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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Umstand bemerken, der diesen schlechten Anfang der
Comödie in völlige Gewißheit setzen wird. Es kann
auch seyn, daß die Comödie ihren Ursprung von
Freudenfesten genommen, welche nach Einsammlung
der Feldfrüchte einem freyen Volke so natürlich sind.
Allem Vermuthen nach sind die ersten Lustspiele, aus
denen hernach die völlige Comödie entstanden ist, blos
persönliche Satyren gewesen; vielleicht der Knechte
gegen ihre Herren. Man kann um so viel weniger
hieran zweifeln, da die förmliche Comödie anfänglich
blos Personalsatyren zum Grund gehabt hat.

Jn Athen hat die Comödie sich in drey verschie-
denen Formen gezeiget. Die alte Comödie, nach
der ersten uns bekannten Form, ist um die 82 Olym-
pias aufgekommen. Horaz nennt drey Dichter, die sich
darin hervorgethan haben; den Eupolis, Cratinus
und Aristophanes. Wir haben nur von dem letzten
noch einige Stüke, woraus wir uns einen Begriff von
dieser Comödie machen können. Die Handlung ist
von würklichen, damals neuen Begebenheiten her-
genommen, die Personen werden nach ihrem wah-
ren Namen genennet, und vermittelst der Masken
wurd sogar ihre Gestalt, so viel möglich, nachgeahmt.
Sie führte lebende und sogar bey der Vorstellung ge-
genwärtige Personen auf. Dabey war sie ganz saty-
risch. Wer irgend eine wichtige Thorheit, es sey in
Staatsgeschäften, oder in andern Angelegenheiten,
begangen, oder wer übel gehandelt, die Geschäfte
der Republik nicht gut geführt, oder wem sonst der
Dichter übel gewollt hat, der wurd darin öffentlich
zur Schau ausgestellt und gemißhandelt. Selbst die
Regierung, die politischen Einrichtungen und die Re-
ligion wurden bisweilen verlacht. Horaz beschreibt
diesen Charakter der alten Comödie auf folgende
Weise:

Eupolis atque Cratinus, Aristophanesque poetae
Atque alii quorum Comoedia prisca virorum est,
Si quis erat dignus describi, quod malus aut sur,
Quod moechus soret, aut sicarius aut alioqui
Famosus, multa cum libertate notabant.
(*)

Demnach war diese Comödie eine beständige Sa-
tyre über die Sitten und Handlungen der Zuschauer.
(*) Serm.
I.
4, 1-5.
Die mechanische Einrichtung der Fabel kommt dabey
wenig in Betrachtung. Die Hauptsache waren die
beissenden Spöttereyen über den Charakter und über
die Aufführung der Athenienser. Ofte war der Jnhalt
allegorisch: Wolken, Fröschen, Vögel, Wespen,
wurden als Personen eingeführt.

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Man wundert sich jetzo darüber, daß damals
den Comödienschreibern eine so ausgelassene Frey-
heit verstattet worden, da es heute zu Tage | ei-
nem| sehr übel bekommen würde, wenn er den
geringsten Bürger auf der Schaubühne beschimpfte.
Jnsbesondre kann man sich kaum vorstellen, daß
Aristophanes ungeahndet das ganze atheniensi-
sche Volk, das ist, seine Zuschauer selbst, gemiß-
handelt, ihnen ihre Narrheit auf die beissendste
Art vorgeworfen hat. Man hat gemeint, die
Athenienser hätten eine solche unwiderstehliche Lust
an witzigen Spöttereyen gehabt, daß sie es gut
geheissen, auch wenn sie noch so beleidigend gewe-
sen, nur damit sie lachen könnten. Der Pater
Brümoy meinet, daß den Dichtern diese Freyheit
aus Politik verstattet worden, und daß die Vorneh-
men sich gerne mißhandeln lassen, damit das Volk
über dem Lachen vergessen möchte, ihre Aufführung
ernsthafter anzusehn. Aber alle diese Auflösungen
scheinen nicht hinlänglich zu seyn, und zum Theil
sind sie falsch. Denn daß dem Volke selbst die per-
sönliche Satyre anstößig gewesen sey, ist daraus ab-
zunehmen, daß diese Freyheit durch ein öffentliches
Gesetz ist eingeschränkt worden. Daß es sogar sehr
empfindlich geworden sey, wenn ein Dichter sich un-
terstanden, die Regierung zu tadeln, sieht man aus
dem Beyspiel des Dichters Anaximandrides, der
zum Tode verurtheilt worden, wegen eines einzigen
satyrischen Verses gegen die Regierung, der doch viel
weniger sagt, als tausend Stellen des Aristophanes.
Erwähnter Dichter soll in einer Comödie folgenden
Vers des Euripides

#.

auf folgende Weise parodirt haben:

#,

Die Regierung hat es befohlen, und keh[rt]
sich nicht an die Gesetze.

Woher hatte denn Aristophanes so viel Freyheit?

Die wahre Auflösung dieser Sache scheinet aus
der ursprünglichen Form und den ersten Rechten der
Comödie herzuleiten. Diese war dem Vermuthen
nach, wie wir schon angemerkt, zuerst nichts an-
ders, als eine grobe Lustbarkeit, die vermuthlich
nur an Bachusfesten (*) erlaubt gewesen, und darin(*) S. Art.
Aristopha-
nes.

bestanden, daß ein Trup Lustigmacher sich an einen
Ort hingestellt, oder vielleicht durch die Strassen der
Stadt geschwärmt, um die Vorbeygehenden mit

Schimpf-
E e 3

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Com
Umſtand bemerken, der dieſen ſchlechten Anfang der
Comoͤdie in voͤllige Gewißheit ſetzen wird. Es kann
auch ſeyn, daß die Comoͤdie ihren Urſprung von
Freudenfeſten genommen, welche nach Einſammlung
der Feldfruͤchte einem freyen Volke ſo natuͤrlich ſind.
Allem Vermuthen nach ſind die erſten Luſtſpiele, aus
denen hernach die voͤllige Comoͤdie entſtanden iſt, blos
perſoͤnliche Satyren geweſen; vielleicht der Knechte
gegen ihre Herren. Man kann um ſo viel weniger
hieran zweifeln, da die foͤrmliche Comoͤdie anfaͤnglich
blos Perſonalſatyren zum Grund gehabt hat.

Jn Athen hat die Comoͤdie ſich in drey verſchie-
denen Formen gezeiget. Die alte Comoͤdie, nach
der erſten uns bekannten Form, iſt um die 82 Olym-
pias aufgekommen. Horaz nennt drey Dichter, die ſich
darin hervorgethan haben; den Eupolis, Cratinus
und Ariſtophanes. Wir haben nur von dem letzten
noch einige Stuͤke, woraus wir uns einen Begriff von
dieſer Comoͤdie machen koͤnnen. Die Handlung iſt
von wuͤrklichen, damals neuen Begebenheiten her-
genommen, die Perſonen werden nach ihrem wah-
ren Namen genennet, und vermittelſt der Masken
wurd ſogar ihre Geſtalt, ſo viel moͤglich, nachgeahmt.
Sie fuͤhrte lebende und ſogar bey der Vorſtellung ge-
genwaͤrtige Perſonen auf. Dabey war ſie ganz ſaty-
riſch. Wer irgend eine wichtige Thorheit, es ſey in
Staatsgeſchaͤften, oder in andern Angelegenheiten,
begangen, oder wer uͤbel gehandelt, die Geſchaͤfte
der Republik nicht gut gefuͤhrt, oder wem ſonſt der
Dichter uͤbel gewollt hat, der wurd darin oͤffentlich
zur Schau ausgeſtellt und gemißhandelt. Selbſt die
Regierung, die politiſchen Einrichtungen und die Re-
ligion wurden bisweilen verlacht. Horaz beſchreibt
dieſen Charakter der alten Comoͤdie auf folgende
Weiſe:

Eupolis atque Cratinus, Ariſtophanesque poetae
Atque alii quorum Comoedia prisca virorum eſt,
Si quis erat dignus deſcribi, quod malus aut ſur,
Quod moechus ſoret, aut ſicarius aut alioqui
Famoſus, multa cum libertate notabant.
(*)

Demnach war dieſe Comoͤdie eine beſtaͤndige Sa-
tyre uͤber die Sitten und Handlungen der Zuſchauer.
(*) Serm.
I.
4, 1-5.
Die mechaniſche Einrichtung der Fabel kommt dabey
wenig in Betrachtung. Die Hauptſache waren die
beiſſenden Spoͤttereyen uͤber den Charakter und uͤber
die Auffuͤhrung der Athenienſer. Ofte war der Jnhalt
allegoriſch: Wolken, Froͤſchen, Voͤgel, Weſpen,
wurden als Perſonen eingefuͤhrt.

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Com

Man wundert ſich jetzo daruͤber, daß damals
den Comoͤdienſchreibern eine ſo ausgelaſſene Frey-
heit verſtattet worden, da es heute zu Tage | ei-
nem| ſehr uͤbel bekommen wuͤrde, wenn er den
geringſten Buͤrger auf der Schaubuͤhne beſchimpfte.
Jnsbeſondre kann man ſich kaum vorſtellen, daß
Ariſtophanes ungeahndet das ganze athenienſi-
ſche Volk, das iſt, ſeine Zuſchauer ſelbſt, gemiß-
handelt, ihnen ihre Narrheit auf die beiſſendſte
Art vorgeworfen hat. Man hat gemeint, die
Athenienſer haͤtten eine ſolche unwiderſtehliche Luſt
an witzigen Spoͤttereyen gehabt, daß ſie es gut
geheiſſen, auch wenn ſie noch ſo beleidigend gewe-
ſen, nur damit ſie lachen koͤnnten. Der Pater
Bruͤmoy meinet, daß den Dichtern dieſe Freyheit
aus Politik verſtattet worden, und daß die Vorneh-
men ſich gerne mißhandeln laſſen, damit das Volk
uͤber dem Lachen vergeſſen moͤchte, ihre Auffuͤhrung
ernſthafter anzuſehn. Aber alle dieſe Aufloͤſungen
ſcheinen nicht hinlaͤnglich zu ſeyn, und zum Theil
ſind ſie falſch. Denn daß dem Volke ſelbſt die per-
ſoͤnliche Satyre anſtoͤßig geweſen ſey, iſt daraus ab-
zunehmen, daß dieſe Freyheit durch ein oͤffentliches
Geſetz iſt eingeſchraͤnkt worden. Daß es ſogar ſehr
empfindlich geworden ſey, wenn ein Dichter ſich un-
terſtanden, die Regierung zu tadeln, ſieht man aus
dem Beyſpiel des Dichters Anaximandrides, der
zum Tode verurtheilt worden, wegen eines einzigen
ſatyriſchen Verſes gegen die Regierung, der doch viel
weniger ſagt, als tauſend Stellen des Ariſtophanes.
Erwaͤhnter Dichter ſoll in einer Comoͤdie folgenden
Vers des Euripides

#.

auf folgende Weiſe parodirt haben:

#,

Die Regierung hat es befohlen, und keh[rt]
ſich nicht an die Geſetze.

Woher hatte denn Ariſtophanes ſo viel Freyheit?

Die wahre Aufloͤſung dieſer Sache ſcheinet aus
der urſpruͤnglichen Form und den erſten Rechten der
Comoͤdie herzuleiten. Dieſe war dem Vermuthen
nach, wie wir ſchon angemerkt, zuerſt nichts an-
ders, als eine grobe Luſtbarkeit, die vermuthlich
nur an Bachusfeſten (*) erlaubt geweſen, und darin(*) S. Art.
Ariſtopha-
nes.

beſtanden, daß ein Trup Luſtigmacher ſich an einen
Ort hingeſtellt, oder vielleicht durch die Straſſen der
Stadt geſchwaͤrmt, um die Vorbeygehenden mit

Schimpf-
E e 3
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[221/0233] Com Com Umſtand bemerken, der dieſen ſchlechten Anfang der Comoͤdie in voͤllige Gewißheit ſetzen wird. Es kann auch ſeyn, daß die Comoͤdie ihren Urſprung von Freudenfeſten genommen, welche nach Einſammlung der Feldfruͤchte einem freyen Volke ſo natuͤrlich ſind. Allem Vermuthen nach ſind die erſten Luſtſpiele, aus denen hernach die voͤllige Comoͤdie entſtanden iſt, blos perſoͤnliche Satyren geweſen; vielleicht der Knechte gegen ihre Herren. Man kann um ſo viel weniger hieran zweifeln, da die foͤrmliche Comoͤdie anfaͤnglich blos Perſonalſatyren zum Grund gehabt hat. Jn Athen hat die Comoͤdie ſich in drey verſchie- denen Formen gezeiget. Die alte Comoͤdie, nach der erſten uns bekannten Form, iſt um die 82 Olym- pias aufgekommen. Horaz nennt drey Dichter, die ſich darin hervorgethan haben; den Eupolis, Cratinus und Ariſtophanes. Wir haben nur von dem letzten noch einige Stuͤke, woraus wir uns einen Begriff von dieſer Comoͤdie machen koͤnnen. Die Handlung iſt von wuͤrklichen, damals neuen Begebenheiten her- genommen, die Perſonen werden nach ihrem wah- ren Namen genennet, und vermittelſt der Masken wurd ſogar ihre Geſtalt, ſo viel moͤglich, nachgeahmt. Sie fuͤhrte lebende und ſogar bey der Vorſtellung ge- genwaͤrtige Perſonen auf. Dabey war ſie ganz ſaty- riſch. Wer irgend eine wichtige Thorheit, es ſey in Staatsgeſchaͤften, oder in andern Angelegenheiten, begangen, oder wer uͤbel gehandelt, die Geſchaͤfte der Republik nicht gut gefuͤhrt, oder wem ſonſt der Dichter uͤbel gewollt hat, der wurd darin oͤffentlich zur Schau ausgeſtellt und gemißhandelt. Selbſt die Regierung, die politiſchen Einrichtungen und die Re- ligion wurden bisweilen verlacht. Horaz beſchreibt dieſen Charakter der alten Comoͤdie auf folgende Weiſe: Eupolis atque Cratinus, Ariſtophanesque poetae Atque alii quorum Comoedia prisca virorum eſt, Si quis erat dignus deſcribi, quod malus aut ſur, Quod moechus ſoret, aut ſicarius aut alioqui Famoſus, multa cum libertate notabant. (*) Demnach war dieſe Comoͤdie eine beſtaͤndige Sa- tyre uͤber die Sitten und Handlungen der Zuſchauer. Die mechaniſche Einrichtung der Fabel kommt dabey wenig in Betrachtung. Die Hauptſache waren die beiſſenden Spoͤttereyen uͤber den Charakter und uͤber die Auffuͤhrung der Athenienſer. Ofte war der Jnhalt allegoriſch: Wolken, Froͤſchen, Voͤgel, Weſpen, wurden als Perſonen eingefuͤhrt. (*) Serm. I. 4, 1-5. Man wundert ſich jetzo daruͤber, daß damals den Comoͤdienſchreibern eine ſo ausgelaſſene Frey- heit verſtattet worden, da es heute zu Tage | ei- nem| ſehr uͤbel bekommen wuͤrde, wenn er den geringſten Buͤrger auf der Schaubuͤhne beſchimpfte. Jnsbeſondre kann man ſich kaum vorſtellen, daß Ariſtophanes ungeahndet das ganze athenienſi- ſche Volk, das iſt, ſeine Zuſchauer ſelbſt, gemiß- handelt, ihnen ihre Narrheit auf die beiſſendſte Art vorgeworfen hat. Man hat gemeint, die Athenienſer haͤtten eine ſolche unwiderſtehliche Luſt an witzigen Spoͤttereyen gehabt, daß ſie es gut geheiſſen, auch wenn ſie noch ſo beleidigend gewe- ſen, nur damit ſie lachen koͤnnten. Der Pater Bruͤmoy meinet, daß den Dichtern dieſe Freyheit aus Politik verſtattet worden, und daß die Vorneh- men ſich gerne mißhandeln laſſen, damit das Volk uͤber dem Lachen vergeſſen moͤchte, ihre Auffuͤhrung ernſthafter anzuſehn. Aber alle dieſe Aufloͤſungen ſcheinen nicht hinlaͤnglich zu ſeyn, und zum Theil ſind ſie falſch. Denn daß dem Volke ſelbſt die per- ſoͤnliche Satyre anſtoͤßig geweſen ſey, iſt daraus ab- zunehmen, daß dieſe Freyheit durch ein oͤffentliches Geſetz iſt eingeſchraͤnkt worden. Daß es ſogar ſehr empfindlich geworden ſey, wenn ein Dichter ſich un- terſtanden, die Regierung zu tadeln, ſieht man aus dem Beyſpiel des Dichters Anaximandrides, der zum Tode verurtheilt worden, wegen eines einzigen ſatyriſchen Verſes gegen die Regierung, der doch viel weniger ſagt, als tauſend Stellen des Ariſtophanes. Erwaͤhnter Dichter ſoll in einer Comoͤdie folgenden Vers des Euripides #. auf folgende Weiſe parodirt haben: #, Die Regierung hat es befohlen, und kehrt ſich nicht an die Geſetze. Woher hatte denn Ariſtophanes ſo viel Freyheit? Die wahre Aufloͤſung dieſer Sache ſcheinet aus der urſpruͤnglichen Form und den erſten Rechten der Comoͤdie herzuleiten. Dieſe war dem Vermuthen nach, wie wir ſchon angemerkt, zuerſt nichts an- ders, als eine grobe Luſtbarkeit, die vermuthlich nur an Bachusfeſten (*) erlaubt geweſen, und darin beſtanden, daß ein Trup Luſtigmacher ſich an einen Ort hingeſtellt, oder vielleicht durch die Straſſen der Stadt geſchwaͤrmt, um die Vorbeygehenden mit Schimpf- (*) S. Art. Ariſtopha- nes. E e 3

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/233>, abgerufen am 23.11.2024.