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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Cad Cam

"Jn den alten Zeiten wurden die Haupt-
schlüsse -- nur so ausgeführet, wie sie dem Takte
gemäß, geschrieben werden; auf der mittelsten
Note wurd ein Triller gemacht. Hernach fieng man
an auf der Note vor dem Triller eine kleine will-
kührliche Auszierung anzubringen; wenn nämlich
ohne den Takt aufzuhalten Zeit dazu war. Dar-
auf fieng man an den letzten Takt langsamer zu
singen, und sich etwas aufzuhalten. Endlich suchte
man diese Auf haltung durch allerhand willkürliche
Passagen, Läufe, Ziehungen, Sprünge, kurz, was
nur für Figuren den Stimmen auszuführen mög-
lich sind, auszuschmüken. -- Diese werden itzt
vorzugsweise Cadenzen genennt. Sie sollen zwi-
schen den Jahren 1710 und 1716 ihren Ursprung
genommen haben."

Dieses sind also die Cadenzen, in welche sich ge-
genwärtig, sowol die Sänger als die Spieler, so sehr
verliebt haben, daß man glauben sollte, sie singen
oder spielen ein Stük nur deswegen, damit sie am
Ende ihre Fertigkeit durch die seltsamsten Läufe und
Sprünge zeigen können. Es giebt Personen von
Geschmak, denen diese Cadenzen äusserst zuwider
sind, und die sie mit den Luftsprüngen der Seil-
tänzer in eine Classe setzen. Selbst der Castrat
Tosi, ein Meister der Kunst, scheinet nicht viel
günstiger davon zu urtheilen. Allem Ansehen nach
aber werden sie, was man auch immer dagegen sa-
gen möchte, gleich andern, zu den Moden gehöri-
gen Dingen, so lang im Gebrauch bleiben, bis ihr
fataler Zeitpunkt kommen wird. Herr Agricola
hat an dem angezeigten Orte die Gründe für und
gegen diese Cadenzen gesammelt, die man daselbst
nachlesen kann. Daß übrigens vor dem letzten
Ton eines Hauptschlusses eine Auf haltung von gu-
ter Würkung und in der Natur der Sache gegründet
sey, kann jeder fühlen. Also verwirft der gute Ge-
schmak diese Cadenzen nicht schlechterdings, sondern
mißbilliget nur das Uebertriebene derselben, besonders
aber die seltsamen Läufe und Sprünge, die keinen
Endzwek haben, als den langen Athem oder die
Fertigkeit der Kähte eines Sängers zu zeigen.

Camin.
(Baukunst.)

Ein offener Feuerheerd an einer Wand eines Zim-
mers, zu dessen Wärmung er dienet. Die Ca-
mine verstatten, daß man im Zimmer ein offenes
[Spaltenumbruch]

Cam
Feuer geniessen kann, sonst aber sind sie in kalten
Ländern zur Wärmung der Zimmer nicht hinrei-
chend, wo man nicht eine gar zu grosse Menge Holz
oder Kohlen verbrennen will. Da sie aber gleich-
wol den sehr guten Nutzen haben, durch Abführung
der Ausdünstungen in den Zimmern eine reine
Luft zu unterhalten; und da überdies das Feuer im
Zimmer unter die wenigen Schönheiten der Natur
gehört, deren Genuß kalten Ländern im Winter
übrig bleibet; so ist die Untersuchung über die beste
Art Camine anzulegen, ein nicht ganz unwichtiger
Punkt in der Baukunst. Folgende Anmerkungen
werden nachdenkenden Baumeistern nicht ganz über-
flüßig scheinen.

Die vornehmste Eigenschaft eines guten Camines
ist diese, daß er bey einem hinlänglichen Zug, um
allen Rauch abzuführen, einen nicht gar zu starken
Zug in dem Zimmer verursache, welches der Fehler
fast aller Camine ist, die eine weite Oefnung über
dem Feuerheerd haben. Ein etwas starkes Feuer
verursachet einen Zug in dem Zimmer, der beynahe
einem Wind gleichet, wodurch auch zugleich alle
warme Luft aus dem Zimmer weggeführet wird.
Diesem Fehler wird dadurch abgeholfen, daß die
Röhre oder der Schornstein, gegen den Heerd des
Camines ins enge gezogen wird. Jch habe selbst
einige Camine über den Sturz zuwölben, und nur
mitten in dem Gewölbe eine Oefnung von 5 Zoll
ins gevierte machen lassen, und diese Art sehr vor-
theilhaft gefunden. Nur muß dabey veranstal-
tet werden, daß die Schornsteinfeger von oben in
die Röhre kommen können, und gegen das untere
Ende müssen die Röhren, als eine umgekehrte Py-
ramide, nach und nach enger werden, daß der
herunterfallende Ruß nirgend aufsitze, sondern auf
den Heerd herunterfallen könne. Die Oefnung wird
durch einen über den Sturz angebrachten Schieber,
sobald das Feuer ausgebrennt ist, zugemacht. An
solchen Caminen habe ich oft beobachtet, daß der
Schieber bey ziemlich starkem Feuer, bis auf zwey
Finger breit konnte eingeschoben werden, so daß die
ganze Oefnung nur 5 Zoll lang und etwa 2 Zoll
breit geblieben, ohne daß der Camin rauchte. Aber
in diesen Caminen muß das Holz an der Feuer-
mauer in die Höhe gestellt, und in der Mitte gut
zusammengehalten werden. Also kann man eine
enge Oefnung, als eine wesentliche Eigenschaft eines
guten Camins ansehen. Hiernächst wird die Wür-

kung
[Spaltenumbruch]
Cad Cam

„Jn den alten Zeiten wurden die Haupt-
ſchluͤſſe — nur ſo ausgefuͤhret, wie ſie dem Takte
gemaͤß, geſchrieben werden; auf der mittelſten
Note wurd ein Triller gemacht. Hernach fieng man
an auf der Note vor dem Triller eine kleine will-
kuͤhrliche Auszierung anzubringen; wenn naͤmlich
ohne den Takt aufzuhalten Zeit dazu war. Dar-
auf fieng man an den letzten Takt langſamer zu
ſingen, und ſich etwas aufzuhalten. Endlich ſuchte
man dieſe Auf haltung durch allerhand willkuͤrliche
Paſſagen, Laͤufe, Ziehungen, Spruͤnge, kurz, was
nur fuͤr Figuren den Stimmen auszufuͤhren moͤg-
lich ſind, auszuſchmuͤken. — Dieſe werden itzt
vorzugsweiſe Cadenzen genennt. Sie ſollen zwi-
ſchen den Jahren 1710 und 1716 ihren Urſprung
genommen haben.‟

Dieſes ſind alſo die Cadenzen, in welche ſich ge-
genwaͤrtig, ſowol die Saͤnger als die Spieler, ſo ſehr
verliebt haben, daß man glauben ſollte, ſie ſingen
oder ſpielen ein Stuͤk nur deswegen, damit ſie am
Ende ihre Fertigkeit durch die ſeltſamſten Laͤufe und
Spruͤnge zeigen koͤnnen. Es giebt Perſonen von
Geſchmak, denen dieſe Cadenzen aͤuſſerſt zuwider
ſind, und die ſie mit den Luftſpruͤngen der Seil-
taͤnzer in eine Claſſe ſetzen. Selbſt der Caſtrat
Toſi, ein Meiſter der Kunſt, ſcheinet nicht viel
guͤnſtiger davon zu urtheilen. Allem Anſehen nach
aber werden ſie, was man auch immer dagegen ſa-
gen moͤchte, gleich andern, zu den Moden gehoͤri-
gen Dingen, ſo lang im Gebrauch bleiben, bis ihr
fataler Zeitpunkt kommen wird. Herr Agricola
hat an dem angezeigten Orte die Gruͤnde fuͤr und
gegen dieſe Cadenzen geſammelt, die man daſelbſt
nachleſen kann. Daß uͤbrigens vor dem letzten
Ton eines Hauptſchluſſes eine Auf haltung von gu-
ter Wuͤrkung und in der Natur der Sache gegruͤndet
ſey, kann jeder fuͤhlen. Alſo verwirft der gute Ge-
ſchmak dieſe Cadenzen nicht ſchlechterdings, ſondern
mißbilliget nur das Uebertriebene derſelben, beſonders
aber die ſeltſamen Laͤufe und Spruͤnge, die keinen
Endzwek haben, als den langen Athem oder die
Fertigkeit der Kaͤhte eines Saͤngers zu zeigen.

Camin.
(Baukunſt.)

Ein offener Feuerheerd an einer Wand eines Zim-
mers, zu deſſen Waͤrmung er dienet. Die Ca-
mine verſtatten, daß man im Zimmer ein offenes
[Spaltenumbruch]

Cam
Feuer genieſſen kann, ſonſt aber ſind ſie in kalten
Laͤndern zur Waͤrmung der Zimmer nicht hinrei-
chend, wo man nicht eine gar zu groſſe Menge Holz
oder Kohlen verbrennen will. Da ſie aber gleich-
wol den ſehr guten Nutzen haben, durch Abfuͤhrung
der Ausduͤnſtungen in den Zimmern eine reine
Luft zu unterhalten; und da uͤberdies das Feuer im
Zimmer unter die wenigen Schoͤnheiten der Natur
gehoͤrt, deren Genuß kalten Laͤndern im Winter
uͤbrig bleibet; ſo iſt die Unterſuchung uͤber die beſte
Art Camine anzulegen, ein nicht ganz unwichtiger
Punkt in der Baukunſt. Folgende Anmerkungen
werden nachdenkenden Baumeiſtern nicht ganz uͤber-
fluͤßig ſcheinen.

Die vornehmſte Eigenſchaft eines guten Camines
iſt dieſe, daß er bey einem hinlaͤnglichen Zug, um
allen Rauch abzufuͤhren, einen nicht gar zu ſtarken
Zug in dem Zimmer verurſache, welches der Fehler
faſt aller Camine iſt, die eine weite Oefnung uͤber
dem Feuerheerd haben. Ein etwas ſtarkes Feuer
verurſachet einen Zug in dem Zimmer, der beynahe
einem Wind gleichet, wodurch auch zugleich alle
warme Luft aus dem Zimmer weggefuͤhret wird.
Dieſem Fehler wird dadurch abgeholfen, daß die
Roͤhre oder der Schornſtein, gegen den Heerd des
Camines ins enge gezogen wird. Jch habe ſelbſt
einige Camine uͤber den Sturz zuwoͤlben, und nur
mitten in dem Gewoͤlbe eine Oefnung von 5 Zoll
ins gevierte machen laſſen, und dieſe Art ſehr vor-
theilhaft gefunden. Nur muß dabey veranſtal-
tet werden, daß die Schornſteinfeger von oben in
die Roͤhre kommen koͤnnen, und gegen das untere
Ende muͤſſen die Roͤhren, als eine umgekehrte Py-
ramide, nach und nach enger werden, daß der
herunterfallende Ruß nirgend aufſitze, ſondern auf
den Heerd herunterfallen koͤnne. Die Oefnung wird
durch einen uͤber den Sturz angebrachten Schieber,
ſobald das Feuer ausgebrennt iſt, zugemacht. An
ſolchen Caminen habe ich oft beobachtet, daß der
Schieber bey ziemlich ſtarkem Feuer, bis auf zwey
Finger breit konnte eingeſchoben werden, ſo daß die
ganze Oefnung nur 5 Zoll lang und etwa 2 Zoll
breit geblieben, ohne daß der Camin rauchte. Aber
in dieſen Caminen muß das Holz an der Feuer-
mauer in die Hoͤhe geſtellt, und in der Mitte gut
zuſammengehalten werden. Alſo kann man eine
enge Oefnung, als eine weſentliche Eigenſchaft eines
guten Camins anſehen. Hiernaͤchſt wird die Wuͤr-

kung
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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/200>, abgerufen am 26.04.2024.