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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Com
verschiedenen Charakters und vieler Mannigfaltig-
keit fähig.

Eine andre Art ist die Comödie der Sitten, die
zur Absicht hat, ein wahrhaftes und lebhaftes Ge-
mählde gewisser sich auszeichnender Sitten, vor das
Auge der Zuschauer zu bringen. So kann man die
Sitten des Hofes, die Sitten der Reichen, die Sit-
ten ganzer Völker vorstellen. Denn obgleich in allen
Gattungen der Comödie Sitten vorkommen, so würde
man doch von denjenigen mit Recht eine besondere
Gattung machen, die solche Hauptgemählde gewis-
ser Sitten zum Hauptaugenmerk hätten. So ist
z. E. die in England mit so grossem Beyfall aufge-
nommene Beggars Opera des Gay, darin die Sit-
ten des niedrigsten Standes der Menschen, der her-
umschweifenden Bettler, gemahlt werden. Die sa-
tyrischen Schauspiele der Griechen waren Comödien
der Sitten, weil darin die Sitten der Satyren ab-
gebildet wurden.

Diese Art der Comödie ist einer sehr grossen An-
nehmlichkeit und einer grossen Mannigfaltigkeit des
Charakters fähig. Die Sitten verschiedener Stände
und Völker gehören unter die angenehmsten und in-
teressantesten Gegenstände der Betrachtung. Es giebt
lächerliche, verwünschte, aber auch naive, liebens-
würdige, uns bis zur Entzükung reizende Sitten. Es
kann auch nicht so sehr schweer seyn, die Handlung so
zu wählen, daß die Sitten, die gemahlt werden sol-
len, durch dieselben in einem guten Licht erscheinen.
Was für grossen Nutzen solche Gemählde, ohne das
Ergötzende derselben mitzurechnen, haben können, läßt
sich so leicht einsehen, daß es überflüßig wäre, die-
sen Punkt aus einander zu setzen. Ein jeder sieht,
um nur ein einziges Beyspiel anzuführen, wie wich-
tig es seyn könnte, die Sitten einer gewissen Classe
der nichtswürdigsten Menschen, so wie Hogarth die-
selben in den berühmten Kupferstichen, die unter dem
Harlots Progress bekannt sind, vorgestellt hat, auf die
Schaubühne zu bringen. Den Nutzen einer solchen
Vorstellung beschreibet Terentius nach seiner Art für-
treflich, in folgender Stelle:

Id vero est, quod ego mihi puto palmarium
Me repperisse, quo modo adolescentulus
Meretricum ingenia & mores posset notare:
Mature ut cum cognorit, perpetuo oderit.
Quae dum soris sunt, nihil videtur mundius,
Nec magis compositum quidquam, nec magis elegans:
Quae, cum amatore suo cum coenant, ligurriunt.

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Com
Harum videre ingluviem, sordes, inopiam.
Quam inhonestae solae sint domi, atque avidae cibi
Quo pacto ex jure hesterno, panem atrum verrent:
Nosse omnia haec, salus est adolescentulis.
(*)
(*) Eu-
nuch. Act.
V. sc.
4.

Dazu aber würde freylich erfodert, daß sowol Dich-
ter als Schauspieler, grosse Zeichner und Mahler
wären. Es scheinet, daß die Comödie der Sitten,
die wichtigste Gattung des Drama sey.

Eine andre Gattung könnten die Comödien aus-
machen, deren Hauptabsicht ist, eine einzige merk-
würdige Situation in allem, was sie Gutes oder
Böses hat, vorzustellen. Dahin gehörten sowol all-
gemeine Situationen, wie die wäre, da ein Vater
einige ungerathene Kinder hätte; die Situation ei-
nes dürftigen Menschen; einer gewissen Lebensart;
eines Standes; als auch besondere Situationen,
darin man durch gute oder schlechte Handlungen ver-
setzt worden.

Es scheinet eben nicht gar schweer, für jede Si-
tuation eine Handlung auszudenken, wobey der
Dichter Gelegenheit bekommen könnte, die gewählte
Situation in einem lebhaften Lichte zu zeigen.
Nichts aber würde mehr beytragen, das Gute und
Böse des menschlichen Lebens lebhaft zu erkennen,
als diese Gattung.

Die geringste Art scheinet die Comödie zu seyn,
darin die Handlung weder in dem innern noch äus-
sern Zustand der handelnden Personen gegründet ist,
sondern durch seltsame Begebenheiten, wunderbare
Zufälle und Verwiklungen interessant wird; da
mancherley unerwartete, ausserordentliche und zum
Theil abentheuerliche Dinge nach einander erfolgen
und Verwirrungen verursachen, die den Geist in
beständiger Aufmerksamkeit unterhalten, und da die
ganze Handlung durch eine unerwartete Auflösung
ein End erreicht. Diese Art ist die leichteste, und
erfodert den wenigsten Verstand. Denn es ist sehr
leicht, eine Menge durch einander laufender Zufälle
zu erdenken, die eine Handlung, die man eben hat
vornehmen wollen, verwirren, und daher zu ver-
schiedenen seltsamen Verwiklungen Gelegenheit ge-
ben. Jndessen ist diese Gattung zur Belustigung
und zur Abwechslung gut, und kann allerhand sehr
artige Scenen auf die Bühne bringen.

Aus diesen wenigen Anmerkungen läßt sich hin-
länglich abnehmen, was für ein weites Feld einem
comischen Dichter offen steht, was für mannigfaltiges

Ver-

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Com
verſchiedenen Charakters und vieler Mannigfaltig-
keit faͤhig.

Eine andre Art iſt die Comoͤdie der Sitten, die
zur Abſicht hat, ein wahrhaftes und lebhaftes Ge-
maͤhlde gewiſſer ſich auszeichnender Sitten, vor das
Auge der Zuſchauer zu bringen. So kann man die
Sitten des Hofes, die Sitten der Reichen, die Sit-
ten ganzer Voͤlker vorſtellen. Denn obgleich in allen
Gattungen der Comoͤdie Sitten vorkommen, ſo wuͤrde
man doch von denjenigen mit Recht eine beſondere
Gattung machen, die ſolche Hauptgemaͤhlde gewiſ-
ſer Sitten zum Hauptaugenmerk haͤtten. So iſt
z. E. die in England mit ſo groſſem Beyfall aufge-
nommene Beggars Opera des Gay, darin die Sit-
ten des niedrigſten Standes der Menſchen, der her-
umſchweifenden Bettler, gemahlt werden. Die ſa-
tyriſchen Schauſpiele der Griechen waren Comoͤdien
der Sitten, weil darin die Sitten der Satyren ab-
gebildet wurden.

Dieſe Art der Comoͤdie iſt einer ſehr groſſen An-
nehmlichkeit und einer groſſen Mannigfaltigkeit des
Charakters faͤhig. Die Sitten verſchiedener Staͤnde
und Voͤlker gehoͤren unter die angenehmſten und in-
tereſſanteſten Gegenſtaͤnde der Betrachtung. Es giebt
laͤcherliche, verwuͤnſchte, aber auch naive, liebens-
wuͤrdige, uns bis zur Entzuͤkung reizende Sitten. Es
kann auch nicht ſo ſehr ſchweer ſeyn, die Handlung ſo
zu waͤhlen, daß die Sitten, die gemahlt werden ſol-
len, durch dieſelben in einem guten Licht erſcheinen.
Was fuͤr groſſen Nutzen ſolche Gemaͤhlde, ohne das
Ergoͤtzende derſelben mitzurechnen, haben koͤnnen, laͤßt
ſich ſo leicht einſehen, daß es uͤberfluͤßig waͤre, die-
ſen Punkt aus einander zu ſetzen. Ein jeder ſieht,
um nur ein einziges Beyſpiel anzufuͤhren, wie wich-
tig es ſeyn koͤnnte, die Sitten einer gewiſſen Claſſe
der nichtswuͤrdigſten Menſchen, ſo wie Hogarth die-
ſelben in den beruͤhmten Kupferſtichen, die unter dem
Harlots Progreſs bekannt ſind, vorgeſtellt hat, auf die
Schaubuͤhne zu bringen. Den Nutzen einer ſolchen
Vorſtellung beſchreibet Terentius nach ſeiner Art fuͤr-
treflich, in folgender Stelle:

Id vero eſt, quod ego mihi puto palmarium
Me repperiſſe, quo modo adoleſcentulus
Meretricum ingenia & mores poſſet notare:
Mature ut cum cognorit, perpetuo oderit.
Quae dum ſoris ſunt, nihil videtur mundius,
Nec magis compoſitum quidquam, nec magis elegans:
Quae, cum amatore ſuo cum coenant, ligurriunt.

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Com
Harum videre ingluviem, ſordes, inopiam.
Quam inhoneſtae ſolae ſint domi, atque avidae cibi
Quo pacto ex jure heſterno, panem atrum verrent:
Noſſe omnia haec, ſalus eſt adoleſcentulis.
(*)
(*) Eu-
nuch. Act.
V. ſc.
4.

Dazu aber wuͤrde freylich erfodert, daß ſowol Dich-
ter als Schauſpieler, groſſe Zeichner und Mahler
waͤren. Es ſcheinet, daß die Comoͤdie der Sitten,
die wichtigſte Gattung des Drama ſey.

Eine andre Gattung koͤnnten die Comoͤdien aus-
machen, deren Hauptabſicht iſt, eine einzige merk-
wuͤrdige Situation in allem, was ſie Gutes oder
Boͤſes hat, vorzuſtellen. Dahin gehoͤrten ſowol all-
gemeine Situationen, wie die waͤre, da ein Vater
einige ungerathene Kinder haͤtte; die Situation ei-
nes duͤrftigen Menſchen; einer gewiſſen Lebensart;
eines Standes; als auch beſondere Situationen,
darin man durch gute oder ſchlechte Handlungen ver-
ſetzt worden.

Es ſcheinet eben nicht gar ſchweer, fuͤr jede Si-
tuation eine Handlung auszudenken, wobey der
Dichter Gelegenheit bekommen koͤnnte, die gewaͤhlte
Situation in einem lebhaften Lichte zu zeigen.
Nichts aber wuͤrde mehr beytragen, das Gute und
Boͤſe des menſchlichen Lebens lebhaft zu erkennen,
als dieſe Gattung.

Die geringſte Art ſcheinet die Comoͤdie zu ſeyn,
darin die Handlung weder in dem innern noch aͤuſ-
ſern Zuſtand der handelnden Perſonen gegruͤndet iſt,
ſondern durch ſeltſame Begebenheiten, wunderbare
Zufaͤlle und Verwiklungen intereſſant wird; da
mancherley unerwartete, auſſerordentliche und zum
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und Verwirrungen verurſachen, die den Geiſt in
beſtaͤndiger Aufmerkſamkeit unterhalten, und da die
ganze Handlung durch eine unerwartete Aufloͤſung
ein End erreicht. Dieſe Art iſt die leichteſte, und
erfodert den wenigſten Verſtand. Denn es iſt ſehr
leicht, eine Menge durch einander laufender Zufaͤlle
zu erdenken, die eine Handlung, die man eben hat
vornehmen wollen, verwirren, und daher zu ver-
ſchiedenen ſeltſamen Verwiklungen Gelegenheit ge-
ben. Jndeſſen iſt dieſe Gattung zur Beluſtigung
und zur Abwechslung gut, und kann allerhand ſehr
artige Scenen auf die Buͤhne bringen.

Aus dieſen wenigen Anmerkungen laͤßt ſich hin-
laͤnglich abnehmen, was fuͤr ein weites Feld einem
comiſchen Dichter offen ſteht, was fuͤr mannigfaltiges

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[216/0228] Com Com verſchiedenen Charakters und vieler Mannigfaltig- keit faͤhig. Eine andre Art iſt die Comoͤdie der Sitten, die zur Abſicht hat, ein wahrhaftes und lebhaftes Ge- maͤhlde gewiſſer ſich auszeichnender Sitten, vor das Auge der Zuſchauer zu bringen. So kann man die Sitten des Hofes, die Sitten der Reichen, die Sit- ten ganzer Voͤlker vorſtellen. Denn obgleich in allen Gattungen der Comoͤdie Sitten vorkommen, ſo wuͤrde man doch von denjenigen mit Recht eine beſondere Gattung machen, die ſolche Hauptgemaͤhlde gewiſ- ſer Sitten zum Hauptaugenmerk haͤtten. So iſt z. E. die in England mit ſo groſſem Beyfall aufge- nommene Beggars Opera des Gay, darin die Sit- ten des niedrigſten Standes der Menſchen, der her- umſchweifenden Bettler, gemahlt werden. Die ſa- tyriſchen Schauſpiele der Griechen waren Comoͤdien der Sitten, weil darin die Sitten der Satyren ab- gebildet wurden. Dieſe Art der Comoͤdie iſt einer ſehr groſſen An- nehmlichkeit und einer groſſen Mannigfaltigkeit des Charakters faͤhig. Die Sitten verſchiedener Staͤnde und Voͤlker gehoͤren unter die angenehmſten und in- tereſſanteſten Gegenſtaͤnde der Betrachtung. Es giebt laͤcherliche, verwuͤnſchte, aber auch naive, liebens- wuͤrdige, uns bis zur Entzuͤkung reizende Sitten. Es kann auch nicht ſo ſehr ſchweer ſeyn, die Handlung ſo zu waͤhlen, daß die Sitten, die gemahlt werden ſol- len, durch dieſelben in einem guten Licht erſcheinen. Was fuͤr groſſen Nutzen ſolche Gemaͤhlde, ohne das Ergoͤtzende derſelben mitzurechnen, haben koͤnnen, laͤßt ſich ſo leicht einſehen, daß es uͤberfluͤßig waͤre, die- ſen Punkt aus einander zu ſetzen. Ein jeder ſieht, um nur ein einziges Beyſpiel anzufuͤhren, wie wich- tig es ſeyn koͤnnte, die Sitten einer gewiſſen Claſſe der nichtswuͤrdigſten Menſchen, ſo wie Hogarth die- ſelben in den beruͤhmten Kupferſtichen, die unter dem Harlots Progreſs bekannt ſind, vorgeſtellt hat, auf die Schaubuͤhne zu bringen. Den Nutzen einer ſolchen Vorſtellung beſchreibet Terentius nach ſeiner Art fuͤr- treflich, in folgender Stelle: Id vero eſt, quod ego mihi puto palmarium Me repperiſſe, quo modo adoleſcentulus Meretricum ingenia & mores poſſet notare: Mature ut cum cognorit, perpetuo oderit. Quae dum ſoris ſunt, nihil videtur mundius, Nec magis compoſitum quidquam, nec magis elegans: Quae, cum amatore ſuo cum coenant, ligurriunt. Harum videre ingluviem, ſordes, inopiam. Quam inhoneſtae ſolae ſint domi, atque avidae cibi Quo pacto ex jure heſterno, panem atrum verrent: Noſſe omnia haec, ſalus eſt adoleſcentulis. (*) Dazu aber wuͤrde freylich erfodert, daß ſowol Dich- ter als Schauſpieler, groſſe Zeichner und Mahler waͤren. Es ſcheinet, daß die Comoͤdie der Sitten, die wichtigſte Gattung des Drama ſey. Eine andre Gattung koͤnnten die Comoͤdien aus- machen, deren Hauptabſicht iſt, eine einzige merk- wuͤrdige Situation in allem, was ſie Gutes oder Boͤſes hat, vorzuſtellen. Dahin gehoͤrten ſowol all- gemeine Situationen, wie die waͤre, da ein Vater einige ungerathene Kinder haͤtte; die Situation ei- nes duͤrftigen Menſchen; einer gewiſſen Lebensart; eines Standes; als auch beſondere Situationen, darin man durch gute oder ſchlechte Handlungen ver- ſetzt worden. Es ſcheinet eben nicht gar ſchweer, fuͤr jede Si- tuation eine Handlung auszudenken, wobey der Dichter Gelegenheit bekommen koͤnnte, die gewaͤhlte Situation in einem lebhaften Lichte zu zeigen. Nichts aber wuͤrde mehr beytragen, das Gute und Boͤſe des menſchlichen Lebens lebhaft zu erkennen, als dieſe Gattung. Die geringſte Art ſcheinet die Comoͤdie zu ſeyn, darin die Handlung weder in dem innern noch aͤuſ- ſern Zuſtand der handelnden Perſonen gegruͤndet iſt, ſondern durch ſeltſame Begebenheiten, wunderbare Zufaͤlle und Verwiklungen intereſſant wird; da mancherley unerwartete, auſſerordentliche und zum Theil abentheuerliche Dinge nach einander erfolgen und Verwirrungen verurſachen, die den Geiſt in beſtaͤndiger Aufmerkſamkeit unterhalten, und da die ganze Handlung durch eine unerwartete Aufloͤſung ein End erreicht. Dieſe Art iſt die leichteſte, und erfodert den wenigſten Verſtand. Denn es iſt ſehr leicht, eine Menge durch einander laufender Zufaͤlle zu erdenken, die eine Handlung, die man eben hat vornehmen wollen, verwirren, und daher zu ver- ſchiedenen ſeltſamen Verwiklungen Gelegenheit ge- ben. Jndeſſen iſt dieſe Gattung zur Beluſtigung und zur Abwechslung gut, und kann allerhand ſehr artige Scenen auf die Buͤhne bringen. Aus dieſen wenigen Anmerkungen laͤßt ſich hin- laͤnglich abnehmen, was fuͤr ein weites Feld einem comiſchen Dichter offen ſteht, was fuͤr mannigfaltiges Ver-

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/228>, abgerufen am 29.03.2024.