Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch]

Com
wenig Menschen, die in dem Ton der Unterredung
etwas interessantes haben. Die meisten drüken
sich langweilig, unbestimmt und ganz kraftlos aus.
Daher kommt es ofte, daß der Dichter, der es
gern besser machen will, ins Unnatürliche, Gezwun-
gene oder Methodische verfällt. Der in Deutschland
überhaupt noch so sehr wenig ausgebildete gute Ton,
und das wenig interessante in den täglichen Ge-
sellschaften, ist vielleicht ein Hauptgrund, des noch
schwachen Zustandes der deutschen Comödie. Wie
wol es in diesem Stük den Schauspielern noch mehr,
als den Dichtern mangelt. Folgende Anmerkungen
des Horaz enthalten das wesentliche, was über die
Schreibart und den Ton in der Comödie kann ge-
sagt werden.

Est brevitate opus, ut currat sententia neu se
Impediat verbis lassas onerantibus aures.
Et sermone opus est modo tristi, saepe jocoso
Defendente vicem modo Rhetoris, atque Poetae
Interdum Urbani, parcentis viribus, atque

(*) Ser-
mon I,
10.
Extenuantis eas consulto. (*)

So nothwendig es ist, daß in dieser Gattung
jedes einzele natürlich sey, so sehr wichtig ist es auch,
daß alles interessant sey. Weh dem comischen Dich-
ter, dessen Zuschauer währender Vorstellung nur ei-
nen langweiligen Augenblik haben. Und doch kann
die Handlung selbst nicht in jedem Augenblik ihrer
Dauer lebhaft oder merkwürdig seyn. Es kommen
nothwendig geringere Auftritte, Neben-Personen,
kleinere, der Handlung keine Hauptwendung ge-
bende Vorfälle, vor die Augen des Zuschauers. Auch
diese Nebensachen müssen, jede in ihrer Art, in-
teressant seyn.

Man weiß, wie schlechte Dichter, und biswei-
len auch gute, wenn sie sich vergessen, dergleichen
weniger wichtige Sachen interessant zu machen su-
chen. Sie mischen fremde episodische Scenen ein;
sie geben einigen Nebenpersonen poßirliche Cha-
raktere, damit sie den Zuschauer, so ofte nichts zur
Handlung gehöriges vorkommt, durch ihre Einfälle
unterhalten können. Daher entstehen die meisten
im Grund abgeschmakten Auftritte zwischen schalk-
haften Bedienten; daher haben sich gewisse poßir-
liche Charaktere, der Harlekin, der Scarmuz u. d. g.
als Dinge, die in jeder Comödie nothwendig wä-
ren, eingeschlichen. Daß dergleichen episodischen
Anftritte, etwa in den Häusern, währender Zeit,
da die Herrschaft in einer interessanten Handlung be-
[Spaltenumbruch]

Com
griffen ist, vorfallen; oder daß auch bey den Haupt-
personen, in der Natur selbst episodische Zwischen-
Scenen vorkommen, rechtfertiget den Dichter nicht,
selbige mit in seinen Plan zu nehmen. Er soll uns
die Dinge nicht so, wie sie täglich geschehen, mit
allen gewöhnlichen oder ungewöhnlichen Nebensa-
chen, sondern so, wie sie zu der lebhaftesten Belusti-
gung und zum vollesten Vergnügen eines Zu-
schauers von Verstand und Geschmak geschehen soll-
ten, vorstellen.

Dieser Fehler, die leer scheinenden Stellen der
Handlung mit episodischen Gegenständen auszufül-
len, so wie der andre, wodurch die Scenen lang-
weilig werden, kommt insgemein von einem Man-
gel des Verstandes und der guten Laune des Ver-
fassers der Stüke, der entweder diese wesentlichen
Eigenschaften eines comischen Dichters nicht im ge-
hörigen Grad besitzt, oder sie bisweilen nicht an-
wendet. Wer in diesem Fache glüklich seyn will, der
muß mehr, als irgend ein andrer Künstler, reich an
Gedanken und Vorstellungen seyn. Wenn ihm bey
den, in dem Verlauf der Handlung natürlicher
Weise vorkommenden Sachen, nichts beyfällt, als
was jedem Menschen dabey auch beyfallen würde,
wenn sein Verstand nicht tieffer, als ein gewöhnli-
cher Verstand, in die Sachen hineindringt, wenn
das, was geschieht, auf seine Einbildungskraft und
Empfindungen keine andre, als gewöhnliche oder
alltägliche Eindrüke macht; so mag er die Zuschauer
damit verschonen: diese wollen auf der Schaubühne
Menschen sehen, die bey allen Vorfällen, in allen
Situationen und Umständen sich von der Seite des
Verstandes, des Wizes oder der Empfindungen in
einem interessanteren Lichte zeigen, als der gemeine
Hauffe der Menschen. Dergleichen Menschen aber
hört und sieht man immer gerne; denn wenn gleich
die Geschäfte und Verrichtungen, darin man sie sieht,
an sich nichts interessantes haben, so werden die
Auftritte durch ihre Art zu denken und zu empfin-
den interessant. Verstand, Witz, Laune, Charakter,
sind Dinge, die überall, auch in den gemeinesten
Auftritten des Lebens, unsre Aufmerksamkeit reizen.
Das geringste, das ein poßirlicher Mensch thut,
belustiget; und so wird jedes Wort eines Menschen
von vorzüglichem Verstand oder Wiz, mit Vergnü-
gen gehört. Daraus folget denn, daß auch die Ne-
benauftritte, wenn sie nur würklich in der Hand-
lung liegen, unterhaltend genug werden können. Es

ist

[Spaltenumbruch]

Com
wenig Menſchen, die in dem Ton der Unterredung
etwas intereſſantes haben. Die meiſten druͤken
ſich langweilig, unbeſtimmt und ganz kraftlos aus.
Daher kommt es ofte, daß der Dichter, der es
gern beſſer machen will, ins Unnatuͤrliche, Gezwun-
gene oder Methodiſche verfaͤllt. Der in Deutſchland
uͤberhaupt noch ſo ſehr wenig ausgebildete gute Ton,
und das wenig intereſſante in den taͤglichen Ge-
ſellſchaften, iſt vielleicht ein Hauptgrund, des noch
ſchwachen Zuſtandes der deutſchen Comoͤdie. Wie
wol es in dieſem Stuͤk den Schauſpielern noch mehr,
als den Dichtern mangelt. Folgende Anmerkungen
des Horaz enthalten das weſentliche, was uͤber die
Schreibart und den Ton in der Comoͤdie kann ge-
ſagt werden.

Eſt brevitate opus, ut currat ſententia neu ſe
Impediat verbis laſſas onerantibus aures.
Et ſermone opus eſt modo triſti, ſaepe jocoſo
Defendente vicem modo Rhetoris, atque Poetae
Interdum Urbani, parcentis viribus, atque

(*) Ser-
mon I,
10.
Extenuantis eas conſulto. (*)

So nothwendig es iſt, daß in dieſer Gattung
jedes einzele natuͤrlich ſey, ſo ſehr wichtig iſt es auch,
daß alles intereſſant ſey. Weh dem comiſchen Dich-
ter, deſſen Zuſchauer waͤhrender Vorſtellung nur ei-
nen langweiligen Augenblik haben. Und doch kann
die Handlung ſelbſt nicht in jedem Augenblik ihrer
Dauer lebhaft oder merkwuͤrdig ſeyn. Es kommen
nothwendig geringere Auftritte, Neben-Perſonen,
kleinere, der Handlung keine Hauptwendung ge-
bende Vorfaͤlle, vor die Augen des Zuſchauers. Auch
dieſe Nebenſachen muͤſſen, jede in ihrer Art, in-
tereſſant ſeyn.

Man weiß, wie ſchlechte Dichter, und biswei-
len auch gute, wenn ſie ſich vergeſſen, dergleichen
weniger wichtige Sachen intereſſant zu machen ſu-
chen. Sie miſchen fremde epiſodiſche Scenen ein;
ſie geben einigen Nebenperſonen poßirliche Cha-
raktere, damit ſie den Zuſchauer, ſo ofte nichts zur
Handlung gehoͤriges vorkommt, durch ihre Einfaͤlle
unterhalten koͤnnen. Daher entſtehen die meiſten
im Grund abgeſchmakten Auftritte zwiſchen ſchalk-
haften Bedienten; daher haben ſich gewiſſe poßir-
liche Charaktere, der Harlekin, der Scarmuz u. d. g.
als Dinge, die in jeder Comoͤdie nothwendig waͤ-
ren, eingeſchlichen. Daß dergleichen epiſodiſchen
Anftritte, etwa in den Haͤuſern, waͤhrender Zeit,
da die Herrſchaft in einer intereſſanten Handlung be-
[Spaltenumbruch]

Com
griffen iſt, vorfallen; oder daß auch bey den Haupt-
perſonen, in der Natur ſelbſt epiſodiſche Zwiſchen-
Scenen vorkommen, rechtfertiget den Dichter nicht,
ſelbige mit in ſeinen Plan zu nehmen. Er ſoll uns
die Dinge nicht ſo, wie ſie taͤglich geſchehen, mit
allen gewoͤhnlichen oder ungewoͤhnlichen Nebenſa-
chen, ſondern ſo, wie ſie zu der lebhafteſten Beluſti-
gung und zum volleſten Vergnuͤgen eines Zu-
ſchauers von Verſtand und Geſchmak geſchehen ſoll-
ten, vorſtellen.

Dieſer Fehler, die leer ſcheinenden Stellen der
Handlung mit epiſodiſchen Gegenſtaͤnden auszufuͤl-
len, ſo wie der andre, wodurch die Scenen lang-
weilig werden, kommt insgemein von einem Man-
gel des Verſtandes und der guten Laune des Ver-
faſſers der Stuͤke, der entweder dieſe weſentlichen
Eigenſchaften eines comiſchen Dichters nicht im ge-
hoͤrigen Grad beſitzt, oder ſie bisweilen nicht an-
wendet. Wer in dieſem Fache gluͤklich ſeyn will, der
muß mehr, als irgend ein andrer Kuͤnſtler, reich an
Gedanken und Vorſtellungen ſeyn. Wenn ihm bey
den, in dem Verlauf der Handlung natuͤrlicher
Weiſe vorkommenden Sachen, nichts beyfaͤllt, als
was jedem Menſchen dabey auch beyfallen wuͤrde,
wenn ſein Verſtand nicht tieffer, als ein gewoͤhnli-
cher Verſtand, in die Sachen hineindringt, wenn
das, was geſchieht, auf ſeine Einbildungskraft und
Empfindungen keine andre, als gewoͤhnliche oder
alltaͤgliche Eindruͤke macht; ſo mag er die Zuſchauer
damit verſchonen: dieſe wollen auf der Schaubuͤhne
Menſchen ſehen, die bey allen Vorfaͤllen, in allen
Situationen und Umſtaͤnden ſich von der Seite des
Verſtandes, des Wizes oder der Empfindungen in
einem intereſſanteren Lichte zeigen, als der gemeine
Hauffe der Menſchen. Dergleichen Menſchen aber
hoͤrt und ſieht man immer gerne; denn wenn gleich
die Geſchaͤfte und Verrichtungen, darin man ſie ſieht,
an ſich nichts intereſſantes haben, ſo werden die
Auftritte durch ihre Art zu denken und zu empfin-
den intereſſant. Verſtand, Witz, Laune, Charakter,
ſind Dinge, die uͤberall, auch in den gemeineſten
Auftritten des Lebens, unſre Aufmerkſamkeit reizen.
Das geringſte, das ein poßirlicher Menſch thut,
beluſtiget; und ſo wird jedes Wort eines Menſchen
von vorzuͤglichem Verſtand oder Wiz, mit Vergnuͤ-
gen gehoͤrt. Daraus folget denn, daß auch die Ne-
benauftritte, wenn ſie nur wuͤrklich in der Hand-
lung liegen, unterhaltend genug werden koͤnnen. Es

iſt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0230" n="218"/><cb/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Com</hi></fw><lb/>
wenig Men&#x017F;chen, die in dem Ton der Unterredung<lb/>
etwas intere&#x017F;&#x017F;antes haben. Die mei&#x017F;ten dru&#x0364;ken<lb/>
&#x017F;ich langweilig, unbe&#x017F;timmt und ganz kraftlos aus.<lb/>
Daher kommt es ofte, daß der Dichter, der es<lb/>
gern be&#x017F;&#x017F;er machen will, ins Unnatu&#x0364;rliche, Gezwun-<lb/>
gene oder Methodi&#x017F;che verfa&#x0364;llt. Der in Deut&#x017F;chland<lb/>
u&#x0364;berhaupt noch &#x017F;o &#x017F;ehr wenig ausgebildete gute Ton,<lb/>
und das wenig intere&#x017F;&#x017F;ante in den ta&#x0364;glichen Ge-<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaften, i&#x017F;t vielleicht ein Hauptgrund, des noch<lb/>
&#x017F;chwachen Zu&#x017F;tandes der deut&#x017F;chen Como&#x0364;die. Wie<lb/>
wol es in die&#x017F;em Stu&#x0364;k den Schau&#x017F;pielern noch mehr,<lb/>
als den Dichtern mangelt. Folgende Anmerkungen<lb/>
des <hi rendition="#fr">Horaz</hi> enthalten das we&#x017F;entliche, was u&#x0364;ber die<lb/>
Schreibart und den Ton in der Como&#x0364;die kann ge-<lb/>
&#x017F;agt werden.</p><lb/>
          <cit>
            <quote><hi rendition="#aq">E&#x017F;t brevitate opus, ut currat &#x017F;ententia neu &#x017F;e<lb/>
Impediat verbis la&#x017F;&#x017F;as onerantibus aures.<lb/>
Et &#x017F;ermone opus e&#x017F;t modo tri&#x017F;ti, &#x017F;aepe joco&#x017F;o<lb/>
Defendente vicem modo Rhetoris, atque Poetae<lb/>
Interdum Urbani, parcentis viribus, atque</hi><lb/><note place="left">(*) <hi rendition="#aq">Ser-<lb/>
mon I,</hi> 10.</note><hi rendition="#aq">Extenuantis eas con&#x017F;ulto.</hi> (*)</quote>
          </cit><lb/>
          <p>So nothwendig es i&#x017F;t, daß in die&#x017F;er Gattung<lb/>
jedes einzele natu&#x0364;rlich &#x017F;ey, &#x017F;o &#x017F;ehr wichtig i&#x017F;t es auch,<lb/>
daß alles intere&#x017F;&#x017F;ant &#x017F;ey. Weh dem comi&#x017F;chen Dich-<lb/>
ter, de&#x017F;&#x017F;en Zu&#x017F;chauer wa&#x0364;hrender Vor&#x017F;tellung nur ei-<lb/>
nen langweiligen Augenblik haben. Und doch kann<lb/>
die Handlung &#x017F;elb&#x017F;t nicht in jedem Augenblik ihrer<lb/>
Dauer lebhaft oder merkwu&#x0364;rdig &#x017F;eyn. Es kommen<lb/>
nothwendig geringere Auftritte, Neben-Per&#x017F;onen,<lb/>
kleinere, der Handlung keine Hauptwendung ge-<lb/>
bende Vorfa&#x0364;lle, vor die Augen des Zu&#x017F;chauers. Auch<lb/>
die&#x017F;e Neben&#x017F;achen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, jede in ihrer Art, in-<lb/>
tere&#x017F;&#x017F;ant &#x017F;eyn.</p><lb/>
          <p>Man weiß, wie &#x017F;chlechte Dichter, und biswei-<lb/>
len auch gute, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich verge&#x017F;&#x017F;en, dergleichen<lb/>
weniger wichtige Sachen intere&#x017F;&#x017F;ant zu machen &#x017F;u-<lb/>
chen. Sie mi&#x017F;chen fremde epi&#x017F;odi&#x017F;che Scenen ein;<lb/>
&#x017F;ie geben einigen Nebenper&#x017F;onen poßirliche Cha-<lb/>
raktere, damit &#x017F;ie den Zu&#x017F;chauer, &#x017F;o ofte nichts zur<lb/>
Handlung geho&#x0364;riges vorkommt, durch ihre Einfa&#x0364;lle<lb/>
unterhalten ko&#x0364;nnen. Daher ent&#x017F;tehen die mei&#x017F;ten<lb/>
im Grund abge&#x017F;chmakten Auftritte zwi&#x017F;chen &#x017F;chalk-<lb/>
haften Bedienten; daher haben &#x017F;ich gewi&#x017F;&#x017F;e poßir-<lb/>
liche Charaktere, der Harlekin, der Scarmuz u. d. g.<lb/>
als Dinge, die in jeder Como&#x0364;die nothwendig wa&#x0364;-<lb/>
ren, einge&#x017F;chlichen. Daß dergleichen epi&#x017F;odi&#x017F;chen<lb/>
Anftritte, etwa in den Ha&#x0364;u&#x017F;ern, wa&#x0364;hrender Zeit,<lb/>
da die Herr&#x017F;chaft in einer intere&#x017F;&#x017F;anten Handlung be-<lb/><cb/>
<fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Com</hi></fw><lb/>
griffen i&#x017F;t, vorfallen; oder daß auch bey den Haupt-<lb/>
per&#x017F;onen, in der Natur &#x017F;elb&#x017F;t epi&#x017F;odi&#x017F;che Zwi&#x017F;chen-<lb/>
Scenen vorkommen, rechtfertiget den Dichter nicht,<lb/>
&#x017F;elbige mit in &#x017F;einen Plan zu nehmen. Er &#x017F;oll uns<lb/>
die Dinge nicht &#x017F;o, wie &#x017F;ie ta&#x0364;glich ge&#x017F;chehen, mit<lb/>
allen gewo&#x0364;hnlichen oder ungewo&#x0364;hnlichen Neben&#x017F;a-<lb/>
chen, &#x017F;ondern &#x017F;o, wie &#x017F;ie zu der lebhafte&#x017F;ten Belu&#x017F;ti-<lb/>
gung und zum volle&#x017F;ten Vergnu&#x0364;gen eines Zu-<lb/>
&#x017F;chauers von Ver&#x017F;tand und Ge&#x017F;chmak ge&#x017F;chehen &#x017F;oll-<lb/>
ten, vor&#x017F;tellen.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;er Fehler, die leer &#x017F;cheinenden Stellen der<lb/>
Handlung mit epi&#x017F;odi&#x017F;chen Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden auszufu&#x0364;l-<lb/>
len, &#x017F;o wie der andre, wodurch die Scenen lang-<lb/>
weilig werden, kommt insgemein von einem Man-<lb/>
gel des Ver&#x017F;tandes und der guten Laune des Ver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ers der Stu&#x0364;ke, der entweder die&#x017F;e we&#x017F;entlichen<lb/>
Eigen&#x017F;chaften eines comi&#x017F;chen Dichters nicht im ge-<lb/>
ho&#x0364;rigen Grad be&#x017F;itzt, oder &#x017F;ie bisweilen nicht an-<lb/>
wendet. Wer in die&#x017F;em Fache glu&#x0364;klich &#x017F;eyn will, der<lb/>
muß mehr, als irgend ein andrer Ku&#x0364;n&#x017F;tler, reich an<lb/>
Gedanken und Vor&#x017F;tellungen &#x017F;eyn. Wenn ihm bey<lb/>
den, in dem Verlauf der Handlung natu&#x0364;rlicher<lb/>
Wei&#x017F;e vorkommenden Sachen, nichts beyfa&#x0364;llt, als<lb/>
was jedem Men&#x017F;chen dabey auch beyfallen wu&#x0364;rde,<lb/>
wenn &#x017F;ein Ver&#x017F;tand nicht tieffer, als ein gewo&#x0364;hnli-<lb/>
cher Ver&#x017F;tand, in die Sachen hineindringt, wenn<lb/>
das, was ge&#x017F;chieht, auf &#x017F;eine Einbildungskraft und<lb/>
Empfindungen keine andre, als gewo&#x0364;hnliche oder<lb/>
allta&#x0364;gliche Eindru&#x0364;ke macht; &#x017F;o mag er die Zu&#x017F;chauer<lb/>
damit ver&#x017F;chonen: die&#x017F;e wollen auf der Schaubu&#x0364;hne<lb/>
Men&#x017F;chen &#x017F;ehen, die bey allen Vorfa&#x0364;llen, in allen<lb/>
Situationen und Um&#x017F;ta&#x0364;nden &#x017F;ich von der Seite des<lb/>
Ver&#x017F;tandes, des Wizes oder der Empfindungen in<lb/>
einem intere&#x017F;&#x017F;anteren Lichte zeigen, als der gemeine<lb/>
Hauffe der Men&#x017F;chen. Dergleichen Men&#x017F;chen aber<lb/>
ho&#x0364;rt und &#x017F;ieht man immer gerne; denn wenn gleich<lb/>
die Ge&#x017F;cha&#x0364;fte und Verrichtungen, darin man &#x017F;ie &#x017F;ieht,<lb/>
an &#x017F;ich nichts intere&#x017F;&#x017F;antes haben, &#x017F;o werden die<lb/>
Auftritte durch ihre Art zu denken und zu empfin-<lb/>
den intere&#x017F;&#x017F;ant. Ver&#x017F;tand, Witz, Laune, Charakter,<lb/>
&#x017F;ind Dinge, die u&#x0364;berall, auch in den gemeine&#x017F;ten<lb/>
Auftritten des Lebens, un&#x017F;re Aufmerk&#x017F;amkeit reizen.<lb/>
Das gering&#x017F;te, das ein poßirlicher Men&#x017F;ch thut,<lb/>
belu&#x017F;tiget; und &#x017F;o wird jedes Wort eines Men&#x017F;chen<lb/>
von vorzu&#x0364;glichem Ver&#x017F;tand oder Wiz, mit Vergnu&#x0364;-<lb/>
gen geho&#x0364;rt. Daraus folget denn, daß auch die Ne-<lb/>
benauftritte, wenn &#x017F;ie nur wu&#x0364;rklich in der Hand-<lb/>
lung liegen, unterhaltend genug werden ko&#x0364;nnen. Es<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">i&#x017F;t</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[218/0230] Com Com wenig Menſchen, die in dem Ton der Unterredung etwas intereſſantes haben. Die meiſten druͤken ſich langweilig, unbeſtimmt und ganz kraftlos aus. Daher kommt es ofte, daß der Dichter, der es gern beſſer machen will, ins Unnatuͤrliche, Gezwun- gene oder Methodiſche verfaͤllt. Der in Deutſchland uͤberhaupt noch ſo ſehr wenig ausgebildete gute Ton, und das wenig intereſſante in den taͤglichen Ge- ſellſchaften, iſt vielleicht ein Hauptgrund, des noch ſchwachen Zuſtandes der deutſchen Comoͤdie. Wie wol es in dieſem Stuͤk den Schauſpielern noch mehr, als den Dichtern mangelt. Folgende Anmerkungen des Horaz enthalten das weſentliche, was uͤber die Schreibart und den Ton in der Comoͤdie kann ge- ſagt werden. Eſt brevitate opus, ut currat ſententia neu ſe Impediat verbis laſſas onerantibus aures. Et ſermone opus eſt modo triſti, ſaepe jocoſo Defendente vicem modo Rhetoris, atque Poetae Interdum Urbani, parcentis viribus, atque Extenuantis eas conſulto. (*) So nothwendig es iſt, daß in dieſer Gattung jedes einzele natuͤrlich ſey, ſo ſehr wichtig iſt es auch, daß alles intereſſant ſey. Weh dem comiſchen Dich- ter, deſſen Zuſchauer waͤhrender Vorſtellung nur ei- nen langweiligen Augenblik haben. Und doch kann die Handlung ſelbſt nicht in jedem Augenblik ihrer Dauer lebhaft oder merkwuͤrdig ſeyn. Es kommen nothwendig geringere Auftritte, Neben-Perſonen, kleinere, der Handlung keine Hauptwendung ge- bende Vorfaͤlle, vor die Augen des Zuſchauers. Auch dieſe Nebenſachen muͤſſen, jede in ihrer Art, in- tereſſant ſeyn. Man weiß, wie ſchlechte Dichter, und biswei- len auch gute, wenn ſie ſich vergeſſen, dergleichen weniger wichtige Sachen intereſſant zu machen ſu- chen. Sie miſchen fremde epiſodiſche Scenen ein; ſie geben einigen Nebenperſonen poßirliche Cha- raktere, damit ſie den Zuſchauer, ſo ofte nichts zur Handlung gehoͤriges vorkommt, durch ihre Einfaͤlle unterhalten koͤnnen. Daher entſtehen die meiſten im Grund abgeſchmakten Auftritte zwiſchen ſchalk- haften Bedienten; daher haben ſich gewiſſe poßir- liche Charaktere, der Harlekin, der Scarmuz u. d. g. als Dinge, die in jeder Comoͤdie nothwendig waͤ- ren, eingeſchlichen. Daß dergleichen epiſodiſchen Anftritte, etwa in den Haͤuſern, waͤhrender Zeit, da die Herrſchaft in einer intereſſanten Handlung be- griffen iſt, vorfallen; oder daß auch bey den Haupt- perſonen, in der Natur ſelbſt epiſodiſche Zwiſchen- Scenen vorkommen, rechtfertiget den Dichter nicht, ſelbige mit in ſeinen Plan zu nehmen. Er ſoll uns die Dinge nicht ſo, wie ſie taͤglich geſchehen, mit allen gewoͤhnlichen oder ungewoͤhnlichen Nebenſa- chen, ſondern ſo, wie ſie zu der lebhafteſten Beluſti- gung und zum volleſten Vergnuͤgen eines Zu- ſchauers von Verſtand und Geſchmak geſchehen ſoll- ten, vorſtellen. Dieſer Fehler, die leer ſcheinenden Stellen der Handlung mit epiſodiſchen Gegenſtaͤnden auszufuͤl- len, ſo wie der andre, wodurch die Scenen lang- weilig werden, kommt insgemein von einem Man- gel des Verſtandes und der guten Laune des Ver- faſſers der Stuͤke, der entweder dieſe weſentlichen Eigenſchaften eines comiſchen Dichters nicht im ge- hoͤrigen Grad beſitzt, oder ſie bisweilen nicht an- wendet. Wer in dieſem Fache gluͤklich ſeyn will, der muß mehr, als irgend ein andrer Kuͤnſtler, reich an Gedanken und Vorſtellungen ſeyn. Wenn ihm bey den, in dem Verlauf der Handlung natuͤrlicher Weiſe vorkommenden Sachen, nichts beyfaͤllt, als was jedem Menſchen dabey auch beyfallen wuͤrde, wenn ſein Verſtand nicht tieffer, als ein gewoͤhnli- cher Verſtand, in die Sachen hineindringt, wenn das, was geſchieht, auf ſeine Einbildungskraft und Empfindungen keine andre, als gewoͤhnliche oder alltaͤgliche Eindruͤke macht; ſo mag er die Zuſchauer damit verſchonen: dieſe wollen auf der Schaubuͤhne Menſchen ſehen, die bey allen Vorfaͤllen, in allen Situationen und Umſtaͤnden ſich von der Seite des Verſtandes, des Wizes oder der Empfindungen in einem intereſſanteren Lichte zeigen, als der gemeine Hauffe der Menſchen. Dergleichen Menſchen aber hoͤrt und ſieht man immer gerne; denn wenn gleich die Geſchaͤfte und Verrichtungen, darin man ſie ſieht, an ſich nichts intereſſantes haben, ſo werden die Auftritte durch ihre Art zu denken und zu empfin- den intereſſant. Verſtand, Witz, Laune, Charakter, ſind Dinge, die uͤberall, auch in den gemeineſten Auftritten des Lebens, unſre Aufmerkſamkeit reizen. Das geringſte, das ein poßirlicher Menſch thut, beluſtiget; und ſo wird jedes Wort eines Menſchen von vorzuͤglichem Verſtand oder Wiz, mit Vergnuͤ- gen gehoͤrt. Daraus folget denn, daß auch die Ne- benauftritte, wenn ſie nur wuͤrklich in der Hand- lung liegen, unterhaltend genug werden koͤnnen. Es iſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/230
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/230>, abgerufen am 23.11.2024.