehren. Wir wollen zum<lb/>
Bey&#x017F;piel de&#x017F;&#x017F;en, und zugleich zur Erla&#x0364;uterung des<lb/>
Gebrauchs der Contrapunkte nur einen einzigen be-<lb/>
&#x017F;ondern Fall anfu&#x0364;hren. Folgendes i&#x017F;t aus einem<lb/>
Duet der Oper <hi rendition="#aq">Europa galante</hi> genommen.</p><lb/>
          <figure/><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">F f 3</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Die-</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[229/0241] Con Con [Abbildung] Wenn man ſehen will, wie ſich die Jntervalle in jedem Contrapunkt veraͤndern, ſo darf man nur, wie in folgenden zwey Beyſpielen, zwey Reyhen Zahlen, von 1 bis auf das Jntervall, in wel- chem der Contrapunkt gemacht wird, in verkehrter Ordnung unter einander ſchreiben. Fuͤr den Contrapunkt in der Terz. 3. 2. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Fuͤr den Contrapunkt in der Duodecime. 12. 11. 10. 9. 8. 7. 6. 5. 4. 3. 2. 1. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. Jn dieſen Beyſpielen ſtellt die eine Reyhe die Jntervalle vor, wie ſie ſind, ehe die Verſetzung in den Contrapunkt geſchieht, die andre Reyhe zei- get, was durch den Contrapunkt aus jedem Jn- tervall wird. Alſo wird durch den Contrapunkt in der Duodecime die Octave zur Quinte, die Sep- time zur Sexte u. ſ. f. oder umgekehrt, die Quinte zur Octave, die Sexte zur Septime u. ſ. f. Der Contrapunkt in der Octave verdienet beſon- ders vorgeſtellt zu werden. 8. 7. 6. 5. 4. 3. 2. 1. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. denn daraus erhellet, daß die Diſſonanzen in der Um- kehrung auch diſſoniren, und die Conſonanzen con- ſonirend bleiben, auſſer der Quinte, welche in die diſſonirende Quarte uͤbergeht (*). Aus dieſem Grunde iſt der Contrapunkt in der Octave der leich- teſte; denn er erfodert weiter keine Vorſichtigkeit, als daß beym Satz die Quinte mit der gehoͤrigen Vorbe- reitung angebracht werde, damit ſie in der Umkeh- rung als eine vorbereitete Diſſonanz erſcheine. (*) S. Quarte. Die fuͤnf erwaͤhnten Contrapunkte, naͤmlich in der Terz, in der Quinte, in der Octave, in der De- cime und in der Duodecime, laſſen ſich in jedem Geſang anbringen, und der Setzer waͤhlt allemal diejenige, die der Stimme, fuͤr welche er ſetzet, am angemeſſenſten iſt. Dieſer doppelte Contrapunkt hat zwar ſeinen Hauptſitz in Fugen, Moteten und Choͤren, die da- her bey der groſſen Einfalt des Geſanges ihre Man- nigfaltigkeit bekommen. Man wuͤrde ſich aber ſehr irren, wenn man glaubte, daß dieſer Theil der Kunſt fuͤr die Muſik des Theaters und der Cammer unnuͤtz ſey. Weder ein Duet noch ein Trio, kann ohne die Kuͤnſte des Contrapunkts gut werden, der uͤberhaupt in allen Faͤllen, wo zwey oder mehr con- certirende Stimmen vorkommen, ſchlechterdings nothwendig wird. Man ſetze, daß zu der erſten Hauptſtimme eine zweyte, ohne Ruͤkſicht auf die Regeln dieſes Contrapunkts geſetzt werde. Nach der Natur des Duets und des Trio (*) muß hernach die zweyte Stimme den Hauptgeſang fuͤhren, die erſte Stimme wird einigermaaſſen die begleitende, und nimmt alſo die Stelle ein, die die zweyte Stim- me vorher gehabt hat; deswegen muß ihr Geſang verſetzt werden. Wie kann dieſes aber angehen, wenn er zu einer ſolchen Verſetzung, (wodurch je- des Jntervall ſeine Natur verliehrt) nicht vorher eingerichtet iſt. (*) S. Duet. Diejenigen alſo, die ſich, wegen eines falſchen Begriffs, den ſie ſich vom Contrapunkt machen, einbilden, er beſtehe blos aus pedantiſchen Kuͤnſte- leyen, und ſey dem gefaͤlligen Geſang hinderlich, betruͤgen ſich gar ſehr. Er kann mit dem ſchoͤnſten Geſang verbunden werden. Haͤufige Beyſpiele findet man in allen Duetten des Capellmeiſter Grauns, wo der ſuͤſſeſte Geſang in Contrapunkte verſetzt iſt, ohne das geringſte von ſeiner Schoͤnheit zu verliehren. Wir wollen zum Beyſpiel deſſen, und zugleich zur Erlaͤuterung des Gebrauchs der Contrapunkte nur einen einzigen be- ſondern Fall anfuͤhren. Folgendes iſt aus einem Duet der Oper Europa galante genommen. [Abbildung] Die- F f 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/241
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/241>, abgerufen am 23.04.2024.