Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Com wenig Menschen, die in dem Ton der Unterredungetwas interessantes haben. Die meisten drüken sich langweilig, unbestimmt und ganz kraftlos aus. Daher kommt es ofte, daß der Dichter, der es gern besser machen will, ins Unnatürliche, Gezwun- gene oder Methodische verfällt. Der in Deutschland überhaupt noch so sehr wenig ausgebildete gute Ton, und das wenig interessante in den täglichen Ge- sellschaften, ist vielleicht ein Hauptgrund, des noch schwachen Zustandes der deutschen Comödie. Wie wol es in diesem Stük den Schauspielern noch mehr, als den Dichtern mangelt. Folgende Anmerkungen des Horaz enthalten das wesentliche, was über die Schreibart und den Ton in der Comödie kann ge- sagt werden. Est brevitate opus, ut currat sententia neu se So nothwendig es ist, daß in dieser Gattung Man weiß, wie schlechte Dichter, und biswei- Com griffen ist, vorfallen; oder daß auch bey den Haupt-personen, in der Natur selbst episodische Zwischen- Scenen vorkommen, rechtfertiget den Dichter nicht, selbige mit in seinen Plan zu nehmen. Er soll uns die Dinge nicht so, wie sie täglich geschehen, mit allen gewöhnlichen oder ungewöhnlichen Nebensa- chen, sondern so, wie sie zu der lebhaftesten Belusti- gung und zum vollesten Vergnügen eines Zu- schauers von Verstand und Geschmak geschehen soll- ten, vorstellen. Dieser Fehler, die leer scheinenden Stellen der ist
[Spaltenumbruch] Com wenig Menſchen, die in dem Ton der Unterredungetwas intereſſantes haben. Die meiſten druͤken ſich langweilig, unbeſtimmt und ganz kraftlos aus. Daher kommt es ofte, daß der Dichter, der es gern beſſer machen will, ins Unnatuͤrliche, Gezwun- gene oder Methodiſche verfaͤllt. Der in Deutſchland uͤberhaupt noch ſo ſehr wenig ausgebildete gute Ton, und das wenig intereſſante in den taͤglichen Ge- ſellſchaften, iſt vielleicht ein Hauptgrund, des noch ſchwachen Zuſtandes der deutſchen Comoͤdie. Wie wol es in dieſem Stuͤk den Schauſpielern noch mehr, als den Dichtern mangelt. Folgende Anmerkungen des Horaz enthalten das weſentliche, was uͤber die Schreibart und den Ton in der Comoͤdie kann ge- ſagt werden. Eſt brevitate opus, ut currat ſententia neu ſe So nothwendig es iſt, daß in dieſer Gattung Man weiß, wie ſchlechte Dichter, und biswei- Com griffen iſt, vorfallen; oder daß auch bey den Haupt-perſonen, in der Natur ſelbſt epiſodiſche Zwiſchen- Scenen vorkommen, rechtfertiget den Dichter nicht, ſelbige mit in ſeinen Plan zu nehmen. Er ſoll uns die Dinge nicht ſo, wie ſie taͤglich geſchehen, mit allen gewoͤhnlichen oder ungewoͤhnlichen Nebenſa- chen, ſondern ſo, wie ſie zu der lebhafteſten Beluſti- gung und zum volleſten Vergnuͤgen eines Zu- ſchauers von Verſtand und Geſchmak geſchehen ſoll- ten, vorſtellen. Dieſer Fehler, die leer ſcheinenden Stellen der iſt
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Es kommen<lb/> nothwendig geringere Auftritte, Neben-Perſonen,<lb/> kleinere, der Handlung keine Hauptwendung ge-<lb/> bende Vorfaͤlle, vor die Augen des Zuſchauers. Auch<lb/> dieſe Nebenſachen muͤſſen, jede in ihrer Art, in-<lb/> tereſſant ſeyn.</p><lb/> <p>Man weiß, wie ſchlechte Dichter, und biswei-<lb/> len auch gute, wenn ſie ſich vergeſſen, dergleichen<lb/> weniger wichtige Sachen intereſſant zu machen ſu-<lb/> chen. Sie miſchen fremde epiſodiſche Scenen ein;<lb/> ſie geben einigen Nebenperſonen poßirliche Cha-<lb/> raktere, damit ſie den Zuſchauer, ſo ofte nichts zur<lb/> Handlung gehoͤriges vorkommt, durch ihre Einfaͤlle<lb/> unterhalten koͤnnen. Daher entſtehen die meiſten<lb/> im Grund abgeſchmakten Auftritte zwiſchen ſchalk-<lb/> haften Bedienten; daher haben ſich gewiſſe poßir-<lb/> liche Charaktere, der Harlekin, der Scarmuz u. d. g.<lb/> als Dinge, die in jeder Comoͤdie nothwendig waͤ-<lb/> ren, eingeſchlichen. 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Dergleichen Menſchen aber<lb/> hoͤrt und ſieht man immer gerne; denn wenn gleich<lb/> die Geſchaͤfte und Verrichtungen, darin man ſie ſieht,<lb/> an ſich nichts intereſſantes haben, ſo werden die<lb/> Auftritte durch ihre Art zu denken und zu empfin-<lb/> den intereſſant. Verſtand, Witz, Laune, Charakter,<lb/> ſind Dinge, die uͤberall, auch in den gemeineſten<lb/> Auftritten des Lebens, unſre Aufmerkſamkeit reizen.<lb/> Das geringſte, das ein poßirlicher Menſch thut,<lb/> beluſtiget; und ſo wird jedes Wort eines Menſchen<lb/> von vorzuͤglichem Verſtand oder Wiz, mit Vergnuͤ-<lb/> gen gehoͤrt. Daraus folget denn, daß auch die Ne-<lb/> benauftritte, wenn ſie nur wuͤrklich in der Hand-<lb/> lung liegen, unterhaltend genug werden koͤnnen. Es<lb/> <fw place="bottom" type="catch">iſt</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [218/0230]
Com
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wenig Menſchen, die in dem Ton der Unterredung
etwas intereſſantes haben. Die meiſten druͤken
ſich langweilig, unbeſtimmt und ganz kraftlos aus.
Daher kommt es ofte, daß der Dichter, der es
gern beſſer machen will, ins Unnatuͤrliche, Gezwun-
gene oder Methodiſche verfaͤllt. Der in Deutſchland
uͤberhaupt noch ſo ſehr wenig ausgebildete gute Ton,
und das wenig intereſſante in den taͤglichen Ge-
ſellſchaften, iſt vielleicht ein Hauptgrund, des noch
ſchwachen Zuſtandes der deutſchen Comoͤdie. Wie
wol es in dieſem Stuͤk den Schauſpielern noch mehr,
als den Dichtern mangelt. Folgende Anmerkungen
des Horaz enthalten das weſentliche, was uͤber die
Schreibart und den Ton in der Comoͤdie kann ge-
ſagt werden.
Eſt brevitate opus, ut currat ſententia neu ſe
Impediat verbis laſſas onerantibus aures.
Et ſermone opus eſt modo triſti, ſaepe jocoſo
Defendente vicem modo Rhetoris, atque Poetae
Interdum Urbani, parcentis viribus, atque
Extenuantis eas conſulto. (*)
So nothwendig es iſt, daß in dieſer Gattung
jedes einzele natuͤrlich ſey, ſo ſehr wichtig iſt es auch,
daß alles intereſſant ſey. Weh dem comiſchen Dich-
ter, deſſen Zuſchauer waͤhrender Vorſtellung nur ei-
nen langweiligen Augenblik haben. Und doch kann
die Handlung ſelbſt nicht in jedem Augenblik ihrer
Dauer lebhaft oder merkwuͤrdig ſeyn. Es kommen
nothwendig geringere Auftritte, Neben-Perſonen,
kleinere, der Handlung keine Hauptwendung ge-
bende Vorfaͤlle, vor die Augen des Zuſchauers. Auch
dieſe Nebenſachen muͤſſen, jede in ihrer Art, in-
tereſſant ſeyn.
Man weiß, wie ſchlechte Dichter, und biswei-
len auch gute, wenn ſie ſich vergeſſen, dergleichen
weniger wichtige Sachen intereſſant zu machen ſu-
chen. Sie miſchen fremde epiſodiſche Scenen ein;
ſie geben einigen Nebenperſonen poßirliche Cha-
raktere, damit ſie den Zuſchauer, ſo ofte nichts zur
Handlung gehoͤriges vorkommt, durch ihre Einfaͤlle
unterhalten koͤnnen. Daher entſtehen die meiſten
im Grund abgeſchmakten Auftritte zwiſchen ſchalk-
haften Bedienten; daher haben ſich gewiſſe poßir-
liche Charaktere, der Harlekin, der Scarmuz u. d. g.
als Dinge, die in jeder Comoͤdie nothwendig waͤ-
ren, eingeſchlichen. Daß dergleichen epiſodiſchen
Anftritte, etwa in den Haͤuſern, waͤhrender Zeit,
da die Herrſchaft in einer intereſſanten Handlung be-
griffen iſt, vorfallen; oder daß auch bey den Haupt-
perſonen, in der Natur ſelbſt epiſodiſche Zwiſchen-
Scenen vorkommen, rechtfertiget den Dichter nicht,
ſelbige mit in ſeinen Plan zu nehmen. Er ſoll uns
die Dinge nicht ſo, wie ſie taͤglich geſchehen, mit
allen gewoͤhnlichen oder ungewoͤhnlichen Nebenſa-
chen, ſondern ſo, wie ſie zu der lebhafteſten Beluſti-
gung und zum volleſten Vergnuͤgen eines Zu-
ſchauers von Verſtand und Geſchmak geſchehen ſoll-
ten, vorſtellen.
Dieſer Fehler, die leer ſcheinenden Stellen der
Handlung mit epiſodiſchen Gegenſtaͤnden auszufuͤl-
len, ſo wie der andre, wodurch die Scenen lang-
weilig werden, kommt insgemein von einem Man-
gel des Verſtandes und der guten Laune des Ver-
faſſers der Stuͤke, der entweder dieſe weſentlichen
Eigenſchaften eines comiſchen Dichters nicht im ge-
hoͤrigen Grad beſitzt, oder ſie bisweilen nicht an-
wendet. Wer in dieſem Fache gluͤklich ſeyn will, der
muß mehr, als irgend ein andrer Kuͤnſtler, reich an
Gedanken und Vorſtellungen ſeyn. Wenn ihm bey
den, in dem Verlauf der Handlung natuͤrlicher
Weiſe vorkommenden Sachen, nichts beyfaͤllt, als
was jedem Menſchen dabey auch beyfallen wuͤrde,
wenn ſein Verſtand nicht tieffer, als ein gewoͤhnli-
cher Verſtand, in die Sachen hineindringt, wenn
das, was geſchieht, auf ſeine Einbildungskraft und
Empfindungen keine andre, als gewoͤhnliche oder
alltaͤgliche Eindruͤke macht; ſo mag er die Zuſchauer
damit verſchonen: dieſe wollen auf der Schaubuͤhne
Menſchen ſehen, die bey allen Vorfaͤllen, in allen
Situationen und Umſtaͤnden ſich von der Seite des
Verſtandes, des Wizes oder der Empfindungen in
einem intereſſanteren Lichte zeigen, als der gemeine
Hauffe der Menſchen. Dergleichen Menſchen aber
hoͤrt und ſieht man immer gerne; denn wenn gleich
die Geſchaͤfte und Verrichtungen, darin man ſie ſieht,
an ſich nichts intereſſantes haben, ſo werden die
Auftritte durch ihre Art zu denken und zu empfin-
den intereſſant. Verſtand, Witz, Laune, Charakter,
ſind Dinge, die uͤberall, auch in den gemeineſten
Auftritten des Lebens, unſre Aufmerkſamkeit reizen.
Das geringſte, das ein poßirlicher Menſch thut,
beluſtiget; und ſo wird jedes Wort eines Menſchen
von vorzuͤglichem Verſtand oder Wiz, mit Vergnuͤ-
gen gehoͤrt. Daraus folget denn, daß auch die Ne-
benauftritte, wenn ſie nur wuͤrklich in der Hand-
lung liegen, unterhaltend genug werden koͤnnen. Es
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