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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Con
7:8, als die eigentliche Scheidewand, oder die
Gränzscheidung des Gebiets der Consonanzen und
Dissonanzen übrig, von welchen man schweerlich
sagen könnte, ob es consonirend oder dissonirend
sey. Hierin zeiget sich bey der Harmonie eben die
Ungewißheit, wie bey allen, blos durch Grade unter-
schiedenen, Eigenschaften der Dinge. Wer kann
sagen, wo eigentlich das Grosse aufhört und das
Kleine anfängt? Auf welcher Stuffe des Vermö-
gens man aufhört reich zu seyn, oder anfängt arm
zu werden? Auf welchem Punkt des Wolstandes
man aufhört glüklich zu seyn? Darum muß man
es nicht seltsam finden, daß in der Musik ein Jnter-
vall vorkommt, das weder consonirend noch disso-
nirend ist. Zum Glüke kommt dieses zweydeutige
Jntervall auf unserer Tonleiter nicht vor.

Wir haben also nun mit einiger Gewißheit ent-
dekt, wie weit sich das Gebieth der Consonanzen
erstreke, und können als einen Grundsatz annehmen,
daß die verminderte Terz 6:7 die unvollkommenste,
und |die Qctave 1:2 die vollkommenste Conso-
nanz sey.

Die Jntervalle, die grösser sind als die Octave,
wie 1:3, und alle andre, erfodern keine besondere
Betrachtung; denn da bey dem Ton 1 seine Octave
2 auch zugleich mit empfunden wird, so hat das
Jntervall 1:3, eben die |Natur, als die |Quinte
2:3, und so ist auch jedes die Octav übersteigende
Jntervall, demjenigen gleich zu schätzen, das entsteht,
wenn der untere Ton eine Octave höher genommen
wird, z. E. 4:9 dem Jntervall 8:9. Wir brauchen
also das Gebieth der Consonanzen nicht über die Octave
hinaus zu erweitern, und können mit Sicherheit
annehmen, daß alle Consonanzen zwischen der ver-
minderten Terz und der Octave 1/2 liegen.

Daraus scheinet nun zu folgen, daß jedes Jn-
tervall, das kleiner als die Octave, aber doch grös-
ser als die verminderte Terz ist, consonirend seyn
müsse. Allein dieser Satz bekommt durch diesen be-
sondern Umstand, daß bey jedem Grundton seine
Octave und Quinte mit gehört wird, eine wichtige
Einschränkung, aus welcher man begreift, warum
die Septime, ob sie gleich innerhalb des Gebieths
der Consonanzen liegt, dissonirt. Eigentlich disso-
nirt sie nicht gegen den Grundton, sondern dessen
Octave dissonirt gegen die Septime, mit der sie
eine Secunde macht. Daß also C-B, oder C-H
nicht consonirt, kommt daher, daß mit C zugleich c
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Con
gehört wird, B-c aber und H-c kleiner, als 6:7
sind. Also können nur die Jntervalle consoniren,
die, wenn sie grösser als 6:7 sind, dem Verhält-
niß 1:2 nicht zu nahe kommen.

Damit wir sehen, wie nahe sie diesem Verhält-
niß kommen können, wollen wir anstatt 1:2, das
Verhältniß 6:12 setzen. Es sey also in einer Oc-
tave die unterste Sayte 6, die oberste 12, und man
setze zwischen 6 und 12, so viel Sayten als man
wolle, z. E. noch 11 andere, die durch folgende
Zahlen ausgedrukt werden: 6 1/2, 7, 7 1/2, 8, 8 1/2,
9, 9 1/2, 10, 10 1/2, 11, 11 1/2, so ist klar, daß auf
der Sayte 7, die Consonanzen angehen, und daß
die Sayte 10, die letzte seyn würde, weil die andern
zwar nicht gegen die Sayte 6, aber gegen seine Oc-
tave 12 dissoniren würden. Denn schon das Jn-
tervall 10 1/2:12 oder 21:24, ist kleiner als 6:7.

Um aber nun der praktischen Kenntniß der Con-
sonanzen näher zu kommen, wollen wir uns das
würkliche System der Töne, so wie es in der heuti-
gen Musik gebraucht wird, vorstellen, und die ge-
machten Beobachtungen darauf anwenden. Es ist
folgendermaassen beschaffen: (*)

(*) S.
System.

C. Cis. D. Dis. E. F. Fis. G. Gis. A. B. H. c.
1 4/5 3/4 2/3 1/2

Hier findet sich das Gebieth der Consonanzen, zwi-
schen den Tönen Dis und B. Das Jntervall C-Dis
ist schon etwas grösser, als 6:7, und das Jnter-
vall B-c oder :1/2, das ist 8:9 ist kleiner als
6:7. Also würde jeder dieser Töne, Dis, E, F, Fis,
G, Gis
und A. mit dem Ton C consoniren.

Aber sind denn alle hier zwischen D und B liegende
Töne würklich gegen C consonirend? Dieses scheinet
aus allen vorhergehenden Beobachtungen zu folgen.
Dennoch erkennet jederman den Tritonus C-Fis und
die falsche Quinte Fis-c für dissonirend. Allein
dieses scheinet nicht daher zu kommen, daß der
Ton Fis unmittelbar gegen C, oder das obere c ge-
gen Fis dissoniret, sondern jeder dieser Töne disso-
nirt gegen den über ihn liegenden halben Ton (G und
cis), deren jeder, als die Quinte des tiefern Tones,
mit diesem vernommen wird. Nun ist schon aus
dem oben angeführten klar, daß ein halber Ton eine
sehr starke Dissonanz ausmacht, daher es kommt,
daß das Gefühl der wahren Quinte weder den
Tritonus noch die falsche Quinte neben sich ver-
trägt; deswegen sind beyde unter die Dissonanzen
zu rechnen.

Die

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Con
7:8, als die eigentliche Scheidewand, oder die
Graͤnzſcheidung des Gebiets der Conſonanzen und
Diſſonanzen uͤbrig, von welchen man ſchweerlich
ſagen koͤnnte, ob es conſonirend oder diſſonirend
ſey. Hierin zeiget ſich bey der Harmonie eben die
Ungewißheit, wie bey allen, blos durch Grade unter-
ſchiedenen, Eigenſchaften der Dinge. Wer kann
ſagen, wo eigentlich das Groſſe aufhoͤrt und das
Kleine anfaͤngt? Auf welcher Stuffe des Vermoͤ-
gens man aufhoͤrt reich zu ſeyn, oder anfaͤngt arm
zu werden? Auf welchem Punkt des Wolſtandes
man aufhoͤrt gluͤklich zu ſeyn? Darum muß man
es nicht ſeltſam finden, daß in der Muſik ein Jnter-
vall vorkommt, das weder conſonirend noch diſſo-
nirend iſt. Zum Gluͤke kommt dieſes zweydeutige
Jntervall auf unſerer Tonleiter nicht vor.

Wir haben alſo nun mit einiger Gewißheit ent-
dekt, wie weit ſich das Gebieth der Conſonanzen
erſtreke, und koͤnnen als einen Grundſatz annehmen,
daß die verminderte Terz 6:7 die unvollkommenſte,
und |die Qctave 1:2 die vollkommenſte Conſo-
nanz ſey.

Die Jntervalle, die groͤſſer ſind als die Octave,
wie 1:3, und alle andre, erfodern keine beſondere
Betrachtung; denn da bey dem Ton 1 ſeine Octave
2 auch zugleich mit empfunden wird, ſo hat das
Jntervall 1:3, eben die |Natur, als die |Quinte
2:3, und ſo iſt auch jedes die Octav uͤberſteigende
Jntervall, demjenigen gleich zu ſchaͤtzen, das entſteht,
wenn der untere Ton eine Octave hoͤher genommen
wird, z. E. 4:9 dem Jntervall 8:9. Wir brauchen
alſo das Gebieth der Conſonanzen nicht uͤber die Octave
hinaus zu erweitern, und koͤnnen mit Sicherheit
annehmen, daß alle Conſonanzen zwiſchen der ver-
minderten Terz und der Octave ½ liegen.

Daraus ſcheinet nun zu folgen, daß jedes Jn-
tervall, das kleiner als die Octave, aber doch groͤſ-
ſer als die verminderte Terz iſt, conſonirend ſeyn
muͤſſe. Allein dieſer Satz bekommt durch dieſen be-
ſondern Umſtand, daß bey jedem Grundton ſeine
Octave und Quinte mit gehoͤrt wird, eine wichtige
Einſchraͤnkung, aus welcher man begreift, warum
die Septime, ob ſie gleich innerhalb des Gebieths
der Conſonanzen liegt, diſſonirt. Eigentlich diſſo-
nirt ſie nicht gegen den Grundton, ſondern deſſen
Octave diſſonirt gegen die Septime, mit der ſie
eine Secunde macht. Daß alſo C-B, oder C-H
nicht conſonirt, kommt daher, daß mit C zugleich c
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Con
gehoͤrt wird, B-c aber und H-c kleiner, als 6:7
ſind. Alſo koͤnnen nur die Jntervalle conſoniren,
die, wenn ſie groͤſſer als 6:7 ſind, dem Verhaͤlt-
niß 1:2 nicht zu nahe kommen.

Damit wir ſehen, wie nahe ſie dieſem Verhaͤlt-
niß kommen koͤnnen, wollen wir anſtatt 1:2, das
Verhaͤltniß 6:12 ſetzen. Es ſey alſo in einer Oc-
tave die unterſte Sayte 6, die oberſte 12, und man
ſetze zwiſchen 6 und 12, ſo viel Sayten als man
wolle, z. E. noch 11 andere, die durch folgende
Zahlen ausgedrukt werden: 6 ½, 7, 7 ½, 8, 8 ½,
9, 9 ½, 10, 10 ½, 11, 11 ½, ſo iſt klar, daß auf
der Sayte 7, die Conſonanzen angehen, und daß
die Sayte 10, die letzte ſeyn wuͤrde, weil die andern
zwar nicht gegen die Sayte 6, aber gegen ſeine Oc-
tave 12 diſſoniren wuͤrden. Denn ſchon das Jn-
tervall 10 ½:12 oder 21:24, iſt kleiner als 6:7.

Um aber nun der praktiſchen Kenntniß der Con-
ſonanzen naͤher zu kommen, wollen wir uns das
wuͤrkliche Syſtem der Toͤne, ſo wie es in der heuti-
gen Muſik gebraucht wird, vorſtellen, und die ge-
machten Beobachtungen darauf anwenden. Es iſt
folgendermaaſſen beſchaffen: (*)

(*) S.
Syſtem.

C. Cis. D. Dis. E. F. Fis. G. Gis. A. B. H. c.
1 ⅘ ¾ ½

Hier findet ſich das Gebieth der Conſonanzen, zwi-
ſchen den Toͤnen Dis und B. Das Jntervall C-Dis
iſt ſchon etwas groͤſſer, als 6:7, und das Jnter-
vall B-c oder :½, das iſt 8:9 iſt kleiner als
6:7. Alſo wuͤrde jeder dieſer Toͤne, Dis, E, F, Fis,
G, Gis
und A. mit dem Ton C conſoniren.

Aber ſind denn alle hier zwiſchen D und B liegende
Toͤne wuͤrklich gegen C conſonirend? Dieſes ſcheinet
aus allen vorhergehenden Beobachtungen zu folgen.
Dennoch erkennet jederman den Tritonus C-Fis und
die falſche Quinte Fis-c fuͤr diſſonirend. Allein
dieſes ſcheinet nicht daher zu kommen, daß der
Ton Fis unmittelbar gegen C, oder das obere c ge-
gen Fis diſſoniret, ſondern jeder dieſer Toͤne diſſo-
nirt gegen den uͤber ihn liegenden halben Ton (G und
cis), deren jeder, als die Quinte des tiefern Tones,
mit dieſem vernommen wird. Nun iſt ſchon aus
dem oben angefuͤhrten klar, daß ein halber Ton eine
ſehr ſtarke Diſſonanz ausmacht, daher es kommt,
daß das Gefuͤhl der wahren Quinte weder den
Tritonus noch die falſche Quinte neben ſich ver-
traͤgt; deswegen ſind beyde unter die Diſſonanzen
zu rechnen.

Die
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[226/0238] Con Con 7:8, als die eigentliche Scheidewand, oder die Graͤnzſcheidung des Gebiets der Conſonanzen und Diſſonanzen uͤbrig, von welchen man ſchweerlich ſagen koͤnnte, ob es conſonirend oder diſſonirend ſey. Hierin zeiget ſich bey der Harmonie eben die Ungewißheit, wie bey allen, blos durch Grade unter- ſchiedenen, Eigenſchaften der Dinge. Wer kann ſagen, wo eigentlich das Groſſe aufhoͤrt und das Kleine anfaͤngt? Auf welcher Stuffe des Vermoͤ- gens man aufhoͤrt reich zu ſeyn, oder anfaͤngt arm zu werden? Auf welchem Punkt des Wolſtandes man aufhoͤrt gluͤklich zu ſeyn? Darum muß man es nicht ſeltſam finden, daß in der Muſik ein Jnter- vall vorkommt, das weder conſonirend noch diſſo- nirend iſt. Zum Gluͤke kommt dieſes zweydeutige Jntervall auf unſerer Tonleiter nicht vor. Wir haben alſo nun mit einiger Gewißheit ent- dekt, wie weit ſich das Gebieth der Conſonanzen erſtreke, und koͤnnen als einen Grundſatz annehmen, daß die verminderte Terz 6:7 die unvollkommenſte, und |die Qctave 1:2 die vollkommenſte Conſo- nanz ſey. Die Jntervalle, die groͤſſer ſind als die Octave, wie 1:3, und alle andre, erfodern keine beſondere Betrachtung; denn da bey dem Ton 1 ſeine Octave 2 auch zugleich mit empfunden wird, ſo hat das Jntervall 1:3, eben die |Natur, als die |Quinte 2:3, und ſo iſt auch jedes die Octav uͤberſteigende Jntervall, demjenigen gleich zu ſchaͤtzen, das entſteht, wenn der untere Ton eine Octave hoͤher genommen wird, z. E. 4:9 dem Jntervall 8:9. Wir brauchen alſo das Gebieth der Conſonanzen nicht uͤber die Octave hinaus zu erweitern, und koͤnnen mit Sicherheit annehmen, daß alle Conſonanzen zwiſchen der ver- minderten Terz [FORMEL] und der Octave ½ liegen. Daraus ſcheinet nun zu folgen, daß jedes Jn- tervall, das kleiner als die Octave, aber doch groͤſ- ſer als die verminderte Terz iſt, conſonirend ſeyn muͤſſe. Allein dieſer Satz bekommt durch dieſen be- ſondern Umſtand, daß bey jedem Grundton ſeine Octave und Quinte mit gehoͤrt wird, eine wichtige Einſchraͤnkung, aus welcher man begreift, warum die Septime, ob ſie gleich innerhalb des Gebieths der Conſonanzen liegt, diſſonirt. Eigentlich diſſo- nirt ſie nicht gegen den Grundton, ſondern deſſen Octave diſſonirt gegen die Septime, mit der ſie eine Secunde macht. Daß alſo C-B, oder C-H nicht conſonirt, kommt daher, daß mit C zugleich c gehoͤrt wird, B-c aber und H-c kleiner, als 6:7 ſind. Alſo koͤnnen nur die Jntervalle conſoniren, die, wenn ſie groͤſſer als 6:7 ſind, dem Verhaͤlt- niß 1:2 nicht zu nahe kommen. Damit wir ſehen, wie nahe ſie dieſem Verhaͤlt- niß kommen koͤnnen, wollen wir anſtatt 1:2, das Verhaͤltniß 6:12 ſetzen. Es ſey alſo in einer Oc- tave die unterſte Sayte 6, die oberſte 12, und man ſetze zwiſchen 6 und 12, ſo viel Sayten als man wolle, z. E. noch 11 andere, die durch folgende Zahlen ausgedrukt werden: 6 ½, 7, 7 ½, 8, 8 ½, 9, 9 ½, 10, 10 ½, 11, 11 ½, ſo iſt klar, daß auf der Sayte 7, die Conſonanzen angehen, und daß die Sayte 10, die letzte ſeyn wuͤrde, weil die andern zwar nicht gegen die Sayte 6, aber gegen ſeine Oc- tave 12 diſſoniren wuͤrden. Denn ſchon das Jn- tervall 10 ½:12 oder 21:24, iſt kleiner als 6:7. Um aber nun der praktiſchen Kenntniß der Con- ſonanzen naͤher zu kommen, wollen wir uns das wuͤrkliche Syſtem der Toͤne, ſo wie es in der heuti- gen Muſik gebraucht wird, vorſtellen, und die ge- machten Beobachtungen darauf anwenden. Es iſt folgendermaaſſen beſchaffen: (*) C. Cis. D. Dis. E. F. Fis. G. Gis. A. B. H. c. 1 [FORMEL] [FORMEL] [FORMEL] ⅘ ¾ [FORMEL] ⅔ [FORMEL] [FORMEL] [FORMEL] [FORMEL] ½ Hier findet ſich das Gebieth der Conſonanzen, zwi- ſchen den Toͤnen Dis und B. Das Jntervall C-Dis iſt ſchon etwas groͤſſer, als 6:7, und das Jnter- vall B-c oder [FORMEL]:½, das iſt 8:9 iſt kleiner als 6:7. Alſo wuͤrde jeder dieſer Toͤne, Dis, E, F, Fis, G, Gis und A. mit dem Ton C conſoniren. Aber ſind denn alle hier zwiſchen D und B liegende Toͤne wuͤrklich gegen C conſonirend? Dieſes ſcheinet aus allen vorhergehenden Beobachtungen zu folgen. Dennoch erkennet jederman den Tritonus C-Fis und die falſche Quinte Fis-c fuͤr diſſonirend. Allein dieſes ſcheinet nicht daher zu kommen, daß der Ton Fis unmittelbar gegen C, oder das obere c ge- gen Fis diſſoniret, ſondern jeder dieſer Toͤne diſſo- nirt gegen den uͤber ihn liegenden halben Ton (G und cis), deren jeder, als die Quinte des tiefern Tones, mit dieſem vernommen wird. Nun iſt ſchon aus dem oben angefuͤhrten klar, daß ein halber Ton eine ſehr ſtarke Diſſonanz ausmacht, daher es kommt, daß das Gefuͤhl der wahren Quinte weder den Tritonus noch die falſche Quinte neben ſich ver- traͤgt; deswegen ſind beyde unter die Diſſonanzen zu rechnen. Die

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/238>, abgerufen am 23.11.2024.