Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch]
Bew Bewegung. (Schöne Künste.) Jst einer der Gegenstände der schönen Künste, so Alle Handlungen der Seele führen den Begriff Es ist aber hiebey anzumerken, daß die Bewe- Aus diesem läßt sich begreifen, wie in der Be- Bew Lust und Unlust, Empfindungen und Leidenschaftenkönnen hervorgebracht werden. Die Theorie, wel- che das Schöne in der Bewegung überhaupt unter- suchte, wäre die allgemeine Tanzkunst, wovon die besondere Kunst des Tanzens, und so gar ein Theil der Tonkunst, nur besondere Anwendungen wären. Die schöne Bewegung ist von der schönen Figur nur darin unterschieden, daß hier die Theile auf einmal neben einander sind, dort aber nach und nach auf einander folgen. Die schöne Bewegung ist eine sich beständig ändernde schöne Figur. Damit wir die Schönheit der Bewegung deut- Hierin liegt der eigentliche Grund, der uns die Dieses
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Bew Bewegung. (Schoͤne Kuͤnſte.) Jſt einer der Gegenſtaͤnde der ſchoͤnen Kuͤnſte, ſo Alle Handlungen der Seele fuͤhren den Begriff Es iſt aber hiebey anzumerken, daß die Bewe- Aus dieſem laͤßt ſich begreifen, wie in der Be- Bew Luſt und Unluſt, Empfindungen und Leidenſchaftenkoͤnnen hervorgebracht werden. Die Theorie, wel- che das Schoͤne in der Bewegung uͤberhaupt unter- ſuchte, waͤre die allgemeine Tanzkunſt, wovon die beſondere Kunſt des Tanzens, und ſo gar ein Theil der Tonkunſt, nur beſondere Anwendungen waͤren. Die ſchoͤne Bewegung iſt von der ſchoͤnen Figur nur darin unterſchieden, daß hier die Theile auf einmal neben einander ſind, dort aber nach und nach auf einander folgen. Die ſchoͤne Bewegung iſt eine ſich beſtaͤndig aͤndernde ſchoͤne Figur. Damit wir die Schoͤnheit der Bewegung deut- Hierin liegt der eigentliche Grund, der uns die Dieſes
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Bew
Bew
Bewegung.
(Schoͤne Kuͤnſte.)
Jſt einer der Gegenſtaͤnde der ſchoͤnen Kuͤnſte, ſo
wie der Ton, die Farben und die Figur. Die
Tanzkunſt gruͤndet ſich groͤßtentheils auf Bewe-
gung, die Muſik ahmet ſie gluͤklich nach, und in
den zeichnenden Kuͤnſten kommt viel ſchoͤnes von
der Vorſtellung der Bewegung her. Das eigen-
thuͤmliche der Bewegung ſind die verſchiedenen
Grade des langſamen und geſchwinden, und dar-
in allein liegen ſchon Gruͤnde, wodurch die Be-
wegung der Schoͤnheit faͤhig wird; weil darin
Mannigfaltigkeit und Abwechslung bey der Einfoͤr-
migkeit ſtattfindet. Wir haben an einem andern
Orte (Takt) angemerkt, wie aus der bloßen Bewe-
gung etwas entſtehen kann, das mit dem taktmaͤßigen
Geſang einige Aehnlichkeit hat. Wenn man in
der Bewegung ein gewiſſes Zeitmas zur Einheit
annimmt, ſo ſind die Grade der Geſchwindigkeit,
wie Glieder eines Ganzen anzuſehen; die Zeit in
welcher die Bewegung geſchieht und der Raum
durch welchen ſie geſchieht, koͤnnen als das Ganze
angeſehen werden, welches aus ſehr mannigfaltigen
verbundenen Theilen beſteht, und alſo der Schoͤn-
heit faͤhig iſt.
Alle Handlungen der Seele fuͤhren den Begriff
der Bewegung mit ſich; nicht nur die, welche wir
Gemuͤthsbewegungen nennen, ſondern auch Hand-
lungen ohne Leidenſchaft. Daher kann die Bewe-
gung zum Zeichen oder Ausdruk deſſen gebraucht
werden, was in der Seele vorgeht. Hierin liegt
der Grund eines großen Theils der Kunſt die Lei-
denſchaften und andre Gemuͤthsfaſſungen durch
den Takt in der Muſik und in dem Tanz auszu-
druͤken.
Es iſt aber hiebey anzumerken, daß die Bewe-
gung allemal den Begriff der Figur mit ſich fuͤhre.
Denn da ſie nothwendig nach gewiſſen Linien ge-
ſchieht, ſo kann eine ſehr veraͤnderte Bewegung,
den Begriff einer mannigfaltigen Figur erweken.
Eben ſo kann im Gegentheil die bloße Figur den
Begriff der Bewegung erweken, aus der ſie ent-
ſtanden iſt, oder entſtehen kann.
Aus dieſem laͤßt ſich begreifen, wie in der Be-
wegung gaͤr mannigfaltige Schoͤnheiten liegen koͤn-
nen, wie der Begriff derſelben in uns erwekt werde,
wie folglich durch das Anſchauen der Bewegung
Luſt und Unluſt, Empfindungen und Leidenſchaften
koͤnnen hervorgebracht werden. Die Theorie, wel-
che das Schoͤne in der Bewegung uͤberhaupt unter-
ſuchte, waͤre die allgemeine Tanzkunſt, wovon die
beſondere Kunſt des Tanzens, und ſo gar ein Theil
der Tonkunſt, nur beſondere Anwendungen waͤren.
Die ſchoͤne Bewegung iſt von der ſchoͤnen Figur
nur darin unterſchieden, daß hier die Theile auf
einmal neben einander ſind, dort aber nach und
nach auf einander folgen. Die ſchoͤne Bewegung
iſt eine ſich beſtaͤndig aͤndernde ſchoͤne Figur.
Damit wir die Schoͤnheit der Bewegung deut-
licher und richtiger erkennen, duͤrfen wir uns
nur ein Syſtem verſchiedener verbundenen Koͤrper
vorſtellen, deren jeder ſeine eigene Bewegung hat,
ſich mit eigener Geſchwindigkeit nach eigenen Linien
und nach eigenen Richtungen bewegt. Man wird
begreifen, daß bey der Einheit eines ſolchen Sy-
ſtems eine ſehr große Mannigfaltigkeit moͤglich ſey.
Setzen wir nun noch hinzu, daß dieſe Koͤrper an
Groͤſſe und Figur ſo verſchieden ſeyen, als an Be-
wegung, ſo bilden ſich Begriffe von der hoͤchſten
Schoͤnheit, die aus Bewegung und Figur zugleich
entſtehen.
Hierin liegt der eigentliche Grund, der uns die
Tanzkunſt, unter die ſchoͤnen Kuͤnſte zaͤhlen macht.
Denn da iſt das Schoͤne der Figur und Bewegung
vereiniget. Wir koͤnnen ohne Unterſuchung und
Nachdenken uns von der großen Macht der mit
Bewegung verbundenen Figur uͤberzeugen, wenn
wir jemahls den Reiz einer vollkommenen Taͤnzerin,
und anderſeits das Abſcheuliche in gewißen kram-
figten Bewegungen eines ſchon an ſich mißgebohr-
nen Koͤrpers empfunden haben. Es giebt Men-
ſchen, die von Natur aufgelegt ſind, immer die an-
genehmſten, reizendſten Stellungen und Bewegun-
gen aller Gliedmaaßen zu treffen; alles lenkt
ſich bey ihnen nach dem beſten Geſchmak. So
muͤſſen vollkommene Redner und vollkommene
Schauſpieler gebildet ſeyn. Hingegen giebt es auch
lebende Mißgebuhrten, die etwas ſo gar widriges,
ekelhaftes oder fuͤrchterliches in der Verziehung
der Gliedmaaßen an ſich haben, daß man ſie nur
einmal ſehen darf, um hernach auf immer bey jedem
erneuerten Andenken derſelben, Furcht oder Ekel zu
empfinden. Gewiffe elende Menſchen erweken un-
ſer Mitleiden durch wenige Gebehrden weit lebhaf-
ter, als die beweglichſte Rede thun wuͤrde.
Dieſes
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