Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch]
Cad Cam "Jn den alten Zeiten wurden die Haupt- Dieses sind also die Cadenzen, in welche sich ge- Camin. (Baukunst.) Ein offener Feuerheerd an einer Wand eines Zim- Cam Feuer geniessen kann, sonst aber sind sie in kaltenLändern zur Wärmung der Zimmer nicht hinrei- chend, wo man nicht eine gar zu grosse Menge Holz oder Kohlen verbrennen will. Da sie aber gleich- wol den sehr guten Nutzen haben, durch Abführung der Ausdünstungen in den Zimmern eine reine Luft zu unterhalten; und da überdies das Feuer im Zimmer unter die wenigen Schönheiten der Natur gehört, deren Genuß kalten Ländern im Winter übrig bleibet; so ist die Untersuchung über die beste Art Camine anzulegen, ein nicht ganz unwichtiger Punkt in der Baukunst. Folgende Anmerkungen werden nachdenkenden Baumeistern nicht ganz über- flüßig scheinen. Die vornehmste Eigenschaft eines guten Camines kung
[Spaltenumbruch]
Cad Cam „Jn den alten Zeiten wurden die Haupt- Dieſes ſind alſo die Cadenzen, in welche ſich ge- Camin. (Baukunſt.) Ein offener Feuerheerd an einer Wand eines Zim- Cam Feuer genieſſen kann, ſonſt aber ſind ſie in kaltenLaͤndern zur Waͤrmung der Zimmer nicht hinrei- chend, wo man nicht eine gar zu groſſe Menge Holz oder Kohlen verbrennen will. Da ſie aber gleich- wol den ſehr guten Nutzen haben, durch Abfuͤhrung der Ausduͤnſtungen in den Zimmern eine reine Luft zu unterhalten; und da uͤberdies das Feuer im Zimmer unter die wenigen Schoͤnheiten der Natur gehoͤrt, deren Genuß kalten Laͤndern im Winter uͤbrig bleibet; ſo iſt die Unterſuchung uͤber die beſte Art Camine anzulegen, ein nicht ganz unwichtiger Punkt in der Baukunſt. Folgende Anmerkungen werden nachdenkenden Baumeiſtern nicht ganz uͤber- fluͤßig ſcheinen. Die vornehmſte Eigenſchaft eines guten Camines kung
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Sie ſollen zwi-<lb/> ſchen den Jahren 1710 und 1716 ihren Urſprung<lb/> genommen haben.‟</p><lb/> <p>Dieſes ſind alſo die Cadenzen, in welche ſich ge-<lb/> genwaͤrtig, ſowol die Saͤnger als die Spieler, ſo ſehr<lb/> verliebt haben, daß man glauben ſollte, ſie ſingen<lb/> oder ſpielen ein Stuͤk nur deswegen, damit ſie am<lb/> Ende ihre Fertigkeit durch die ſeltſamſten Laͤufe und<lb/> Spruͤnge zeigen koͤnnen. Es giebt Perſonen von<lb/> Geſchmak, denen dieſe Cadenzen aͤuſſerſt zuwider<lb/> ſind, und die ſie mit den Luftſpruͤngen der Seil-<lb/> taͤnzer in eine Claſſe ſetzen. Selbſt der Caſtrat<lb/><hi rendition="#fr">Toſi,</hi> ein Meiſter der Kunſt, ſcheinet nicht viel<lb/> guͤnſtiger davon zu urtheilen. Allem Anſehen nach<lb/> aber werden ſie, was man auch immer dagegen ſa-<lb/> gen moͤchte, gleich andern, zu den Moden gehoͤri-<lb/> gen Dingen, ſo lang im Gebrauch bleiben, bis ihr<lb/> fataler Zeitpunkt kommen wird. Herr Agricola<lb/> hat an dem angezeigten Orte die Gruͤnde fuͤr und<lb/> gegen dieſe Cadenzen geſammelt, die man daſelbſt<lb/> nachleſen kann. Daß uͤbrigens vor dem letzten<lb/> Ton eines Hauptſchluſſes eine Auf haltung von gu-<lb/> ter Wuͤrkung und in der Natur der Sache gegruͤndet<lb/> ſey, kann jeder fuͤhlen. Alſo verwirft der gute Ge-<lb/> ſchmak dieſe Cadenzen nicht ſchlechterdings, ſondern<lb/> mißbilliget nur das Uebertriebene derſelben, beſonders<lb/> aber die ſeltſamen Laͤufe und Spruͤnge, die keinen<lb/> Endzwek haben, als den langen Athem oder die<lb/> Fertigkeit der Kaͤhte eines Saͤngers zu zeigen.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Camin.</hi><lb/> (Baukunſt.)</head><lb/> <p><hi rendition="#in">E</hi>in offener Feuerheerd an einer Wand eines Zim-<lb/> mers, zu deſſen Waͤrmung er dienet. 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Folgende Anmerkungen<lb/> werden nachdenkenden Baumeiſtern nicht ganz uͤber-<lb/> fluͤßig ſcheinen.</p><lb/> <p>Die vornehmſte Eigenſchaft eines guten Camines<lb/> iſt dieſe, daß er bey einem hinlaͤnglichen Zug, um<lb/> allen Rauch abzufuͤhren, einen nicht gar zu ſtarken<lb/> Zug in dem Zimmer verurſache, welches der Fehler<lb/> faſt aller Camine iſt, die eine weite Oefnung uͤber<lb/> dem Feuerheerd haben. Ein etwas ſtarkes Feuer<lb/> verurſachet einen Zug in dem Zimmer, der beynahe<lb/> einem Wind gleichet, wodurch auch zugleich alle<lb/> warme Luft aus dem Zimmer weggefuͤhret wird.<lb/> Dieſem Fehler wird dadurch abgeholfen, daß die<lb/> Roͤhre oder der Schornſtein, gegen den Heerd des<lb/> Camines ins enge gezogen wird. Jch habe ſelbſt<lb/> einige Camine uͤber den Sturz zuwoͤlben, und nur<lb/> mitten in dem Gewoͤlbe eine Oefnung von 5 Zoll<lb/> ins gevierte machen laſſen, und dieſe Art ſehr vor-<lb/> theilhaft gefunden. Nur muß dabey veranſtal-<lb/> tet werden, daß die Schornſteinfeger von oben in<lb/> die Roͤhre kommen koͤnnen, und gegen das untere<lb/> Ende muͤſſen die Roͤhren, als eine umgekehrte Py-<lb/> ramide, nach und nach enger werden, daß der<lb/> herunterfallende Ruß nirgend aufſitze, ſondern auf<lb/> den Heerd herunterfallen koͤnne. Die Oefnung wird<lb/> durch einen uͤber den Sturz angebrachten Schieber,<lb/> ſobald das Feuer ausgebrennt iſt, zugemacht. An<lb/> ſolchen Caminen habe ich oft beobachtet, daß der<lb/> Schieber bey ziemlich ſtarkem Feuer, bis auf zwey<lb/> Finger breit konnte eingeſchoben werden, ſo daß die<lb/> ganze Oefnung nur 5 Zoll lang und etwa 2 Zoll<lb/> breit geblieben, ohne daß der Camin rauchte. Aber<lb/> in dieſen Caminen muß das Holz an der Feuer-<lb/> mauer in die Hoͤhe geſtellt, und in der Mitte gut<lb/> zuſammengehalten werden. Alſo kann man eine<lb/> enge Oefnung, als eine weſentliche Eigenſchaft eines<lb/> guten Camins anſehen. Hiernaͤchſt wird die Wuͤr-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">kung</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [188/0200]
Cad Cam
Cam
„Jn den alten Zeiten wurden die Haupt-
ſchluͤſſe — nur ſo ausgefuͤhret, wie ſie dem Takte
gemaͤß, geſchrieben werden; auf der mittelſten
Note wurd ein Triller gemacht. Hernach fieng man
an auf der Note vor dem Triller eine kleine will-
kuͤhrliche Auszierung anzubringen; wenn naͤmlich
ohne den Takt aufzuhalten Zeit dazu war. Dar-
auf fieng man an den letzten Takt langſamer zu
ſingen, und ſich etwas aufzuhalten. Endlich ſuchte
man dieſe Auf haltung durch allerhand willkuͤrliche
Paſſagen, Laͤufe, Ziehungen, Spruͤnge, kurz, was
nur fuͤr Figuren den Stimmen auszufuͤhren moͤg-
lich ſind, auszuſchmuͤken. — Dieſe werden itzt
vorzugsweiſe Cadenzen genennt. Sie ſollen zwi-
ſchen den Jahren 1710 und 1716 ihren Urſprung
genommen haben.‟
Dieſes ſind alſo die Cadenzen, in welche ſich ge-
genwaͤrtig, ſowol die Saͤnger als die Spieler, ſo ſehr
verliebt haben, daß man glauben ſollte, ſie ſingen
oder ſpielen ein Stuͤk nur deswegen, damit ſie am
Ende ihre Fertigkeit durch die ſeltſamſten Laͤufe und
Spruͤnge zeigen koͤnnen. Es giebt Perſonen von
Geſchmak, denen dieſe Cadenzen aͤuſſerſt zuwider
ſind, und die ſie mit den Luftſpruͤngen der Seil-
taͤnzer in eine Claſſe ſetzen. Selbſt der Caſtrat
Toſi, ein Meiſter der Kunſt, ſcheinet nicht viel
guͤnſtiger davon zu urtheilen. Allem Anſehen nach
aber werden ſie, was man auch immer dagegen ſa-
gen moͤchte, gleich andern, zu den Moden gehoͤri-
gen Dingen, ſo lang im Gebrauch bleiben, bis ihr
fataler Zeitpunkt kommen wird. Herr Agricola
hat an dem angezeigten Orte die Gruͤnde fuͤr und
gegen dieſe Cadenzen geſammelt, die man daſelbſt
nachleſen kann. Daß uͤbrigens vor dem letzten
Ton eines Hauptſchluſſes eine Auf haltung von gu-
ter Wuͤrkung und in der Natur der Sache gegruͤndet
ſey, kann jeder fuͤhlen. Alſo verwirft der gute Ge-
ſchmak dieſe Cadenzen nicht ſchlechterdings, ſondern
mißbilliget nur das Uebertriebene derſelben, beſonders
aber die ſeltſamen Laͤufe und Spruͤnge, die keinen
Endzwek haben, als den langen Athem oder die
Fertigkeit der Kaͤhte eines Saͤngers zu zeigen.
Camin.
(Baukunſt.)
Ein offener Feuerheerd an einer Wand eines Zim-
mers, zu deſſen Waͤrmung er dienet. Die Ca-
mine verſtatten, daß man im Zimmer ein offenes
Feuer genieſſen kann, ſonſt aber ſind ſie in kalten
Laͤndern zur Waͤrmung der Zimmer nicht hinrei-
chend, wo man nicht eine gar zu groſſe Menge Holz
oder Kohlen verbrennen will. Da ſie aber gleich-
wol den ſehr guten Nutzen haben, durch Abfuͤhrung
der Ausduͤnſtungen in den Zimmern eine reine
Luft zu unterhalten; und da uͤberdies das Feuer im
Zimmer unter die wenigen Schoͤnheiten der Natur
gehoͤrt, deren Genuß kalten Laͤndern im Winter
uͤbrig bleibet; ſo iſt die Unterſuchung uͤber die beſte
Art Camine anzulegen, ein nicht ganz unwichtiger
Punkt in der Baukunſt. Folgende Anmerkungen
werden nachdenkenden Baumeiſtern nicht ganz uͤber-
fluͤßig ſcheinen.
Die vornehmſte Eigenſchaft eines guten Camines
iſt dieſe, daß er bey einem hinlaͤnglichen Zug, um
allen Rauch abzufuͤhren, einen nicht gar zu ſtarken
Zug in dem Zimmer verurſache, welches der Fehler
faſt aller Camine iſt, die eine weite Oefnung uͤber
dem Feuerheerd haben. Ein etwas ſtarkes Feuer
verurſachet einen Zug in dem Zimmer, der beynahe
einem Wind gleichet, wodurch auch zugleich alle
warme Luft aus dem Zimmer weggefuͤhret wird.
Dieſem Fehler wird dadurch abgeholfen, daß die
Roͤhre oder der Schornſtein, gegen den Heerd des
Camines ins enge gezogen wird. Jch habe ſelbſt
einige Camine uͤber den Sturz zuwoͤlben, und nur
mitten in dem Gewoͤlbe eine Oefnung von 5 Zoll
ins gevierte machen laſſen, und dieſe Art ſehr vor-
theilhaft gefunden. Nur muß dabey veranſtal-
tet werden, daß die Schornſteinfeger von oben in
die Roͤhre kommen koͤnnen, und gegen das untere
Ende muͤſſen die Roͤhren, als eine umgekehrte Py-
ramide, nach und nach enger werden, daß der
herunterfallende Ruß nirgend aufſitze, ſondern auf
den Heerd herunterfallen koͤnne. Die Oefnung wird
durch einen uͤber den Sturz angebrachten Schieber,
ſobald das Feuer ausgebrennt iſt, zugemacht. An
ſolchen Caminen habe ich oft beobachtet, daß der
Schieber bey ziemlich ſtarkem Feuer, bis auf zwey
Finger breit konnte eingeſchoben werden, ſo daß die
ganze Oefnung nur 5 Zoll lang und etwa 2 Zoll
breit geblieben, ohne daß der Camin rauchte. Aber
in dieſen Caminen muß das Holz an der Feuer-
mauer in die Hoͤhe geſtellt, und in der Mitte gut
zuſammengehalten werden. Alſo kann man eine
enge Oefnung, als eine weſentliche Eigenſchaft eines
guten Camins anſehen. Hiernaͤchſt wird die Wuͤr-
kung
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